15. Februar 2014



Wie angenehm, dass dieser aufdringliche Valentinstag vorbei ist. Ich hatte schon die Befürchtung, das seit vorgestern himbeerrote Vimeo-Logo (mit ausgestanztem Herzchen und Pfeil drin) bleibt jetzt, aber manchmal habe ich ja doch einen Geistesblitz, und so hegte ich die berechtigte Hoffnung, dass es sich nur um eine Spielerei einer "romantischen" Belegschaft handelt. Der Krankheitsschub ist vorbei und das Logo wieder schwarz. Mich hat ja vor Jahren schon die monatsbindenhafte Typographie des Schriftzugs bewogen (vormals WC-Reiniger-bleu), auf dieser Plattform nichts hochladen zu wollen. Ich weiß nicht, wie diese Schriftart heißt, aber in Verbindung mit dem Namen denke ich, warum auch immer, an Monatshygiene, Binden, Slipeinlagen (die ich persönlich nicht benutze, schön, dass wir mal darüber gesprochen haben) oder meinethalben auch vierlagiges Klopapier. Nun wurde aber zum siebten November letzten Jahres mein blip-Channel gekündigt, weil mein Zeug nicht mainstream-mäßig kommerziell genug war, und so suchte ich eine Plattform, wo ich meine kleinen Werke ungehindert und unzensiert hochladen kann, mit möglichst unaufdringlich aussehendem Player, der sich hier, ohne Werbevorspann vor jedem Film, einbetten lässt. So habe ich also doch den Hoster mit dem Binden-Logo gewählt. blip tv war ja nun allerdings auch nicht sehr elegant betitelt, da hatte ich schon auch meine Bauchschmerzen. Außerdem hat alles sehr langsam gepuffert. Wie heißt es doch so schön "first world problems". Nein, alles kein Problem. Ich konnte mir dann ja auch meinen eigenen Channel zurechtbasteln, mit freundlich schwarzem Hintergrund. Und sogar drei Alben durfte ich anlegen, um ein bißchen Ordnung in die Sache zu bringen. Alles fein. Die meisten bevorzugen jedoch immer noch, sich die Sachen auf youtube anzuschauen, die Weltherrschaft ist derzeit fest in der Hand von youtube und google. Keine Frage. Für mich ist das auch so eine Art doppeltes back up. Wenn meine heimischen Festplatten und USB-Sticks plötzlich sterben sollten, wäre immer noch ein Hoffnungsschimmer, dass die Bilder noch einmal gerettet werden können. Wofür und wen auch immer. Für mich oder eine unwägbare Nachwelt, den großen virtuellen Flohmarkt, auf dem in hundert Jahren, seltsame alte Fundsachen feilgeboten werden.

12. Februar 2014

Heute Nachmittag ein Telefonat, das mich beschäftigt. Was kann man missverständlicherweise von einigem halten, was ich in der Öffentlichkeit zeige? In meiner Suppe schwimmend, denke ich immer, ich agiere in einem komplexen Kontext, der leicht zu erfassen ist. Aber das stimmt nicht. Denn niemand kann, könnte, der jetzt erst auf mich stößt, rational, in der von mir erlebten und gemeinten Komplexität verstehen, wie ich ohne Disclaimer in der Reihe von Opus 1 - Opus 97 ein Video zeigen kann, in dessen Abspann "to Leni" oder "dedicated to Leni Riefenstahl" steht, und zugleich eine heftige Gegnerin jeglicher Nazi-Ideologie sein kann. Bin. Gut, dass ich darauf hingewiesen werde. Ich habe jetzt einen mit Sicherheit unzulänglichen Disclaimer darunter geschrieben. Ich weiß um alle biographischen Ereignisse und zu geißelnden Vermächtnisse von und um Frau Riefenstahl, die einem in dieser Welt, zu dieser Zeit, hier und heute, zugänglich sein können. Da ist keine Koketterie im Spiel, keine Verniedlichung oder Ignoranz, was die Folgen ihrer Verstrickung anbelangt. Aber so könnte es interpretiert werden. Unendlich viel könnte ich jetzt schreiben, wie es mich beschäftigt, die Mechanismen zu durchschauen, die Werkzeuge, mit denen Macht erlangt wird. Und wie interessant ich den Gedanken finde, Machthaber, selbst rückwirkend, die ihre Macht für lebensverachtende Ideologien missbrauchen, zu entwaffnen, ihnen die Macht zu entziehen, sie vorzuführen. Sie durchschaubar zu machen. Indem man ihre Wirkungsweise analysiert und begreift. Und durchaus das Fasznierende daran, immer noch als faszinierend bestehen lässt. Funktion und Missbrauch auseinanderdividiert. Verdammt ja. Das ist hochkomplex. Ich würde das visuell hochgradig talentierte, eigenwillige Talent Leni Riefenstahl am liebsten rückwirkend auf die Seite einer guten Ideologie ziehen, einer mitfühlenden, nicht diktatorischen. Aber das diktatorisch. Ach. Ein aussichtsloses Unterfangen. Ja, komplex. Oder immerhin in der Gegenwart ein Bewusstsein für fatale Mechanismen schaffen. Wer mein Zeug hier lange liest, wird bemerkt haben, dass ich keine eindimensionalen Blickwinkel einnehme. Ich versuche immer, Ursachen auszuloten. Nicht, um etwas zu entschuldigen, sondern um ein Werkzeug in die Hand zu bekommen, konstruktiv für einen guten Geist aktiv zu werden. Ich lerne immer noch dazu. Danke für deinen Anruf, Victor.

10. Februar 2014



Irgendwann dazwischen, zwischen Singsang heute Nachmittag. Die Sonne verwöhnt Berlin. Vielleicht das ganze Land. Die Berlinale-Gäste werden sich freuen, die schönen Frauen auf dem roten Teppich. Sie können ihre Roben ein paar Minuten zeigen, ohne sich gleich zu erkälten. Man steht immer noch an, wenn man Berlinale-Karten haben will, höre ich. Manche haben Verbindungen und werden beglückt, aber der Rest steht sich die Beine für das begrenzte Kontingent in den Bauch. Ein Glück, dass das an mir vorbeirauscht. Wundert mich selber seit einigen Jahren, dass es mich nicht mehr elektrisiert. Erschreckend, wie ignorant und selbstgenügsam ich mitunter bin. Man darf es gar nicht laut artikulieren. Aber mit Arroganz oder Ignoranz hat es weniger zu tun, als mit einem zunehmenden Geiz, was meine frei verfügbare Zeit angeht. Es ist ja nicht so, dass bei der Berlinale bessere Filme laufen, als im regulären Kinoprogramm, eher im Gegenteil. So ein Festival bietet eben auch eine Plattform für Experimente, bei denen man noch nicht recht weiß, ob sie ein Publikum finden. Viel Freude allen, die sich die Mühe machen, sich damit zu befassen. Sicher auch nicht zuletzt wegen der Elektrizität von Mediendichte, der Hoffnung, irgendeine prominente Figur aus dem internationalen Film zu sehen. Mir ist das zu unpersönlich, so auf Distanz, zum roten Teppich oder dem Podium einer Pressekonferenz. Ich hatte vor zweiundzwanzig Jahren einen Liebhaber, der immer auf der Berlinale zu tun hatte, als Dolmetscher und Übersetzer. Er musste unter anderem auf der parallel laufenden Verleiher-Messe Übersetzungen für noch nicht synchronisierte oder noch nicht untertitelte Filme aus dem Spanischen machen, die er dann dolmetschenderweise während der Film lief, vortrug. So habe ich es zumindest verstanden. Und wenn dann ein spanisch sprechender Filmstar oder Regisseur anwesend war, hat er häufig den Auftrag gehabt, bei Interviews zu dolmetschen. So hatte er regelmäßig mit Carlos Saura und anderen Protagonisten aus Spanien und Lateinamerika zu tun. Mit Saura hat er dann auch abseits der Berlinale freundschaftlichen Kontakt gepflegt. Und wen er da nicht alles noch getroffen hat. Aber ich hatte damit nichts zu tun, das wurde schön auseinanderdividiert. Wie überhaupt auch anderes. Oh ich könnte pikante Sachen erzählen, aber so interessant war er dann doch wieder nicht. Jedenfalls ein Schlitzohr. Meine wenigen Berlinale-Besuche datieren auf die Anfangsjahre, als ich gerade nach Berlin gekommen war, da wollte ich auch diese Luft schnuppern. Was mir sehr eingebrannt ist: die vielen, vielen Kabel auf dem Boden vom Zoopalast, von den ganzen Fernseh-Teams. Und viel Geschnatter, alles sehr voll und viele ernst und wichtig dreinschauende Film-Liebhaber. Bei einem Eröffnungsfilm dabei zu sein, ist schon festlich, dafür lohnt es sich anzustehen, wenn überhaupt. Wozu ich nicht nein sagen würde ist, wenn mich einer zu irgendeinem Empfang mit wirklich hochattraktiven Leuten bitten würde, da würde ich schon aus Berechnung hingehen. Als Gast wohlgemerkt. Aber sich als Fotograf zu akkreditieren, ist ein Zirkus, der mir schon aus Kenntnis aus zweiter Hand in jeder Hinsicht zu viel wäre. Die Geschichten aus der Foto-Lounge, da neben dem Hyatt reichen mir schon. Viel Gedöns um das passende, zulässige Licht für ältere Filmdiven usw. usf. Ich liebe es, solche Geschichten erzählt zu bekommen, aber ich möchte mich nicht an solchen Vorgaben abarbeiten müssen. Und ich bin ja auch viel zu beschäftigt, meine eigene innere Diva ins rechte Licht zu setzen. Was mich mit fortschreitendem Alter auch vor neue Herausforderungen stellt. Ist doch immer wieder interessant, worauf so ein planloser Eintrag thematisch hinauszulaufen beliebt, am Ende. Hätte ich selber nicht gedacht. Aber das Schönste an diesem Wochenende war ein Bild auf offener Straße. Ich war am späten Samstagnachmittag einkaufen in der Brunnenstraße. Als ich an der Ampel Ecke Bernauer Straße warte, dass es grün wird, es war gerade dunkel, höre ich von rechts das Klappern von Hufen. Mit furiosem Tempo fährt eine dunkelgrüne offene Kutsche mit zwei Schimmeln an mir vorüber. Der Kutscher sieht aus wie Johnny Depp in diesem einen Film von Jim Jarmusch, Dead Man. Er ist ungefähr um die dreißig, hat wehendes, braunes, langes Haar, und eine runde, kleine Brille auf, und einen schwarzen Zylinderhut. Verwegen galoppiert er mit seinen beiden Pferden über die dunkle Kreuzung, und ich sehe noch fasziniert, wie synchron die beiden Schimmel ihre Beine in der Kurve bewegen, ungeheuer rasant, und man bangt beinah, dass alles gut geht, mitten auf einer Kreuzung zwischen lauter Autofahrern, die es eilig haben. Ein Bild aus einer anderen Zeit. Da dachte ich, ich sollte vielleicht auch diesen Touristen-Programmpunkt in Wien wahrnehmen. Mit einem Fiaker fahren, Pferde sind so schön. Aber ob so ein Fiaker in Wien genauso verwegen langhaarig und malerisch daherkommen darf, wie dieser wilde Kutscher in der Brunnenstraße, das muss sich noch zeigen. Vielleicht schaue ich mal, wo er seinen Standort hat. Man kann ja überhaupt auch in Betracht ziehen, in der eigenen Stadt Sachen zu machen, auf die sonst nur Touristen kämen. Jedenfalls ging ich nach dem Eindruck dieses Bildes, das wie ein Traumfetzen in die Wirklichkeit trat, die Treppe hinunter zur U-Bahn, um eine Station zum Rosenthaler Platz zu fahren, und merkte auf einmal, dass mir Tränen in die Augen stiegen. So sehr hat mich dieses Bild angerührt. Und weil Berlin immer wieder für mich voller Wunder ist, von denen man vorher gar nichts weiß. Und es immer so sein wird.

edit: ich entschuldige mich für den kitschigen Schluss von diesem gestrigen, nächtlichen Blogeintrag. Wenn ich die Lektorin von diesem Privat-Blog wäre, würde ich das Gefasel ersatzlos streichen! (auch, wenn es stimmt! KEIN PARDON!)

09. Februar 2014 - VIENNA CALLING


►watch on youtube

"Heit nocht", mein Beitrag aus Germany. Ich rufe die Jury in Wien. Bitte um Vergebung, dass ich bei den ersten Zeilen noch nicht komplett textsicher war. Was aber unbedingt für den Beitrag spricht ist, dass er komplett freihändig, also ohne Spickzettel gesungen worden ist. Ich bitte also unterwürfig um ein recht mildes Urteil und hoffe inbrünstig, ich fliege damit nicht gleich in der ersten Runde aus dem großen Vienna-Casting, sondern schaffe es vielmehr - wenn vielleicht auch nur knapp - in den Recall! Wenn mir das gelingt, übe ich ein echtes Wiener Heurigen-Lied ein, also ein uraltes, das verspreche ich, ja ich gebe der Jury mein Ehrenwordt!

04. Februar 2014

Um es festzuhalten. Die wahren Freunde erkennt man an Austausch, der mindestens großes Tischtennis ist. Will ich eigentlich gar nicht weiter darauf eingehen. Aber Ping Pong spielt eine große Rolle. Das bedeutet, einen gewissen flow zu kutlivieren, Rhythmus zu spüren. Was angemessen ist, oder in der Luft liegt. Findet man selten, merke ich gerade wieder. Und dann wieder doch. Tatsächlich ist es wohl auch so, dass ich seit geraumer Zeit nicht mehr bereit bin, mich hingebungsvoll mit dem Werk von jemandem zu befassen, der mich als Beifall- und Aufmerksamkeits-Maschine instrumentalisiert. Oh, klingt hart. Klingt böse. Aber reden wir doch lieber von Augenhöhe. Wie Du mir, so ich Dir. Eine Weile gibt man, eine gute Weile später gibt man dann lieber wieder sich selber. Oder anderen. Dass das Leben gelingt, hat erstaunlich viel mit der Ausgewogenheit von Geben und Nehmen zu tun. Sehr, sehr viel. Ist mir heute noch bewusster als früher. Aber auch: man muss sondieren, wo die "Investition" fruchtbar ist. Ins Beliebige Energie zu schießen, kann beliebige Früchte tragen. Und zu selten, weil nur sehr zufällig, die ersehnten. Man muss die Antennen ausfahren. Die Ohrwaschel aufstellen. Das ist jetzt wieder genau der Punkt, wo man aufhören sollte zu schreiben, sonst nimmt das Gefasel überhand.

03. Februar 2014

Jetzt habe ich vergessen, was ich bloggen wollte. Gerade noch innerlich ganz echauffiert, dann ging das Beitrags-Fenster nicht auf, dann woanders kommentiert, nun habe ich komplett vergessen, worum es mir ging. Scheint ja existentiell wichtig gewesen zu sein. Ja, ich gebe zu, ich trinke auch am Abend. Da bin ich nicht immer ganz auf die Sache konzentriert. Nun könnte ich ja spontan ein anderes Thema anreißen. Zum Beispiel... hm. Also: gestern habe ich auf youtube ein zweiteiliges Interview angeschaut, aus jüngerer Zeit. Ein Mitschnitt vom ORF, ein Gespräch mit zwei Gästen. Namentlich Erika Pluhar und ihr Ehemaliger, André Heller. Bitte: (!) jetzt nicht wieder aufstöhnen: "ah - mit dem Heller kann ich so gar nichts anfangen..." Ich darauf wieder, zum hundertsten Mal: "ICH INTERESSIERE MICH AUCH NICHT FÜR SEINE ZIRKUSSPEKTAKEL UND AFRIKA; AFRIKA!!!" Aber das wird ja scheinbar geflissentlich überhört. Das kommt davon, wenn man versucht, mit Menschen schriftlich zu kommunizieren, die man seit Jahren nicht von Angesicht zu Angesicht gesehen hat. Ich bin es leid! Leid! Leid! Leid! Jawohl! Was Herr Heller macht, um seinen Lebensunterhalt zu erwirtschaften, interessiert mich einen Scheißdreck! Aber ich respektiere trotzdem, dass er ein Sohn der Stadt ist, die ich bereisen werde, und zwar kein nebensächlicher, unscheinbarer. Wie auch immer: das Interview war recht persönlich, man war ja auch verheiratet, etc. pp. Durchaus sympathisch die Konversation. Je nun - ja nun - was will ich sagen: ich hatte plötzlich die Phantasie, dass es wahrscheinlich lustig werden könnte, wenn ich das Interview nachspiele, inclusive Dialekt! Also ich in drei Rollen: als Erika Pluhar, als André Heller und als ORF-Moderatorin! Dann könnte man unwahrscheinlich gut vergleichen - weil ja alle drei gebürtige Wiener sind - ob ich das einigermaßen überzeugend hinkriege! Wenn ich aber weiter darüber nachdenke - und die Idee gefällt mir wirklich gut - komme ich dahinter, dass es ziemlich viel Arbeit wäre! Ich müsste mir die Dialoge abhören, weniger wegen der Betonung, sondern wegen des Inhaltes und alles protokollieren! Die Sendung war - glaube ich - mindestens eine dreiviertel Stunde lang. Wenn ich das alles schaffen wollte, wäre ich die nächsten Monate vollauf beschäftigt. Und zwar ohne Honorar. Das ist doch illusorisch! Aber ich finde, Sie sollten wissen, mit welchen Projekten ich mitunter schwanger gehe! Wenn auch nur sehr kurzfristig.

02. Februar 2014

Sehr schön. Die Pluhar im zarten Alter von Siebenunddreißig.



"Wenn der Herrgott ned will, nutzt des gar nix, Schrei ned rum, bleib schön stumm, sag es woar nix."
Ernst Arnold, Artur Kaps 1934

02. Februar 2014



Ich lese weiter. Aber um wenigstens anzudeuten, was mir die letzten zwei, drei Tage durch den Kopf geht, zitiere ich ein paar Stellen aus einer E-Mail, die ich vor drei Tagen geschrieben habe. Bislang wurde ja davon ausgegangen, dass der österreichische Kulturkreis für mich so fern, fremd und exotisch ist wie Tokio oder Takatukaland. Beinah dachte ich es schon selber. Aber es gibt da eine Geschichte, einen Hintergrund, über den ich normalerweise nicht großartig nachdenke, vermutlich weil er mir allzu selbstverständlich ist. Ein Kapitel aus der Vergangenheit. Hier einige Inhalte jener Mail, die ich auch eigens für einem Blogeintrag hätte schreiben können. Ich will ja wieder weiterlesen und das Riesenrad nicht neu erfinden, deshalb diese kopierten Erklärungen.


[ Mail vom 31. Januar 2014 ]


Lieber (...),

(du merkst vielleicht nebenher) ich spiele ein bißchen in meinen
Kommentaren mit dem Österreichischen, das wie bekannt, nicht das Geringste mit meinem Lebensmittelpunkt zu tun hat.

Und gut könnte ich mir vorstellen, du hältst das für eine reine Albernheit ohne Hintergrund. Fast (aber wirklich nur fast) hätte ich es selber bald geglaubt. Aber ich merke etwas, was du nicht wissen kannst, wenn ich zum Beispiel das
Lied von der Denk und dem Schinderhannes höre. Es geht mir sehr leicht von der Zunge, das nachzusingen, und ich meine nicht die Melodie.

Und wenn ich ganz ehrlich bin, und heute habe ich viel darüber nachgedacht, ist es kein Wunder und hat auch nichts mit Schauspieltalent zu tun, oder weniger als man mir unterstellen mag.

Heute Mittag ist mir schlagartig klar geworden, warum ich punktuell irritiert bin, wenn Du mir (und ich habe dich noch danach gefragt, wie eine Außerirdische...) 'Schmäh' erklärst, als assimilierter Österreicher.

Und bitte glaube mir, ich habe es wirklich heute erst selber begriffen. "Schmäh" ist ein Wort, über das ich nie viel nachgedacht habe, weil es mir mit der Muttermilch eingeflößt worden ist. In einem Kommentar unter dem älteren Eintrag habe ich beiläufig erwähnt, dass meine Eltern (alle Vorfahren) aus einer Gegend kommen, die zu Böhmen gehört, was ja früher ein Teil von Österreich war. Meine Eltern sind sogenannte Heimatvertriebene, bis 1945 lebten meine Vorfahren also für viele Jahrhunderte in der Gegend vom heutigen Karlovy Vary, es waren deutschsprachige Böhmen, die sogenannte Egerländer oder auch Sudeten. Und sie landeten im Zuge der Nachkriegswirren nach ihrer sehr grausamen Vertreibung mit Zwangsarbeit usw. im Fränkischen, ohne daher zu kommen, ohne da Wurzeln zu haben. Es war wohl das Naheliegendste von Tschechien, (...) in einem Auffanglager. Die Familie wurde in den letzen Kriegsjahren komplett zerrissen und keiner wusste vom anderen, ob er noch lebt. 1945 bis 46 konnte man dann wieder herausfinden, mittlerweile in Deutschland gestrandet, wer noch lebt und die Familie zusammenführen. Das war alles sehr schmerzhaft für mene Familie, man hat sich dann hier sehr aneinandergeklammert und auch weiter die verlorene Heimat kultiviert, in Erinnerung, in Traditionen - und in der Sprache. Und die Art, wie meine Familie, meine Eltern und meine Großeltern, und meine Tante, die alle unter einem Dach lebten, in einer Siedlung, in einem eigenen Haus mittlerweile, der ganze Stolz einer Familie, die alles verloren hatte (riesige Güter... mein Großvater väterlicherseits war der "Großbauer" von Rosnitz, jetzt Rosnice, hatte viele Angestellte, riesige Ländereien und ein Gestüt), der Großvater mütterlicherseits, war Bürgermeister in Karlsbad, hatte eine herrliche Bibliothek mit großen Schätzen... alles verloren. Aber sie hatten sich, als sie hier waren. Ich bin also mit meinem Bruder in eine tief verwundete Familie geboren, die sehr stark ihre ursprüngliche Herkunftskultur am Leben gehalten hat, oder es versuchte. Und das spürten wir an der Art, wie sie sprachen. Ich merkte früh, dass meine Eltern und Großeltern und die Tante andere Wörter benutzten, als die Eltern meiner Kindergarten- und Schulfreunde und einen anderen Dialekt sprachen als die schon lange ansässigen Einwohner des kleinen Ortes bei Nürnberg. Meine Eltern haben keine echten Wurzeln geschlagen, hier. Und deswegen konnten sie mir vielleicht auch kein Heimatgefühl in dieser fränkischen Region vermitteln.

Und heute Mittag und heute Abend habe ich über Stunden versucht - und es ist mir gar nicht schwer gefallen - zu erinnern, welche Worte meine Familie benutzt hat (und es zum Teil noch heute tut), die gar nicht aus dem Fränkischen kommen. Immer mehr Wörter sind mir auf einmal aufgefallen. Heute Nachmittag habe ich sogar eine Bekannte gefragt, die in den Siebziger Jahren aus Fürth nach Berlin zog, ob sie mir bestätigen könnte, dass dieses und jenes Wort kein alltäglicher Begriff im fränkischen Dialekt ist - ich war da heute regelrecht verwirrt. Denn für mich waren oder sind - und das merke ich jetzt - wegen dieser Wienreise - so viele Wörter und auch ein gewisser Tonfall der viel mehr vom Österreichischen hat, als vom Fränkischen derart geläufig, dass ich es gar nicht dieser Herkunft zugeordnet habe, weil ich es ja von Geburt an, jeden Tag im Ohr hatte. Der Dialekt liegt tatsächlich irgendwo dazwischen, aber als ich vorhin zwei Listen im Netz fand, mit der Überschrift typische österreichische Begriffe oder dergleichen, ging ich Wörter so im Halbschlaf durch und konnte sekundenschnell streichen, was ich in meiner Familie nicht gehört habe, und stehen lassen, was mir dauernd um die Ohren gehauen wurde. Plötzlich war das wie ein Schatzkästchen, das sich öffnet. Und mir sind dann auch andere Sachen eingefallen, die ich nicht in der Liste gefunden habe. Dabei hörte ich immer abwechselnd die Stimmen meines Großvaters und meiner Tante (mein Großvater starb Anfang der Achtziger Jahre, ich hielt seine Hand) und meiner Mutter und meines Vaters. Jeder hatte so seine bevorzugten Redewendungen. Ich kann dir gar nicht sagen, wie oft meine Mutter zu mir gesagt hat: "ach komm, hör auf, des is doch a Schmäh!" Oder "So a Schmäh!" "Erzähl kan Schmäh!" Und ich weiß genau, was für Zusammenhänge das waren. Sie sagt das heute noch. Aber ist doch eine andere Art, das Wort zu gebrauchen, als es in der raffinierten Version bei einem Wiener auftaucht.

Ich habe mir den Spaß gemacht - und die Mühe natürlich - über die Wörter nachzudenken, die meine Kindheit und widerspenstige Jugend bevölkert haben, ob ich es wollte oder nicht. Und deswegen verstehe ich vielleicht doch ein bißchen mehr, als du es bislang für möglich gehalten hättest.

Schau, das sind die Wörter, die sich mir am stärksten eingebrannt haben, mein Familien-Alphabet:

[ edit: ] afoch
af’d nocht
ah geh
allerweil
Backhendl
Bader
Beíjer
Boxn
deppert
Eierschwammerl
Eierspeis
Erdäpfel
fesch
Fisolen
[ edit: ] Galoschen
Gfrett
Glump
[ edit: ] Golatschen
Goller
grantig
Gspusi
[ edit: ] Gstanzerl
[ edit: ] Gstell
(hoit di...) Guschn
HabedieEhre
(oider) Haderlump
Haferl
heast
Hendl
[ edit: ] Herrschaftszeiten!
Hosentürl
Humpen
(der Franzl is scho a...) Hund
Janker
Jänner
Jausnbrettl
Jessas
Jessasmaradjosef
(so a scheens...) Jopperl
Kanapee
Kassa
Kastn
kimm (viare)
Krapfm
Kredenz
Kren
Kukuruz
Lackl
Leberkas
Leiberl
Lump
Marillen
Möhlspeis
Mesner
Milli
Mostrich
Mundsproch
[ edit: ] (des machst du doch mit...) Mutwillen!
Nachtessn
(ins...) Narrenkastl (...schauen)
(des is ja wieda a rechts...) Narrenspiel
Narrenstickl
[ edit: ] narrisch
obi /owi
Obstler
Oha!
Ohrwaschel
Packerl
Pfiad di
Powidl
Powideldatschkerln
Quetschn
Radi
Reiberdatschi
resch
Restl
Ringelspiel
Rock
Ross
(unsere...) Rösser
Scheißhaus
schiach
Schlagobers
Schmäh
(in die...) Schwammerl gehen
Schwartn
Servus!
Strudel
Stumpen
[ edit: ] Tanzboden
tummeln
Watschn
Wecken
Weckerl
zutzeln

(...)



[ Ende Zitat ]


Vielleicht nehme ich demnächst ja mal was auf, wo ich mir dieses versunkene Erbe nutzbar mache und channelnderweise zu Gehör bringe. Dann können die original österreichischen Leser und die assimilierten urteilen, inwiefern da noch ererbtes Potenzial da ist. Ich maße mir da nichts an, erschrecke aber eigentlich fast, wie 'echt' sich das in meinen Ohren anhört. Neulich, im Dezember, war ich mit ein paar Menschen in einem Berliner Restaurant mit steirischer Küche. Die Speisekarte war auf österreichisch. Ich habe fast alles verstanden. Eine aus Lübeck zugezogene Berlinerin erklärte mich zur Übersetzerin. "Du als Norditalienerin, verstehst das doch!" Ich: "Norditalienierin?" Sie: "in Schleswig Holstein sagen wir: alles unterhalb von Norddeutschland - - dat is Palermo!".

02. Februar 2014

„Es gibt einen Satz, der unangreifbar ist, nämlich der, daß man Dichter sein kann, ohne auch irgendjemals ein Wort geschrieben oder gesprochen zu haben. Vorbedingung ist aber der mehr oder minder gefühlte Wunsch, poetisch handeln zu wollen. Die alogische Geste selbst kann, derart ausgeführt, zu einem Act von ausgezeichneter Schönheit, ja zum Gedicht erhoben werden. Schönheit allerdings ist ein Begriff, welcher sich hier in einem sehr geweiteten Spielraum bewegen darf."

H. C. Artmann 1953, Acht-Punkte-Proklamation des poetischen Actes

02. Februar 2014

(...) Heller saß mit H. C. Artmann und Hubert Aratym im Grünen Anker, einem italienischen Restaurant, das von einem Ehepaar geführt wurde, das Italien, wie Heller sagt, maximal von einer Schwarz-Weiß-Postkarte gekannt haben konnte, so schlecht war das Essen. Als Helmut Qualtinger durch die Tür kam und den Blick suchend durch das Lokal schweifen ließ, begrüßte ihn Hubert Aratym. Servus, Helmut. Setz dich zu uns. Heller, der zu dieser Zeit, 1967, gerade auf der Schwelle vom Franzi zum André stand, saß stumm da und hörte zu. Der Qualtinger. (...) Die Kreise Helmut Qualtingers zogen sich von der Loosbar im ersten Bezirk bis zum Falstaff, einem Restaurant in der Nähe der Volksoper. Heller richtete sich seine eigenen Rundgänge so ein, dass er Qualtinger zuweilen über den Weg lief, man grüßte sich. Wenn am Tisch ein Platz frei war, durfte er sich dazusetzen. Qualtinger wollte mmer qualifiziertes Publikum um sich haben. (...) Qualtinger gefiel der Bub: er hatte einen Schmäh. Er war schlagfertig. Er hatte krause Ideen und war lernbegierig. Bald lud Qualtinger ihn zu sich nach Haue ein, wies ihn mit Nachdruck auf die Bücher Ödön von Horvaths und Robert Musils hin, steckte ihm die Geschichten von Anton Kuh zu und freute sich, wenn er herausfand, dass der Bub seinen Peter Altenberg schon gelesen hatte. (...)

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Isabel Bogdan Aber...
24.04.24, 21:55
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Margarete 24. April...
24.04.24, 19:35
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Margarete 22. April...
22.04.24, 23:39
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Margarete 22. April...
22.04.24, 22:18
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Margarete 22. April...
22.04.24, 20:27
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MARGARETE 21. APRIL...
22.04.24, 14:27
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Im Grunde ist Sonne...
22.04.24, 14:19
kid37
Hier entpuppte sich...
22.04.24, 14:06
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P.S. Das Album Stubete...
20.04.24, 16:25
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Klaus Ungerer Gaga...
20.04.24, 16:10
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Klaus Ungerer cool,...
20.04.24, 15:09
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Gaga Nielsen 20. April...
20.04.24, 14:57
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Margarete 20. April...
20.04.24, 14:54
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Lydia G. Jan Sobottka:...
20.04.24, 14:50
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Jan Sobottka wie war...
20.04.24, 14:43
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ANH 19. APRIL 2024...
19.04.24, 12:57
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Ina Weisse Wusstest...
17.04.24, 13:33

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