Das Geheimnis des
Brieföffners. Kein neuer Krimi von Edgar Wallace († 1932), sondern ein echtes Mysterium. Diesen schwer in der Hand liegenden Brieföffner unbekannter Provenienz fand ich vor einigen Jahren zufällig in einem Tohuwabohu ausrangierter Büro-Utensilien, die in einem Karton gelandet waren, die meisten kaum mehr verwertbar. Ich nahm mich des zeitlosen Stückes an, da ich keinen Brieföffner mehr besaß. Nur besondere Post öffne ich damit. Keine Betriebskostenabrechnungen. Vorgestern wollte ich ihn anderweitig benutzen, nämlich ein Buch damit aufhalten, das ich las, während ich es mir auf dem Teppich in der Sonne gemütlich gemacht hatte. Dabei fiel mir zum ersten mal die kleine Gravur ins Auge. Vielleicht ist das Symbol auch aufgedruckt. Ich war plötzlich neugierig, ob ich anhand des Zeichens den Hersteller ermitteln konnte. An keiner anderen Stelle war ein Hinweis. Ich machte diese Fotos und zeigte sie der Google Bildersuche. Und von da an wurde es wirr. Bevor dieses Hilfsmittel bei den Suchergebnissen mit pseudo-intelligenten Texten über den Vergleichs-Fotos angereichert wurde, hatte man direkt passende Bilder vor der Nase. Nun wird man mit fragwürdigen zusammengewürfelten und zu einem hohen Prozentsatz falschen Behauptungen beglückt, worum es sich vorgeblich handelt. Das Falsche liegt zumeist im Detail. Immerhin war beim ersten Foto, das ich für die Suche angeboten hatte, noch korrekt "Brieföffner" identifziert worden. Einen kurzen Moment war ich von der Aussage fasziniert, es handle sich um einen Brieföffner der Marke Montblanc. Bekanntermaßen ein hochpreisiger Hersteller von Schreibgeräten. Das Symbol auf dem Brieföffner hat nicht die allerkleinste Ähnlichkeit mit dem Montblanc-Firmenlogo, auch nicht mit historischen Ausführungen. Danach lud ich das Bild hoch, das nur den Anschnitt des Griffs zeigt. Prompt kam die Mitteilung, es handele sich um ein Zippo-Feuerzeug, Modell Soundso. Ich lud wieder ein anderes Foto hoch, Brieföffner in anderer Perspektive, Symbol sichtbar, dritte Antwort: es sei ein Kugelschreiber der Marke XY, irgendwas französisches aus der "Bee" Edition oder so ähnlich. Setzen, Sechs. Ich bot nun nur das Logo an, ohne Drumherum. Allen Ernstes wurde behauptet, es sei das alte Symbol der Medizin, der Äskulap-Stab. Hilfe. Dann machte ich mir die Mühe, das Logo nachzuschärfen und nochmals hochzuladen.
Ich erhielt nunmehr die Antwort, es sei das Logo einer finnischen Universität, nämlich der "Tampere University of Applied Sciences". Das konnte ich nicht ultimativ verifizieren, auf der Website der Universität kommt dieses Zeichen nicht vor. Aber immerhin auf ungefähr fünf Bachelor-Arbeiten, die dort eingereicht wurden. Vielleicht ist es ein altes Logo, das auf den Vorlagen für die Bachelor-Abschlussarbeiten vorgegeben ist.
Hier ist eine verlinkt, das Symbol entspricht dem von meinem Brieföffner. Aber vielleicht ist es auch einfach nur ein beliebtes Deko-Element, das früher häufig zur Auswahl stand. Unter den gefundenen Fotos von Google Lens fand ich nur einen etwas ähnlichen Brieföffner aus dem Hause Faber Castell, mit abweichenden Details. Aber Faber Castell-Produkte haben durchweg den Faber Castell-Schriftzug an irgendeiner Stelle. Womöglich waren solche Brieföffner mal ein Abschiedspräsent an emeritierte Professoren der Universität in Tampere und einer von ihnen hatte eine Affäre mit einer Berlinerin und schenkte den Brieföffner als Andenken an sie weiter. Hat ja auch etwas symbolischen Wert, so ein quasi kleines "Schwert".
Ich werde es wohl nicht mehr herausfinden, aber das war wieder einmal eine Bestätigung, dass man mit diesen übergeholfenen, unausgereiften Zusatz-Klugscheißereien in den Suchergebnissen vor allem Zeit verliert und wenig plausibles Wissen erhält, das man nicht auch anderweitig erlangt hätte. Ist aber auch keine Neuigkeit. Mir wird nur ganz anders, wenn ich mir vorstelle, wie viele denkfaule Leute das erstbeste Ergebnis dieser zum Teil hanebüchenen Behauptungen als das Ergebnis fundierter Recherche fehlinterpretieren. Ich hatte auch schon absurde Debatten mit diesen Tools, wenn ich mal die Muße hatte, zu widersprechen. Ein Schwall von Entschuldigungen, ein einzigartiges devotes Gewinsel und die nächste Falschbehauptung. Hätte ich fast gespeichert, so absurd war es.
Ich sah eine Folge "Voice of Germany", in der die Coaches ihre Schützlinge in einem schicken weißen Schloß coachten, das man kurz aus der Drohnenperspektive in der Totale sehen konnte und dann die hochherrschaftlichen Innenräume. Ich war neugierig, welches Schloß das ist. IMDB hat keine Info parat gehabt, in der Sendung wurde es nicht erwähnt. Ich war mir sicher, dass es in der Nähe von Berlin oder in Brandenburg sein müsste, weil die Sendung überwiegend in Adlershof produziert wird, jedenfalls in Berlin und Umland. Ich googelte "Voice of Germany 2025 Coachings weißes Schloß Brandenburg.". Als Ergebnis erhielt ich die Antwort, dass die Sendung im Studio aufgezeichnet wird und nichts von einem Schloss bekannt ist. Ich widersprach, dass ich es ja soeben selbst gesehen hätte, dass in einem WEISSEN Schloß gedreht wurde. Nun lenkte der programmierte Schwachkopf ein und diente mir als Antwort an, es könnte vielleicht doch sein und es würde sich um Schloß Soundso handeln. Ein ockergelbes Gebäude, wie ich feststellte. Ich daraufhin: "Nein, das ist es nicht, das Schloß ist WEISS". Es folgte die nächste falsche Antwort, aber nie mit der Einschränkung: "dann könnte es vielleicht das und das sein..." Ich wurde pampig und teilte mit, dass ich es verantwortungslos fände, im Brustton der Überzeugung Dinge zu behaupten, die nicht den Tatsachen entsprechen und dass die Programmierer mal ihre Schularbeiten machen sollten, schönen Gruß. Daraufhin wieder eine endlose Entschuldigungslitanei "Es tut mir so leid, das ist alles so bedauerlich, ich bitte vielmals um Entschuldigung, ja Sie haben Recht, ich werde es meinen Entwicklern mitteilen." In mir wurde langsam die Domina wach. Ich forderte forsch: "Machen Sie einen Screenshot von der Sequenz, das Schloß ist in den ersten fünf Minuten der Sendung zu sehen und geben Sie das Foto bei Google Lens ein!" Antwort: "Es tut mir leid, ich kann keine Screenshots machen. Das ist leider nicht möglich, es tut mir so leid, dass ich Ihnen nicht helfen kann." Mir langte es. Ich sah die Sendung live und hatte keine Lust auf joyn zu gehen und die Konserve aufzurufen und das selbst zu machen, was ich dem KI-Trottel andienen wollte. Stattdessen googelte ich nochmal "Schlösser in Brandenburg", Bildersuche. Es gab einen Artikel über die fünf besuchenswertesten Schlösser in Brandenburg, da war es dabei. Habe es sofort erkannt, Schloß Neuhardenberg. Auch die zur Vermietung stehenden Prunksäle entsprachen den Räumen in der Sendung. Das konnte ich natürlich nicht für mich behalten und drückte es dem KI-Hiwi auf. Er bedankte sich in der üblich unterwürfigen Art und gelobte Besserung, aber ich glaubte ihm kein Wort. Kein einziges. Niemals.