Schnell das große Sport-Make up aufgelegt und los! Mein Praktikum bei Leni Riefenstahl führt mich heute an eine historische Wirkungsstätte der Meisterin.
Rasen dahin die Tage. Schon wieder beinah eine Woche September. Als ich letzten Freitag so durch Neukölln spazierte, durch mir mehr oder weniger unbekannte Straßen, fielen mir ja immer wieder diese launigen Piratenplakate auf. Während ich mich also einem mit der Kamera in der Hand nähern will, sehe ich schon von weitem Kids, die ziemlich wild mit einem Ball spielen. Eine kleine Gang könnte man sagen. Drei Jungs und ein Mädchen. Alter ungefähr zwischen zehn und zwölf. Sie haben ein ziemliches Tempo und der Ball wechselt schneller, als ich gucken kann. Das Spielchen spielt sich hauptsächlich da ab, von wo aus ich das Bild machen will. Ich gehe zielstrebig zu meinem beabsichtigten Punkt und damit mitten in das Gerangel der Kids, die mich interessiert angucken. Der Junge mit dem gelben Oberteil will wissen, warum ich das fotografiere. "Weil das ein gutes Foto gibt". Auf jeden Fall haben alle durcheinandergequiekt, gequietscht und geplappert. Der Kleinste, mit dem lila Oberteil hat besonders frech geguckt und den Ball auf mich gezielt, aber ich habe ihn abgefangen und ziemlich hart zurückgeworfen, wobei ich extra böse-cool gegrinst habe! Wie eine echte Bitch! Damit hat er nicht gerechnet, der kleine Bushido. Das hat ihn mächtig beeindruckt. Sie haben weiter gespielt und ich habe einfach angefangen, sie dabei zu fotografieren. Das hat zwei der kleinen Rabauken veranlasst, ihr Repertoire an Gangster-Rapper-Gesten an mir auszuprobieren. Der Kleinste war wieder mal der Coolste. Hat er doch zielstrebig versucht, mir den mp3-Player aus der Hosentasche zu ziehen, was ihm auch mehrfach sehr geschickt gelungen ist, ich hole ihn mir fünf mal wieder zurück. und dabei guckt er mir doch dermaßen lasziv grinsend und tief in die Augen, als ob er mich anmachen will.
Ich meine: der Junge ist zehn oder elf und guckt mich an wie ein erwachsener Mann, der dringend flirten muss. Dann wieder diese gespielten Abwehrgesten und Gefluche, ich soll sofort aufhören zu fotografieren. Fünf Sekunden später: "Ey! Los! Mach ein Foto von mir!" Das ging eine ganze Weile so hin und her. Das Mädchen ist mir erst später aufgefallen, meine Güte war die hübsch. Am liebsten hätte ich nur noch sie fotografiert, aber sie hat sich immer umgedreht und ebenfalls kokett herumgezickt. Natürlich fanden die vier das superinteressant, dass ich sie interessant genug finde. Was die mich alles gefragt haben. Und dann wieder so Sprüche: "Ey, bist du von der Polizei?" Ich: "Ja, ich bin von der Polizei. (Böses Panzerknackerlachen), hehehe". Ich setze meine Sonnenbrille wieder auf, weil die Sonne plötzlich so tief steht und blendet. Die Kleine meint: "ohh! Das sieht total cool aus, kann ich ein Bild machen?". Sie hält leider ins Gegenlicht und das fertige Bild ist ganz dunkel. Dann fängt der Kleinste an, sich mit ihr zu umarmen. Die beiden scheinen sehr vertraut miteinander zu sein.
Da fällt mir ein, irgendwann vorher hat er im Übermut seine Hose runtergezogen und mir seinen kleinen Hintern gezeigt. Ich habe ein Foto davon gemacht, als Retourkutsche sozusagen. Großes Gequietsche: "eeeeyyy!!! Hast du das jetzt fotografiert?!? Echt???" "Na klar." Ich hab das Bild vorhin gelöscht. Das wüsste man nur im Zusammenhang dieser putzigen Geschichte zu würdigen. So kommt man im Vorbeilaufen zu einem Haufen Fotos mit einem echten Neuköllner Mini-Bushido.
Preiswerte Qualitätsprodukte, Batman Elekronik, Wahlreklame, Gekritzel an der Wand. Kraut und Rüben halt. Kleinster gemeinsamer Nenner. Die Computerplatinen-Hotpants und weiß der Geier was dieser geniale Elektrogeschäft-goes-Contemporary Art-Inhaber Batman (so heißt der wirklich, das Jim Rakete-Phänomen quasi, der heißt ja auch in echt so) da sonst noch bastelt, haut mich um. Was für Kostbarkeiten. Was für eine Entdeckung. Das Zeug gehört in die Museen dieser Welt. Man sieht ja viel Scheiß hier, in der sog. Kunstszene. Mir geht wahrlich das Herz auf, bei den Sachen von Herrn Batman. Leider war der Laden zu und ich konnte nur durch die Scheibe fotografieren.
Und dann ist natürlich Erklärungsbedarf zu der etwas aufdringlichen Reihe Piraten-Wahlplakate. Wir haben ja nun hier am 18. September Wahlen und überall kleben wieder die Reklamebildchen der Parteien. Es tut mir ja nun sehr leid, dass die Plakate der anderen Parteien nicht annähernd so gelungen sind, wie die Piratendinger. Was aber durchaus nicht als Wahlempfehlung missverstanden werden sollte. Die Sprüche auf den abgelichteten kann ich zwar durchaus unterschreiben (na ja, obwohl Wahlrecht für alle Altersgruppen? Auch Drei- und Fünfjährige? Andererseits haben so viele sogenannte "Volljährige" ihren Verstand in einem Ausmaß versoffen, dass man sich auch fragen kann, inwiefern bei denen das gute alte Wahlrecht in den richtigen Händen liegt), aber ich befürworte nicht alles, was sich die aufstrebende Jungpartei in ihrem Programm ausgedacht hat. Andererseits bin ich für eine starke Brise frischen oppositionellen Gegenwind, zwecks Inspiration und Evolution. Wie auch immer. Dieser Teil der Bild-Strecke wurde nicht von einer überzeugten Piratenwählerin gebastelt. Ich bin noch am Sondieren, welches das Innovativste von allen Übeln mit der größten Gaga Nielsen-Schnittmenge ist.
Muss ich noch irgendetwas zu dieser Bildstrecke richtigstellen? Nö. Nicht, dass ich wüsste. Viel Spaß bei diesem kleinen Spaziergang durch dreieinhalb Straßen von Neukölln. Der Weg hat planmäßig zu einem völlig anderen Ziel geführt. Aber dazu später.