Der freundliche Adler, die Haute Couture-Rüstungen, die Pesttafel, der Reisekoffer mit den Silberbürsten, das erbeutete Zelt aus dem Orient. Deutsche Geschichte, 100 v. Chr. bis 1917 in der oberen Etage. Ausblick auf den Zeughaushof, die Kassettentüren. Ich fotografierte nur ein paar Sachen, die eine unerklärbare, bemerkenswerte Resonanz bei mir auslösten. Da ist unendlich viel mehr zu sehen, das ist ja klar. Mehr ist gar nicht dazu zu sagen. Aber diese spacigen Rüstungen... wie aus einem Science Fiction. Mittelalter-Science Fiction. Und dabei so schön. Kann man auf jeden Laufsteg in Paris schicken. Ich bin vergleichsweise schnell durch den ersten Teil der Ausstellung, weil mir die Zeit ab dem Zweiten Weltkrieg unter den Nägeln brannte. Wie kann man das Unfassbare angemessen dokumentieren? Um in den zweiten Teil ab 1918 zu kommen, musste ich wieder die große Treppe hinunter. Aus diesen folgenden Epochen gibt es naturgemäß uferlos Exponate und ich blieb auch sehr viel öfter mit meiner Kamera hängen. Dort war es wie ein Film, ein Rausch und Rasen durch die Epochen bis in die Gegenwart kurz nach Mauerfall. Was für eine wechselhafte Geschichte dieses Land hat. Mein Land. Unser Land.
Kaum hatte ich das Foyer geentert und gescannt, signalisierte mein eingebauter Infrarot-Sensor erhöhte atmosphärische Spannungen an einer Figur im hinteren Bereich am Treppenaufgang. Mein System identifizierte sofort, dass es sich um eine interessante problematische Materienverdichtung handelt, die ich sofort näher betrachten und einer Prüfung unterziehen wollte. Das Warnschild wies die Nachbildung einer verschwundenen, ca. vier Meter hohen menschenähnlichen Form aus einem goldfarbenen Metall aus, die nur kurzzeitig existierte und im Labor des Hexers Arno Breker ausgebrütet wurde. Ich betrachtete das Phänomen von allen Seiten und gruselte mich ein wenig, als mein Blick den eisigen Blick des nachgebauten Monstrums traf. Erhebend war das nicht. Ich identifizierte, dass ich vor der Nachbildung eines männlichen Angehörigen der menschlichen Rasse stand. In alten Schriften hatte ich gelesen, dass die Figur ein männliches Idealbild einer bestimmten dunklen Epoche verkörpern soll. Nun ja, die Geschmäcker sind ja verschieden. Die Arme fand ich recht gelungen, auch das Hinterteil
war ansprechend geformt. Aber dieser auf mich - ohne jetzt irgendwie polemisch werden zu wollen - entartet trapezförmige Oberkörper schien mir doch arg naturfremd und an den Haaren herbeigezogen. Die Waden entschieden zu dick, die Füße wieder ganz in Ordnung. Aber der Kopf. Der vergleichsweise kleine, schlecht proportionierte Schädel erschien mir, ganz abgesehen von dem irgendwie debilen, degenerierten Gesichtsausdruck, stark deformiert und wenig ideal, ja ich möchte abermals sagen: entartet. Wenn das System, das einen derart missgestalteten Kopf als "ideal" einordnete, zum Niedergang verurteilt war, schien mir das nur schlüssig und folgerichtig. Die seltsame Figur mit dem deformierten Rumpf und dem schönen, kräftigen Hintern ist also spurlos verschwunden. Also die beiden original Figuren, die vor der nur kurzzeitig existierenden, von einem gewissen Albert Speer erbauten Neuen Reichskanzlei herumstanden. Es ergab sich eine kleine Plauderei mit einem älteren, gewitzten Pärchen. Wir gaben uns in gesamtdeutscher Eintracht der Phantasie hin, fanatische Russen hätten die monströsen Skulpturen auf ein altes Frachtschiff nach Odessa verschleppt, wo sie nun seit Neunundvierzig in einem Privatpark feudal vor sich hinoxidieren. Ein sowjetisches Mysterium. Übrigens vielleicht am Rande interessant: aus den Trümmern der nach Kriegsende von den Russen gesprengten Neuen Reichskanzlei wurde das Sowjetische Ehrenmal im Treptower Park gebastelt. Um mich von dem eindrücklichen Erlebnis zu erholen, überquerte ich zügig, gemessenen Schrittes die Ruhmeshalle und gab mich dem Studium zweier Frauenskulpturen hin. Die etwas mollige Dame auf der Seite zum Zeughaushof balancierte eine Art Tigerskalp auf dem Schädel und erinnerte mich an Abbildungen auf der Homepage einer zeitgenössischen Hobby-Schamanin. Ich war umgehend völlig absorbiert. Aber als ich dann vor der großen Viktoria mit den großen Engelsflügeln stand, war der Fluch endgültig gebannt. Geläutert schritt ich zur hochherrschaftlichen Treppe, gewappnet und bereit, mich der gesamten Deutschen Geschichte zu stellen!
Der kleine Apfelbaum blüht wieder. Schlagschatten an den linken Häuserwänden in der Joachimstraße bis hinten zum Fluchtpunkt Eingang Sophie-Gips-Höfe. Ein aktueller Blogeintrag! Eines der Alleinstellungsmerkmale meines Blogs ist ja der zuverlässige Anachronismus der Blogeinträge. Bevor ich diese schöne Tradition weiterpflege, ein tagesaktueller Beitrag. Foto ist aber alt, macht nix. Könnte man heute genauso machen. Ich habe mich in der Sonne gesonnt und dabei meine Schminkstifte angespitzt. Was für eine blöde Idee! Viel zu weich zum Anspitzen. Ansonsten muss ich leider sagen, dass es sich nicht bewährt, bei Schminkstiften mit der Qualität zugunsten des Preises zu experimentieren. Die meisten Kajalstifte im untersten Preissegment geben zu wenig Farbe ab. Viel zu hart, könnte man gleich Wachsmalkreide hernehmen! Ich rate aber auch nicht zu hochpreisigen Marken. Ein Kajalstift von Christian Dior muss nun wirklich nicht sein! Zumal den niemand sieht, weil man sich ja nicht in aller Öffentlichkeit im Restaurant die Augen nachmalt. Lippen nachziehen und Nase pudern mit repräsentativem Zubehör von Yves Saint Laurent oder mit Chanel-Logo drauf ist natürlich etwas ganz anderes, das ist ja schon durch Spielfilmszenen existentiell wichtig und gesellschaftsfähig geworden. Le must! Demzufolge achten wir als preisbewusste Verbraucherin bei Schminke für das stille Kämmerlein auf Qualität und Preis! Zum Beispiel sind die Stifte von Margret Astor Eins A! Keine Reiche-Leute-Marke und dementsprechend bezahlbar. (Vielleicht kriege ich durch die Erwähnung Prozente!)
Außerdem habe ich noch einen Haushaltstipp, der leider nicht ganz so neu ist, wie ich zuerst dachte und den ich in meinem Bekanntenkreis als nobelpreiswürdige Sensationsentdeckung präsentieren wollte, was leider in vier von fünf Fällen gelangweiltes Gähnen ausgelöst hat. Ja, es tut mir leid, ich bin eben nicht so eine Superhausfrau, die dieses Herrschaftswissen bereits in die Wiege gelegt bekommen hat. Auch wenn es außer mir alle schon längst wissen, kann ich es ja trotzdem noch einmal schreiben. Also ich habe neulich durch Beobachtungsstudien entdeckt, dass es besser ist, wenn man Obst und Gemüse nicht abwäscht. Erdbeeren halten sich so mindestens drei bis fünf Tage länger!!! Ja, Sie wussten das schon längst. Ich habe bisher immer alles ordentlich abgewaschen und dann ins Obst- und Gemüseschälchen verfrachtet. Aber weil meine Erdbeeren jedesmal über Nacht verdorben waren, wurde ich misstrauisch. Und die nächsten ungewaschenen Erdbeeren haben sich glatt eine Woche gehalten! Sensationell! Es gibt wahrscheinlich so ein konservierendes Superspray für die Präsentation in der Warenauslage, damit alles möglichst lange proper aussieht. Und natürlich bin ich auf die überall herumposaunten Empfehlungen der Obst- und Gemüsebauernlobby hereingefallen, Obst und Gemüse möglichst gründlich zu waschen! Aber das hört sich jetzt auf. Auch hier kann man langfristig sparen, weil man nie mehr Sachen wegschmeißen muss. Kurz vor dem Aufessen kann man dann schon mal waschen, das ist nicht verkehrt. So halte ich es persönlich. Wobei ich überlege, ob die Konservierungsstoffe nicht vielleicht auch mich von innen länger konservieren würden und die kleinen gefräßigen Bakterien abwehren würden. Leider sind mir noch keine Studien bekannt, wo das geprüft und empfohlen wurde. So, fertig mit dem aktuellen Blogeintrag. Ich muss jetzt wieder am nächsten Eintrag für Februar weiterarbeiten und Kaffee trinken!
P.S. Mein Sparktonto wächst wie das Apfelbäumchen! Das preisbewusste Wirtschaften ist mir nun in Fleisch und Blut übergegangen, ich kann gar nicht mehr aufhören! Inzwischen kann ich die günstigsten Lebensmittel-Preise im Schlaf herunterbeten. Zum Beispiel: sechs Bio-Eier bei Norma: 1,39 €, bei Aldi 1,55 €. Demächst trete ich damit bei Wetten Dass auf und werde Wettkönigin!
Ich will kurz für Kenner der Materie erklären, warum der furiose DHM-Anbau, die gläserne Spirale von Ieoh Ming Pei in meinen Bildstrecken vom Deutschen Historischen Meusum keine Rolle spielt. Wer es nicht kennt, wer Berlin nicht kennt, weiß freilich nicht, wovon ich rede. Hinter dem alten Zeughaus gibt es eine den Zeughaushof überdachende Glaskonstruktion, die in diesen wunderbaren Ausstellungsanbau mündet, der Skulptur einer gläsernen Spirale. Grandios. Genau genommen zog mich dieses Stück neuer Architektur noch mehr an - visuell - als die historischen Exponate. Zumindest eingangs - im wahrsten Sinne des Wortes. Die Spirale ist nur der Eingang. In diesem Neubau sind wechselnde Ausstellungen, im alten Zeughaus die ständige Ausstellung über die deutsche Geschichte bis 1994. Nun war es nicht der hellste Nachmittag, an dem ich hinging. Schon während ich die Spirale fokussierte, dachte ich bei mir, ungünstigere Lichtverhältnisse hätte man sich nicht aussuchen können. Bedeckter Nachmittag. Na ja. Ich fotografierte die gläsernen Wände gegen den düsteren Himmel, was auch interessant war, aber nicht eigentlich, was ich wollte. Ich dachte, gut - ich versuche was geht und dann irgendwann eben noch mal bei idealem Licht.
Ein bißchen ging mir der Gedanke aber doch quer, weil ich allenthalben einen unheimlichen Drang nach effizienter und abschließender Vorgehensweise habe. Man könnte auch sagen, ich lote Sachen gerne vollständig aus und hake sie dann ab. Wie man Länder abhakt, die man einfach mal gesehen haben will. Ich bin überhaupt kein Typ, der Sehnsucht nach einem Ferienort hat, den man Jahr für Jahr immer wieder aufsucht. Da bin ich doch eher Schwester im Geiste mit Farin Urlaub, der sich zum Ziel gesetzt hat, alle 194 Länder der Erde in seinem Leben zu bereisen, so viel wie nur möglich zu sehen. Um seinen inneren Horizont zu weiten. Also gut. Um es kurz zu machen: ich hatte Bilder davon, sie waren nicht schlecht, sie waren auch charismatisch und atmosphärisch aber ich habe sie - ja - das passiert alle zwei drei Jahre mal - versehentlich gelöscht. Und ich hatte keine Lust auf diesen Wiederherstellungszirkus auf der Festplatte. Das Spielchen kenne ich schon. Dann dachte ich auch: eigentlich auch o.k. - jetzt habe ich eine viel größere Motivation, mir dieses wunderbare Stück Architektur noch einmal extra vorzunehmen. Und deswegen betreten wir zwar das alte Zeughaus durch diesen Anbau, aber man sieht so gut wie gar nichts davon. Wir konzentrieren uns also hingebungsvoll auf das alte Zeughaus. Man geht durch das neue Gebäude, wo man auch die Eintrittskarte ersteht, über eine Treppenunterführung wieder nach oben in den überdachten Zeughaushof und schreitet über einen langen roten Teppich zum Eingangsportal des alten Zeughauses, wo uns die deutsche Geschichte erwartet. Ich hatte keinerlei Vorstellung, was die Ausstellungsarchitektur angeht, ich war völlig unvorbereitet und es war ein idealer Zeitvertreib für einen Sonntagnachmittag im Februar.
Und wenn ich durch das Portal gegangen sein werde, werden wir uns im Foyer befinden, das ebenfalls eine eigene Strecke verdient. Wegen der Treppe und - für mich nach der Lektüre von Albert Speers Erinnerungen von besonderem Interesse - wegen einer Figur von Arno Breker, einer Replik einer verschwundenen heroischen Skulptur aus der Neuen Reichskanzlei. Ich mag rote Teppiche, stelle ich fest. Es fühlt sich überhaupt gut an und eigentümlich selbstverständlich über den Hof zu gehen. In solchen feudalen Stätten empfinde ich selten ein Gefühl von Ehrfurcht. Ich freue mich über den architektonischen Aufwand, der früher getrieben wurde, die Großzügigkeit, die baulichen Details, die Arbeit der Stukkateure. Man könnte auch sagen, ich laufe nach Gutsherrenart durch solche Objekte. Das amüsiert mich, seit ich denken kann. Dann fällt mir wieder ein, dass ich mir schon als Kind, wenn es einen Ausflug in ein Ludwig-Schloss gab, überlegte, dass als König arbeiten auch vorstellbar wäre, wenn ich dann mal groß wäre. Also König. Nicht Königin. Niemals Prinzessin. Eindeutig König. Aber nicht als ersehnte, verklärte und unerreichbare Wunschvorstellung, sondern handwerklich gedacht, "da wüsste man dann wenigstens, wie das geht, das ist nicht so schwer". So ein König-Ludwig-König, romantisch und visionär, der verantwortungsbewusst seiner Vorbildfunktion und seinen in Gottes Namen anstehenden Repräsentationsverpflichtungen zum Wohle des Landes und seines hochgeschätzten Volkes mit Anstand, Würde und modernem Gedankengut Folge leistet. Weiß der Henker, woher das kommt. Deswegen neulich auch die Idee mit meinem Vorschlag ich als Bundespräsident. Präsidentin muss es wohl heißen. Ist ja auch wurscht! Ich wäre eine gute Repräsentantin für dieses Land. Das glaube ich wirklich. Mal schauen, auf was für Ideen ich noch komme und wo es mich hinverschlägt! Man darf gespannt sein. Oder wie der gute Farin sagt, "Das Schönste am Reisen ist, das man nicht weiß, was als Nächstes passiert."
Sonntagnachmittags-Spaziergang zum Zeughaus. Zeughaus Zeughaus, das hat man ja schon zig mal gehört. Gibt es überall, so Zeughäuser. Da wo man als Großgrundbesitzer, also zum Beispiel von Berlin, glaubte sein Fleckchen Erde mit mehr als der Mistgabel verteidigen zu müssen, oder auch um gelegentlich gut gerüstet, ein bißchen mit der Weltherrschaft zu spielen. Und im Zeughaus war eben das Zeug dafür drin. Die Kanonen und Gewehre und die toll glänzenden Rüstungen. Ein anderes Wort für Waffenarsenal. Nicht dass ich mich jetzt brennend für Waffen oder die Weltherrschaft interessieren würde. Wobei ich denke, letzteres müsste bei geschickter Vorgehensweise an und für sich auch einigermaßen friedlich zu erreichen sein (ich sehe das ganz modern). Es war also wieder an der Zeit für einen zackig strammen Verdauungs-Spaziergang, warum also nicht zum Berliner Zeughaus! Es steht direkt an der Spree in Mitte, Unter den Linden.
Mehr oder weniger gegenüber vom Berliner Dom. Und ich verwette meine Schußwaffe, die wenigsten internet-affinen Berlin-Touristen waren drin! Aber ich. Aber dazu später. Heute ist da ja das "Deutsche Historische Museum" daheim. Auch so ein Museum wo man ewig denkt, ja, müsste man sich eigentlich auch mal anschauen. Der Gedanke wird ungefähr alle zwei drei Jahre, zumeist folgenlos, aufgefrischt. Aber in diesem glorreichen Jubeljahr vom Alten Fritz mache ich diese ganzen Sachen. Bewaffnet und allzeit schussbereit! Wir beginnen mit einer kleinen Aufwärm-Schießübung, indem wir in Zweiergruppen mit der geladenen Schusswaffe im Anschlag im Stechschritt um das Gebäude paradieren und auf meinen Befehl hin auf die in den Schießscharten positionierten Objekte zielen und scharf feuern!
Große Hamburger Straße. So oft laufe ich da gar nicht lang, obgleich so nah. Man hat ja so seine festen Anlaufpunkte, die Wege von da nach da, wenn man nicht spazieren geht und das ist meistens der andere Bogen, unterhalb vom Gipsdreieck, Richtung Rosenthaler und Sophienstraße. Ist eigentlich nur sinnvoll, das für jemanden zu erwähnen, der eine grobe Vorstellung von dieser Ecke von Berlin Mitte hat, vom sogenannten Scheunenviertel. Die meisten Berlin-Besucher, man kann eigentlich seit gut zehn Jahren sagen: Alle kennen den Hackeschen Markt und die Oranienburger Straße. Da kommt man auch schon mal beim Flanieren in die Große Hamburger Straße. Ich laufe auch sehr gerne da in der Nachbarschaft herum, besonders wenn ich nicht in Eile bin, oder wenn ich Richtung Museumsinsel will, oft nur, um einen anderen Weg als den gewohnten zu nehmen. Um die innere Landkarte aufzufrischen. Und um mich zu erinnern, was für atmosphärische Ecken da zu Füßen meiner Bleibe liegen. Wenn man einen Sinn für Patina und bauliche Details hat, kann man preisgünstig sehr schöne Augenblicke haben. Solche wie die, für die man eine Städtereise nach Paris macht oder Wien oder eben nach Berlin.
Und wenn ich dann begreife, immer wieder aufs Neue, dass es mich nur die Entscheidung kostet, einen kleinen Schlenker auf meinen alltäglichen Wegen zu machen, bin ich sehr dankbar. Man sollte die Wirkung von der Grundstimmung eines Stadtteils auf die eigene Verfassung niemals unterschätzen. Es gibt ja inzwischen sogar Studien, dass Glück ansteckend wirken soll. Wenn man in einem Haus oder in einer Straße mit einer Überzahl an zufriedenen, heiteren oder wagemutigen Menschen lebt, soll das unbekannterweise ansteckend sein. Auch wenn man nie persönlichen Kontakt pflegt. Das scheint irgendwie die Atmosphäre aufzuladen und sich in Wellen fortzusetzen. Wahrscheinlich wie jegliche mentale Verfassung, deren Färbung gehäuft einen Dominoeffekt bewirkt. Wenn man zum Beispiel einfach nur die Brunnenstraße Richtung Wedding, ganz im Norden, Ecke Voltastraße langgeht, spürt man eine ganz andere Atmosphäre als im südlichen Teil der Brunnenstraße. Ja klar, andere Bevölkerungsstruktur schafft eine anders gefärbte Infrastruktur, auch atmosphärisch. Man taucht ein, verbindet sich, atmet ein, atmet aus, verströmt sich, nimmt auf. Ich wüsste gerade nicht, wo es für mich besser als hier wäre. Ich suche ja auch gar nicht. Man muss auch einmal anerkennen, wenn man in einem Lebensbereich Ruhe gefunden hat, gerade so ein unruhiger Geist wie ich. Ich könnte haarklein erklären, warum welcher Berliner Bezirk nicht der richtige für mich wäre, aber das wäre ganz schön viel Arbeit. Wenn auch vielleicht interessant. Warum zum Beispiel Friedrichshain für mich nicht ein Herzenswunschbezirk wäre, bräuchte ich holterdipolter eine neue Bleibe. Auch nicht Kreuzberg. Auch nicht das südliche Wilmersdorf. Im Westen mochte ich Schöneberg, da habe ich auch viele Jahre gelebt. Und die Ecke von Charlottenburg um den Savignyplatz. Und natürlich die Kudamm-Querstraßen.
Besonders die Fasanenstraße, und ganz besonders Richtung Literaturcafé. Lustigerweise hat Asta Nielsen ihre langjährigste Berliner Wohnung in der Fasanenstraße 69 gehabt. Heute ist da eine Pension, die Pension Funk. Dass ich aber vor dreizehn Jahren hier in Mitte und nicht in der alten West-City heimischer als je zuvor irgendwo sonst geworden bin, hat sich ergeben, weil mir das südliche Wilmersdorf, wo ich vorher lebte, zu ruhig war, zu verstaubt, zu reglos. Es war ruhig, aber ich war unruhig. Heute ist es umgedreht. Ich wohne in einem angenehm unruhigen Bezirk und das macht micht zutiefst ruhig. Das war die Verheißung. Die Elektrizität und die Aufbruchstimmung zog mich an. Ich lernte bald, dass manche Straßen nicht nur Wege sind, um die Einkäufe zu transportieren, sondern kleine Bühnen, für elektrisches Leben. Ja durchaus "Sehen und Gesehen werden". Ich wollte das gerne haben. Sehr gerne. Wir wollen alle gesehen werden. Das Beste in uns soll wahrgenommen werden. Jeder wünscht sich das. In der Nähe vom Südwestkorso, fast schon Steglitz, hatte ich eine Zweizimmerwohnung, die alle Wunschvorstellungen von ruheliebenden Rentnerinnen erfüllt hat. Deswegen lebten auch so viele so gerne und lange dort. Die vielzitierten Wilmersdorfer Witwen. Ich hatte Ende der Neunziger dort das Gefühl, ich könnte ebensogut in irgendeiner mausetoten Kleinstadt sein, dort am Ludwig-Barnay-Platz. Lange her. Zum Glück. So lange wie jetzt hier habe ich in noch keiner meiner Berliner Wohnungen gelebt.
Zuerst hatte ich Mitte der Achtziger ein Intermezzo in einer unausgebauten Fabriketage in der Prinzessinnenstraße 1 - 2 in Kreuzberg. Sechs oder acht Wochen, dann flog ich raus, mit dem Schauspieler, der die Miete, die ich ihm dafür gab, nicht an Becker und Kries (eine sehr bekannte Berliner Hausverwaltung) weitergegeben hatte. Dann wieder übergangsweise ein paar Wochen zurück zu meiner ersten Adresse in Berlin, in die Argentinische Allee in Zehlendorf, zu einer Freundin, einer Kunststudentin, bei der ich auf dem Teppich im Wohnzimmer übernachtete. Zum Glück fand ich in Schöneberg eine Wohnung, in der Leberstraße 54, schräg gegenüber von Marlene Dietrichs Geburtshaus, in dem sie auch ihre Kindheit verbrachte. Zu ihrer Zeit hieß die Straße Sedanstraße. Ich glaube, es gibt dort inzwischen auch eine Gedenktafel. Als ich dort lebte aber noch nicht, da war sie ja auch noch nicht tot. Gedenktafeln werden ja leider meistens erst angeschraubt, wenn der ehrenwerte Mensch es nicht mehr selber sehen kann. Ja und dann eben in jene sehr ruhige Wohnung in Wilmersdorf, die eine Verbesserung war, weil ich mir inniglich einen Platz an der Sonne wünschte, einen Balkon mit tagsüber Sonne, nicht nur am Morgen. Der Balkon war dann so Richtung Südost. In der Wohnung war es schon auch ganz schön. Das Schlafzimmer war riesig, genauso groß wie das Wohnzimmer.
Eine sehr geräumige Küche. Ein Bad mit Fenster und Badewanne. Und Zentralheizung. Endlich keine Ofenheizung mehr! Ich habe drei Kreuze gemacht. Und dann, nach sieben Jahren meine kleine Rebellion, weil ich plötzlich so viele neue, interessante und auch jüngere Menschen um mich hatte, die ihren Lebensmittelpunkt in Mitte hatten, wo sie lebten und selbstbestimmt arbeiteten. Diese Energie zog mich magnetisch an. Aber so schön wie die Straßen heute hier sind, waren sie damals nicht. Ich freue mich über jede gelungene Sanierung der alten Häuser. Das wird hier außerordentlich behutsam gemacht. Sehr feinfühlig. Das einzige, was ich nicht auf Dauer hier beibehalten würde, sind bestimmte Straßenzüge in der Linien- und in der Joachimstraße mit den wirklich nicht sehr gelungenen Lückenbüßern aus der versunkenen Deutschen Demokratischen Republik. Es gibt auch unendlich viele mißratene West-Plattenbauten, dass wir uns nicht falsch verstehen. Vielleicht gibt es ja auch irgendwo attraktivere Varianten von Plattenbau, als hier in der Joachim- und in der Linienstraße, wie auch immer. Die hier können ruhig mal langsam platt gemacht werden. Die Mauern haben eine substanziell unzuträgliche Ausstrahlung. Das liegt auch an den Baustoffen, nicht nur an der Optik. Irgendeine sehr junge Galerie hat sich vor vier Jahren mal für ein paar Wochen in der Torstraße in einer Plattenbauwohnung eingemietet. Ich war dort bei der Eröffnung. Es war wie im Bunker. Ich wollte nur noch so schnell wie möglich raus. Nicht weil die Leute unangenehm gewesen wären oder das Zeug an den Wänden so schlecht. Ich hatte so ein Gefühl von Atemnot, als ob geballte Schadstoffe aus dem abgeschmirgelten Plattenmauerwerk dringen, direkt in meine Atemwege. Das war ein einschneidendes Erlebnis.
Ich höre mal auf mit meiner Gute-Nacht-Geschichte. Für heute ist alles erzählt. Um etwas Gutes zum Schluss zu schreiben: hier in Mitte ist nichts schlechter geworden. Hier sind noch genug Künstler und Lebenskünstler unterwegs, jede Ecke ist davon durchdrungen. Man muß sich keine Sorgen um die Hamburger Straße und den ganzen schönen Bezirk machen. Ich passe auf.
Och passt doch prima. Hätte man auch heute ohne weiteres anziehen können. 19. Februar oder 16. April - ist doch völlig schnurz. Noch gibt es keine Frühlingshitzewallungen. Obwohl der späte Nachmittag am Hackeschen Markt auf einmal blendendes Sonnenlicht präsentiert hat, das war schon ganz arg frühlingshaft. Und die Bäume rauschten in ihrem jungen neuen Blättergrün. Kann man eigentlich Suppe aus jungen Baumblättern machen? Ich meine, schmeckt die? Müsste man mal recherchieren. Ich bin in Sachen nach Rezept kochen eher uninteressiert. Der Appetit regiert, was gebrutzelt wird. Zum Glück reicht meine Erfahrung und Vorstellungskraft meistens aus um nichts zu verhunzen. Jetzt noch Nachtisch zusammenrühren und dann ab in die Falle. Im Moment kriege ich ganz gut und regelmäßig 23 Uhr hin. Das macht sich bezahlt. Ich kann nicht aufhören, das zu predigen. Vorhin, auf der Treppe zur S-Bahn noch einmal rekapituliert, was meine Säulen für garantiertes Wohlbefinden sind. 1. Mindestens sieben Komma fünf Stunden Nachtschlaf. 2. Nicht saufen. Also Alkohol nur in ärztlich verordneter Dosierung. 3. Bequemes Schuhwerk, das nicht drückt und das Laufen zur Freude macht. Ich ziehe im Moment am liebsten meine schwarzen Easy Tones an. Ich dachte zuerst, das wäre wieder Bauernfängerei für die vielen problemzonengeplagten, verzweifelten Frauen dieser Welt. Bis ich ein Paar im Schlußverkauf erstanden habe. Nur fünfzig Euro bei Karstadt Sport! Als alter Sparfuchs habe ich da natürlich zugeschlagen und es nicht bereut. Man hat das Gefühl, die Füße haben ein bißchen was getrunken. Wie so leicht beschwipst. Ein schönes Gefühl. Wie auf Wolke Sieben. Oder Cloud Nine, für die nicht vorhandenen Engländer unter den Lesern! Na gut, die Dinger sehen jetzt nicht so fick-mich-mäßig aus, aber dafür fühlen sich die Füße und der Rest ziemlich erotisiert. Und letzten Endes wäre man doch beleidigt, wenn die Menschen faszinierter auf den Schuh als in die Augen der Schuhträgerin blicken würden. Ich sehe da kein Problem! Oh, ich muss mich sputen! Mein Sahnekefir-Betthupferl wartet immer noch!
Der Tag da oben im Februar war nicht so mein Tag, aber knallharte Disziplin hat mich die Sache mit dem Foto auch an diesem ingesamt eher trüben Tag durchziehen lassen. Ich glaube, ich bin den Abend vorher zu spät ins Bett, das hat sich gerächt! Ein bißchen lahm zum Drogeriemarkt getapert, durch die Sophie-Gips-Höfe, vorbei an Barcomi's, nur vorbei, nicht hinein. Das würde ja gar nicht in mein Sparprogramm passen. Ja, ich war natürlich schon mal drin. Wenn man mal Besuch aus Westdeutschland hat, sucht man natürlich auch die örtliche Gastronomie auf, keine Frage! Man gibt sich souverän und tut, als ob man da dreimal die Woche Kaffee trinkt. Für mich sind die Sophie-Gips-Höfe einfach eine praktische Abkürzung auf dem Weg zum Hackeschen Markt und zur S-Bahn, insofern ist es keine spitzenmäßige Sensation, mich da wenigstens ein-, zweimal am Tag durchtapsen zu sehen.
Touristen werden auch gerne durchgeschleust, weil die bunten Lichtinstallationen immer Freude bereiten. Nur in dem gelben Licht in der einen Ecke sieht man schlimm krank aus. Da hab ich auch Bilder gemacht, aber gleich wieder gelöscht. Als ob ich Magenprobleme hätte, was nicht der Fall ist! So gelblichgrün im Gesicht, ganz schlimm. Am Schmeichelhaftesten ist das pinke Licht. Das finde ich super. Mal schauen, wie lange ich brauche, bis ich die Zeit einhole und mit den ganzen Daily-Bildchen in der Gegenwart ankomme. Vielleicht schaffe ich es auch nie. Aber so bin ich immer beschäftigt! Es wird nie langweilig. Wenn ich so durchgucke, fehlt nur am 18. Februar und am 25. Februar der tägliche Schuss, sonst lückenlos durchgezogen. Man muss natürlich aufpassen, dass man nicht abhängig wird. Interessant ist, dass man mit der Zeit Routine darin entwickelt, sich für wenigstens ein Bild gut drauf zu bringen. Ich denke es ist eine gute Sache, den Tag mit einem freundlichen Bild von sich selber zu beginnen. Das hält dann erfahrungsgemäß sogar noch ein bißchen vor, eine Stunde bestimmt! Manchmal sogar bis zum Mittagessen! Ich habe es jetzt volle zwei Monate lang ausprobiert. Das einzige was mitunter ein bißchen stressig dabei wird, ist das Gefühl, keinen einzigen Tag im Kalender auslassen zu dürfen. Aber das liegt an meiner manischen Veranlagung. Ich muss da noch lockerer werden! Meine preußische Disziplin treibt mich in den Wahnsinn!
Hiergeblieben! Wir haben zwar nun ausgiebig den Berliner Dom besichtigt aber nun wollen wir uns zum Abschluss doch auch noch gerne ein Bild von der näheren Umgebung von unserem guten alten Dom machen. Ich dachte an einen kleinen Spaziergang durch den Lustgarten Richtung Zeughaus, am Alten Museum vorbei, bis zur Schloßbrücke zu den putzigen Spreemöwen und dann heimwärts zurück über die gute alte Friedrichsbrücke. Auf geht's, nicht schlappmachen, bald wird es dunkel! Dann geht es auch nach Hause, versprochen! Der Lerneffekt ist dann einfach noch größer.
Und Sie können dann auch mit Ihrem neu erworbenen Insider-Herrschaftswissen viel besser mitreden, um nicht zu sagen: auftrumpfen, wenn Sie demnächst zur Republica nach Berlin reisen und sich mit den ganzen feschen jungen Leuten aus dem Internet treffen. Der trendbewusste Berlintourist von heute kommt in drei bis fünf Tagen ja oft gar nicht dazu, sich die ganzen schönen alten Sachen anzuschauen. Da müssen stundenlang Speisen und Getränke in Lokalen im Prenzlauer Berg eingenommen werden und sich sonstwo mit alten Bekannten von früher aus der Heimat verabredet usw. usf. Da bleibt die Besichtigung der historischen Stätten schon einmal auf der Strecke. Aber dafür bin ich ja zum Glück da. Sie können es sich aussuchen, wann Sie sich zur Führung bei mir anmelden. Sogar mitten in der Nacht, können Sie in meiner kundigen Begleitung mit mir durch den Lustgarten laufen. Wenn das kein Service ist, bin ich mit meinem Latein am Ende!