23. November 2013



Ich war mir, bis eben jetzt, sehr unsicher, ob ich diese Bilder, die ich sechseinhalb Jahre, nachdem sie entstanden sind, um sie für mich zu bewahren, hochgeladen habe, durch einen Blogeintrag ins Licht rücken sollte. Ich mag die Bilder, sogar sehr. Sie stammen von der Hamburger Fotografin Kerstin Schlitter, die vor einigen Jahren starb, wir hatten uns nur einmal getroffen. Sie hatte die Bilder bei sich diskret verlinkt, so dass sie nur von jemandem betrachtet werden konnten, der den direkten Link dazu hatte. Nicht in der Reihe der sonst von ihr portraitierten Personen zu finden. Mir schien es doch ein bißchen schade, fand es damals schon. Sie machte diese Bilder mit einer digitalen Kamera, mit der sie sich nicht so souverän fühlte, wie mit ihren analogen Fotoapparaten. Die Aufnahmen entstanden in der Charlottenburger Galerie Camera Work. Peter Lindbergh hatte damals eine kleine Retrospektive in der Galerie. Die Bilder von Keith Richards dominierten den ganzen Raum, ich war hin und weg. Das vertraute, verknautschte Gesicht von Keith machte den Raum für mich sofort zum Wohnzimmer. Eigentlich ist es alles andere als erwünscht, dort zu fotografieren, aber wir machten es vielleicht so arglos und spielerisch, in einer Selbstverständlichkeit, dass die Galeristin, die unser Tun zuletzt dann doch registrierte, nicht mahnend Einhalt gebot. Im Juli Zweitausendsieben war das. Kerstin hatte noch andere, analoge Bilder von mir gemacht, als wir draußen waren, in einem wilden Gelände und später in meinem Atelier, wo ich ihr etwas erzählte, das mich damals tief bewegte und stellenweise zum Weinen brachte. Das waren die Bilder, die sie als "die Bilder" von mir betrachtete. Doch ich enttäuschte sie mit meiner Reaktion, auf die analogen Aufnahmen, die mich in einem harten Licht in Momenten erinnerter Verletzung zeigten. So nackt, dass ich es in einer guten Phase meines inneren Heilungsprozesses als unverhältnismäßige, ausschließliche Beschwörung der Verletzung empfand. Doch diese schwerelosen Bilder, die sie so beiläufig, ohne besonderen Ehrgeiz knipste, die liebte ich. Denn das war meine Gegenwart. Repräsentativ für den Zustand meiner Befindlichkeit. Unser Kontakt brach dann ihrerseits einsilbig ab, da sie damit nicht zurechtkam, dass ich die für mich heillosen Aufnahmen eines minutenweisen Aufgelöstseins nicht in der Öffentlichkeit sehen wollte, sie nicht dafür loben konnte. Aber dennoch erinnere ich diesen ganzen Tag gerne, zu dem sie extra aus Hamburg nach Berlin gereist war, als wir uns einmal und nie wieder trafen. Danke für diese Bilder und all deine Mühe, Kerstin.

zuckerwattewolkenmond - 24. Nov, 00:45

Ich

finde diese spontanen Bilder mit ihrer Bewegtheit und Lockerheit ganz bezaubernd.

g a g a - 24. Nov, 00:46

Danke, liebe Zucker.

(auch im Namen von Kerstin)
kid37 - 24. Nov, 02:32

Sie leben dort in diesem Raum. Das muß man mal festhalten.

g a g a - 24. Nov, 02:37

Das ist eine Beobachtung, die mich besonders freut, weil sie komplett wahr ist. Das merkwürdige in den Räumen von Camera Work ist, dass ich mich dort - ähnlich wie in der Newton Foundation - immer in einer hohen Intensität gegenwärtig und am richtigen Ort fühle. Selbst, wenn keine Kamera auf mich gerichtet ist. Als ob es Orte gibt, die einfach perfekt zu einem passen oder man zu ihnen. Wie manche Orte am Meer, zwischen Felsen, warmen Wind, einer Böschung. Oder manchen Bildern.
tinius - 24. Nov, 02:38

Die Bilder sind gut, Du selbst - wie auch im Real Life - gutaussehend und ausdrucksvoll. Ich kann mir aber vorstellen, daß es für eine Fotografin reizvoller - und ergiebiger - ist, einen Menschen in seiner Verletzlichkeit und Brüchigkeit darzustellen, und es vermutlich intensivere Ergebnisse zeitigt.

g a g a - 24. Nov, 02:47

Für mich persönlich war es interessant (wenn auch nicht erhebend), die Bilder zu sehen, zu begreifen, wie schnell abrufbar diese noch einmal beschworene Verletzung war, aber ich wollte das nicht in der Offentlichkeit als repräsentativ für meine Verfassung misszuverstehendes Dokument wissen. So wäre es zwangsläufig interpretiert worden. Hinzu kam, dass ich ab einem bestimmten Punkt keine Kamera mehr auf mir haben wollte, Kerstin konnte mein Zeichen aber nicht verstehen - oder wollte es nicht, weil es so intensiv war, und deswegen interessant. Ich fühlte mich ab einem sensiblen Punkt gewissermaßen "paparazzt". Ich selbst kann mir nicht vorstellen, jemanden zu fotografieren, der mir vertrauensvoll etwas erzählt und dabei zu weinen anfängt. Dass solche Bilder für Dritte hochinteressant wären, steht außer Frage. Ich muss, wenn ich die Situation erinnere, immer an diese eine Szene in dem Film "Nachtblende" mit Romy Schneider denken, wo sie (sie spielt in diesem Film eine von Hause aus ernsthafte Schauspielerin, die aus Existenznöten pornographische Rollen annimmt) in einer Szene aus privater Berührtheit die Nerven verliert und die Kamera weiter auf sie gerichtet ist und sie unter Tränen und verschmiertem Augen-Make up nur noch fleht "bitte nicht...". Das mag wie ein pathetischer Vergleich erscheinen, aber für mich trifft es die Situation mitten ins Herz.
tinius - 24. Nov, 03:50

Nein, ich versteh Dich sehr gut. Mir wäre das auch nicht recht.
arboretum - 24. Nov, 22:59

Wir sind uns kurz nach jenem Treffen mit Kerstin Schlitter begegnet. Ich erinnere mich noch an beides gut, an diese fröhliche Leichtigkeit wie auch an die Momente großer Traurigkeit, in denen ich lieber still zuhörte als selbst etwas zu sagen. Das erschien mir angemessener als alles andere. Von beidem habe ich noch Bilder im Kopf. Die Fotos aus der Galerie sind wirklich schön und treffen es genau. Keith Richards hat Sie bestimmt gesehen, deshalb schaut er auch so.
g a g a - 24. Nov, 23:19

Ja. Wir trafen uns nur wenige Tage vorher, und ich dachte auch, wir hätten uns danach getroffen. Am achten oder neunten Juli. Denn am neunten Juli habe ich einen ganz kleinen Blogeintrag dazu gemacht. In dieser Zeit lag eine Aufbruchstimmung, Neugier auf die Menschen, die man schon eine ganze Weile von ihren Einträgen kannte. Nach drei Jahren gegenseitiger Lektüre wirkt es beinah rührend antiquiert, sich erst dann zu begegnen. Aber das war in Ordnung. Wie früher, als man vielleicht einen Brieffreund in Amerika hatte, mit dem man sich ja auch nicht holterdpolter verabredet. Kid37 habe ich in dem Jahr auch das erste mal getroffen. In Hamburg. Auf dem großen Ohlsdorfer Friedhof. Ich fand das irgendwie stilvoll und angemessen und wollte da sowieso mal hin. Wir haben dann da Picknick gemacht und Prominente gesucht und meistens nicht gefunden. Außer Hans Albers. Hamburg war so ein Zwischenstopp auf dem Weg nach Litauen, weil es von da die günstigste Flugverbindung gab.
arboretum - 24. Nov, 23:34

Wir trafen uns am 8. Juli, am Tag zuvor war ich auf einer Hochzeit, die Nacht war kurz. Und ich meine, bei unserer Begegnung bereits von jenen anderen Fotos erzählt bekommen zu haben.
g a g a - 24. Nov, 23:41

Das war auch mein erinnertes Gefühl, dass wir über die Bilder gesprochen hatten, aber das muss dann später per Mail gewesen sein oder auch am Telefon. Die analogen Bilder, die Kerstin gemacht hatte, konnte sie mir erst ungefähr zwei Wochen nach unserem Treffen schicken, weil die Entwicklung so lange dauerte und sie die Bilder dann noch scannte. Ich weiß, dass wir beide über das gesprochen haben, es war mir auch ein Bedürfnis, weil Menschen, die selbst bloggen, das alles besser nachempfinden können. Und wussten, wer Kerstin war. Ich weiß gar nicht, ob ich das noch jemandem erzählt habe. Vielleicht einer damaligen engen Freundin, die damals überhaupt keine Beziehung zu meiner Blogexistenz hatte, aber dafür mich und die Vor-, Vor-, Vorgeschichte kannte. Später fing sie dann auch zu bloggen an. Ich hatte ihr eine Seite zurechtgebastelt, die einigermaßen aussah und Wunder über Wunder, über dieses Blog lernte sie ihren Gefährten kennen.
arboretum - 24. Nov, 23:59

Hmm, vielleicht ging es bei unserem Treffen um die Situation und später um das sichtbare Ergebnis?

Vielleicht hätte ich mir auch einmal von Ihnen eine Seite zurechtbasteln lassen sollen, wenn das solche Konsequenzen hat. :-)
g a g a - 25. Nov, 00:22

Das Datum des Treffens mit Kerstin ist streng protokolliert. Ich habe vermutlich erzählt, dass ich sie wenige Tage später treffen würde, und wir waren da gerade so im flow mit unserem Austausch, dass ich mehr oder weniger thematisch dauernd on air war. Gewissermaßen.

Das von mir geschenkte Blog (ich hatte sogar ihr Blog-Pseudonym, also einen Namen erfunden, den sie sofort begeistert annahm und der exzellent zur - ja ich möchte sagen französisch eleganten Optik des Blogs passte) hatte in kurzer Zeit guten Zuspruch, weil der Verehrer viel kommentiert hat und so ihr Blog oft auf der Startseite mit den frisch upgedateten Blogs zu sehen war. Wenn man dann draufklickte, sah man eine sehr reduzierte, monochrome Geschichte. Auf eine schnörkellose Art elegant. Man hat damit wahrscheinlich automatisch ein Potenzial für Premium Content assoziiert. Die Seite gibt es nicht mehr. Sie wurde entsorgt. Aber nicht von mir, ich hatte dann auch die Adminrechte abgegeben, es gab ja optisch nichts mehr zu optimieren und bloggen konnte sie selber. War ja schon groß (also sie).

Wie wir beide wissen, heißt einen Gefährten zu haben, nicht unbedingt, nicht mehr kummergefährdet zu sein. Nicht selten sogar mehr als friedlich alleine lebend.
arboretum - 25. Nov, 10:50

Interessant, wie es sich dadurch in unsere beider Erinnerung zeitlich verschoben hatte. Wie gut, dass ordentlich protokolliert wird, man stelle sich vor, welches Durcheinander es sonst später einmal in den Biographien über Sie gäbe.

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