17. Juni 2013



Promenade Sentimentale. Vladimir Cosma. Na wunderbar. Wie es passt. Das perlende Klavier beim Regenspaziergang der Diva. Wenn ich die Musik höre, denke ich an 1986 und einen Liebhaber, der den Film - für meine Begriffe - über Gebühr mochte. Aber diese Regenszenen mochte ich auch. Die Operndiva im blauen Licht unter dem Regenschirm in Paris. Mein Liebhaber war sehr filmaffin. Umso mehr wundert es mich heute, worin er die Qualität des Drehbuchs sah. Das Licht in einigen Szenen ja. Gut. Das ja. Aber in Gänze? Die hektischen Verfolgungszenen mit den affektierten Kleinkriminellen, diesen Posern? Dass er visuellen Effekten so ein Gewicht beimaß, mag daran gelegen haben, dass er selbst Licht setzte. Ich merke gerade, die Sache mit der Halbwertzeit, die ich manchmal erwähne, vielleicht ist sie bei ihm gerade vorbei, überschritten. Ich kann nur mit großem Respekt über ihn schreiben. Es war mehr eine Art Affäre der Zufälligkeiten mit Seriencharakter. Ich weiß gar nicht, ob er auch einmal bei Serienproduktionen gearbeitet hat. Damals nicht. Er fuhr durch die Weltgeschichte, da gab es ein paar große Namen. Als wir uns im Frühjahr Sechsundachtzig immer wieder begegneten, musste er zwischendurch nach Prag, soweit ich es erinnere, weil von Trotta ihn für Dreharbeiten engagiert hatte, für ihren Rosa Luxemburg-Film. Oder war es ein anderes osteuropäisches Land, eine andere Stadt? Er spielte Saxophon. hatte lange blonde Haare, sehr braungebrannt und sehnig. Mit seinem dunkelroten Jeep fuhr er über den Kudamm Richtung Grunewald, bis zur Havel. Und packte Pfeil und Bogen aus, irgendwo da im Wald, in der Nähe der Havelchausse. Es ist schön, wenn man so einem schrägen Vogel begegnet, wenn man selber gerade nach Berlin gekommen ist und niemanden kennt. Wir trafen uns im Dschungel. Ja, im Dschungel.



Er sprach mich an. Ich trug einen knallroten Overall. April 1986. Blixa stolzierte mit stoischem Blick vorbei, die Treppe nach oben, wo er den Überblick hatte. Aber er - nein, den Namen will ich dann doch nicht schreiben - das ist zu - - - nah, zu nackt - er schaute nicht ins Leere, sondern mich an. Ich glaube, wir waren danach noch in der Weißen Maus am Ludwigkirchplatz und vielleicht noch später im MauMau, und vorher noch am Kudamm in einem Argentinischen Steakhaus. Und an das Blue Note erinnere ich mich. Und die Blaue Stunde, die er mir genau erklärte, als die Vögel zu zwitschern begannen. Einmal, es war sein Geburtstag, und er trug auf nackter, gebräunter Haut, verwegen einen cremeweißen Smoking und Türkisschmuck. Und zeigte mir seine neue Tätowierung am Oberarm, die er sich zu seinem achtunddreißisten Geburtstag am achten Mai selbst geschenkt hatte. Und dass im Schlafzimmer neben seinem Saxophon sämtliche Stonesplatten lagen und er the Girl from Ipanema übte. Und die Dreizimmer-Altbau-Wohnung in Wilmersdorf, wo er viele Jahre mit einer Cutterin lebte, bis es auseinanderging. Später begegnete mir ihr Name dauernd auf dem Tatort-Abspann. Vom Balkon schaute man auf einen Platz und im Badezimmer hatte er alles modernisiert und umgebaut. Es gab weißen Marmor, organische Formen und ein großes Wandmosaik mit Filmstills seiner liebsten Filme. Wenn er von seinem eigenen Drehbuch erzählte, wurde er beinah schüchtern. Und im Café am Savignyplatz trafen wir beim Frühstück seine Filmfreunde, Kameraleute, Cutterinnen, Freunde aus gemeinsamen Produktionen. Und ich fühlte mich so jung und wäre gerne älter gewesen und erfahrener. Was hat ihn an mir fasziniert? Das fragte ich mich und freute mich, ohne es zu wissen, ohne es zu erfragen. Schöner Frühling. Dann reiste er ab, nach Südfrankreich. Ein Dreh bei einer gut bezahlten Hallervorden-Produktion. Einer dieser blödsinnigen Filme vor schöner Kulisse. In guter, launiger Arbeitsatmosphäre. Das war nicht das erste Mal. Er arbeitete gerne mit ihm und seinem Team. Irgendwann ist er zurückgekehrt. Bestimmt. Er liebte Berlin über alles. Ich habe ihn nie mehr gesehen. Die Tätowierung war das chinesische Symbol für Ratte, das Jahr, in dem er geboren war. Und wie komme ich darauf? Ah ja. Wegen der Perlen. Wegen dem perlenden Klavier in diesem Stück aus dem Diva-Film. Und der Zuchtperlen. Die man mir vielleicht nicht zutrauen würde. Ich bin nicht verrückt danach. Aber ich mag sie. Sie sind sogar echt. Eine Bekannte hatte einen Freund, der einen dieser asiatischen Import-Möbel- und so weiter-Wohnaccessoiresläden in der Kantstraße eröffnet hatte und günstig an diese Perlen aus Asien kam. Sie verscherbelte dann einige, mit einem samtausgeschlagenen Musterköfferchen unter dem Arm, in ihrem Bekanntenkreis. Auch lange her. Irgendwann in den Neunzigern. Ich halte sie schon in Ehren, wenn sich auch selten die Gelegenheit ergibt, so etwas zu tragen. Nicht, weil sie mir zu schade wären, sondern weil man dem Styling viel Aufmerksamkeit entgegenbringen muss, damit es gleichwohl angemessen aber nicht bieder oder gar betulich wirkt. Am ersten Januar hatte ich wohl die Zeit dafür. Und für das weiße Spitzenleibchen. Es war einmal ein Kleid. Aber kein Brautkleid. So etwas habe ich nie besessen. Es war ein Etuikleid und mir irgendwann zu eng um die Hüften. Ich mochte die Spitze so, dass ich es nicht vollständig weggeben wollte, und ein Oberteil daraus gemacht habe. Was wurde nur aus dem unteren Teil? Wo ich doch kostbare Stoffreste niemals wegwerfen könnte? Seltsam, ich weiß es nicht mehr. Versunken im ewigen Archiv. Nicht mehr erinnerbar.


g a g a - Do, 20. Jun, 21:51

Kleiner Nachtrag. Hab ihn vorhin mal gegoogelt (ausnahmsweise nicht zu faul zum Googeln). Er macht das immer noch. Also das Licht. Schöne Sachen in den letzten Jahren. Der Felsen und zuletzt Das Wochenende. Freut mich sehr. Auch, dass er so attraktive Menschen dabei trifft. Marie Bäumer hat er auch sehr schön ins Licht gesetzt. Und Sebastian Koch. Aber das ist bei den beiden ja auch nicht so schwer. Ich stelle mir gerade vor, wie die Standfotos entstanden sind, von der Szene, wo ich das Bild sah, wo Marie Bäumer mit einem männlichen Schauspieler im Bett liegt, wunderschön hindrapiert. Und wie er das genossen haben muss. Es ist wirklich schön, angenehm, von jemandem nach so vielen, knapp dreißig Jahren, etwas mitzubekommen und es ist das Gegenteil einer Talfahrt. Das hätte mich bei ihm auch gewundert. Er war kein Schwätzer, er hatte Biss. Er hat von Dingen gesprochen, die er konkret im Terminkalender hatte, oder bereits erledigt, nie 'man müsste'. Wenig geredet, viel gemacht. Sehr sympathisch. Nun ist er Mitte Sechzig und spielt in der Oberliga in seinem Beruf. Schönes Lebenswerk. Und wohnt nicht mehr in der Mecklenburgischen, sondern in Charlottenburg. Tjaja, unser wundersames, indiskretes Internet hilft der Erinnerung auf die Sprünge. Aber ist gibt kein Foto von ihm, keines, nicht ein einziges auf dem er zu sehen wäre. Ist auch nicht bei facebook oder sonstwo. Sämtliche Suchergebnisse beziehen sich auf seinen beruflichen Kontext. Wahrscheinlich hat er sich gar nicht so spektakulär verändert. Wer so einen interessanten Job macht, hat allen Grund, immer noch interessant aus der Wäsche zu gucken. Ich überlege gerade, wem er am Ehesten ähnlich sieht, unter den prominenteren Gesichtern. Mir fällt nur einer ein. Steve McQueen. Stellen Sie sich Steve McQueen mit langen, glatten blonden Haaren vor. Tief braungebrannt. Und indianischem Silberschmuck. Heute sind die Haare sicher kurz. Wie früher bei McQueen. Und grau. Graublond. Irgendwie so. Ich hätte schon Angst, nein - falscher Begriff - zu viel, zu dramatisch - Bedenken, ihm wieder zu begegnen. Nein, nein. Ich wollte mich nur einmal kurz erinnern. Und spüren, dass man sich nach Jahren, voller Wärme, an einen verflossenen Geliebten erinnern kann. Egal, wie es zu Ende ging.

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