03. Oktober 2012




Alles meins.

Doch doch. Ich kann das notfalls auch beweisen. Wie man sieht, habe ich auch kein Problem damit, dass andere Menschen sich hier aufhalten. Im Gegenteil, das wirkt punktuell sehr dekorativ und belebt das Bild. Zum Beispiel Pärchen, die spazieren gehen. Die junge Frau im knappen Ringelshirt, die verträumt auf der Brücke steht und in die Ferne guckt. Das ist alles ganz in meinem Sinn. Was wäre Berlin ohne die Berliner. Ich wäre sehr traurig, wenn ich ganz alleine hier wäre und keine privaten Unterhaltungen von eingeborenen Berlinern in der S-Bahn mehr belauschen könnte. Wenn die Berliner nicht mehr berlinern würden, müsste ich auf die Barrikaden gehen. Ich würde umgehend eine E-Petition auf der Seite vom Bundestag einstellen, dass alle Schulkinder künftig zweisprachig erzogen werden müssen. Berlinern und Hochdeutsch. Aber zum Glück gibt es im Moment keinen Handlungsbedarf. Alles im grünen Bereich. Aber ab und zu muss ich natürlich nach dem Rechten sehen. Über meinen gestrigen Ausflug mit Hin- und Rückflug nach Dings möchte ich eigentlich heute nichts weiter schreiben. Außer dass ich nach dem Heimkommen dermaßen müde war, dass ich gleich ins Bett gekippt bin, zack, weg war ich.



Und ich bin schon kurz nach Neun wieder zurückgewesen. Fotos habe ich gestern fast gar keine gemacht. Schon nach der Arie vor dem Kleiderschrank hat der Akku zu blinken angefangen und die Kamera hat sich ausgeschaltet. Erfahrungsgemäß berappeln sich die Akkubatterien nach einer Weile wieder und geben noch zwei bis fünf Fotos her, manchmal auch mehr. Ich hätte zwar noch Zeit gehabt, meine anderen geladenen Akkus mitzunehmen, aber ich war schlichtweg zu faul zum Suchen und so wichtig war es auch nicht. Unterwegs habe ich es dann geschafft, noch drei Bilder an einer U-Bahn-Haltestelle zu machen, ich hatte gerade mal zwei Minuten Zeit. Zwei davon habe ich wieder weggeschmissen. Später beim Warten auf den Rückflug hätte ich gerne noch eins gemacht, da war ein interessanter Hintergrund in der Abfertigungshalle, aber es gab keinen Saft mehr, finitio. Beim Take off und den ersten Minuten vom Hinflug war schönes gleißendes Sonnenlicht auf der Tragfläche, als ich aus dem Fenster geguckt habe. Aber die Kamera war oben im Fach, Klappe zu und neben mir war der Platz belegt. Ich wollte nicht herumturnen. Normalerweise hätte ich meine Tasche mit der Kamera unten auf dem Boden vor dem Sitz vor mir gehabt, aber ich hatte den Exit-Platz, wo man nichts auf den Boden stellen darf. Der junge Mann hatte mich beim Einchecken falsch verstanden. "Fenster oder Gang?" "Fenster und wenn es geht, ein Platz mit Beinfreiheit, von mir aus gerne den Exit". Bei manchen Fliegern ist vor dem Exit keine weitere Reihe sondern mehr Platz, das meinte ich eigentlich. In dem Flieger war das leider nicht der Fall. Aber es ging ja nur um eine gute Stunde in der Luft. Auf dem Rückflug war es dann aber richtig eng, alle Plätze belegt. Offensichtlich wollten mehr Menschen von da nach Berlin als andersrum. Der Bustransfer vom Flughafen zum Ort und umgekehrt kam mir auch noch so lang vor, dass mir das Ganze Herumgegurke gestern wie Schwerstarbeit erschienen ist. Die Zeit wollte nicht vergehen und ich war zu müde zum Lesen. Es gab im Flieger unter anderem den Rolling Stone umsonst, ich hab mir einen genommen. Was für langweilige Reportagen. Ein kurzes Interview mit John Cale, aus dem der Reporter rein gar nicht Erwähnenswertes herausgeholt hat. Was für ein lahmes Geschreibsel, aber durchgängig. Ein Glück, dass ich dafür nichts bezahlt habe, kostet über fünf Euro das Heft. In meinem Keith Richards-Buch hab ich erst bei der Landung kurz vor Berlin noch ein bißchen gelesen, vorher die ganze Zeit einfach zu müde, in den steifen Wartesitzen gehangen und durch die große Fensterfront in die untergehende Sonne und die Flieger geblinzelt. Das klingt poetischer als es war. Eis gegessen, so ein Eis am Stiel aus dem Automaten. Mövenpick Mandel, eigentlich wie Magnum, zwei Euro.



Ich hatte auch noch Schokolade, einen Apfel und meinen Flachmann mit Williamsbrand dabei. Im Flieger habe ich nur schwarzen Kaffee getrunken. Komisch, heute so leicht geschwollene Augen, aber nicht vom Williamsbrand, dafür war es zu wenig. Ob das was mit dem Fliegen zu tun hat? Habe mir gerade mit schwarzem Tee getränkte Tempo-Taschentücher auf die Augendeckel gelegt, während sich die Fotos von der Kronprinzenbrücke hochgeladen haben. Da war ich am 17. März 2012, um mal wieder die Kurve zur Bildstrecke zu kriegen. Meine Indianapolis-Rallye-Jacke macht sich hier ganz gut, wie ich finde. Die zwei grauen Kuppeln in Busenform über dem blauen Kasten stellen die Kindertagesstätte vom Bundestag dar. Oben in den Kuppeln sollen wohl Ruheräume für die Kids sein. Oder so. Das pikante Bauwerk hat mich schon ewig fasziniert, immer wenn ich es aus der S-Bahn gesehen habe. Ganz schön sexy, wie ich finde. Kita passt natürlich thematisch. Obwohl ich mir auch ein schönes Café drin vorstellen könnte mit einer Ausstellung von Gaga Nielsen-Fotos von der Kronprinzenbrücke und allem anderen. Heute Abend trinke ich Tee. Schwarzen Tee, keinen Alkohol. Das ist bestimmt prima für meine Augendeckel. Die ich bald zuklappe.

01. Oktober 2012

Noch fünf Minuten rebellieren. Kleine Rebellion. Kleinstrebellion. Ich wollte vernünftigerweise um Zehn schlafen gehen. Keine Lust. Lieber noch einen Schluck Bordeaux. Ich muss spätestens um Fünf aufstehen. Jetzt sind es weniger als sieben Stunden Schlaf. Zu einem Flieger ab Tegel. Wie wenig mich das Ziel interessiert. Ich war schon einmal da. Wegen einer Besprechung. Ich meine: wegen einer Besprechung, das ist doch heute nicht mehr zwingend notwendig, oder? Oder doch? Aber doch nicht dort. Ach. Ich nenne den Ort nicht, um Niemandem zu nahe zu treten. Ich war schon einmal dort, vor zehn Jahren oder so. Ich erinnere mich, wie enttäuscht ich von dem einbetonierten, berühmten Flußlauf war. Von der Abwesenheit jeglicher Weltläufigkeit, atmosphärisch. Was habe ich denn nur gedacht? Nein, ich nenne den Ort nicht. Um 6:30 Uhr vom Rosenthaler Platz bis Osloer. Dann Flughafenbus nach Tegel. Check in, Boarding, Take off. Landung um 9:15. Auf den Take off freue ich mich, egal in welches Kaff der Vogel fliegt. Ich liebe es, wenn das Flugzeug von der Landebahn abhebt. Reines Glücksgefühl. Immer. Habe ich immerhin zweimal morgen, ist doch auch schön. Ich nehme die Kamera mit und gucke, ob es doch irgendein Detail gibt, das mir wert scheint gebannt zu werden. Das war jetzt aber länger als fünf Minuten Rebellion gegen die Schlafenszeit. Hilde singt "Gibt mir Antwort". Schönes Lied. "Wer war froh, dass es dich gab?". Hm. Neulich am Potsdamer Platz ein Plakat, mehrere Plakate, ich weiß nicht wofür. Immer der Satz, sinngemäß, wen würden Sie küssen, wenn Sie nur noch einen einzigen Menschen küssen könnten - so ähnlich. Kluge Leser könnten vermuten, dass meine Antwort am Ende lautet mich. Am Ende ja. Ohne Vorbehalt. So ist das in der absoluten Freiheit. Freedom's just another word for nothing left to lose. Ja, ja. Bla bla. Aber nicht nur. Das Glas ist keineswegs leer. Vorher dachte ich zwar an niemanden, den ich erotisch küssen wollte, aber mir fiel auf einmal Veruschka ein, ganz plötzlich. Weil sie ein langes, selbst bestimmtes, eigensinniges und mich ungleich inspirierendes Leben lebt. Ein Kuss des Dankes und der Zugeneigtheit. Und weil ich ihre Einsamkeit sehe und verstehe. Und dennoch - selbst gewählt. Weil alles andere Kompromiss wäre. Was aber Begegnungen nicht ausschließt. Manchmal. In seltenen Augenblicken, seltenen Jahren. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Kompromisse in Gefühlsbelangen satt machen, Wesentliches zurückzunehmen, vom Eigensinn. Aber was weiß ich. Da kenne ich mich nicht aus. Wirklich nicht. Aber vielleicht haben nur wenige so oft so sehr geliebt wie ich. Nein, es gab keine große Liebe. Es gab viele. Mehrere. Und das waren noch nicht alle. Aber das große namenlose Sehnen ist Schnee von Gestern. Heute sehne ich mich nach mir und erlebe Erfüllung. Jeden Tag, jeden Morgen. In jeder Stunde. Patti singt "Dream of Life". Jetzt habe ich schon eine gute Dreiviertel Stunde rebelliert. Ich lasse Patti noch aussingen und nehme noch einen Schluck Bordeaux. Und dann ab in die Falle. Ohne Rebellion. Schlaft gut, liebe Leser da draußen. Morgen verlasse ich für ein paar Stunden Berlin, nach langer Zeit. Aber vor Mitternacht bin ich zurück, wenn ich den Flieger erwische. Und das werde ich.

01. Oktober 2012

Befreiungsschlag X.

(it's a family affair)

01. Oktober 2012



Also, ich kann mir nicht helfen, ich finde die Aufnahmen haben eine Aura von Rallye Paris-Dakar. Gut, man darf sich von dem Aufdruck "Plakate ankleben verboten!" nicht irritieren lassen. Das kann man sich ja wegdenken und stattdessen eine riesige Wüsten-Wanderdüne vorstellen. Alleine das tiefe Saharablau des Himmels ist doch überzeugend. Meine kleine Rallye Paris-Dakar am siebzehnten März 2012 startete direkt am Berliner Hauptbahnhof, von wo aus ich kurz vor dem ersten Boxenstopp ausgiebig das Kapelle-Ufer streifte. Wenn man je hinter den Bauzaun gucken könnte, würde man echte Dünen aus märkischem Sand sehen. Eine nahezu unberührte Dünenlandschaft, wie man sie in dieser Größe im Innenstadtgebiet nur noch selten vorfindet. Schlichte Gemüter bezeichnen solche Formationen gerne schnöde als Großbaustelle, aber so nicht ich! Für mich liegt hinter dem Bauzaun quasi nordafrikanische Wüste. Weiter der Nase lang, Kluft auslüften. Noch ganz wenige Meilen zum ersten Etappenziel.


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