18. November 2011



Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit, die Führung ist beendet, bitte begeben Sie sich zum Ausgang. Da hinten, steht groß dran: AUSGANG, EXIT. Was? Trinkgeld? Das ist aber ganz reizend von Ihnen, vielen Dank! Ich kann es gut gebrauchen, ich muss nämlich zur Zeit sparen. Aber das können Sie ja nicht wissen, weil Sie mein Blog nicht lesen. Ich mache nämlich nicht nur sagenhafte, einmalige, nie dagewesene Führungen über das Olympiagelände, sondern schreibe auch manchmal Befindlichkeitskram ins Internet hinein. Kennen Sie doch, Internet. Mit Computer. Ist ja auch nicht so wichtig. Aber das heute, war doch mal was anderes. Sie haben eine Menge neue Sachen über Berlin gelernt und ich auch. Sie müssen nämlich wissen, für mich war das auch das erste Mal, dass ich die Führung gemacht habe. Ja! Hätten Sie nicht gedacht was? Ich habe einfach ein bißchen improvisiert und Sie haben es gar nicht bemerkt. Ich bin nämlich keineswegs sonderlich sport- oder olympiainteressiert oder Nazi-Architektur-Sachverständige oder womöglich gar studierte Nationalsozialismus-Forscherin. Nichts von alledem. Naja, obwohl jetzt vielleicht schon ein bißchen!



Wissen Sie, es geht mir ähnlich wie Ihnen: Sie leben ja nun auch schon ewig und drei Tage hier in unserem schönen Berlin, das ja nun mittlerweile wieder Hauptstadt ist. Und wenn man so wie ich, wie bereits erwähnt, sparen muss, kommt man direkt auf die Idee, sich mal vor der eigenen Haustüre umzuschauen. Und da ist mir aufgefallen, dass es ziemlich viele Touristen hierher zieht. Das muss doch einen Grund haben, dachte ich so bei mir. Und dann ist da ja auch noch meine Beschäftigung mit Frau Riefenstahl, aber das wird Sie vielleicht jetzt nicht so interessieren. Dass ich keine Nazi-Freundin bin, und auch sonst nicht zu Verharmlosungen neige, müssten Sie jetzt aber eigentlich schon mitbekommen haben, wenn Sie mir gut zugehört haben. Ach, haben Sie nicht? Keine Zeit oder woanders hingeguckt? Sehen Sie, ich habe ja für alles Verständnis, man kann das ja auch alles gar nicht auf einmal verdauen. Und dann immer noch meine privaten Betrachtungen und Befindlichkeiten zwischen den vielen Erklärungen. Ich habe doch für alles Verständnis. Und sehen Sie, deshalb habe ich für Sie, für zuhause, noch einmal eine kleine Sammlung der ganzen Etappen und Geschichten unserer heutigen kleinen Führung über das historische Olympiagelände angefertigt. Vielleicht haben Sie ja doch irgendwann einmal die Ruhe. Und wenn Sie dann noch Lust haben, mir eine kleine Rückmeldung zu geben, ob es Ihnen gefallen hat, freut es mich umso mehr. Das ist mir noch lieber als Trinkgeld. Aber Trinkgeld ist natürlich auch toll! Ich werde mir gleich davon eine schöne Tasse Kaffee gönnen. Vielen Dank und:

Auf Wiedersehen



1. Intro | 2.Entry | 3.Stadion | 4.Schwimmstadion | 5.Areal | 6.Pferd | 7.Maifeld 8. Langemarck | 9. Glockenturm | 10. Glocke 1936 | 11. Kl. Marchhof | 12. EXIT

17. November 2011

So ein Blog lässt sich ja auch wunderbar als Beichtstuhl benutzen. Macht man ja in wahrhaftiger Abgründigkeit so gut wie nie, wenn man ehrlich ist. Die kleinen Alltagsbekenntnisse, die man herausposaunt, sind meistens noch rational für andere nachvollziehbar und ethisch vertretbar. Ich habe mich soeben, obwohl ich nicht katholisch bin, im Badezimmer entschlossen, Beichte über ein abgründiges Tun meinerseits abzulegen.

BEICHTE:

Ich, Gaga Nielsen, verfolge seit circa einem halben Jahr drei Blogs, deren Schreiber mich nicht die Bohne interessieren. Ich missbrauche das akribische Studium ihrer Weblog-Einträge lediglich zur vergleichenden Analyse der möglichen Auswirkungen des laufenden Pluto-Transits. Da mir rein zufällig die Geburtsdaten zur Kenntnis kamen, als sie an anderer Stelle kommentierten, wurden sie zum Opfer einer Langzeitstudie meinerseits. Zum Teil sind mir die Schreiber oder ihre Einträge suspekt oder sogar unsympathisch. Ich lese ungeachtet dessen jeden Eintrag und Kommentar und verfolge zum Teil sogar deren Kommentartätigkeit an anderer Stelle, um zusätzliches Forschungsmaterial zur Verdichtung des jeweiligen Psychogramms zu bekommen. Zu diesen drei Weblogs kommen noch zwei Personen des öffentlichen Lebens, die mir ausgesprochen unsympathisch sind, aber ebenfalls die passende Konstellation im Geburtshoroskop aufweisen, um als Studienobjekt geeignet zu sein. Da diese beiden Personen der Öffentlichkeit in keinster Weise bloggen, bin ich auf das Studium ihrer biographischen Bewegungen durch Veröffentlichungen aus zweiter Hand, durch die Presse und in Foren angewiesen, wo diese Personen umfangreich stattfinden.

Nie im Leben käme ich auf die Idee, bei den von mir analysierten Bloggern einen Kommentar zu hinterlassen. Ich sitze ohnehin meist leicht genervt bis gelangweilt vor den mittelmäßigen Ergüssen, die vor blumigen Beschönigungen nur so strotzen. Die betreffenden Blogs bieten qualitativ einigermaßen vertretbares, wenn auch wenig aufschlussreiches Bildmaterial, aber glänzen vor allem in zwei Fällen durch systematisches Unter-den-Teppich-Kehren der vorhandenen eruptiven Vorgänge. Das Unterstellen eruptiver Vorgänge ist keine Phantasterei meinerseits, sondern tritt zu Tage, wenn man zwischen den Zeilen liest. Mich interessieren aber lediglich vorrangig diese plutonischen Bewegungen. Mal gibt es zwischendurch überraschend abgründige Offenbarungen, meistens andeutungsweise ("wenn ich darüber schreiben würde, was sonst noch bei mir los ist, ich kann euch sagen!) in Nebensätzen oder einem Kommentar, die in dem einen Fall dann auch gerne wieder nach einer gewissen Zeit gelöscht oder modifiziert werden, um das Prinzip der Darstellung einer erfolgreichen Lebensdynamik zu bedienen. Sehr interessant. Haarsträubend wird es immer dann, wenn die eine Person über Zukunftspläne spricht, in denen regelmäßig eine hanebüchene Selbstüberschätzung zu Tage tritt, was das vorhandene Talent anbelangt, das Voraussetzung zur Ausführung der Pläne wäre.

Durch diese Beobachtungen durfte ich auch lernen, dass es Bloggerkreise gibt, in denen Kommentartätigkeit zu 99 Prozent inhaltlich darin besteht, sich gegenseitig einen tollen Tag, eine tolle Woche oder ein tolles Wochenende zu wünschen. Tag für Tag, Woche für Woche, Wochenende für Wochenende. So kommen erstaunlich umfangreiche Kommentaraktivitäten- und stränge zustande. Für mich natürlich langweilig, aber wenn man wissenschaftlich arbeitet, bleibt es natürlich nicht aus, in der konkreten Feldforschung auch mit undynamischem Studienmaterial zu arbeiten. Und auch das ermöglicht wiederum eine langfristige, gefestigte Aussage über das Psychogramm.

Bei dem dritten Psychogramm anhand eines Weblogs handelt es sich eher um eine indirekte Studie des Geschriebenen. In dem Fall interessiert mich nicht die bloggende Person selbst, sondern die Darstellung der Beziehung zu einer relevanten (mir ebenfalls unbekannten und nur aufgrund des zufällig entdeckten Geburtsdatums gewählten) Nativität. Sprich: die Person, die als Beziehungspartner beschrieben wird und die Befindlichkeit der Beziehung spiegelt.

Zur Beruhigung: keines meiner Studienobjekte sind mir persönlich bekannte Blogger. Ich habe keinen davon getroffen oder bei ihm oder ihr kommentiert und bin auch in keinster Weise daran interessiert.

Über mein eigenes Psychogramm wollen wir doch an dieser Stelle lieber nicht sprechen. Ich habe selbstverständlich meine AbGründe.


ENDE DER BEICHTE.

17. November 2011



Der sogenannte Kleine Marchhof ist das Areal zwischen dem Maifeld und linker Hand vom Stadion. Die Historie ist für mich nicht so spannend oder relevant, der Platz hat heute keine besondere Funktion mehr. Im Gegensatz zu der Ära, bevor das 'neue' Olympiastadion 1934 - 1936 erbaut wurde. Da, wo heute das Stadion ist, war auch früher eine Stätte der Körperertüchtigung und athletischer Wettbewerbe, damals hieß es Deutsches Stadion, dessen Architekt Otto March war. Aber das nur am Rande. Ich habe einfach als ich der Menge der Bilder, die ich gemacht hatte, gewahr wurde, beschlossen kleinere und damit besser verdauliche Häppchen daraus zu machen und da bot sich die kleine Serie des Kleinen Marchhofs an. Auch weil das Licht und die Stimmung dort so anders war. Es war schon später Nachmittag und die Sonne stand schon tief, als ich mich langsam Richtung Ausgang bewegte. Ich dachte an die vielen griechischen Tempel, die ich in den Neunziger Jahren besucht hatte, als ich viel und gerne auf griechische Inseln reiste. Zwischen dem Franken- und dem Schwabenturm sank die Sonne so schön und reflektierte einen Abglanz in diesen verglasten Bodeneinlassungen, deren Sinn ich bis heute nicht ganz erhellt habe. Wie Solar-Paneele sind sie in den Rasen eingefügt. Es könnten auch Deckenlichter für darunter liegende Räume sein. Die Vorstellung gefällt mir. Der Kleine Marchhof. Eine kleine Etappe mit besonderem Licht. Mehr nicht.


17. November 2011

Meta meta. Ich schreibe mich gerade unter einem Beitrag von Frau Klugscheißer in den Kommentaren um Kopf und Kragen, falls es jemanden interessiert. Es geht um das Bloggen selbst und um Kommentaraktivitäten und nichtzuletzt um Klatschvieh, wie ich es gerne nenne. Die böse Formulierung ist nicht von mir, sondern ich habe sie irgendwann bei einem lieben Freund, dem sehr geschätzten Jochen Reinecke aufgegabelt.

Kleine Kostprobe:

- Anfang des Kommentars -

gaga, 17. November 2011, 10:33
"Insofern hat FB und Co eben einen Trend erspürt, nämlich die abzuholen, die trotz eingeschränkten Audruckrepertoires sich dennoch ausdrücken möchten und ihnen zudem Leser in Form von Freunden/Followern zu garantieren."

Musste eben lachen, ob der Formulierung, aber so einfach ist es nicht. Eingeschränktes Ausdrucksrepertoire wird auch von vielen gepflegt, die durchaus zu mehr fähig werden, sich aber vermutlich lieber auf twittertimelines verzetteln, auf vielen Hochzeiten tanzen und hier und dort schnell mal ihre Eloquenz in 140 Zeichen unter Beweis stellen. Die meisten Twitterer wären vermutlich hochgradig beleidigt, wenn man ihnen eingeschränktes Ausdrucksrepertoire unterstellen würde, und betrachten das im Gegenteil sogar als eine Art Sport ihr sensationelles Ausdrucksrepertoire auf wenige Worte einzudampfen. Ich habe da auch überhaupt nichts dagegen und muss auch manchmal über die Äußerungen lachen, die ich allerdings nur selektionsweise von der Kaltmamsell kenne, die ja immer diese kleinen Sammlungen postet.

Ich habe im Laufe der Zeit ein bißchen schlechte Laune darüber bekommen, dass sich auf fb, wo ich das Spielchen vor ca. zwei Jahren auch mal ein paar Wochen verfolgte, Leute, die früher ausgiebig und mit schöner Regelmäßigkeit, ja Liebe bloggten, ihren Fokus dann auf fb verlegten und ihre Zeit mit dem verplempern, was sie für "vernetzen" halten. Und auch die bloggenden Twitterer haben meist ihren Aktionsschwerpunkt massiv verlagert.

Das ist das, was ich mit Grundrauschen meine, es geht überhaupt nicht darum, sich schriftlich zu äußern, wertvolle Gedanken zu formulieren, sondern um Kontaktpflege und sich der eigenen Existenz und Wertschätzung auf einem leicht zu handelnden Niveau zu versichern.

Ist ja auch alles erlaubt und in Ordnung, wenn es sich kuschelig anfühlt. Ich darf mir überhaupt nicht herausnehmen, mich darüber zu erheben, weil ich komplett anders ticke, das sind für mich Ereignisse auf fremden Planeten. Ich schreibe in meinem Blog im Grunde Schulaufsätze, bei denen ich mir viel Mühe gebe, meine gedankliche Dynamik in Worte zu fassen. Der Unterschied zu früher (also zu Schulzeiten) ist nur, ich kann mich nicht darauf verlassen, dass jemand den Part der Lehrerin übernimmt, die sich das in Ruhe durchliest und Anmerkungen dazu macht. Und mir eine Note gibt. Das hätte ich eigentlich ganz gerne, einen dynamischen gedanklichen Ausstausch, aber das ist offenbar zu viel verlangt, der Anspruch von mir ist eindeutig zu hoch. Natürlich finde ich es schade, dass ich das Gefühl habe, mit großer Gewissenhaftigkeit an meine aufwändigen Aufsätze ranzugehen (ich rede jetzt nicht unbedingt von diesen kleineren Äußerungen zwischendurch, das geht ruckzuck, meine Gedanken rotieren sowieso immer turbomäßig) aber keine auf ähnlichem Level rotierenden Leser zu haben. Bzw. gibt es zwar welche, die den Intellekt durchaus hätten, aber sich dann nicht an einem Kommentar abarbeiten wollen. Und sei es nur "ich verfolge das mit Interesse, habe aber das Gefühl, keinen ebenbürtigen Kommentar formulieren zu können". Ein bißchen beleidigt bin ich da auch schon, gebe ich zu, da ich ja nun bei einem Blick in die Zugriffszahlen sehe, dass es durchaus gelesen wird. Ich merke, ich muss gerade sehr aufpassen, dass ich nicht überheblich werde.

Das fängt schon da an, dass sich mir die Haare bei dem Beispiel sträuben, den Sie oben anführten. Von wegen, manche könnten eben so toll schreiben, dass sie auch über einen Furz bloggen könnten. Lassen Sie mal die Kirche im Dorf. Es wird bereits über den Furz gebloggt. Und nicht auf sensationellem literarischen Niveau. Man muss sich eben auch bei den Lesern entscheiden: will man Klatschvieh, schreibt man am besten gut verdaulichen Durchschnitt. Wenn der Fokus nicht auf intensivem Grundrauschen in Form von Plapper-Feedback liegt, kann man sich überlegen, ob man sich originärem Denken und dessen Formulierung verschreibt, aber auf quantitaves Feedback verzichtet.

Ja, die kleinen Heimaten. So ist es.

- Ende des Kommentars -

16. November 2011



Wieso denn jetzt noch mehr Bilder von einer Glocke? Eine berechtigte, leicht zu beantwortende Frage. Wie man unschwer erkennen kann, hängt sie nicht im Turm. Das gewaltige, 4,28 Meter hohe Teil steht auf dem Kleinen Marchhof und ist gesprungen, als der Turm 1947 durch die britischen Streitkräfte gesprengt wurde. Bei Wikipedia heißt es, der Turm brannte und war vom Einsturz bedroht, daher die Sprengung. Wir sehen also den Wiederaufbau des Glockenturms, und eine Kopie der Glocke, nicht das Original. Es ist doch wirklich gut, wenn man Bilder macht, die man dann zuhause auf sich wirken lassen kann. Mir fiel jetzt erst, wo ich die Bilder in Ruhe betrachtete auf, dass die zweite Version der Glocke im Turm gar keine Replik ist. Die Beschriftung sieht völlig anders aus, keine Fraktur. An der Stelle wo bei der originalen Glocke die Hakenkreuze waren, ist bei der neuen Glocke nichts. Verständlich. Sogar auf der alten Glocke wurden die kleinen Hakenkreuze am unteren Rand leicht gemorpht. Ich habe auch kein Eichblatt mehr auf der neuen Glocke gesehen. Und der Adler sieht anders aus. Ganz anders. Auf der neuen Glocke ist der Adler, wie man ihn von den alten Fünfmark-Stücken kannte. Ähnlich dem, der heutzutage im Bundestag hängt. Der Adler auf der alten Glocke gefällt mir besser, er ist schlichter, archaischer. Ich meine nicht, wofür er damals herhielt, sondern die reine Silhouette und sein Ausdruck.



Ich mag Adler sehr gerne und bedaure, dass so viele Menschen damit schnöden Idioten-Nationalismus in Verbindung bringen. Das hat er nicht verdient. Der Adler hat mich schon einmal beschäftigt, zur Fußball-Weltmeisterschaft 2006, als in Berlin und auch überall sonst in Deutschland die beinah gesamte Bevölkerung im WM-Fieber war. Ein bunter Tanz aller Kulturen, die S-Bahn gefüllt mit trommelnden Fans aus aller Herren Länder, mit bunter Kriegsbemalung in ihren jeweiligen Landesfarben auf der Backe. Und die deutschen Gastgeber genauso bunt bemalt in ihren drei Farben, mittendrin. Ein großes fröhliches Fest. Die reinste Love Parade. Und da fing ich an zu bedauern, dass es keine coolen T-Shirts mit einem sexy Adler darauf gibt. Das wäre ganz nach meinem Geschmack gewesen. Man ist ja schließlich auch wer und hat einen Vogel. In dem Blogeintrag von damals sieht man ein selber entworfenes Shirt, das leider nie gedruckt wurde, weil ich keine online-Anbieter fand, die preisgünstig ein freigewähltes weißes Motiv auf Schwarz drucken konnten. Umgekehrt wäre einfach gewesen, aber ich wollte Weiß auf Schwarz! Ich hatte mir sogar eine Schablone gebastelt, in Originalgröße, um zu testen, wie es aussehen würde. Für mich war die Assoziation eher die eines grandiosen, unwiderstehlich kraftvollen Totems. Na gut, das war er für die Idioten früher auch. Aber ich meinte mehr im Geiste von Indianer spielen. Aber nicht kindermäßig, sondern cool wie Lenny Kravitz, kombiniert mit schwarzem Leder, Damals nahm ich den modernen Adler zur Vorlage. Den alten hätte ich mich nicht getraut, obwohl er schöner ist. Wer will schon für einen Nazi gehalten werden. Ich bestimmt nicht. Aber das würde man vielleicht auch mit dem neuen Adler auf der Brust. Na ja, Schwamm drüber. Aber ich finde die Idee immer noch ganz gut.



Wie schrieb ich damals so schön: "den Nazi-Deppen den Adler entreißen". Die vergewaltigten Elemente und Symbole in einen neuen Kontext bringen. Oder in den ursprünglichen. Den sie vor dieser Ära der Gewalt und Menschenverachtung hatten. Das gilt natürlich auch für das sogenannte Hakenkreuz. Das alte Sonnensymbol, das Sonnenrad, das weiß Gott keine Erfindung der Nazis war, aber das weiß man ja heutzutage selbst mit Minimalbildung, dass die Swastika aus einem völlig anderen Kontext kommt. Wir werden sicher nicht mehr erleben, dass diese Symbole die unbefleckte Unschuld zurückerhalten, die sie verdienen. Vielleicht in fünfhundert oder tausend Jahren. Nicht, dass mich das zutiefst bekümmern würde, oder ich eine Sehnsucht hätte, diese Rune zu kritzeln. Dennoch ist es der Verlust der Gebrauchsmöglichkeit von Details unserer archaischen Herkunft. Das ist nur eine Erklärung, wieso ich mich so ungeniert vor diesem Adler zeige. Eigentlich ist es mein Adler. Ich erhebe Besitzanspruch. Mein Adler ist ein guter, kraftvoller Adler mit Weitblick, Weisheit und Verstand. Finger weg, Alt- und Neo-Nazis.

16. November 2011

Siebenundsiebzig Komma Siebzehn Meter. Das klingt nicht so sensationell hoch, aber schön. Ich also rauf auf den mir bis dato unbekannten Glockenturm, der wie ein Riesenschornstein aus der Langemarckhalle wächst. Berlin hat eine Reihe Aussichtspunkte. Den Grunewaldturm, den ich nur von unten kenne. Den Fernsehturm natürlich. War ich oben. Den Funkturm? Kann man da überhaupt rauf? War ich auch noch nicht. Den Müggelturm. War ich vor zwei Jahren. Die Kantine vom sogenannten "Steglitzer Kreisel", dem Bezirksamt von Steglitz. Ein 27 Etagen hoher kleiner Wolkenkratzer, in dem mir beide Male leicht schwindelig wurde im Fahrstuhl, nicht wegen der Aussicht, sondern wegen des veränderten Luftdrucks. Man musste schlucken, wie manchmal im Flieger. In die Kantine konnte ja jeder rein, hatte mir mal jemand verraten. Hat keiner kontrolliert. War ja vielleicht auch völlig erlaubt.



Aber wir sind ja beim Glockenturm am Olympiastadion, der von außen nun wirklich keine bemerkenswerte Architektur aufweist. Halt ein viereckiger Turm. Man nimmt den gläsernen Fahrstuhl, bis es nicht weiter geht und zur Aussichtsplattform muß man eine recht schmale Treppe hoch, ein bißchen gefährlich, wie meistens bei der obersten Etage von Türmen. Ich bin zum Glück nicht gehbehindert und hatte keine Probleme mit dem Aufstieg. Zum Glück schreibe ich deswegen, weil es mir sehr bewusst wurde beim Hochgehen, was für ein Glück das ist. Die letzten zwei Meter der Treppe nach oben musste ich nämlich eine ganze Weile in die Ecke an die Wand gedrückt innehalten, bis ein vor mir mehr stehender als gehender junger Mann oben angelangt war. Es gab keinen Spielraum, um mich gefahrlos an ihm vorbeizubewegen. Ich schätze ihn Mitte Zwanzig. Er wurde begleitet, ja geleitet und fest gehalten. Mit unübersehbarem Kraftaufwand. Eine junge Frau gab ihm Anleitungen, sagte ihm, ob er sich mit den Füßen an der Kante einer Stufe befindet und hielt ihn mit all ihrer Kraft. Er stand nicht aufrecht, aber versuchte sich so gut wie möglich in voller Länge aufzurichten, offenkundig hauptsächlich mit der Kraft seiner Arme. Ich sah das Zittern der Muskeln seiner Hand und der Unterarme. Und die Anspannung der jungen Frau, die all ihre Kraft aufbrachte. Es sah gefährlich aus. Ich war hin- und hergerissen zwischen Befürchtung und Bewunderung. Ein riskantes, beinah akrobatisches Unterfangen. Die junge Frau signalisierte, dass sie keine Hilfe brauchen konnte, ich hatte ihr einen fragenden Blick zugeworfen. Ein falscher ungeübter Handgriff meinerseits hätte die Sache offenkundig noch gefährlicher gemacht. Womöglich hätte ich ihm den Arm verdreht und ihm eher weh getan als geholfen. Ich begriff gar nicht vollständig, welche Behinderung er genau hatte. Ich dachte an schwere motorische Störungen und Muskelschwund. Ich stand gefühlte zehn Minuten auf dem engen Treppenabsatz, dicht an die Wand des Turms gedrückt um möglichst wenig Platz einzunehmen und sah ehrfürchtig gebannt zu. Was für ein Kraftakt. Dann öffnete die Frau die schwere Eisentür zur Plattform, sie war die ganze Zeit zu, weil er den Griff der Tür zum Festhalten und zum nach oben Ziehen brauchte. Der Weg war wieder frei. Ich brauchte für den Weg, den er in zehn Minuten zurücklegte, zehn Sekunden.




Oben ließ ich mich vom Wind durchpusten und sah die Waldbühne zum ersten Mal von oben. Und das Olympiastadion natürlich. Schon schön, das nach einem guten Vierteljahrhundert in Berlin mal gesehen zu haben. Und die jagenden Wolken. Und die komische Antenne da. Wofür die wohl gut ist. Die Mütze flog mir gleich vom Kopf und wehte in eine andere Ecke der Plattform. Ich fing sie wieder ein und klemmte sie mir unter den Arm. Der junge Mann mit der Gehbehinderung und die Frau waren nur recht kurz oben, weil sie es wahrscheinlich auch kräftemäßig nicht übertreiben konnten. Ich war ein ganzes Weilchen oben und vergaß ein bißchen die Zeit. Bestimmt eine Viertelstunde. Bis auf einen kleinen Jungen war da niemand. Dann hatte ich alle Eindrücke fest im Gedächtnis, im Herzen und der Kamera und machte mich auf den Rückweg. Der junge Mann und seine Helferin hatten es noch nicht ganz die Treppe herunter geschafft, aber fast. Da sah ich den Rollstuhl. Sie half ihm in den Rollstuhl, der am Treppenende wartete. Da begriff ich erst, dass der junge Mann nicht gehbehindert, sondern gelähmt war. Deshalb sah es aus, als ob die Füße bei seinem Bemühen sich fortzubewegen, nur passiv der Richtung folgen, die er sich mit seinen Armen erarbeitete. Ich war noch tiefer beeindruckt als ohnehin schon. Mir war nach Lachen und Weinen zugleich, aufgewühlt wartete ich auf den Fahrstuhl nach unten. Es rotierte in meinem Kopf. Weil es keinen behindertengerechten Zugang zur Aussichtsplattform gab, hatte er seine Helferin dazu gebracht, den riskanten Aufstieg durch die Kraft seiner Arme zu wagen, um in den Genuss dieses Ausblickes über seine Heimatstadt Berlin zu kommen. Auf einen Aussichtsturm, dessen Bauherren Behinderte als unwertes Leben betrachtet hatten. Es rauschte in meinem Kopf. Die Ära ist vorbei.



Niemals wird irgendein Behinderter in diesem Land mehr ungestraft diskriminiert, gequält, verletzt oder umgebracht werden. Und ich habe zwei gesunde Beine, die mich Treppen aus eigener Kraft hochtragen. Was für ein ganz und gar unvergesslicher Nachmittag.

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