Super: in meinem Tageshoroskop steht, heute wäre ein guter Tag zum Heiraten. Venus Konjunktion Jupiter. 12:39 Uhr. Ich bin mir noch nicht ganz sicher, ob ich das in knapp zwölf Stunden schaffe.
Uiuiui. Die immer häufiger knittrig-geschwollene Augenpartie ließ sich unterwegs unter der Sonnenbrille verstecken. Aber was macht man drinnen? Saublödes Problem, vor allem diese unwägbaren Schwankungen des Zustandes. Ich hatte keinen blassen Schimmer, was ich verkehrt mache. Was für eine Scheisse! Der Unterschied zu jetzt fällt mir so richtig auf, wenn ich die Fotos von letztem Sonntag mit denen da und den folgenden vergleiche. Zum Glück war das Elend reparabel. Von dem schlimmsten Zustand, der erst eingetreten ist, nachdem ich mit der Fotosache am Ende war, gibt es zum Glück keine Bilder. Selbst drei Schichten Make up konnten am Ende nichts mehr ausrichten. Der blanke Horror!
Noch den Tag darauf stark erholungsbedürftig. Da versuchte sich wohl jemand hinter dickem Augen-Make up ein bißchen im Blätterwald zu verstecken, an diesem feierlichen dritten Oktober.
An den Tag erinnere ich mich jetzt nicht so richtig gerne. Der war anstrengend, wegen dem Hin- und Hergegurke nach und von Dings, wo ich eigentlich nicht dringend hinwollte. Deswegen gucke ich auf der letzten, der sehr wenigen Aufnahmen auch äußerst skeptisch.
"(...) Über meinen gestrigen Ausflug mit Hin- und Rückflug nach Dings möchte ich eigentlich heute nichts weiter schreiben. Außer dass ich nach dem Heimkommen dermaßen müde war, dass ich gleich ins Bett gekippt bin, zack, weg war ich. Und ich bin schon kurz nach Neun wieder zurückgewesen. Fotos habe ich gestern fast gar keine gemacht. Schon nach der Arie vor dem Kleiderschrank hat der Akku zu blinken angefangen und die Kamera hat sich ausgeschaltet. Erfahrungsgemäß berappeln sich die Akkubatterien nach einer Weile wieder und geben noch zwei bis fünf Fotos her, manchmal auch mehr. Ich hätte zwar noch Zeit gehabt, meine anderen geladenen Akkus mitzunehmen, aber ich war schlichtweg zu faul zum Suchen und so wichtig war es auch nicht. Unterwegs habe ich es dann geschafft, noch drei Bilder an einer U-Bahn-Haltestelle zu machen, ich hatte gerade mal zwei Minuten Zeit. Zwei davon habe ich wieder weggeschmissen. Später beim Warten auf den Rückflug hätte ich gerne noch eins gemacht, da war ein interessanter Hintergrund in der Abfertigungshalle, aber es gab keinen Saft mehr, finitio. Beim Take off und den ersten Minuten vom Hinflug war schönes gleißendes Sonnenlicht auf der Tragfläche, als ich aus dem Fenster geguckt habe. Aber die Kamera war oben im Fach, Klappe zu und neben mir war der Platz belegt. Ich wollte nicht herumturnen. Normalerweise hätte ich meine Tasche mit der Kamera unten auf dem Boden vor dem Sitz vor mir gehabt, aber ich hatte den Exit-Platz, wo man nichts auf den Boden stellen darf. Der junge Mann hatte mich beim Einchecken falsch verstanden. "Fenster oder Gang?" "Fenster und wenn es geht, ein Platz mit Beinfreiheit, von mir aus gerne den Exit". Bei manchen Fliegern ist vor dem Exit keine weitere Reihe sondern mehr Platz, das meinte ich eigentlich. In dem Flieger war das leider nicht der Fall. Aber es ging ja nur um eine gute Stunde in der Luft. Auf dem Rückflug war es dann aber richtig eng, alle Plätze belegt. Offensichtlich wollten mehr Menschen von da nach Berlin als andersrum. Der Bustransfer vom Flughafen zum Ort und umgekehrt kam mir auch noch so lang vor, dass mir das Ganze Herumgegurke gestern wie Schwerstarbeit erschienen ist. Die Zeit wollte nicht vergehen und ich war zu müde zum Lesen. Es gab im Flieger unter anderem den Rolling Stone umsonst, ich hab mir einen genommen. Was für langweilige Reportagen. Ein kurzes Interview mit John Cale, aus dem der Reporter rein gar nicht Erwähnenswertes herausgeholt hat. Was für ein lahmes Geschreibsel, aber durchgängig. Ein Glück, dass ich dafür nichts bezahlt habe, kostet über fünf Euro das Heft. In meinem Keith Richards-Buch hab ich erst bei der Landung kurz vor Berlin noch ein bißchen gelesen, vorher die ganze Zeit einfach zu müde, in den steifen Wartesitzen gehangen und durch die große Fensterfront in die untergehende Sonne und die Flieger geblinzelt. Das klingt poetischer als es war. Eis gegessen, so ein Eis am Stiel aus dem Automaten. Mövenpick Mandel, eigentlich wie Magnum, zwei Euro. Ich hatte auch noch Schokolade, einen Apfel und meinen Flachmann mit Williamsbrand dabei. Im Flieger habe ich nur schwarzen Kaffee getrunken. Komisch, heute so leicht geschwollene Augen, aber nicht vom Williamsbrand, dafür war es zu wenig. Ob das was mit dem Fliegen zu tun hat? Habe mir gerade mit schwarzem Tee getränkte Tempo-Taschentücher auf die Augendeckel gelegt (...)"
Finde ich im Nachinein interessant, dass sich damals massive Histamin-Symptome gezeigt haben, die ich seinerzeit noch nicht erkennen konnte, weil mir der heutige Bildungsstand gefehlt hat. Zum Mittag gab es als Verköstigung irgendwelche Wraps, von denen ich die Finger gelassen habe, dafür drei Teller Tomatensuppe. Und in dem Magnum-artigen Mövenpick-Eis waren Nüsse drin und Schokolade drumherum, darauf noch extra dunkle Schokolade aus dem Proviant und darüber noch ordentlich Obstler aus dem Flachmann gekippt, schon war die explosive Mischung perfekt. Und ich verdächtigte die Klimaverhältnisse im Flugzeug. Schon interessant, das jetzt noch mal zu lesen. Was ich ja nicht geschrieben habe war, dass mein Hals auch total gejuckt hat. Wie neulich, wo es dann zum Äußersten gekommen ist. Seither nix mehr gehabt, immer brav gewesen. Außer ein einziges mal, vor gut einer Woche, da habe ich eine Dose Pfifferlinge in die Pfanne gehauen, das hat sich bereits nach zwei Stunden böse gerächt. Um die Augen hat es wieder zu kribbeln angefangen und am nächsten Tag rundherum leicht verschwollen. Ich hatte aber noch von neulich Tabletten (Telfast) übrig und eine eingeschmissen. Alles gut. Keine Konservenbüchsen mehr in meinem Haushalt!
Das war vor genau acht Monaten, am ersten Oktober. Den dunkelbraunen Baumwoll-Rollkragenpullover wieder hervorgeholt. Aus der Wäschetruhe im Badezimmer. Nein, da ist keine Wäsche, die gewaschen werden muss, drin. Ich habe so einen Hocker mit Klappdeckel, der eigentlich eine Wäschetruhe ist, da sind meine ganzen Pullover für die kalte Jahreszeit drin, alles mit Rollkragen, dünnere und richtig dicke, bis zum Norwegerpullover und auch meine Schals. Alle Schals sind flauschig, die meisten aus Flanell oder aus intelligenten Fasern. Der allerweichste ist ein mysteriöses Gewebe aus dem Labor von Jack Wolfskin und sieht aus wie samtiger schwarzer Teddystoff. Der absolute Superflausch! Flauschig ist wichtig, ich bin da empfindlich. Reine Wolle auf der Haut halte ich nicht aus, da muss dann unbedingt ein langärmliges weiches Baumwollshirt drunter, anders geht es nun einmal nicht!
Roswitha hat einen eigenen Eintrag verdient. Warum stehe ich so explizit vor diesem Bild, dem Portrait von Roswitha Hecke? Selbst ist die Frau. Mein Herzenswunsch wäre gewesen, dass Roswitha und ich in der Ausstellung nebeneinander hängen. Es gab verschiedene Überlegungen, Variationen der Hängung, einmal war Baselitz neben mir, das war sehr gut, auch Francesco Clemente. Dann wurde es Michael Cullen, aber ich schielte immer noch hinüber zu Roswitha, die für mein Gefühl viel zu weit entfernt von mir landete, gegenüber, links, am Durchgang zu den Privaträumen der Galerie. Ich hatte nicht das letzte Wort, natürlich war es Jans Entscheidung. Ich erwähnte es rebellierend - aber keine Chance. Na gut. Gerade fällt mir auf, dass der Platz meines Bildes nie diskutiert wurde, ein guter Platz. Nein, natürlich ist Michael Cullen auch ein ehrenvoller Nachbar, aber ich dachte an eine mögliche innere Beziehung der Bilder. Die gab es bei den großen Abzügen nur zwischen ihr und mir. Michael Cullen habe ich vorher nie getroffen. Erst bei der Ausstellungseröffnung, wo man irgendwie handsome miteinander war, aber ohne intensivere Beschäftigung.
Aber Roswitha. Roswitha Hecke. Wir trafen uns eigentlich beiläufig bei ihrer Ausstellungseröffnung, etwa Zweitausendacht, wo eben auch Jans Portrait von ihr entstand, bei Anna Augstein (...), die sich damals noch eine Galerie in Berlin, in der Fasanenstraße leistete, und wir mochten uns sofort. Die ganze Konversation bestand im Grunde aus nichts als haltlosem Gestammel berauschter Superlative. Ich habe sie gesehen und war absorbiert. Von ihrem Charisma, ihrer erotischen Kraft, ihrer Wachheit und Konzentration, ihrer Impulsivität. Dieses Kaliber auf Augenhöhe mit Zadek und Wolf Wondratschek. Keine Frage. Und sie mochte mich ebenso. Die Wahrnehmung der erotischen Kraft einer Frau, ohne sich ihrer bedienen zu wollen. Ich habe sie seitdem nicht mehr getroffen, aber kann nicht anders, als sie in hervorragender Erinnerung zu behalten. Und das nächste Mal, lieber Jan, wenn dein schönes Buch kommt, hänge ich neben Roswitha. Du wirst es sehen. Das wird gut. Richtig gut. Weil es genau so richtig ist.