20. Juni 2012

[...]



In die Dämmerung. Zwischen Bebelplatz und Unter den Linden, an der mit dem großen Schinkelposter verhängten Bauakademie vorbei, gleich um die Ecke von der Friedrichswerderschen Kirche, Blick nach rechts die Kuppel vom Französischen Dom und der Hedwigskathedrale. Alles schön beieinander im Schattenriss. Auch auf der großen Skulptur an seinem Schinkelplatz wirkt er jugendlich. Er ist auch nicht so sehr alt geworden. Sechzig Jahre und ein paar Monate. Achtundzwanzig Jahre nach seinem Tod, 1869 hat man den Platz nach ihm umbenannt und sein Bildnis aufgestellt. Ich denke nur laut. Nur so für mich. Nach dem gleißenden Licht des Nachmittags wurden die Farben matter und zogen sich langsam zurück in ihr abendliches Versteck. Ich machte mich schnurstracks zurück auf den Weg nach Hause, zu Fuß. Der kürzeste Weg ist immer Unter den Linden entlang. Da hab ich auch noch ein paar Bilder, quer links durch das kleine Straßenlabyrinth zum Scheunenviertel, heim in mein kleines Nest.



Du selbst wohl magst in heitrer Festlichkeit
Der Frucht und Blumen Schnur mit Band umschlingen,
Und so vom Turme hin zum Turme schwingen
Den himmelfrohen Blicken zum Geleit,
Wenn des Momentes kühne Heiterkeit
Von Gipfeln hin zu Gipfeln möchte springen,
Und nach der Vögel Lied in Blumenringen
Sich schaukeln schwebend überm Erdenstreit.

So sei hinüber dann zu Dir gekreist
Mein Liederband von einem Gipfel ab,
Dess' Lavastrom die Rinde überm Grab
Erstarrter Mitwelt oft Dir aufgeeist.
Sei treu begrüßt Du nie erschöpfter Geist,
Dem das Verhältnis seinen Meisterstab,
Das Unermeßliche zu messen, gab,
Daß Ew'ges sich in Grenzen schön erweist.

Indessen ein Philister stolz verblüfft
Durch aufgesteiften Leichnam des Vitruv,
Von seines ausgestopften Schulpferds Huf
Sich Hippokrene leckt, Karnieschen knifft,
Bist Du mit Orpheus glaubend eingeschifft,
Und wie in Klangfiguren Schöpferruf,
Wie im Kristall der Ton Gestalt sich schuf,
So Saitenklang in Deine Seele trifft.

Gehst Du jetzt wohl an meines Görres Hand,
Dem Liebe hier im Liede Dich gefügt,
Wo ernst der Rhein berauschte Ufer pflügt
Längs alter Tempel schicksalsvollem Rand,
Und malst ihm meisterlich in feuchten Sand
Mit leichtem Stabe, dessen Zug nicht trügt,
Ein Dombild hin, dem nicht die Zeit genügt,
Noch Dir, der es erfand, ihm, der's verstand.

Dann denke, daß zuerst er einst gedacht,
Zuerst gesagt: Architektura ist
Erstarrte Musika, die Maß ermißt;
Worüber die Philister dumm gelacht,
Und lieb' ihn drum, sahst Du in stumme Nacht
Die Kunst doch auch verbaut durch Formgenist,
Bis Saitenklang Dir brach das Schulgerüst,
Ausstrahlend vom Gesetz zu Zier und Pracht.

Ich weiß, Grundtöne führen Dir den Plan
Und Harmonieen wiegen Dir ihn aus
Und Melodieen treiben bis zum Strauß
Des Gipfels Dir die Linien hinan,
Kein Zug läuft eigenwillig seine Bahn,
Und macht auf eigne Hand sich blumenkraus,
Du pflanzest nicht auf tolles Formgebraus,
Nein auf organ'sche Gipfel nur den Hahn.

O zürne nicht, daß ich Dich auf die Zinnen
Der Tempel führe, die im Geist Du bauest,
Und unermüdlich gut der Zeit vertrauest,
Ob einmal wohl ihr Großes geh' zu Sinnen;
Es ist um Dir die Aussicht zu gewinnen,
Wo Du der Erde Hoffnungsgrün erschauest
Und Trost des blauen Himmels niedertauest
Zu Bildern schöner Kunstzeit auf die Linnen.

Doch ach die liebe Zeit! mit Wortposaunen
Bläst sie Dein Bild des Griechenlebens an,
Und bleckt bei dem Gewitterdom den Zahn,
Wahrhaftig schön, altdeutsch, recht zum Erstaunen!
Doch Kritiker hört man ins Ohr sich raunen:
Phantastische Prospekte, nicht viel dran,
Im Kolorit hat er noch nichts getan,
Sein Blau will grauen nicht, sein Grün nicht braunen.

Auch hör' von Tempelspatzen, Heidenküstern,
Von Krähen in Metopenschädeln nistend,
Ihr Leben an Triglyphentropfen fristend
Ob got'scher Barbarei ich rings ein Flüstern;
Doch keiner ist zu griech'schem Wettbau lüstern,
Du schütteltest sonst kräftig, überlistend
Die Herrn im Atheistenstalle mistend,
Die Säulen Samson über den Philistern.

Ursprünglich springt wie Griechen Dir Erfindung,
Dorisch wird Manneskraft Dir wie den Alten,
Und jonisch siehst Du Frauenanmut walten,
Volute in der Locken Schneckenwindung,
Den Wulst in vollen Haarschmucks Unterbindung,
Des Schaftes Hohlstreif in Gewandes Falten;
Korinthisch hohe Zier rein zu gestalten,
Giebt jungfräuliche Schlankheit Dir Empfindung.

Die Mythe, die korinth'schem Säulenhaupt
Durch fromme Liebe schönes Leben gab,
Die Freundin lebt, Akanthus auf dem Grab
Der Jungfrau ihren Fruchtkorb noch umlaubt,
Kallimachus auch Du! kein dürrer Stab
Ist Dir der Meßstock; grün und vollbetraubt
Schwingst Du als Thyrsus ihn. Es grünt, wer glaubt,
Die dürren schnitt der Herr zum Feuer ab.
...................................................................

Hier brech' ich ab. Ich hatte hingerissen
Wohl funfzig solcher Strophen Dir gesungen,
Von Deinen Leiden und Begeisterungen,
Domidealen und Realkulissen,
Scheinlauter Zeit kleinlauten Hindernissen.

Was Du in Dir und außer Dir errungen,
Was Dir gelungen, was Du überschwungen,
Das sagt' ich dort nach Wissen und Gewissen.
Doch hier schien allzuernst mir die Beschauung,
Um Dich bei Fahnenschwung und Trommelrühren
In lust'ge Zeltengassen einzuführen;
Wie leicht wär's um die ganze Auferbauung
Durch ein Hurra und Lippellied geschehen,
Drum nimm fürlieb auf ernstres Wiedersehen!


Clemens Brentano, An Schinkel*



*gemeinfrei

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