26. Juli 2010

11. Juni Zweitausendzehn. U-Bahn Samariterstraße. Kinzigstraße. Weserstraße. Kurz bevor ich die Jungstraße überqueren will sehe ich, dass ich nicht weiter in Richtung deiner Wohnung laufen muss, weil du mir schon entgegenkommst. Du hast dieses robuste dunkelbraune Baumwollhemd an, das dir so gut steht und du eher selten trägst. Ich hab auch was Braunes an, auch eher selten, als hätten wir uns verabredet.

Wir sind verabredet, einen neuen möglichen Proberaum anzugucken. Im ehemaligen Funkhaus der DDR in der Nalepastraße. Man kann dort jetzt Proberäume mieten. Die Akustik im ehemaligen Großen Sendesaal soll so hervorragend sein, dass er schon von Sting und den Black Eyed Peas für Aufnahmen gebucht wurde. Bevor es losgeht, treffen wir Sebastian, den neuen Booker für die Gigs im Osten. Über ihn kam die Connection, er ist auch Drummer und ist bereits mit seiner Band Mieter in der Nalepastraße. Ein Café in der Kinzigstraße. Ein bißchen Kennenlernen. Wir sitzen nebeneinander auf der Bank, draußen. Ich spüre deine Wärme. Du stellst mich als diejenige vor, die u. a. auch die Bandfotos machen wird. Cappuccino. Dein Tabak.

Aber vielleicht hab ich auch gar nicht geraucht. Wenn du anfängst, krieg ich immer Lust. Alleine rauche ich nie. Das war früher, in meiner Jugend. Da hab ich mir immer Tabak gekauft und gedreht. Alles Mögliche. Samson, Drum, Old Holborn, später härtere Sorten. Schwarzer Krauser, Gauloises. In meinem Zimmer unterm Dach aus dem Fenster geraucht. Und auf Schulhöfen. Waldlichtungen. In Diskotheken. Bei Konzerten... irgendwann hab ich erkannt, dass ich eigentlich nur eine Gesellschaftsraucherin bin, das Ritual mag, ja auch den Geschmack der ersten drei Züge. Dreimal im Jahr kauf ich mir selbst eine Schachtel, meistens rauche ich die Zigaretten meiner Begleitung. Meiner Lunge geht es gut, meine Verabredungen mit Rauchern sind überschaubar geworden.

Man fährt eine ganze Weile dahin, zum Funkhaus. Proberäume, zumal mit Fenstern sollten ja immer ein bißchen abgeschieden liegen. Auch wenn die Schallisolierung gut ist. Den Luxus eines Proberaumes mit einem Fenster, das sich auch öffnen lässt, ab und zu auskosten. Das Gelände ist gut bewacht, man kommt nicht ohne Weiteres in das Funkhaus, muss angeben, in welche Raumnummer man will. Unserer ist in der siebten Etage. Wieso schreib ich eigentlich 'unserer'. Nicht meiner. Ich werde dort ja kaum proben. Identifikation.



Cosmic hat seine neue Kamera dabei. Er hat sich die gleiche wie ich gekauft, er hatte sie mal in der Hand und sie gefiel ihm. Was bislang bei keiner anderern Digitalkamera der Fall war. Er hat früher viel und gut fotografiert, analog. In seinem Jahr in Kalifornien hat er sogar irgendeinen Preis für ein Foto gewonnen, hat er mir erzählt. Die wenigen alten Bilder die ich sah, waren tatsächlich gut. Eine mir vertraute Sichtweise auf die Dinge. Subtil. Klar und irgendwie traumhaft, surreal. Als er mir entgegenkam, in der Weserstraße, mit hochgehaltener Kamera, drehte ich mich um, weil mir nicht nach fotografiert werden war. Er lachte, weil ich mich so zierte. Später hat er mich doch ein paar mal erwischt. Ich bin da sehr scheu. Auf einigen Bildern sieht er erschöpft aus, so empfand ich ihn gar nicht. Es war wohl das harte Licht an dem Fenster. Von mir ist ein Bild dabei, auf dem ich zufrieden in die Welt lächle. Man könnte denken, ich wäre ein zutiefst ausgeglichener Mensch, der in seiner Mitte ruht. Verückt. Dabei ist Cosmic derjenige von uns beiden, der meditiert und gute Gedanken hegt und pflegt. Ich bin dagegen ein Monster. Eigentlich müsste er gucken wie ich und umgekehrt. Verkehrte Welt. Verrückt. Ein Freund von Sebastian war noch dabei und dessen Gefährtin. Ich kannte ihn gar nicht, aber diese Jägermeisterfahne im Hintergrund und seine Tattoos gefielen mir. Das sieht alles so ein bißchen verhauen aus. Wie das eben muss, bei so Proberäumen von Rockbands. Der Raum ist ganz gut und hat Fenster. Auf einer Scheibe klebt ein Stones-Sticker. Micks Zunge. Diese Ikone. Das Kreuz der Christen, Coca Cola und diese Zunge. Die drei größten Ikonen der Welt. Wir sehen uns noch ein bißchen das Gelände an, die Sonne geht schon unter. Seltsame Hinterlassenschaften, ein gepolsterter Stuhl im Nirwana.



Das Funkhaus liegt an der Spree, ein paar Fußballfans haben einen kleinen Fernseher ins Gras gestellt und grillen und gucken WM. Auf einem breiten Grasstreifen am Wegesrand fängt sich das Abendlicht in den Grashalmen, ich würde mich am liebsten in das grün und gelb flirrende Wiesenbett legen, aber so romantisch ist die Umgebung dann auch wieder nicht. Da im Gras, da hätte man wirklich schöne Bilder machen können. Ein Herr von der Sicherheitszentrale kommt mir entgegen, ich habe meine Kamera in der Hand, er lächelt mich an, geht an mir vorbei. Fünfzig Meter hinter mir ist Cosmic, fokussiert den Schutt, mit der gleichen Kamera. Der Sicherheitsmensch geht an mir vorbei, auf ihn zu und teilt ihm mit, dass Fotografieren auf dem Gelände nur mit Genehmigung erlaubt sei, ob er eine hätte. Nein. Keiner von uns hat eine Genehmigung. Wir machen das einfach. Tut ja auch keinem weh. Wir fahren zurück, noch einmal in das Café von vorhin, ich trinke ein Astra, Cosmic bestellt in Experimentierlaune ein Starkbier, das ihm dann noch nicht schmeckt und netterweise zurückgenommen wird, gegen ein Helles getauscht. Sebastian erzählt, dass er von der Biographie des Typen fasziniert ist, der in den USA diese Wrestling Shows populär gemacht hat. Ich frage ihn, ob er die Biographie von Fritz Rau kennt. Er weiß gar nicht, wer das ist. Er ist noch so jung. Vielleicht Ende Zwanzig. Ich erkläre es ihm. Ja, das Buch interessiert ihn.

Wir haben Hunger. Landen in einem indischen Lokal, irgendwo da am Boxhagener Platz. Ich hatte eigentlich eine nette Einladung zum Grillen in Köpenick, aber das war uns zu weit. Ich wollte gerne irgendwohin, wo wir noch nicht waren. Also dieser Inder da, warum nicht. Ich stelle wieder einmal fest, dass mir in indischen Lokalen meistens nur dieses aufgeplusterte Brot so richtig schmeckt. Alles andere ist mir zu pampig, zu einerlei. Ich bin auch ein bißchen pampig. Der trocken bezeichnete Wein ist so lieblich, dass ich ihn in hohem Bogen auf das Kopfsteinpflaster schütte. Bestelle einen Riesling hinterher. Geht einigermaßen. Ein Abend, an dem ich auf Krawall gebürstet war, könnte man denken. Aber es stimmt nicht. Ich hab ein paar Dinge ausgesprochen, die ich sonst aus Diplomatie für mich behalte. Man weiß ja, dass man ein sensibles Gegenüber hat. Ich weiß das. Aber es gibt einen Punkt, wo unter den Teppich kehren, die Qualität von Unwahrheit bekommt. An diesem Abend hab ich ein paar Staubmäuse hervorgeholt. Ich weiß nicht mehr, ob du wirklich wütend warst, aber ich erinnere mich, dass du anschließend glaubtest, dich sehr entschuldigen zu müssen, weil du so 'böse' zu mir warst. Ach. Ich verstand deine Reaktion. Angemessen, über meine Statements zuweilen in Verzweiflung zu geraten. Aber wir gingen nicht im Bösen auseinander, an diesem Abend. Das weiß ich auch noch. Es tat uns beiden leid. Das Leid Tun.


[ Bilder ]

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