26. Januar 2010



Einst war ich verliebt in ein Gefühl aus der Vergangenheit. Ich war unsicher, ob das Gefühl zeitlos sei, die Liebe der Erinnerung galt oder der Gegenwart. Oder nur der schimmernden* Idee, die Gegenwart mit dem Gefühl der Erinnerung zu verzaubern. So genau wollte ich es auch gar nicht wissen. Ich war für jeden Zauber bereit. Es gab gerade keinen Zauber in meiner Gegenwart. So griff ich nach der geschenkten, auf’s Neue belebten Vergangenheit, in der Hoffnung, den Zauber wiederzufinden. Ich hatte einen starken Willen, die Sache anzugehen und suchte so lange, in jedem Detail bis die Puzzleteile den alten Sinn ergaben und meine Vorstellung des erinnerten Gefühls möglichst dicht beseelten. Ich schwelgte in der scheinbar gelungenen Dramaturgie. Nur manchmal vergaß ich mich lückenlos zu erinnern und sah das Licht der Gegenwart durch den zarten milchweißen Vorhang schimmern. Ohne Verklärung. Der Zauber verflüchtigte sich dann immer ein bißchen, was ich verdrängte, ich sah dann einfach nicht so genau hin und erinnerte mich umso stärker an die ersehnte Anmut, die ich nur noch in Bruchstücken fand. Immer ein bißchen mehr, immer ein bißchen stärker musste ich mich erinnern, und irgendwann ertappte ich mich dabei. Eine Bö wehte den Schleier bei geöffnetem Fenster zur Seite und ich sah, was war. Ein Windstoß und noch einer. Bis ich merkte, es wäre zu mühevoll, immer wieder den Schleier der Vergangenheit vor das Fenster zu zerren, um die zerschlissenen, fadenscheinigen Stellen des alten Traumgewebes nicht zu sehen.

Ich hatte mich daran gewöhnt, dauernd die Erinnerung zu rufen. Die Gegenwart absichtlich zu übersehen, denn Sie passte nicht zu den übrigen Requisiten meines Stückes. Nur so funktionierte die Magie. Nach einer Weile vergaß ich, weil ich faul wurde, und es auch langsam mühselig wurde, mich dauernd an den Zauber zu erinnern und immer wieder Sternenstaub darüber zu streuen. Ich hatte keinen Sternenstaub mehr in meinem Köcher. Und erwachte. Ganz langsam. Schmerzhaft. Denn ich hatte mich nicht darum gekümmert, den Goldstaub der Gegenwart zu finden. Ich war in den Sternenstaub der Erinnerung verliebt, in mein erinnertes Gefühl, in das Licht, die Klänge und eine Silhouette, die es nicht mehr gab. In meine Jugend, die Aufbruchstimmung, obgleich sie bei Lichte besehen, farbloser war, und weniger Möglichkeiten barg, als ich mir eingestehen wollte, aber der Glaube war stark. Der Wille daran zu Glauben und sich so und nicht anders daran zu erinnern. In war verliebt in das erinnerte Leuchten. Die Hoffnung. Aber selbst in der Vergangenheit bestand das vermeintlich erinnerte Glück mehr aus Hoffnung denn Erleben. Das erinnerte Gefühl war wenig mehr als ein gehegter und gepflegter Wunsch aus der Vergangenheit.

Auf der dauernden Suche nach dem vergangenen Gefühl vergaß ich die Gegenwart. Ich wollte nichts genaues darüber wissen, denn die Vergangenheit war leichtfüßiger. Scheinbar unbelastet. Es war so leicht die Stolpersteine auf dem alten Weg zu vergessen. Doch die Gegenwart war wie ein stolzes Pferd und begehrte auf und zeigte mir seine Muskeln und wollte geritten werden. Sie war ein wilder Mustang und wollte Respekt vor dem ihr eigenen Zauber, der Anmut zu erlebender Gegenwart. Die Gegenwart wollte Gegenwärtigkeit. Das Begreifen, ehren und vergolden der gegenwärtigen Dinge. Als ich das verstand, sehr viel später, verstand ich den verlorenen Zauber. Er hatte sich auf den Weg gemacht. An einen anderen Ort. In eine andere Gegenwart, die nicht mehr meine war. Ich habe Frieden geschlossen, mit dem verlorenen Sternenstaub. Er hat seinen Platz in seiner Zeit, ist nur noch eine zarte Spur in einem Fotoalbum zwischen Bildbänden. Zarte leicht schimmernde Patina über alten Gefühlen. Aber man darf nicht daran reiben. Dann verfliegt er, der Zauberstaub. Pusten verboten. Das lebendige Herz will heftig atmen. Vibrieren. Den Zauber des Atems der eigenen Zeit. Jetzt.


*Adjektiv glänzend vermeidend
nanou - Di, 26. Jan, 21:37

immer jetzt!

nanou - Di, 26. Jan, 21:39

@ "heftig atmen"
dachte ich auch lange Zeit - jetzt ist das anders. Jetzt ist ein Zauber für mich im ruhigen (nicht minder intensivem) Atmen. das ist neu.
nanou - Di, 26. Jan, 21:45

Du hast so viel geschrieben ... da ist so viel drin ... und ich nahm einfach den Schluss um einen Anfang zu finden. Ich würde jetzt gerne eine Flasche von der Witwe mit dir trinken. Salute, Gaga!
g a g a - Di, 26. Jan, 21:51

Auch ein kraftvoller, beständiger ruhiger Atem, lässt den alten Sternenstaub nicht liegen. Das liegt an der Bewegung. Die Vergangenheit verträgt keine Bewegung und keine Regung, sonst transfomiert sie und wird damit Gegenwart. Der zarte Staub zerrinnt, verweht und fällt ins Jenseits. Nur wenn die Substanz aus purem Gold war, glänzt sie weiter, auch ohne Zauberstaub. Aber pures Gold glänzt durch alle Zeiten, verliert nie den Glanz und fließt ohne Zäsur in Gegenwart. Der Begriff Vergangenheit existiert in dem Fall gar nicht. Dann spricht man nicht von Vergangenheit und Gegenwart. Das nennt man Ewigkeit.
kid37 - Di, 26. Jan, 23:37

Sich nicht die Gegenwart an die Zukunft verhökern lassen, selbst nicht aus den Sparstrümpfen der Vergangenheit leben. Ist wirklich eine Kunst, wenn man gewohnt ist, immer einen weiten Blick zu üben. Das Präsente annehmen, wie ein Präsent eben. Richtig gut bin ich darin noch nicht, es ist schwer, die horizontale Zeichachse so wie die Vertikale der Blickrichtung: Nie nur anhimmelnd nach oben, nicht verächtlich nach unten. Das menschliche Maß aushalten lernen, das Gegenwärtige.

g a g a - Di, 26. Jan, 23:47

Ja.

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