17. November 2011

So ein Blog lässt sich ja auch wunderbar als Beichtstuhl benutzen. Macht man ja in wahrhaftiger Abgründigkeit so gut wie nie, wenn man ehrlich ist. Die kleinen Alltagsbekenntnisse, die man herausposaunt, sind meistens noch rational für andere nachvollziehbar und ethisch vertretbar. Ich habe mich soeben, obwohl ich nicht katholisch bin, im Badezimmer entschlossen, Beichte über ein abgründiges Tun meinerseits abzulegen.

BEICHTE:

Ich, Gaga Nielsen, verfolge seit circa einem halben Jahr drei Blogs, deren Schreiber mich nicht die Bohne interessieren. Ich missbrauche das akribische Studium ihrer Weblog-Einträge lediglich zur vergleichenden Analyse der möglichen Auswirkungen des laufenden Pluto-Transits. Da mir rein zufällig die Geburtsdaten zur Kenntnis kamen, als sie an anderer Stelle kommentierten, wurden sie zum Opfer einer Langzeitstudie meinerseits. Zum Teil sind mir die Schreiber oder ihre Einträge suspekt oder sogar unsympathisch. Ich lese ungeachtet dessen jeden Eintrag und Kommentar und verfolge zum Teil sogar deren Kommentartätigkeit an anderer Stelle, um zusätzliches Forschungsmaterial zur Verdichtung des jeweiligen Psychogramms zu bekommen. Zu diesen drei Weblogs kommen noch zwei Personen des öffentlichen Lebens, die mir ausgesprochen unsympathisch sind, aber ebenfalls die passende Konstellation im Geburtshoroskop aufweisen, um als Studienobjekt geeignet zu sein. Da diese beiden Personen der Öffentlichkeit in keinster Weise bloggen, bin ich auf das Studium ihrer biographischen Bewegungen durch Veröffentlichungen aus zweiter Hand, durch die Presse und in Foren angewiesen, wo diese Personen umfangreich stattfinden.

Nie im Leben käme ich auf die Idee, bei den von mir analysierten Bloggern einen Kommentar zu hinterlassen. Ich sitze ohnehin meist leicht genervt bis gelangweilt vor den mittelmäßigen Ergüssen, die vor blumigen Beschönigungen nur so strotzen. Die betreffenden Blogs bieten qualitativ einigermaßen vertretbares, wenn auch wenig aufschlussreiches Bildmaterial, aber glänzen vor allem in zwei Fällen durch systematisches Unter-den-Teppich-Kehren der vorhandenen eruptiven Vorgänge. Das Unterstellen eruptiver Vorgänge ist keine Phantasterei meinerseits, sondern tritt zu Tage, wenn man zwischen den Zeilen liest. Mich interessieren aber lediglich vorrangig diese plutonischen Bewegungen. Mal gibt es zwischendurch überraschend abgründige Offenbarungen, meistens andeutungsweise ("wenn ich darüber schreiben würde, was sonst noch bei mir los ist, ich kann euch sagen!) in Nebensätzen oder einem Kommentar, die in dem einen Fall dann auch gerne wieder nach einer gewissen Zeit gelöscht oder modifiziert werden, um das Prinzip der Darstellung einer erfolgreichen Lebensdynamik zu bedienen. Sehr interessant. Haarsträubend wird es immer dann, wenn die eine Person über Zukunftspläne spricht, in denen regelmäßig eine hanebüchene Selbstüberschätzung zu Tage tritt, was das vorhandene Talent anbelangt, das Voraussetzung zur Ausführung der Pläne wäre.

Durch diese Beobachtungen durfte ich auch lernen, dass es Bloggerkreise gibt, in denen Kommentartätigkeit zu 99 Prozent inhaltlich darin besteht, sich gegenseitig einen tollen Tag, eine tolle Woche oder ein tolles Wochenende zu wünschen. Tag für Tag, Woche für Woche, Wochenende für Wochenende. So kommen erstaunlich umfangreiche Kommentaraktivitäten- und stränge zustande. Für mich natürlich langweilig, aber wenn man wissenschaftlich arbeitet, bleibt es natürlich nicht aus, in der konkreten Feldforschung auch mit undynamischem Studienmaterial zu arbeiten. Und auch das ermöglicht wiederum eine langfristige, gefestigte Aussage über das Psychogramm.

Bei dem dritten Psychogramm anhand eines Weblogs handelt es sich eher um eine indirekte Studie des Geschriebenen. In dem Fall interessiert mich nicht die bloggende Person selbst, sondern die Darstellung der Beziehung zu einer relevanten (mir ebenfalls unbekannten und nur aufgrund des zufällig entdeckten Geburtsdatums gewählten) Nativität. Sprich: die Person, die als Beziehungspartner beschrieben wird und die Befindlichkeit der Beziehung spiegelt.

Zur Beruhigung: keines meiner Studienobjekte sind mir persönlich bekannte Blogger. Ich habe keinen davon getroffen oder bei ihm oder ihr kommentiert und bin auch in keinster Weise daran interessiert.

Über mein eigenes Psychogramm wollen wir doch an dieser Stelle lieber nicht sprechen. Ich habe selbstverständlich meine AbGründe.


ENDE DER BEICHTE.
kid37 - Do, 17. Nov, 16:15

Faszinierend. Ich wünsche Ihnen noch eine tolle Woche!

g a g a - Do, 17. Nov, 18:10

Ein Skorpion findet solcherlei obskures Tun natürlich naturgemäß faszinierend, anstatt mir ordnungsgemäß nach Abnahme der Beichte Schuld zuzusprechen, um mir gleich im Anschluss meine Sünden zu vergeben. Allerdings haben Sie natürlich recht in der Verweigerung der ausdrücklichen Absolution, da mir noch gar nicht zusteht, Vergebung zu erlangen, da ich ja nicht in Aussicht gestellt habe, nicht mehr dieser Art zu sündigen. Ein Dilemma! Ach, Scheiß drauf! Man muss auch mal über die Stränge schlagen und etwas wagen - im Dienste der Wissenschaft, damit sollte ich vollumfänglich entschuldigt sein. Ich habe auch eine wissenschaftliche Rechtfertigung dafür, wieso ich die Probanten GAR NICHT IN KENNTNIS SETZEN DARF! Die Kenntnis meiner Studien und Analysen ihrer Lebenswegungen könnten das Ergebnis suggestiv beeinflussen. Soweit ich das berurteilen kann, haben die Objekte meiner Studien nur rudimentäre Kenntnisse über astrologische Konstellationen, geschweige denn diese plutospezifische Konstellation, obgleich bei einer Versuchsperson völlige Unkenntnis nicht ausgeschlossen werden kann, da Kontakte zu Astrologiekundigen im Umfeld bestehen.

Bei der indirekt beobachteten Versuchsperson können allerdings Spurenelemente astrologischer Kenntnisse unterstellt werden, da allgemein eine starke Affinität zu esoterischen Interessensgebieten zu bestehen scheint, was allerdings, soweit durch die Partnerperson kommuniziert, stark eingegrenzt themenspezifisch mit Schwerpunkt zu einem bestimmten Kulturkreis gelebt wird und mutmaßlich nicht grenzüberschreitend in die Richtung der klassischen Astrologie zu tendieren scheint. Es wird allgemein ein alternativer, nach Selbsteinschätzung der Versuchsperson spiritueller Lebensstil kultiviert, dessen Beschreibung durch die bloggende Partnerperson mir mitunter großes Durchhaltevermögen abverlangt. Als Eckdaten seien Veganismus, Vollholzmöblierung mit Astlöchern, Wollstrickmode, Meditation, Langzeitstillen und Yoga angeführt.

Ich wünsche Ihnen ebenfalls eine tolle Rest*-Woche und natürlich auch einen tollen Abend sowie morgen einen tollen Tag und ein nicht weniger tolles Wochenende, das ja nun auch schon bald wieder vor der Türe steht!


*ganz arg beliebte Formulierungen: Rest-Woche, Rest-Wochenende wünschen!
books and more - Do, 17. Nov, 19:38

Toll!

g a g a - Do, 17. Nov, 20:16

OMG

Ich freue mich ja heiß und innig über jeglichen Kommentar, gerade auch von Ihnen lieber Books (und auch, dass Sie sich die Zeit nehmen, wo Sie doch derzeit so wahnsinnig viel zu tun haben) aber ich mache mir nun doch so meine Gedanken, dass mein im Ansatz ja schon auch irgendwie fragwürdiges Tun offensichtlich auf Verständnis stößt.

Lassen Sie es mich als schiere Solidarität unter unermüdlich um neuen Erkenntnisgewinn ringender Geisteswissenschaftler werten. Alles im Namen der Forschung!

(davon ausgehend, Sie meinen das "Toll" nicht auf die Astlöcher und die (im übrigen natürlich(!)) selbstangefertigte Wollstrickmode bezogen).

Und selbstverständlich auch Ihnen noch eine tolle (!) Rest-Woche wünschend!
kid37 - Do, 17. Nov, 20:45

Erduldetes Astlochwohnen hat mich ja sozusagen überhaupt erst zum Bloggen gebracht, man erkennt hier auf faszinierende Weise, wie auch plutonisch-widerständige Energien letztlich in etwas Sinnvolles umschlagen (können). Ihre Studienreihe ist sicher erhellend, über Blogger und ihre Eigenheiten wurde ja länger nicht mehr anständig geforscht.Man ist so schrecklich unter sich. Aber auch toll.
g a g a - Do, 17. Nov, 21:49

(frisch gepostet, da umfangreich überarbeitet): "Können. Nicht müssen."

Die jeweilige Ästhetik des Bloggens ist bei meinen Studien eher nebenrangig. Ich möchte mich nicht dazu versteigen, das als repräsentative soziologisch relevante Blogger-Studie verstanden wissen zu wollen. Wobei ich angesichts Ihrer Einlassungen zugestehen muss, auch das hätte etwas. Eine repräsentative Erhebung des Zusammenhanges zwischen der Ästhetik des Blogs, der Sprachästhetik der Blogeinträge sowie der zugehörigen Kommentaraktivitäten und der sonstigen Parameter der Lebens-Ästhetik. Tatsächlich lässt sich bereits anhand der drei von mir beobachteten Blogs festhalten, dass die Abstufungen des ästhetischen Anspruchs des Blog-Layouts und der geposteten Bilder, sowie der Sprachästhetik mit der Ästhetik der Wohnungseinrichtung stark korrelieren.

Das Blog der Astloch-Nativität hat ein schlichtes, klares Erscheinungsbild mit einem romantisch angehauchten Header mit Naturbild, ist aber ansonsten quasi frei von Zusatz- und Konservierungsstoffen. Der sprachliche Ausdruck zeigt sich gut verständlich und zum Teil etwas antiseptisch in Alltagsdingen, durchbrochen von ins Blumige driftender punktueller Schwärmerei im Bezug auf spirituell gemeinte Hobby-Aktivitäten. Die Person entspricht in Frisur und Kleidung zu hundert Prozent der Ästhetik der etwas farblosen Vollholz-Webteppich-Wohnungseinrichtung. Die Dekorationselemente sind betont naturverbunden (Trockenkränze- und Gestecke, Kerzen mit allerlei Blumen-Applikationen).

Die Nativität, die ab und zu versehentlich Abgründiges durchblicken lässt, pflegt einen Wohnstil, der in etwa den preiswerteren Angeboten bei Möbel-Hübner entsprechen dürfte. Kleinere, wechselnde Ziergegenstände (vulgo: Nippes) auf allen Tischen spielen offenkundig eine wichtige Rolle für das Wohlbefinden. Das Blog wechselt häufig das Erscheinungsbild (jahreszeitlich wechselnde Hintergrundbilder und Schriftfarben), hat aber immer eine leicht an Rosamunde Pilcher-Filme gemahnende Anmutung. In der sprachlichen Ästhetik findet sich eine starke Hinwendung zum schwärmerisch-romantischen, was sich durch die häufige Verwendung von betont beschönigenden, verniedlichenden und superlativen Adjektiven ausdrückt. Die Person entspricht in Frisur und Kleidung der Ästhetik und Attraktivität der Wohnungseinrichtung, wirkt äußerlich allerdings älter, als das Blog und die zuweilen pubertär wirkenden inneren Entwicklungszyklen es vermuten ließen.

Das dritte Blog wirkt insgesamt eleganter und spiegelt einen etwas gehobeneren Geschmack sowohl beim Layout als auch bei den gezeigten Fotos, die das unmittelbare Wohnungsumfeld abbilden. Die Sprache ist vergleichsweise pragmatisch und unverspielt, ja schnörkellos und inhaltlich frei von jeglichen Experimenten. Man kann quasi jetzt schon die Inhalte der nächsten fünfzig Einträge, jeweils passend zur Jahreszeit prognostizieren. Die Person, die das Blog betreibt, versucht auch im Kleidungsstil eine gewisse Ästhetik und Qualität zu transportieren, wirkt jedoch von der reinen Physognomie der Gesichtszüge eher unattraktiv und insgesamt asexuell. Die Frisur kann praktisch nicht als solche bezeichnet werden. Das Blog strahlt eine stärkere ästhetische Attraktivität aus als die Person. Man könnte von einer Kluft sprechen.

Für meine prominenten Studien-Objekte kann ich ja leider nicht sprechen, da sie unvermindert keine Bereitschaft zum Bloggen zeigen.
books and more - Do, 17. Nov, 21:57

Scusi! Gestalterische Reduktion! Ökonomie der Mittel!
g a g a - Do, 17. Nov, 22:02

Wollen Sie sich im Vorhinein für Künftiges entschuldigen, für das es nichts zu entschuldigen gibt? Gestalterische Maximal-Reduktion wirkt per se kostspieliger und ausgereifter als Schnörkel- und Farben-Tsunami. Wissen Sie doch. Und ökonomischer ist es freilich auch. Ich nehme an, nichts anderes wollten Sie mit diesem freundlichen Kommentar propagieren! Bei meinen Untersuchungsobjekten habe ich jedoch als reine Beobachterin keine Möglichkeit, die gestalterischen Gegebenheiten in irgendeiner Weise positiv zu beeinflussen. Im Grunde ist es mir auch herzlich wurst, wie diese Seiten ausschauen. Ich erhoffe mir keine ästhetische Bereicherung vom Besuch, sondern langfristig gewaltigen Erkenntniszuwachs!

Und fast hätte ich es vergessen: danke für diesen Kommentar und ich wünsche Ihnen noch einen tollen Rest-Feierabend!
schneck08 - Do, 17. Nov, 22:23

Ich finde das toll, dass Sie das beichten! Und ein schönes WE für Sie!

g a g a - Do, 17. Nov, 22:27

Sie können das auch mit Fug und Recht toll finden, denn Sie sind ja nicht unter meiner Beobachtung! (Bzw. nicht unter dieser themenspezifischen.)

Danke für diesen schönen Kommentar, lieber Schneck und auch Ihnen ein tolles WE!

(tolle Abkürzung nebenbei!)
zuckerwattewolkenmond - Mo, 21. Nov, 23:13

So etwas

nenne ich wahre Passion! Uninteressante Blogs bis in jedes Detail zu verfolgen, um die Pluto-Bewegungen zu studieren! Ich habe mich über diese Beichte köstlich amüsiert und wäre ebenfalls an den abschließenden Ergebnissen interessiert. ;o)

g a g a - Mo, 21. Nov, 23:17

Schön, dass Sie noch am Leben sind und unter meine albernen Beiträge tippen!

Ich fürchte, das wird ein Langzeitstudium, da Pluto ja eine lahme Ente ist. Obgleich ich zugegebenermaßen etwas lauernd auf das - wie sagen wir Hobby-Profi-Astrologen doch so gerne - auslösende Ereignis lauere. Auf jeden Fall ist schon einiges im Schwange. Die ärztliche Schweigepflicht verbietet mir ja leider, Details zu verraten. Womöglich identifiziert jemand die Opfer meiner Beschattungen und verpetzt mich! Das wäre eine Katastrophe! Ich fürchte, ich habe ohnehin schon zuviel des Guten verraten! Ich muss mich zurückhalten. Ach, wie gerne würde ich mehr erzählen! Es ließe sich auch so herrlich über die in den letzten Tagen wieder besonders peinlichen Blogeinträge lästern. Ein Jammer!
zuckerwattewolkenmond - Mo, 21. Nov, 23:45

;-)))

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