18. Februar 2023

Als ich im letzten Dezember Kinderfotos von mir zeigte, und um korrespondierenden atmosphärischen Text bemüht, die jeweiligen Chart-Hits des Kinderfoto-Aufnahme-Jahres recherchierte, stolperte ich über einen Song, den ich komplett vergessen hatte, und der mich nun gut fünf Jahrzehnte später, erneut verzauberte. "Clair" von Gilbert O'Sullivan, veröffentlicht im Oktober 1972 und gleich ein Riesenhit, Nummer Eins in Großbritannien, wochenlang Nummer Zwei in den USA und auch in vielen anderen Ländern weit oben in den Charts. Es lief auch in Deutschland dauernd im Radio. Da war ich gerade sieben Jahre alt. Ich konnte fast kein Englisch, woher auch. Ich verstand Hello und Good Bye und Thank You Very Much und I Love You. Das wars. Aber dass "Clair" eine Art Liebeslied war, war mir schon klar. Das hörte man ja schon an der hingebungsvollen, zärtlichen Melodie und Darbietung. Ein leichtes Lied wie auf einer Wolke geboren, ohne Probleme und Schwermut, voller Liebe und Hoffnung.

Das Einzige, was mich an dem Song etwas störte, war das Baby-Gegacker am Ende. Da dachte ich dann immer etwas enttäuscht "ach so, das ist für ein Baby". Ich akzeptierte dann etwas widerwillig, dass es kein romantisches Liebeslied war, und verdrängte es schnell wieder. Mir war romantisierte Elternliebe nicht bekannt, ich wurde nicht auf ein Podest gehoben und umschwärmt und geherzt. Ich musste beim Geschirr Abtrocknen und sonstigen Haushaltsarbeiten helfen, wurde viel zurechtgewiesen und meine kindlich aufbegehrenden Widerworte waren in keinster Weise erwünscht. Still und brav sein, nicht auffallen, anpassen, hieß die Parole, ansonsten Strafpredigt. Schon aus dem Grund wollte ich ganz bestimmt keine rosa verpackten Vatergefühle (wie ich dachte) aus dem Radio präsentiert bekommen.

Aber wenn das Lied wieder von vorne anfing, vergaß ich wieder ganz schnell, dass es nicht um eine flirrend aufregende Verliebtheit ging. Als Kind hat man schon eine Vorstellung von Erwachsenen-Liebe, an allen Ecken wird sie gezeigt und besungen, natürlich hauptsächlich in Film und Fernsehen. Aus nächster Nähe kannte ich auch keine Erwachsenen-Zärtlichkeiten. Nie gesehen, nie erlebt. Aber dass da was Schönes dran sein muss, fühlte ich. Zum Beispiel in dem Lied.

Als ich im Dezember dann Videos von Clair suchte, und auch den Text googelte, stolperte ich über für mich unfassbare Debatten darüber, ob Clair das Werk von einem Pädophilen ist. Ich war schockiert, wieviel Dummheit es in der Welt gibt. Inzwischen verstand ich den englischen Text einwandfrei und kannte auch die Hintergrundstory. Gilbert O'Sullivan hatte sich als junger Mann etwas als Babysitter der Tochter einer befreundeten Familie dazuverdient, und er hatte sofort einen Draht zu diesem kleinen Wesen. Er hat das ein paar Jahre gemacht und es blieb bei einer schlichten zärtlichen Zuwendung, dem Gefühl, der Persönlichkeit eines kleinen Menschen stark verbunden zu sein, eben mehr als das nur jobmäßig umsorgende Gefühl von Babysitter zu Kleinkind.



Ich habe das sofort verstanden, und auch, dass es nicht das Geringste mit Pädophilie zu tun hat, sondern unschuldiger zärtlicher Liebe zu einem Lebewesen. Wie zu einer geliebten Katze, die einen besonders verständnisvoll anschaut und die Fingerspitzen ableckt. So eine Katze hatte ich. Da war auch keine Perversion im Spiel. Und als mein einer Neffe geboren wurde, der leider nicht mehr lebt, hatte ich ein besonderes Erlebnis. Mein Bruder besuchte mich eine ganze Weile nach der Geburt und legte mir vertrauensvoll das kleine, hellwache Wesen in den Arm. Es hatte die Augen auf und guckte mich ganz direkt an, und ich fühlte sofort einen starken Draht zu diesem kleinen Jungen, als hätte er mir mein verschüttetes Baby-Bewusstsein zurückgeschenkt. Wir waren auf einer Wellenlänge.

Das war kein mütterliches Gefühl, sondern ein Gefühl tiefer persönlicher Verbundenheit mit einem fertigen Menschen, einer Persönlichkeit, wenn auch in einem Baby-Körper. Aber das muss man vielleicht erlebt haben, um es nachzuvollziehen. Clair ist das unschuldigste Lied auf der Erde, ich liebe es, trotz des Baby-Plots. Ich habe es mir dann runtergeladen und mit einem Audiobearbeitungsprogramm das Baby-Gackern am Ende weggeschnitten. Jetzt ist es perfekt für mich. Und für die kleine siebenjährige Gaga von 1972.

Clair
The moment I met you, I swear
I felt as if something, somewhere
Had happened to me
Which I couldn't see
And then, the moment I met you, again
I knew in my heart
That we were friends
It had to be so
It couldn't be no
But try as hard as I might do
I don't know why
You get to me in a way
I can't describe
Words mean so little
When you look up and smile
I don't care what people say
To me you're more than a child
Oh, Clair
Clair
Clair
If ever a moment so rare
Was captured for all to compare
That moment is you
In all that you do
But why in spite of our
Age difference do I cry
Each time I leave you
I feel I could die
Nothing means more to me
Than hearing you say
I'm going to marry you
Will you marry me, Uncle Ray?
Oh, Clair
Clair
Clair
I've told you before
Don't you dare
Get back into bed
Can't you see that it's late
No you can't have a drink
Oh all right then
But wait just a minute
While I, in an effort to babysit
Catch up on my breath
What there is left of it
You can be murder
At this hour of the day
But in the morning the sun
Will see my lifetime away
Oh, Clair
Clair
Oh, Clair

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