20. August 2015








Ich glaube, der Sonntag am Pfingstwochenende. Ungefähr alle fünf Jahre frage ich jemanden, was eigentlich an Pfingsten im Unterschied zu Ostern gefeiert wird. Hat alles irgendetwas mit der Leidensgeschichte von Jesus zu tun, Kreuzigung, Auferstehung, Himmelfahrt. Jedenfalls hat nie jemand auf Anhieb die richtige Antwort und dann gucken wir alle in Wikipedia nach und vergessen es wieder über die nächsten Jahre. Aber dass es einen Oster- und Pfingstmontag gibt, das können sich eigentlich alle ohne Probleme merken. Man ist halt persönlich betroffen. Warum bin ich an diesem Pfingstsonntag, ja ich glaube es war Sonntag, zu diesem Flohmarkt? Ich war unternehmungslustig und auf meiner Ausflugsziel-Liste war keins dabei, das sich für einen Kurzausflug, den man mal eben am Nachmittag über die Bühne bringt, angeboten hätte. Ich schlafe halt gerne aus und trinke in aller Ruhe viel guten Kaffee mit Schlagobers und flaniere durchs Internet und dann mache ich mich zurecht und überlege endlich einmal in geradezu meditativer Versenkung, was ich anziehen könnte. Ziehe mich noch mal um. Und noch mal. So ist es halt. Aber ich mag das, dabei erhole ich mich. Termine nehme ich nur notgedrungen in Kauf, wenn ich dafür bezahlt werde oder es ein konkretes einmaliges Ereignis gibt, das ich nicht versäumen will. Aber wann kommt letzteres schon vor. Mir fiel irgendwo, ich glaube am Alex, ein Plakat auf, dass es diesen Antikmarkt am Ostbahnhof am Pfingstwochenende gibt. Feier der Schöpfung, Feier der Materie!





Ich bin keine häufige Flohmarktbesucherin, aber wenn, dann bin ich voll bei der Sache. Ich habe ja schon so viel Zeug in der Wohnung, eigentlich gibt es keinen materiellen Gegenstand, den ich dringend bräuchte. Aber hin und wieder verliebe ich mich in ein Ding, wegen einer vollendeten Silhouette oder eines besonderen Materials oder der Vereinigung von beidem, das ist der Idealfall.





Und dann ein bißchen feilschen und plauschen und flirten. Ja, auf Flohmärkten wird viel geflirtet. Ein guter Händler lässt sich keine Gelegenheit entgehen, mit einer potenziellen, guten Kundin wie mir zu flirten. Sonst hätte er seinen Beruf verfehlt. Auf diesem kleinen Antikmarkt hinter dem Ostbahnhof war ich noch nie. Er ist sehr sympathisch und es war ideales Wetterchen. Ich fragte immer artig, ob ich dies oder das fotografieren dürfte, denn ich habe die Erfahrung gemacht, wenn man auf Märkten oder in Läden einfach drauflosfotografiert, wird das manchmal als respektlos empfunden und man erntet strenge Blicke oder die Bitte, das zu unterlassen.




Aber kaum fragt man, wird es mit einem warmen Lächeln erlaubt. Die Händler freuen sich, dass sie höflich gefragt werden und es dann erlauben dürfen. Das ist so ein Spielchen. Zum Beispiel an dem Stand mit dem Radierwasser. Ja! Radierwasser, nicht Rasierwasser. Ich war hin und weg von dem Döschen und dem Gegenstand, auch wenn ich ihn nicht brauche. Noch nie vorher gesehen. Verschlossen stand er auf dem Tisch, der Tintentod. Ich fragte also, ob ich wohl eventuell ein Foto davon machen dürfte und kriegte die Erlaubnis. Ich habe ein Foto gemacht, dann hat er die Dose auseinandergenommen und noch mal neu hindrapiert und mich mit einer Geste aufgefordert, noch mal zu fotografieren.




Das war sehr charmant, er meinte "so sieht man es noch besser, so müssen Sie es auch fotografieren!". So ein Händler hat eben seinen Stolz, es ist sein Revier, wenn auch mitunter nur ein Tapeziertisch. Man muss immer Respekt zeigen, wenn man von jemandem etwas will. Ein heiliges Gesetz. Man will es ja mit Wohlwollen kriegen und nicht hart darum kämpfen. Gekauft habe ich aber unverhoffterweise doch ein paar schöne Dinge, für die ich auch Verwendung habe. Eine Lupe. Meine erste Lupe! Mit einem schönen Horngriff. Einen kleinen Schrankknauf, der ist jetzt an einer Oberschranktür in der Küche. Dann ein Ebenholzkästchen, eigentlich ein Hummidor, aber das Feuchtigkeitsthermometer, ich weiß nicht mehr den Fachausdruck, hat gefehlt. Ich wollte aber nur ein schönes Kästchen aus so einem herrlich gestreiften Ebenholz.







Und innen drin in dem Kästchen war als Überraschung noch ein kleineres, mit dem KaDeWe-Logo eingebrannt, aus einem anderen Holz, das kleine Kästchen riecht ein bißchen wie Sandelholz, ist aber bestimmt was anderes. Da waren mal Zigarillos drin. Ach, das KaDeWe! Mein KaDeWe. Ich liebe es einfach. Und wo ich mit meinem kleinen Rundgang und meinen vielen kleinen Schwätzchen mit den Händlern fertig war und schon fast wieder bei der S-Bahn, war da noch ein letzter Stand mit einem kleinen Brillenetui aus falschem Kroko. Für 1 Euro! Das musste ich haben, das passt genau zu meiner kleinen Lesebrille, die ich fast nie aufsetze. Aber wird sicher noch kommen. Ich will jetzt nicht sagen "time is on my side", sondern eher auf der Seite der Brille. An der Straße der Pariser Kommune kommt man vorbei, wenn man vom Flohmarkt zum Vordereingang vom Ostbahnhof spaziert. Der Name hat mir schon immer gefallen. Es ist jetzt nicht so eine pariserisch romantische Straße, wie der Name anmuten könnte, aber egal. Er klingt gut, er erzählt ja eine ganze Geschichte. Wie die "Straße des 17. Juni". Als Postanschrift macht sich das sicher sehr gut: "Gaga Nielsen, Straße der Pariser Kommune 17". Toll! Hinziehen will ich trotzdem nicht. Aber schön, dass ich mal da bei dem Flohmarkt war. Antikmarkt heißt er ja. War ein prima Ausflug.





Ein Händler hat mir seine Karte gegeben, er hat sogar ein Buch geschrieben über sein Leben als Flohmarkthändler, seine Memoiren. Hab ich jetzt aber nicht griffbereit. Er hat einen besonderen Stand, ihm hab ich das Ebenholzkästchen abgekauft. Aber das war nicht das Besondere, sondern dass er einen Tisch hat, auf dem lauter Instrumente und Werkzeuge, überwiegend aus Metall liegen, die ein normaler Mensch nicht kennt. Teilweise Sachen, Werkzeuge, die es in unserer heutigen Zivilisation nicht mehr gibt. Und wenn man richtig rät, was es ist, kriegt man von ihm irgendwas. Oder was billiger. Lustig war der. Er hatte zum Beispiel ein komisches Teil, wie eine lange Zange. Ich hätte gedacht, vielleicht um Gurken aus einem Fass zu holen, das war aber um geklöppelte Spitzenhandschuhe beim Trocknen in Form zu bringen. Aus Holz glaube ich. Weiß ich aber nicht mehr. Sehr interessant. Die aufgehängte Beinprothese hat mich auch stark fasziniert, so schön aus Leder genäht. Und der runde kleine Ofen. Und die ganz große Puppe. Und ein Bücherantiquar hatte zwei sensationelle Ausgaben von Fibeln mit bösen Zeichnungen auf geschöpftem Papier von George Grosz. Eins war Der Spießer-Spiegel von 1925. Zeitlos schön! Der Markt dort ist regelmäßig, wie viele Flohmärkte in Berlin, man hat also keinen Notstand, wenn einem nach Trödel und Antiquitäten gucken der Sinn steht. Also viele schöne Sachen zu sehen und demzufolge schöner Ausflug!





kid37 - 20. Aug, 20:35

Ah, eine hübsche morbide Requisitensammlung. Da werde ich doch hellhörig. Ich habe mich neulich bei der großen Versteigerungsplattform zurückgehalten, obwohl ein Extrabein vielfältig einsetzbar ist - und sei es nur im Urlaub einen Liegestuhl damit zu reservieren. Aber, Sie sagen es, platz ist begrenzt, selbst in meinem barocken Wasserschlößchen. Ihr Brillenetui trägt in einer guten Wohnung hingegen nicht auf.

g a g a - 20. Aug, 22:26

Uii!
"Alte Bein-Prothese Holz-Prothese Sehr Selten TOP !!!"

19 EURO!
Die ist aber arg schön. Nicht einmal die Beine von Barbie sind so wohlgeformt. Ich will jetzt nicht das Hohelied der Prothese im Vergleich zum organischen Urmodell singen, aber die ist schon sehr toll. Eigentlich ein Bein für ein Strumpf-Modell. Wobei die Damen-Strumpf-Mannequins ja überwiegend männlich sein sollen. Also die Fotomodelle. Männerbeine können schon sehr apart sein. Vor allem die Knie. Und die Waden. Und überhaupt. Aber wegen mir bitte nicht enthaaren.

Im übrigen dachte ich bei dem Portrait an der Wand, dass es sich um eine Fan-Zeichnung von einem kid37-Fan handelt. Ich finde sie recht gelungen. Wie Fans eben so ihre Idole an Häuserwände in der Straße der Pariser Kommune malen!

kid37 - 21. Aug, 20:41

Ich bin verblüfft! Selbst ohne die charakteristische Brille ein perfektes Porträt, weil die Stimmung ("Nenn mich Kanone!") exakt getroffen ist.

Als ich den Endpreis sah, schalt ich mich nachträglich doch ein Narren. Für so ein Bein ist doch Platz in der kleinsten Hütte. Und was ich alles damit hätte anstellen können! An Nikolaus nicht nur den Stiefel, nein, gleich ein ganzes Bein rausstellen. Ab und an stoße ich dort auf solche Sachen, zum Glück ist das meiste für "Selbstabholer". Da komme ich als Autoloser gar nicht ersrt auf dumme Ideen. (Obwohl, so ein Bahn kann man auch prima im Gepäcknetz der Deutschen Bundesbahn, oder wie die heißt, durch die Republik transportieren.)
g a g a - 21. Aug, 23:42

Tipp

Man kann so einem Bein auch einen Ringelstrumpf anziehen!

Dass Sie sich in dem Portrait wiederfinden, freut mich, obwohl ich es nicht selbst gemalt habe. Ich hätte das sicher nicht so gut hinbekommen. Wenn Sie mal wieder in Berlin sind, müssen Sie hin und ein Selbstportrait daneben machen! Oder sich davor fotografieren lassen.

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