28. Dezember 2014




Wie lange braucht man von Wien nach Schwechat mit dem Taxi? Keine dreiviertel Stunde? Mir war so. Schaut man in einer Suchmaschine, wie lange das dauert, heißt es ca. 25 Minuten, je nach Verkehrsaufkommen und Bezirk. Aber eine gute halbe Stunde war es schon. Die Wiener Stadtgrenze war schon noch zehn bis fünfzehn Minuten von Wieden entfernt. Und geregnet hat es weiterhin. Auch dehnt sich die Wahrnehmung der Zeit, wenn man sich nicht unterhält. An den Fahrer kann ich mich nicht erinnern. Es war ein Mann und er war eher der diskrete Fahrer, der den Fahrgast nicht als potentiellen Empfänger seiner Einschätzung der Weltlage betrachtet. Was aber mitunter auch amüsant sein kann. Ich bin da immer recht offen. Er aber war also geradezu stumm und ich hatte Gelegenheit, meinen Gedanken nachzuhängen und Wien und Niederösterreich durch die verregnete Scheibe auf mich wirken zu lassen. Die Flughafenstrecke. Sie ist, je näher man dem Flughafen kommt, wie es oft so ist, recht ernüchternd. Kein einziges Barockpalais, kein Kaffeehaus säumt den Weg. Die Beschilderung hat eine furchtbar nüchterne Typographie. Geradezu neuzeitlich. Wenn man noch nicht in Wien war, wie ich bei der umgekehrten Route, eine Woche vorher, weiß man ja nur diffus, was einen am Fahrziel erwartet, hat das eine oder andere Bild im Kopf. Aus Filmen, Dokumentationen, Zeitschriften. Das schon auch dem entspricht, was man vorfindet. Aber ich kenne es auch, dass man sich innerlich ein geschlossenes Bild von einem schönen Ort macht, und dann ernüchtert feststellt, dass sich das Schöne und Postkartenhafte auf ein paar wenige Straßenzüge beschränkt, auf einen ganz eingegrenzten Bereich. Und obwohl ich hauptsächlich auch im exclusivsten Ghetto der Weltkulturerbe-Schönheiten Wiens unterwegs war, im ersten Bezirk, habe ich keine so scharfe Abgrenzung wahrgenommen. Man muss nicht so sehr mit der Lupe in nicht so ganz inneren Bezirken nach vergleichbar Sehenswertem suchen, wie in manchen anderen Städten, die im Krieg sehr gelitten haben. Wenn man dann also im Taxi den umgekehrten Weg nimmt, und Wien verinnerlicht hat, als komplexes, organisches Wesen, in dem sich Zell- und vielleicht auch Bakterienstämme erhalten und weiter entwickeln konnten, die woanders ausgerottet sind, und schlagartig mit der nüchternen Industrielandschaft auf dem Weg nach Schwechat konfrontiert ist, ist es ein bißchen ein Gefühl wie vom Markusplatz in Venedig zu einem Reisebusparkplatz in einer italienischen Vorstadt katapultiert zu werden. Kein Kanal, keine Gondel, kein Renaissancepalast, kein bröckelnder Putz. Die Wiener Altstadt ist halt Venedig. In Prag habe ich auch sehr schöne Patina gesehen. Das war auch zauberhaft. Paris auch. Aber ich kann überhaupt kein tschechisch, so weit sind die familiären Herkunftswurzeln nicht gewachsen. Aber Österreichisch ist mir keine so dermaßen fremde Fremdsprache. Französisch hingegen verstehe ich nurmehr rudimentär, weil ich zu faul war, es zu pflegen, da geht mir auch das Herz nicht auf. Aber ein Begriff wie Mehlspeise hat in meiner Familie Tradition, das ist halt verwurzelt. Und dieser und jener. Mein Großvater hat auch immer nur vom Stiegenhaus gesprochen. Treppe war für ihn ein hochdeutsches Fremdwort. Das habe ich ja alles schon einmal erhellt. In Wien habe ich kein Gefühl von Fremdheit gehabt, im Gegenteil. Manchmal fast schon erschütternd familiär. Die ganzen Ausdrücke. So wie mir in Prag die Küche ebenso erschütternd familiär vorkam. Da war es nur die Küche. Lange her. Irgendwann Mitte der Neunziger war ich für sechs Tage in Prag. Damals mit einem Liebhaber, der sehr ortskundig war. Aber das ist eine andere Geschichte. Denn nun war ich im Taxi nach Schwechat. Sehr zeitig am Flughafen. Eigentlich zu früh, vielleicht Viertel vor Zwölf. Um Eins würde erst das Einchecken beginnen für den Flug nach Berlin, der für Punkt fünfzehn Uhr terminiert war. Für die überstürzte Besichtigung von noch irgendeiner Sehenswürdigeit in Wien hätte ich keine Nerven gehabt, mit dem Gepäck. Lieber ein bißchen Zeit totschlagen am Flughafen. Nach Parfüm und Souvenirs kaufen stand mir nicht der Sinn. Meine Souvenirs sind halt meine Bilder. Parfüm hab ich auch noch. Der Schalter für meinen Flieger war schon früher besetzt und ich konnte schon das Gepäck aufgeben und durch die Sicherheitskontrolle. Ich schaute in der Abflughalle, wo ich möglichst bequem und ungestört sitzen könnte. Da ist diese große Wand mit der rosa Manner-Reklame. Gegenüber an der Wand waren mehrere Sitzplätze für Behinderte ausgewiesen und noch einer extra für eine Begleitung. Auf den hab ich mich gesetzt.



Außer mir war da niemand. Eine ungestörte Ecke, in all dem Trubel, obwohl alle Reisenden daran vorbeilaufen, es ist der Eingang in die Abflughalle. Aber der ist recht breit, man kann den Menschenstrom wie einen vorbeiziehenden Fischschwarm betrachten. Ich hatte noch ein bißchen Proviant, zwei oder drei hart gekochte Eier und Äpfel. Ein Kaffeeautomat war glaube ich auch in der Nähe. Auf dem festgeschraubten Abfalleimer neben den Sitzen lag eine vergessene Kronen-Zeitung. Davon hatte ich schon einmal gehört. So eine Art Wiener Bild-Zeitung. Im Flieger nach Wien saß ein Herr neben mir, der u. a. auch die Kronenzeitung als Lektüre dabei hatte. Ich konnte das Titelblatt lesen. Bzw. anschauen. So viel zu lesen war da nicht. Lauter Herzen waren drauf. In jedem Herz war das Foto von einer europäischen Prinzessin oder Adligen, die gerade Nachwuchs gekriegt hat. Also Viktoria von Schweden und Duchess Kate und noch eine. Das hätte ich mir jetzt auf der Bild-Zeitung nicht so richtig vorstellen können. Die Prioritäten sind doch irgendwie anders. Ich glaube, die Herzen waren auch noch rosa umrandet. Wie eine Barbiepuppen-Zeitung für kleine Mädchen. Ich habe mir die Kronen-Zeitung vom Müllschlucker genommen und zum Zeitvertreib darin geblättert. Diesmal waren keine Adligen drauf. Ich habe vergessen, was die Schlagzeilen vom 16. Mai waren. Die Zeitung war auch schnell durchgeblättert. Sport war auch drin. Und Meldungen von anderen österreichischen Bundesländern. Und ein bißchen Conchita, die ja gerade den Grand Prix gewonnen hatte. Aber das war ja auch schon wieder eine Woche her. Am interessantesten war für mich, dass in den Klatschspalten - wobei ja fast die ganze Zeitung eine einzige Klatschspalte ist - viele Leute erwähnt wurden, die man wahrscheinlich nur in Österreich oder Wien kennt. Jedes Land hat eben so seine ureigene Landes-Prominenz. Dass aber die Meldung, dass Herr Mörtel Lugner mit seiner Verlobten am Tag vorher um 16:23 Uhr oder so ähnlich in Schwechat gelandet ist, ein derartig großer Aufmacher war, hat mich ein bißchen enttäuscht. Ist das denn wirklich der wichtigste Prominente in Österreich? Wenn Conchita nicht wäre, hätte die Zeitung vielleicht auch noch melden müssen, wann sein Taxi von Schwechat in seiner Wiener Villa angekommen ist. Es gab dann auch noch eine Politisiererei über ein Anti-Bettler-Gesetz in den Innenstädten, das war dann doch recht deprimierend als Lektüre. Ich habe die Zeitung wieder ordnungsgemäß zurück auf den Mülleimer gelegt, wo sie bestimmt nicht verkehrt platziert ist. Weil ich kein ungelesenes Buch dabei hatte, sondern nur einen kleinen Reise- und Kaffeehausführer, habe ich angefangen, mit meiner Kamera herumzuspielen. Natürlich von da an immer im Bewusstsein, dass ich an dem exclusiven Ort warten durfte, wo am Tag vorher noch Mörtel mit seiner Mausi oder wie sein aktuelles Gspusi heißt, leibhaftig durchgelaufen ist. Ich habe mir darauf ein Ei gepellt. Leider war das Abflughallenrestaurant gerade im Umbau, sonst hätte ich es mir da gemütlich gemacht. Es gab als Provisorium so eine Art Kaffeebar mit Snacks, da hätte man aber nur auf so Barhockern, auch mitten in der Halle sitzen können. Das ist ja noch unbequemer. Auf Barhocker setzte ich mich nur in einer echten Bar, doch nicht mitten in einer Abflughalle bei greller Beleuchtung, wo noch nicht mal ein Verehrer neben einem sitzt, an den man sich trunken lehnen kann. So ein Barhocker hat ja nicht einmal eine richtige Lehne. Also blieb ich weiter in meiner rosa Manner-Ecke.



Wenn man so ein Weilchen gegenüber von der Manner-Reklame-Wand sitzt, merkt man auch, dass so ein Altrosa, auch wenn es nicht die persönliche Lieblingsfarbe ist, irgendwie heimelig und beruhigend wirkt. Auch habe ich die Manner-Neapolitaner-Schnitten immer gerne gegessen. Die gibt es ja überall in Deutschland. Schon immer. Seit meiner frühestens Kindheit kenne ich die kleinen rosa-silbern eingeschlagenen Waffelpäckchen mit der hochfein aufgestrichenen Haselnusscreme mit dem vollendet wunderbaren Nougat-Geschmack zwischen den vielen zarten Waffelschichten. Die Verpackung hat sich seit Jahrzehnten nicht verändert. Irgendwie hat es mich gerührt, als ich beim Eintreffen in Wien von dieser großen Reklame begrüßt worden bin. So etwas Vertrautes. Und damit man es noch einmal wirklich begreift, dass die Manner-Schnitten nicht von irgendwo in Österreich kommen, ist der Stephansdom auf der Verpackung mit drauf. Das war mir vorher auch gar nicht so richtig bewusst. Aber nun hatte ich ja Zeit, ausgiebig darüber zu meditieren. Und jetzt, daheim in Berlin, habe ich sogar die Zeit und Muße, mich ganz genau über die ehrwürdige Historie der Manner-Schnitten zu informieren. Im Wikipedia steht wieder einmal sehr informativ: "Josef Manner betrieb ein kleines Geschäft am Stephansplatz in Wien, in dem er Schokoladen und Feigenkaffee verkaufte. Da ihn die Qualität der Schokolade seines Lieferanten nicht zufriedenstellte, erwarb Herr Manner die Konzession und das Lokal eines kleinen Schokoladenerzeugers und gründete am 1. März 1890 die CHOCOLADENFABRIK JOSEF MANNER."



Über die Erfindung der berühmten Waffelschnitten lese ich auf der firmeneigenen Seite: "Die Geburt eines Süßwarenklassikers! im Jahre 1889: "Nachdem gestern die bereits seit einigen Tagen erwartete Lieferung Haselnüsse aus Neapel eingetroffen ist, konnte heute erstmals mit der Serien-Produktion der neuen Waffelschnitten begonnen werden. Da bereits einige Schnitten-Variationen angedacht sind, wage ich noch keine Prognose – die heute produzierten Neapolitaner Schnitten No. 239 scheinen mir persönlich aber besonders gelungen!“ Das kann man wohl sagen. Unsterblich, ja ein Wiener Kulturgut ersten Ranges sind die Neapolitanerschnitten von Manner! So ist es nur gerechtfertigt, wenn man ein Erinnerungsfoto von sich mit der rosa Wand und dem Wien-Schriftzug anfertigt. So als letztes Bildsouvenir, bevor man österreichischen Boden verlässt. Waren so meine Gedanken. Aber so schnell wollte mich Wien nicht aus seinen Fängen lassen.

: : alle Wiener Geschichten : :

27. Dezember 2014







Bye bye. Sechzehnter Mai. Mein Flieger geht erst am Nachmittag aber Schwechat ist eine dreiviertel Stunde von Wien entfernt. In Niederösterreich, wie ich gelernt habe. Und ich bin auch gerne zeitig beim Einchecken. Und es gab auch eine vereinbarte Zeit am Vormittag, bis wann wir die Bleibe verlassen sollten. Ich glaube elf Uhr. Hat ja alles irgendwie gepasst. Wir haben noch gefrühstückt, aber so halb jeder für sich, wie auch jeder für sich sein Bündel zu packen hat. Seinen Rucksack oder Koffer oder Reisetasche. Mir ist, als hätte Duke mehr Gepäck dabei gehabt als ich, vom Umfang her. Obwohl ich diejenige war, die dauernd andere Sachen angezogen hat. Aber er hatte noch einen Weg vor sich, der ihn nicht zu sich heim führte, sondern zu einem Auftritt, irgendwo in Deutschland, nicht da, wo er wohnt. Sein Zug ging früher, als ich zum Flughafen musste. So war es ein Abschied, der eher von möglichst schnellem Zusammensuchen aller Siebensachen getragen war. Ich wollte möglichst wenig Spuren hinterlassen, und hatte noch zu tun, das eine oder andere Möbel an den alten Platz zu rücken. Ein paar abgehängte Bilder von Familienschlössern wieder über dem Bett aufzuhängen. Unser Gastgeber, dessen Herkunft mich sehr amüsierte, hat wohl das eine oder andere geerbte Bild in der Wohnung verteilt. Aber viel musste ich gar nicht umräumen, das meiste war schon an sich sehr gelungen platziert. Ich mache das gerne, wenn ich länger als eine Nacht wo bin. Mir ist nicht gleichgültig, wie ein Raum aussieht, in dem ich mehrere Tage aufwache und schlafen gehe. Es soll meiner werden. Deswegen habe ich in meinem Gepäck immer ein paar sehr schöne Tücher dabei, mit denen ich allzu grelle Lampen verschleiern kann oder was sonst noch ein schöneres Kleid verträgt. Große, feingewebte Schals und Tücher, die man auch selber anziehen kann, sind ideal. Es muss natürlich immer auch etwas leicht Transparentes in warmen Farben dabei sein. Ich habe da so ein paar Lieblingsteile, die mir schon seit Jahren gute Dienste leisten. Und eine Handvoll Seide wiegt so gut wie nichts.





Also Tücher eingepackt, das Bett wieder gerade gerückt, das mir ein bißchen schief über Eck besser gefiel. Es war interessant, die Reaktion von Duke auf das verrückte Bett zu sehen. Er wusste ja nicht, wie das Zimmer normalerweise aussieht, da er erst einen Tag später kam. Er fragte mich, ob das Bett schon so gestanden hätte, oder ob ich das war, weil es so eine gewisse Raffinesse hätte, wie es im Raum steht, die man normalerweise nicht sieht. Die meisten würden ein Bett nahtlos an die Wand rücken. Ich musste lachen, weil er das erkannt hatte. Wie er das erahnt hatte, obwohl wir uns seit zwölf Jahren nicht mehr gesehen hatten. Sein Bett habe ich aber nicht verrückt. Er hatte sein eigenes, ebenso großes Schlafzimmer mit einem genauso großen Bett. Das war einer der Gründe, warum die Wohnung so ideal erschien, jeder hatte ein Schlafzimmer und ein eigenes Badezimmer für sich, auf verschiedenen Ebenen. Das schöne Wohnzimmer mit den großen Sofas haben wir nicht einmal genutzt, es lag einfach so da, unter der Dachschräge und sah schön aus. Wir saßen fast immer am Esstisch in der offenen Küche, unserem Treffpunkt. Als Duke aus der Dusche kam, hat er etwas ins Gästebuch geschrieben und ich schrieb auch etwas hinein. Für einen Kaffee hatten wir noch Zeit. Als Duke gehen musste, haben wir uns noch einmal gedrückt und ich ein, zwei Tränen zerdrückt. Das passiert eben bei Abschieden, wenn man nicht weiß, für wie lange, oder ob vielleicht sogar für immer. Wenn man in keiner Verpflichtung steht, außer sich gut in Erinnerung zu behalten, ist das nicht so vollkommen klar. Das hat mich ein bißchen überwältigt, in diesem Moment. Er hat ein bißchen hilflos geguckt, weil er es nicht deuten konnte, nehme ich an. Aber es war schon alles in Ordnung. Ich habe dann noch ein bißchen in seinem Zimmer aufgeräumt, die Bettwäsche abgezogen und mit den Geschirr- und Handtüchern auf den Treppenabsatz gelegt. Und Dukes Aschenbecher von der Terrasse ausgeleert. Ein grün-blau-violetter Porzellan-Aschenbecher mit einer feinen Zeichnung von einem chinesischen Mann mit einem Strohhut und einem Hängeschnurrbart. Dann hab ich den Müll und die leeren Flaschen heruntergebracht, das erste und letzte mal. Alles war wieder wie vorher. Ich habe mich noch einmal ganz in Ruhe umgeschaut und allen Zimmern und Fenstern bye bye gesagt und ein paar Fotos gemacht. Leb wohl Küche, leb wohl Schlafzimmer, leb wohl Badezimmer, leb wohl Küchentisch, leb wohl Treppe. Leb wohl du alter Ahnherr auf dem dunklen Ölgemälde im Flur. Gehabt euch wohl. Ich habe nicht Auf Wiedersehen gesagt, sondern bye bye. Obwohl es schön da war. Zu Wien sage ich Auf Wiedersehen, irgendwann. Aber dann in einer anderen Bleibe, irgendeiner Zuflucht, wo ich wieder ein Bett verschieben werde. Wann das sein wird, weiß ich noch nicht. Als ich die Tür hinter mir zuzog, wusste ich auch noch nicht, ob ich im Jahr darauf oder viele Jahre später einmal wiederkommen würde, aber dass es nicht das letzte Mal in Wien war, das spürte ich. Das war ein angenehmes Gefühl. Als ich mit meiner großen Reisetasche und der kleineren über der Schulter vor die Tür trat, wo es schon wieder - oder immer noch regnete, wusste ich, dass ich nur bis zur Ecke laufen musste, zur Wiedener Hauptstraße und ein Taxi würde sich finden. Und so war es auch.




: : alle Wiener Geschichten : :

26. Dezember 2014






Sacher. Demel. Hawelka. Prater. Riesenrad. Fiaker. Grinzing. Heuriger. Hofburg. Burgtheater. Kaffeehaus. Walzer. Sachertorte. Qualtinger. Einspänner. Schlagobers. Heller. Sezession. Jugendstil. Schönbrunn. Klimt. Schiele. Opernball. Sissi. Conchita. Würschtel. Mehlspeisen. Stephansdom. Naschmarkt. Wien. Finden Sie den Fehler. Ich sage mal so: ein Fehler in dem Sinn, dass sich in der Aufzählung der bekanntesten Wien-Schlager, einer eingemogelt hätte, der nicht hineingehört, ist nicht festzustellen. Die Wienkenner werden die Augen verdrehen, dass hochkarätige Kultur-Erscheinungen wie Alfred Loos und Karl Kraus und die ungefähr siebzig anderen Kaffeehäuser nicht dabei sind. So wie Vieles noch erarbeitet und ergänzt werden müsste. Aber was da oben aufgezählt ist, sind die Dinge und Phänomene, von denen ich unterstelle, dass jeder schon einmal davon gehört hat, der weiß, dass die Stadt Wien überhaupt existiert, ohne sie je betreten zu haben. Und wenn wir uns nun die drei genannten gastronomischen Institutionen Sacher, Demel, Hawelka anschauen, ist es doch schon betrachtenswert, warum ein Kaffeehaus mit so einem komplizierten Namen wie Hawelka da drin ist. Womit hat es das Hawelka geschafft, als eine derartige Sehenswürdigkeit zu gelten, dass man das Gefühl hat, man kann keinesfalls abreisen, ohne wenigstens selbst einmal geschaut zu haben, was es damit auf sich hat? Es ist halt einfach... alles. Die Geschichte. Das Mobiliar. Die ganze Legende. Die Bilder. Die Schummerbeleuchtung. Die Litanei der berühmten Gäste. Die Lage. Dorotheergasse. Erster Bezirk. Alles kommt zusammen. Und das Etablissement ist noch immer in Familienbesitz, seit achtundsiebzig Jahren. Seit die Gründer, der Leopold und die Josefine nicht mehr sind, haben die Kinder und Kindeskinder das Geschäft in die Hand genommen und schnell begriffen, was ja auch nicht schwer ist, dass sie rein gar nichts verändern dürfen. Und bloß nicht renovieren! Das ist die halbe Miete vom Hawelka. Ausgefranste Kanapees. Dunkelgerauchte Wände. Verblichene Kritzeleien. "Vor 30 Jahren waren diese Wänd' einmal weiß" , sagt Günter Hawelka, 69, erklärend. Die seither eingetretene Verdunkelung sieht er als edle Patina an. "Rauchen gehört zum Kaffeehaus mit dazu, denn im Kaffeehaus ist immer geraucht worden. Ein Rauchverbot ist ein Frevel an der Kaffeehauskultur", ist der Sohn des Hawelka-Namensgebers Leopold Hawelka überzeugt. Das stammt aus einem Artikel im Standard über das Für und Wider der Rauchkultur im Wiener Kaffeehaus. Im Wikipedia lesen wir: Heimito von Doderer schrieb bereits 1960 über das Hawelka: „Es ist bereits in London bekannt, und es treffen auch Leute aus Paris und den Niederlanden im Café Hawelka ein“ – und warum: „Letzten Endes nur deshalb, weil Herr Hawelka nicht renoviert.“ In der Tat ist das Interieur der Räumlichkeiten, das von einem Schüler des Architekten Adolf Loos entworfen worden sein soll, seit 1912 unverändert geblieben. Also auf ins Hawelka. Im Sacher war ich zum Beispiel nicht. Und im Demel auch nicht, aber fast. Das Demel ist ja mehr so ein hochklassiger Tortentempel. Aber im Hawelka kann man sich auch nur zum Saufen und hoffentlich bald auch wieder Rauchen aufhalten. Man muss nicht die ewigen Buchteln essen, man kann auch gleich zu den harten Drogen übergehen!




Über die ganzen Künstler und Prominenten kann man ja überall lesen. Auf der Seite vom Hawelka selber gefällt mir die Formulierung ganz gut: "Während der Sechziger und Siebziger stellt das Café Hawelka schließlich alles dar, was in der Wiener Künstlerszene frisch und tatendrängig ist. Eine Tatsache, die auch immer mehr Berühmtheiten aus dem Ausland anzieht." Tatendrängig! Auch ich fühle mich direkt tatendrängig, wenn ich das lese! Der Standard hat es ganz gut beschrieben. Und so eine tumblr-Sammelsurium-Seite gibt es auch. Wer jemals die Heller-Biographie Feuerkopf liest, muss sich durch mehrere Kapitel arbeiten, die sich ausschließlich im Hawelka abspielen. Für Heller war das Lokal seine Privatuniversität, in der er sich bereits im zarten Alter von vierzehn Jahren von Tisch zu Tisch gearbeitet hat, bis er selber ein Teil des Inventars war und auf Augenhöhe mit Qualtinger schwadronieren konnte. Da ist ein anschauliches Amateur-Video, mit einem Schwenk durchs Lokal am Tag. Und da erzählt ab Minute 1:45 der Sohn Günter Hawelka von der Geschichte. Und hier ist noch ein siebenminütiges, etwas gewöhnungsbedürftiges Filmdokument, in dem die Tochter Herta mit ihrem Vater und einer Reporterin auf der Polsterbank zu sehen ist, da wo wir auch gesessen sind. Das etwas merkwürdige an dem Interview ist, dass die Reporterin eigentlich dem alten Hawelka (da war er schon 99, also ein Jahr vor seinem Tod) die Fragen stellt, aber die Tochter antwortet, weil er wahrscheinlich schlecht hört und nicht mehr so ganz beieinander ist. Er sitzt fast ein bißchen wie entmündigt da und rührt in seinem Kaffee und kriegt scheinbar nur die Hälfte mit, wenn überhaupt. Aber immer adrett mit einem Mascherl, wie der Wiener sagt. Die Tochter beantwortet jedenfalls alles komplett. Wahrscheinlich hätte man ihn auch kaum verstanden, wenn er es selber gemacht hätte. Aber immerhin behauptet die Herta, dass er manchmal noch Anweisungen geben würde. Na ja. Wir werden alle einmal alt, so Gott will, jedenfalls. Nur wer jung stirbt, muss sich nicht mit Alterserscheinungen herumplagen. Die drei kleinen Filme geben insgesamt schon einen guten Eindruck. Aber wie schön schummrig es im Dunkeln ist, sieht man auf meinen Bildern. Wir sind vom Griensteidl kreuz und quer durch den Nieselregen hingelaufen, es war schon fast dunkel. Schon am Eingang habe ich mich gleich recht wohl gefühlt, weil ich eine starke Vorliebe für Lokale mit wenig Beleuchtung habe. Da kommt doch eine ganz andere Stimmung auf! Es war von der Uhrzeit her irgendwas zwischen sieben und acht, denke ich. Das Hawelka hat zum Beispiel bis 2 Uhr nachts auf, daran sieht man schon, dass es sich nicht um so ein betuliches Tanten-Café handelt, wo sich alles nur um Zuckerbäckerwerk dreht. Wir haben uns zuerst im hinteren Bereich auf so eine schöne gestreifte, samtgepolsterte Bank gesetzt, da hat man aber nicht so gut gesehen. Gerade wo wir bestellt haben, ist die schönste Polsterbank frei geworden, die vor der Mittelwand steht und von der aus man in den vorderen Gastraum und zur Tür schauen kann.






Ich habe diesmal doch einen Kaffee Maria Theresia bestellt, weil er anders als im Griensteidl ohne die komischen Zuckerstreusel gemacht wird. Knirschende Zuckerstreusel brauche ich nicht auf dem Kaffee! Außerdem meine ich, dass der Alkohol eine Mischung aus Orangenlikör und Weinbrand war. Es gibt da ein paar kleine Varianten in der Zubereitung. Hier ist ein sehr schönes Rezept: "Maria Theresia hat es dagegen gerne hochprozentig, mit einem (sehr oft großzügigen) Schuss von (zu gleichen Teilen) Orangenlikör und Weinbrand, im verlängerten Mocca, mit Orangenzesten, Zucker und Schlagobersgupf, ebenfalls im Laufglas serviert." Und da ist noch eins mit schönem Foto. Jedenfalls hat mir der Maria-Theresia-Kaffee vom Hawelka ganz ausgezeichnet geschmeckt. Auch liebe ich recht viel Schlagobers oben drauf. Wenn ich das Bild mit unserem Tisch so betrachte, scheint es mir, als hätte Duke sogar Kaffee getrunken. Wahrscheinlich einen Verlängerten. Auf keinen Fall mit Schlag. Da wird ihm schlecht! Es ist nicht bei einem Maria-Theresia-Kaffee bei mir geblieben, weil es doch sehr gemütlich war, da zu sitzen und hinaus in den Regen zu schauen, wie er so an die Scheiben und auf das Kopfsteinpflaster der nächtlichen Dorotheergasse prasselt. Ich war wirklich froh, dass das letzte Lokal so ein schönes war, wo man nicht insgeheim gedacht hat, viel Tamtam um Nichts! Es ist halt furchtbar bequem da. Und der Ober lässt einen in Ruhe. Wer etwas anderes wahrgenommen hat, muss vielleicht noch einmal nach Einbruch der Dunkelheit hin, an einem schönen Regentag.





Wie der Abend zu Ende gegangen ist, möchte ich mit Hilfe eines Auszuges aus einer Antwortmail an Victor beschreiben, in der ich vor ungefähr drei Wochen unter anderem auf seine Frage antwortete, was ich mir bei meinem nächsten Wienbesuch anschauen wollen würde: "(...) und die Burg würde ich mir auch anschauen, in eine Aufführung gehen und ins Café Landtmann darunter. Ich habe ja auch nicht einmal das Hotel Sacher richtig vor mir gehabt, weil keine Zeit war, war ich in der Ecke gar nicht und das gehört doch dazu und dann habe ich den Taxifahrer am letzten Abend, nachdem wir im Hawelka waren, und es schon dunkel war und in Strömen geregnet hat, gebeten, doch bitte wenigstens mit dem Taxi einmal da vorbeizufahren, am Sacher und an der Burg und da hat er dann eine richtige kleine Stadtrundfahrt draus gemacht, mit viel extra Erklärungen auch zum Parlament - aber da hat er dann angefangen zu politisieren und da wurde es ein bißchen haarig. Er hat allen Ernstes Adolf Hitler erwähnt. Also irgendwie entschuldigend. Da habe ich ziemlich geschluckt. Duke hat dann auch, nachdem bis dahin alles sehr freundlich und nett war im Taxi, einen energischen Einwand gebracht, frag mich nicht mehr, was genau. Ich war nur saufroh, dass wir bald in der Lambrechtgasse waren. Die Stimmung war dann etwas abgekühlt, weil der alte Wiener gemerkt hat, dass wir nicht in dieselbe Richtung wie er denken. Huiuiui. Das war ein Schauspiel für sich..." Ja. So war das. Ich habe also das Sacher durch die Scheibe im nächtlichen Regen gesehen. Und das Burgtheater. Und das Parlament. Wo die Kasperln drin sind, das Kasperltheater, wie der Taxifahrer gemeint hat. Wo er noch lustig war. Es kann ja auch nicht alles immer komplett perfekt sein. Aber es war schon nah dran. Wir sind nicht so spät in der Lambrechtgasse angekommen, denn wir wollten noch essen, es war ja noch einiges im Eiskasten, wie der Wiener sagt. Und richtiger Champagner sogar und Rotwein, der musste ja auch weg. Ich hätte im Flieger ja auch gar keine Flasche mitnehmen dürfen. Packen mussten wir auch noch. Was man alles muss, wenn man Wien verlassen muss. Ich habe noch ein paar Bilder für morgen und übermorgen und sogar überübermorgen in petto. Es wird noch ausführlich abgereist. Da bin ich sehr genau. Das war nicht der letzte Streich. Und wenn dieses ereignisreiche Jahr nun zu Ende geht, werde ich in meinem Flieger sitzen, heim von Wien nach Berlin und Duke in seinem Zug.

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