27. Juli 2010

Heute vor drei Jahren.

Irgendwie fast schon mystisch. Seit Jahren erhalte ich immer wieder Mails aus einer Nico gewidmeten Newsgroup. Ich lese sie seit längerem nicht mehr. Ich hab so viel über Nico gelesen, erfahren, so viele Bilder gesehen, Filme, kenne alle Songs in- und auswendig... was soll da noch an Neuigkeiten passieren. Aus irgendeinem Grund hatte ich heute Lust, die letzte Mail dieser News Group zu lesen. Ein Mitglied, Zoltan, erwähnte, dass er gerade in Berlin war, auch am Grab und dass er Fotos gemacht hätte, ob Interesse bestünde, sie zu sehen.



Da fiel mir wieder ein, dass ich vor einiger Zeit ein Bild rahmte und an ihrem Grab hinterlegte, und fragte mich, ob es wohl noch dort sei. Ich kam auf die Idee, die Bildersuche im Netz zu bemühen, um ein möglichst aktuelles Bild des Grabes zu finden. Das neueste, das ich fand, war vom letzten Sommer. Dieses hier. Mein Bild war noch da. Man sieht es mittlerweile auf fast allen Bildern im Netz, die ihr Grab zeigen. Das rührt mich. Es wird mit Respekt behandelt und gilt als ein fester Bestandteil ihrer letzten Ruhestätte, wie es scheint. Es wäre ein Sakrileg, das Bild zu entwenden. Ich hoffe, es ist immer noch da. Doch, ja ich glaube schon. Denn Zoltan schrieb in der News Group, dass er ein bißchen enttäuscht sei, dass keine neuen Reliquien dazukommen wären seit seinem letzten Besuch, es sei ganz unverändert...



Außer dem Bild der Berliner Fotografin Ilse Ruppert, fand ich auch noch eines, auf dem man die poetrYclub-Karte sieht, die Cosmic am 14. Juni 2008 dort hinterlegte, als wir zum ersten mal gemeinsam unterwegs waren, in Berlin Arizona. Die Karte lag in dieser Steinschale, von Regen und Sonne und Wind und Wetter gezeichnet und gewellt. Nach nur vier Wochen schon so viel Patina. Auch dieses Bild rührt mich. Überhaupt diese Spuren der Vergänglichkeit. Wie schnell alles geht. Ich mag es sehr, wie sich auf meinem Bild durch das Eintreten von Feuchtigkeit Verfärbungen am Passepartout zeigen.



Amüsiert hat mich auch, dass jemand anderes unter eine Fotografie des Grabes schrieb, ein Fan hätte ein gerahmtes Bild hinterlegt und darunter auf Französisch eine Widmung geschrieben. Was ich unter das Bild schrieb, war nicht französisch sondern ein englisches Textfragment des Nico-Songs Nibelungenland "in flames I run, in flames I run, waiting for the sign to come..." den man am Ende auch in meinem kleinen Film hören kann. Das irgendwie Mystische daran ist eigentlich nur, dass ich Ilse Ruppert unter ihrem Foto dankte und ihr einen Link zu dem Set heraussuchte, um ihr das Entstehen zu zeigen. Und da fiel mein Blick auf das Datum, es war genau heute vor drei Jahren, dass ich dieses Bild für Nico machte und es ihr ans Grab brachte. Schön, heute Abend an sie zu denken. Und an die Momente, als ich dort war. Es waren immer schöne Augenblicke. Besondere. Vor neun Tagen war ihr Todestag. Ich dachte nicht daran. Aber aus irgendeinem Grund scheint dieser 27. Juli mein Nico-Gedenktag zu sein.



Ich merke gerade, wie gut es mir tut, mich damit abzulenken, mich ihr zuzuwenden. Sie hat mir immer gut getan. Wenn ich mich mit ihr beschäftigte, war ich mir selbst immer sehr nah. Bin es. Bei ihr und doch ganz bei mir. Ich trinke auf dich, Nico. Ich mache jetzt für dich meine letzte Flasche Veuve auf. Zur Feier des Tages. Auf dich und mich. Auf uns, und alle die uns nah sind und waren.

27. Juli 2010

Nächster Eintrag. 19. Juni Zweitausendzehn. Ein Samstag. Ein Sonnabend. Komisch, Sonnabend kenne ich erst im lebhaften Sprachgebrauch, seit ich in Berlin lebe. In Bayern sagt kein Mensch Sonnabend. Am Tag, also tagsüber hing ich drei frischgewaschene Charlie-Shirts in den Wind. Wie sie da wehten, hoch über der Auguststraße. Schön sah das aus.



Ich war fleißig, weil ich unsere Foto-Schießerei am Montag vorbereitete. Vielleicht würde ich die T-Shirts brauchen können. Ja, brauchte ich. Brauchten wir. Jetzt hab ich nur noch eins hier. Das Größte, in das ich zweimal reinpasse. Vielleicht packe ich die Nähmaschine aus und näh es enger, dann hab ich ein Minikleid mit Charlie drauf. Dazu ein paar kecke Stiefelchen, das kommt bestimmt nicht schlecht. Ein Bowler dazu wäre auch sehr cool. Aber die sind teuer. Melonen sind verdammt teuer. Aber man muss sich auch mal was Schönes gönnen. An Pan Tau fand ich die Melone ja nicht so attraktiv, aber die Serie hab ich als Kind geliebt.

Und später kamst du. Mein Gott das klingt wie eine Zeile aus einem Siebziger Jahre-Schlager. Ist das nicht von Daliah Lavi? "Dann kamst du..." Die fand ich ja auch immer toll als Kind. Ach nein, das war "Wann kommst du?". "Dann kamst du" ist von Vicky Leandros, wie ich mich gerade bei youtube schlau gemacht habe. Das war ja sogar ein Grand Prix-Hit. "Après toi..." Mais oui...! Je me souviens. Langsam kommt die Erinnerung. Na ja, ist ja nun auch sehr lange her. Ich weiß auch nicht, warum ich in letzter Zeit immer zwischen der zweiten und dritten Person wechsle. Vielleicht weil du jetzt so weit weg bist und ich die stummen Buchstaben zu ein bißchen mehr Leben erwecken will, damit sie noch einmal anfangen zu atmen. Den Herzschlag der erlebten Stunden wieder spüren. Ich sollte Schlagertexte schreiben. Für Michelle. Manchmal ist einem das eigene Pathos zuwider, peinlich. Und doch muss es sein. Muss es irgendwie rein.

Wir waren verabredet - nein, richtiger - ich durfte dich begleiten zu einem Fest, einem jährlich wiederkehrenden Gartenfest in Kleinmachnow. Vorher wickelte ich am Küchentisch noch den Dépardieu-Artikel um den Wein. Du hattest ein weißes Hemd an. Es gibt ein einziges Foto von diesem Abend. Du in meiner Küche. Später fotografierte ich nicht. Es hätte einfach nicht gepasst. Peinlich wäre es gewesen. Wie ein Paparazzo, eine Paparazza wäre ich mir vorgekommen. Obwohl kein Bunte-Leser auch nur ein Produzenten-Gesicht gekannt hätte. Es hätte einfach nicht gepasst. Aber ich war auch nicht traurig, keine inneren Haderstunden "Ach, hätte man das doch jetzt für die Ewigkeit eingefangen!" Nein, alles ganz friedlich.

Wir laufen zur S-Bahn, über den Hackeschen Markt. Bis Zehlendorf müssen wir und von da fährt ein Bus. An der Bushaltestelle müssen wir so lange warten, dass wir anfangen, die Umgebung der Haltestelle zu erkunden. In einem Hinterhof so schöne alte Autos. Nein, Automobile muss man sagen. Ein dort ansässiger Oldtimer-Club hat ein Treffen. Was für herrliche Automobile. Ich kann mir plötzlich vorstellen, einen cremeweißen Cadillac mit offenem Verdeck zu haben, so ein Modell aus den Zwanziger Jahren, mit Wurzelholz-Amaturenbrett und cognacfarbenen Velourslederbezügen. Vor meinem inneren Auge fahre ich bereits wie Kim Novak als Lylah Clare durch Robert Aldrichs "Große Lüge Lylah Clare". Und herrlich, wie das Ersatzrad vorne in eine Vertiefung in der Kühlerhaube eingebaut ist. Ich bin entzückt. Und du erkennst sofort, dass man dann natürlich unbedingt so eine Lederkappe und perforierte Handschuhe aus feinstem Straußenleder braucht. So wie früher. Der Bus kommt.

Alte Alleen, alte Bäume, man ahnt noch den Wald, aus dem dieses putzige Kleinmachnow erwuchs. Zu deinem alten Schulfreund Christian. In eurer Jugend einer der Widerspenstigsten, Rebellischsten von allen, wie du sagst. Aber er hat noch was davon. Etwas attraktiv Störrisches in den Augen. Aggressiv, auf eine produktive Art. Fernsehserien produziert er. Sehr erfolgreich. Alphatier, durchdringender Blick. Ihr beiden seid zweifellos die attraktivsten Männer in diesem Fernsehgarten. Das Haus perfekte Kulisse eines eleganten ZDF-Fernsehspiels. Blondierte Frauen in weißen Sommer-Anzügen. Ungewöhnlich hanseatisch für Berliner Verhältnisse. Pfingstrosen schwimmen in rhythmisch platzierten Glaschalen auf verwirrend elegant eingedeckten Bierzelt-Tischen. Dezente Hintergrundmusik im windgeschützen weißen Gartenzelt, nicht zu laut, nicht zu aufdringlich. Bekannte Melodien, ein bißchen Swing, ein bißchen Jazz, ein bißchen Lounge. Gegrilltes, große Meerestiere. Die King Prawns so riesig, dass ich den Kampf mit der Schale fürchte und vorzugsweise die unkomplizierter einzuverleibenden Grillwürstchen nehme, auf die ich sowieso den größeren Appetit habe. Es gibt scharfe Soße. Sehr gut. Der Rotwein angenehm, obgleich aus Italien. Es scheint sich um eine hochklassige Empfehlung zu handeln. Der Bruder des Gastgebers ist Weinhändler und auf Italiener der Oberliga spezialisiert. Leider abwesend. (Weinhändler sind mir prinzipiell sympathisch).

Die meisten Gäste waren von Beruf irgendwas mit Film- und Fernsehproduktion oder Drehbuchautoren. Die Menschen hinter den Kulissen der Branche. Viel Serie, viel Tatort. Gar keine Schauspieler dabei. Es wurde über schwindende Fördergelder gefachsimpelt und auch ein bißchen gelästert und ich lernte ein schlimmes neues Wort beim Zuhören. Produzent X zu Produzent Y "und dann hat dieser Schauspieler, der Soundso, na du weißt schon - Entschuldigung, sagte ich Schauspieler? Ich meinte natürlich Darsteller - äh - Gesichtsvermieter -" Na ja. Gelästert wird überall.

Wir brachten dem Gastgeber den Dépardieu-Wein mit, das hab ich doch schon irgendwo erwähnt (ah ja, hier). Und seine Tochter... er hat zwei Töchter, ungefähr acht und zehn und - hab ich das nicht auch schon geschrieben? Ich hab gerade ein déjà vu bei meinem eigenen Geschreibsel - jedenfalls haben wir den Mädchen supercoole Deutschland-Wimpern mitgebracht und tolle Deutschlandpappkronen und Deutschland-Herzchen-Tattoos, weil man war ja noch voll der Hoffnung und im WM-Fieber und die kleinere der beiden, die Sängerin werden will (und später irgendwann dieses Zeug redete, von wegen wir sähen uns ähnlich), sang mir ihr Lieblingslied vor, das Papa nicht mehr hören kann, auf dem Rasen, neben dem Feuer und weil sie so klein ist und ich so groß, kniete ich mich hin. Und sie sang "Orchester in mir". Ein Lied, eigentlich von Christina Stürmer, das irgendeine Kinderkanal-gecastete Mädchen-Band ("Saphir") erfolgreich gecovert hat. Und sie sang es mit so viel Herz die Kleine. Ich war den Tränen nah. Und kniete vor ihr im Rasen und die Erwachsenen auf der Terrasse, außer Hörweite wunderten sich über das seltsame Schauspiel. Sie konnte den Text nicht ganz auswendig und guckte dabei in das Booklet der CD und verhaspelte sich, es war auch sehr schummrig und schwer zu lesen. Aber sie sang es mit so viel Herz. Ein Lied von einem Mädchen, das ihren Märchenprinzen auf einer Party trifft, aber er ist schon vergeben, doch wenn sie ihn sieht, dann spielt jedesmal "ein Orchester in ihr" bzw. "in mir". Dieses Lieben und Verliebtsein, das ist in jedem angelegt, es ist, als ob man es von Anfang an in sich trägt. Man muss es nicht erst durchlebt haben. Sonst könnte die kleine Anna, das gar nicht so tief nachempfinden. Das war der schönste Moment auf der Gartenparty.

Und ich erinnere gerne die lebensfrohe Tante von Christian mit dem hellgrünen Lidschatten, die war auch sehr toll. Und ihr sinnenfroher Mann, der Ex-Banker, glücklicher Ruheständler. Die mochte ich gleich, beide, in ihrer Lebensfreude. Du auch. Hellgrüner Lidschatten, tausend Lachfalten, knallroter Mund. Großartig. Und ja, natürlich erinnere ich den etwas frustrierten Produktionsregisseur oder wie sich sein Job nennt, den ost-sozialisierten, eloquenten, politisierbereiten in der schwarzen Lederjacke. In unserer Raucherecke da. Und dass man eine gewisse subversive Bereitschaft spürte, deren praktische Umsetzung, Manifestation im Unwägbaren versuppte. Wie meistens. Und später hörte ich von dir, dass eines eurer Terrassengesprächsthemen, als ich mich ganz und gar dem singenden Kind hingab, sexuelle Treue und deren Wertigkeit bzw. in Frage zu stellende, innerhalb von sehr lange währenden Langzeitbeziehungen war. Interessantes Gesprächsthema. Vor allen Dingen im aktiven Diskurs mit zwei so attraktiven Frauen, wie deinen beiden Gesprächspartnerinnen. Die hatten wirklich Klasse und Sex Appeal. Keine Frage. Von Schönheit ganz zu schweigen. Der Mann in mir wäre noch viel dichter an den beiden drangeblieben.

Und am Ende, als wir plötzlich ernst sprachen, da in diesem eleganten Wohnraum stehend, wo man sich kaum traute, Platz zu nehmen, so gestylt war alles. Sehr ästhetisch, ein bißchen zu sehr wie in einer Hochglanzzeitschrift. Man überlegte, ob man dem ausgezirkelten Layout des Raumes noch gerecht würde, wenn man sich in einem der roten Sessel niederließe, da gegenüber von dem blitzweißen Sofa. Wovon redeten wir da am Ende eigentlich... was war das noch... - unsere Väter. Dass unsere Väter zum großen Teil von Frauen erzogen wurden, die ihre Männer im Krieg verloren hatten. Und was das mit den Vätern machte. Mit ihrem Mannsein, ihrem männlichen Selbstverständnis. Ihrer Durchsetzungskraft. Das fehlende gelebte Leitbild männlicher Aggression. Meinen Vater betraf das nicht. Er hatte einen Vater, der sehr alt wurde. Mein Großvater hatte sich vor der Wehrmacht gedrückt. Er hatte in irgendwelchen Schnaps getunkte Zigarren geraucht, bis ihm speiübel war zur Musterung. Dann wollten sie ihn nicht. Er wurde 83 Jahre alt. Ich hielt seine Hand, als er starb. Ach ja... dieses Fest in Kleinmachnow... Katja und ihr Lebensgefährte, auch ein Drehbuchautor, nahmen uns mit zurück nach Berlin. Er hatte uns diese beiden Filme ans Herz gelegt. Wir glauben ihm sofort, als er uns Crazy Heart und The Wrestler nahe legt, die wir uns unbedingt ansehen sollten. In einem waren wir. In Crazy Heart... noch gar nicht so lange her. Ein schöner Film. Von dem Abend gibt es auch ein paar Bilder. Irgendwann. Später.

26. Juli 2010

11. Juni Zweitausendzehn. U-Bahn Samariterstraße. Kinzigstraße. Weserstraße. Kurz bevor ich die Jungstraße überqueren will sehe ich, dass ich nicht weiter in Richtung deiner Wohnung laufen muss, weil du mir schon entgegenkommst. Du hast dieses robuste dunkelbraune Baumwollhemd an, das dir so gut steht und du eher selten trägst. Ich hab auch was Braunes an, auch eher selten, als hätten wir uns verabredet.

Wir sind verabredet, einen neuen möglichen Proberaum anzugucken. Im ehemaligen Funkhaus der DDR in der Nalepastraße. Man kann dort jetzt Proberäume mieten. Die Akustik im ehemaligen Großen Sendesaal soll so hervorragend sein, dass er schon von Sting und den Black Eyed Peas für Aufnahmen gebucht wurde. Bevor es losgeht, treffen wir Sebastian, den neuen Booker für die Gigs im Osten. Über ihn kam die Connection, er ist auch Drummer und ist bereits mit seiner Band Mieter in der Nalepastraße. Ein Café in der Kinzigstraße. Ein bißchen Kennenlernen. Wir sitzen nebeneinander auf der Bank, draußen. Ich spüre deine Wärme. Du stellst mich als diejenige vor, die u. a. auch die Bandfotos machen wird. Cappuccino. Dein Tabak.

Aber vielleicht hab ich auch gar nicht geraucht. Wenn du anfängst, krieg ich immer Lust. Alleine rauche ich nie. Das war früher, in meiner Jugend. Da hab ich mir immer Tabak gekauft und gedreht. Alles Mögliche. Samson, Drum, Old Holborn, später härtere Sorten. Schwarzer Krauser, Gauloises. In meinem Zimmer unterm Dach aus dem Fenster geraucht. Und auf Schulhöfen. Waldlichtungen. In Diskotheken. Bei Konzerten... irgendwann hab ich erkannt, dass ich eigentlich nur eine Gesellschaftsraucherin bin, das Ritual mag, ja auch den Geschmack der ersten drei Züge. Dreimal im Jahr kauf ich mir selbst eine Schachtel, meistens rauche ich die Zigaretten meiner Begleitung. Meiner Lunge geht es gut, meine Verabredungen mit Rauchern sind überschaubar geworden.

Man fährt eine ganze Weile dahin, zum Funkhaus. Proberäume, zumal mit Fenstern sollten ja immer ein bißchen abgeschieden liegen. Auch wenn die Schallisolierung gut ist. Den Luxus eines Proberaumes mit einem Fenster, das sich auch öffnen lässt, ab und zu auskosten. Das Gelände ist gut bewacht, man kommt nicht ohne Weiteres in das Funkhaus, muss angeben, in welche Raumnummer man will. Unserer ist in der siebten Etage. Wieso schreib ich eigentlich 'unserer'. Nicht meiner. Ich werde dort ja kaum proben. Identifikation.



Cosmic hat seine neue Kamera dabei. Er hat sich die gleiche wie ich gekauft, er hatte sie mal in der Hand und sie gefiel ihm. Was bislang bei keiner anderern Digitalkamera der Fall war. Er hat früher viel und gut fotografiert, analog. In seinem Jahr in Kalifornien hat er sogar irgendeinen Preis für ein Foto gewonnen, hat er mir erzählt. Die wenigen alten Bilder die ich sah, waren tatsächlich gut. Eine mir vertraute Sichtweise auf die Dinge. Subtil. Klar und irgendwie traumhaft, surreal. Als er mir entgegenkam, in der Weserstraße, mit hochgehaltener Kamera, drehte ich mich um, weil mir nicht nach fotografiert werden war. Er lachte, weil ich mich so zierte. Später hat er mich doch ein paar mal erwischt. Ich bin da sehr scheu. Auf einigen Bildern sieht er erschöpft aus, so empfand ich ihn gar nicht. Es war wohl das harte Licht an dem Fenster. Von mir ist ein Bild dabei, auf dem ich zufrieden in die Welt lächle. Man könnte denken, ich wäre ein zutiefst ausgeglichener Mensch, der in seiner Mitte ruht. Verückt. Dabei ist Cosmic derjenige von uns beiden, der meditiert und gute Gedanken hegt und pflegt. Ich bin dagegen ein Monster. Eigentlich müsste er gucken wie ich und umgekehrt. Verkehrte Welt. Verrückt. Ein Freund von Sebastian war noch dabei und dessen Gefährtin. Ich kannte ihn gar nicht, aber diese Jägermeisterfahne im Hintergrund und seine Tattoos gefielen mir. Das sieht alles so ein bißchen verhauen aus. Wie das eben muss, bei so Proberäumen von Rockbands. Der Raum ist ganz gut und hat Fenster. Auf einer Scheibe klebt ein Stones-Sticker. Micks Zunge. Diese Ikone. Das Kreuz der Christen, Coca Cola und diese Zunge. Die drei größten Ikonen der Welt. Wir sehen uns noch ein bißchen das Gelände an, die Sonne geht schon unter. Seltsame Hinterlassenschaften, ein gepolsterter Stuhl im Nirwana.



Das Funkhaus liegt an der Spree, ein paar Fußballfans haben einen kleinen Fernseher ins Gras gestellt und grillen und gucken WM. Auf einem breiten Grasstreifen am Wegesrand fängt sich das Abendlicht in den Grashalmen, ich würde mich am liebsten in das grün und gelb flirrende Wiesenbett legen, aber so romantisch ist die Umgebung dann auch wieder nicht. Da im Gras, da hätte man wirklich schöne Bilder machen können. Ein Herr von der Sicherheitszentrale kommt mir entgegen, ich habe meine Kamera in der Hand, er lächelt mich an, geht an mir vorbei. Fünfzig Meter hinter mir ist Cosmic, fokussiert den Schutt, mit der gleichen Kamera. Der Sicherheitsmensch geht an mir vorbei, auf ihn zu und teilt ihm mit, dass Fotografieren auf dem Gelände nur mit Genehmigung erlaubt sei, ob er eine hätte. Nein. Keiner von uns hat eine Genehmigung. Wir machen das einfach. Tut ja auch keinem weh. Wir fahren zurück, noch einmal in das Café von vorhin, ich trinke ein Astra, Cosmic bestellt in Experimentierlaune ein Starkbier, das ihm dann noch nicht schmeckt und netterweise zurückgenommen wird, gegen ein Helles getauscht. Sebastian erzählt, dass er von der Biographie des Typen fasziniert ist, der in den USA diese Wrestling Shows populär gemacht hat. Ich frage ihn, ob er die Biographie von Fritz Rau kennt. Er weiß gar nicht, wer das ist. Er ist noch so jung. Vielleicht Ende Zwanzig. Ich erkläre es ihm. Ja, das Buch interessiert ihn.

Wir haben Hunger. Landen in einem indischen Lokal, irgendwo da am Boxhagener Platz. Ich hatte eigentlich eine nette Einladung zum Grillen in Köpenick, aber das war uns zu weit. Ich wollte gerne irgendwohin, wo wir noch nicht waren. Also dieser Inder da, warum nicht. Ich stelle wieder einmal fest, dass mir in indischen Lokalen meistens nur dieses aufgeplusterte Brot so richtig schmeckt. Alles andere ist mir zu pampig, zu einerlei. Ich bin auch ein bißchen pampig. Der trocken bezeichnete Wein ist so lieblich, dass ich ihn in hohem Bogen auf das Kopfsteinpflaster schütte. Bestelle einen Riesling hinterher. Geht einigermaßen. Ein Abend, an dem ich auf Krawall gebürstet war, könnte man denken. Aber es stimmt nicht. Ich hab ein paar Dinge ausgesprochen, die ich sonst aus Diplomatie für mich behalte. Man weiß ja, dass man ein sensibles Gegenüber hat. Ich weiß das. Aber es gibt einen Punkt, wo unter den Teppich kehren, die Qualität von Unwahrheit bekommt. An diesem Abend hab ich ein paar Staubmäuse hervorgeholt. Ich weiß nicht mehr, ob du wirklich wütend warst, aber ich erinnere mich, dass du anschließend glaubtest, dich sehr entschuldigen zu müssen, weil du so 'böse' zu mir warst. Ach. Ich verstand deine Reaktion. Angemessen, über meine Statements zuweilen in Verzweiflung zu geraten. Aber wir gingen nicht im Bösen auseinander, an diesem Abend. Das weiß ich auch noch. Es tat uns beiden leid. Das Leid Tun.


[ Bilder ]

g a g a
"Situationship", das...
19.05.24, 10:30
g a g a
Lydia G. Wow. Also...
19.05.24, 00:51
g a g a
Margarete 16. Mai...
16.05.24, 19:42
g a g a
Jan Sobottka Dieser...
16.05.24, 11:16
g a g a
Cosima Wald Herrlich...
16.05.24, 08:35
g a g a
g a g a
Cosima Wald Na dann...
15.05.24, 15:16
kid37
Für Mansarden gibt...
13.05.24, 18:46
g a g a
Lydia G. Das feine...
13.05.24, 16:35
g a g a
Da blutet mir ja das...
13.05.24, 11:25
kid37
g a g a
Ah! Kochschinken,...
12.05.24, 21:05
kid37
g a g a
Saskia Rutner Danke...
12.05.24, 13:09
g a g a
Gerade gelernt: "Zur...
11.05.24, 13:41
g a g a
g a g a
P.S. gerade gelesen,...
08.05.24, 13:10
g a g a
Margarete Vielen sehr...
08.05.24, 10:50
g a g a
Jenny Kittmann Oh...
07.05.24, 20:52
g a g a
Saskia Rutner Danke...
07.05.24, 20:45

21.47
a
April
april 2004
april 2005
april 2006
april 2007
april 2008
April 2009
April 2010
April 2011
April 2012
April 2013
April 2014
April 2015
April 2016
... weitere
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren