Ich habe versäumt zu erwähnen, dass der Affenfelsen im Nürnberger Stadtplan anders heißt, nämlich "Am Ölberg". Und da fängt eine Straße an, die von einer Seite von der Neutormauer begrenzt wird, die Straße heißt auch Neutormauer. Hier gibt es linker Hand ganz normale Wohnhäuser, manche sehr farbenfroh, wie hier Ecke Radbrunnengasse. Mich zog es an der alten Sandsteinmauer entlang, im Halbschatten immer der Nase nach. Ich hatte nun keinerlei konkrete Pläne mehr, außer mich ohne Blick auf die Uhr treiben zu lassen, innerhalb der Altstadt zu bleiben. Ich war neugierig, ob ich weitere Déjà-vus bekomme. Wie einen plötzlich an einer Ecke eine Erinnerung an ein Erlebnis befällt. Ich konnte nicht einmal erinnern, ob ich je zuvor so gezielt an der Neutormauer entlang gegangen bin. Zu lange her, alles. Und Nürnberg ist nicht so klein. Es gibt schon Ecken, wo ich nie war, auch innerhalb der Altstadt. Jedes Gässchen kennt man wohl nur in einer Kleinstadt. Früher hätte ich nie gewagt, mich für eine Mietwohnung in der historischen Altstadt zu interessieren. Meine Freunde wohnten damals überwiegend in Gostenhof oder in der Südstadt, das galt noch als bezahlbar. Viele in WGs. Wenn man da jemanden besuchte, hatte man gleich eine Handvoll neuer Bekanntschaften, sehr praktisch, wenn man jung und erlebnishungrig ist. Ich selbst wohnte nie in einer WG, hat sich nicht so ergeben, und ein kleines Reich für mich erschien mir auch reizvoller. Genug Kontakte hatte ich ja. Meine erste eigene, also gemietete Wohnung in Gostenhof war im Hinterhof, der war sehr gesellig und grün, mit Biergartenbänken und im Vorderhaus eine WG mit vielen guten Freunden. Eigentlich habe ich da irgendwie mitgewohnt, saß dauernd mit ihnen zusammen in der Küche, wir kochten und feierten zusammen und so war ich bestens vernetzt. So ein Künstlervölkchen. Alle hatten irgendwas mit Musik und Kino zu tun. Eine aus der WG war die Cousine von Hannes Jänicke, sie schrieb Filmkritiken. Ob sie ihn da löblich erwähnt hat, ist mir aber nicht bekannt. Was ich an WGs nicht so attraktiv fand, war das gemeinsame Benutzen des Badezimmers, dass man sich da irgendwie absprechen muss und auch mal anstehen wie auf Klassenfahrt im Landschulheim. Das erschien mir unkomfortabel.
Als Teenie hatte ich eine Freundin, die mit ihrer Familie in einem schicken Bungalow in einem Vorort irgendwo zwischen Nürnberg und Fürth wohnte. Ihre Mama war eine ganz schicke Frau mit platinblondem Pagenkopf. Die Küche im Bungalow war offen, hatte einen weiß gekalkten Tresen zum Wohnbereich. Einmal hatte meine Freundin die Idee, dass wir ihre Mama in Nürnberg abholen, wo sie privat in einer Wohnung zum Essen eingeladen war. Bei ihrem besten Freund, der ein älterer Professor war. Unverheiratet lebte er alleine in einer Wohnung in der Nähe der Burg. Das war der aufregendste Besuch in einer Wohnung, an den ich mich erinnern kann. Alles wirkte supermodern und schick und durchgestylt. Viele große Bücherwände, moderne Kunstwerke an den Wänden. Und der Knaller: durch die großzügigen Fenster im Esszimmer - wo eine lange Tafel ganz edel gedeckt war - ich glaube mit einer Tischplatte aus Glas - sah man die nächtlich beleuchtete Kaiserburg. Ich war schwer beeindruckt. So toll wollte ich auch einmal wohnen! So etwas hatte ich bis dahin nur in französischen Filmen gesehen. Da muss ich wohl abgespeichert haben, dass man sich so eine Hammerwohnung nur als Professor leisten kann, von denen man ja wusste, dass sie schön viel verdienen. Und ich war ja kein Professor! Also habe ich mich nicht getraut, nach einer Wohnung in der Nähe der Burg zu schauen.