Sehr geehrte Fluggäste, hier spricht Ihr Kapitän. Ich heiße Sie recht Herzlich Willkommen an Bord unseres Passagierflugzeuges Embraer 190. Zunächst einmal möchte sich die ganze Crew im Namen von Airberlin und Flyniki bei Ihnen für die Verspätung entschuldigen. Sicher ist Ihnen nicht entgangen, dass der Schalter beim Gate eine ganze Weile unbesetzt war, bis wir dann doch noch eine Crew gefunden haben, die Sie heim nach Berlin bringen kann. Es ist nun ein Flyniki-Flieger geworden, wie Sie an der Aufschrift einwandfrei erkennen können. Aber wir sind ja alle eine große Familie. Wien und Berlin sind ja schon immer in Sympathie verbunden und nun auch in der Luftfahrt! Aber ich will nicht länger herumreden, wir haben schon genug Zeit vertan! Das Wetter in Schwechat ist im Moment eh nicht so schön, dass Sie sicher auch froh sind, wenn wir die Wolkendecke durchbrechen. Ich hoffe, Sie hatten einen recht schönen Aufenthalt in Wien und freuen uns, wenn Sie uns wieder einmal beehren. Das gilt ganz besonders für unseren Fluggast aus Berlin, Frau Gaga Nielsen, da hinten am Fensterplatz, wenn Sie sich bittschön einmal umdrehen, die besonders viele und prachtvolle Fotos von ihrem Aufenthalt in unserer schönen Landeshauptstadt gemacht hat. Mein Copilot hat mir gerade noch geflüstert, dass sie dazu auch eifrig ins Internet geschrieben hat. Da müssens halt einmal einischauen, wannmer wieder am Boden sind! Solche Botschafter braucht unsere Stadt! Ich werde der Chef-Stewardess gleich noch mitteilen, dass sie der Dame zum Dank ein Glaserl Champagner bringt, mit besten Grüßen vom Kapitän! Habe die Ehre. So, jetzt aber los - mir san spät dran! Und eh ich's vergesse: allen anderen Fluggästen natürlich auch einen spitzenmäßigen Start ins neue Jahr! Let's take off, kommts gut rüber! Mir wären dann so weit, leb wohl Wien!
*(...)Dein Auge hat mein Aug erschlossen, du sahst mich an, da ward es Tag. Mit Licht und Farbe war umflossen, was einst im Graun der Nächte lag. Zur Freude bin ich auserkoren, ich träum in liebetrunkner Ruh. Ich lächle gar, in Lust verloren, der dunklen Zukunft heiter zu. Und mir gehört das Nah und Ferne, mir mehr, als singen kann mein Lied. Wer zählt noch da die goldnen Sterne, wenn er den ganzen Himmel sieht. **Weil auf mir, du dunkles Auge, übe deine ganze Macht, ernste, milde, träumereiche, unergründlich süße Nacht. ***Dein Auge ist mein Himmel, darein ich selig schau, ein hoher Friede schwebet In seinem Wunderblau. Mein Abendstern die Träne, die mild darinnen steht, die küss ich Dir vom Auge, das ist mein Nachtgebet. ****Hüte dein Auge, bewache es immer, denn deine Seele, sie zeigt sich darin. Sei es in sanftem, erbarmendem Schimmer, sei es verdüstert von grollendem Sinn. Gutes und Böses bereiten die Hände, Segen und Fluch, sie entquellen dem Mund. Aber durch wundergeheime Verbände thun sie vorher schon im Blicke sich kund. Hüte dein Auge; bewache es immer. Nicht wegen anderen, sondern für dich. Täuscht dich sonst alles, das Auge trügt nimmer, denn auch nach innen entschleiert es sich. Hüte dein Auge, bewache es immer. (...)
Mal langsam Richtung Gate bewegen, dachte ich um Zwei rum. Der Monitor zeigte auch ordnungsgemäß meinen Flieger nach Berlin an. Noch mal Händewaschen. So sagt man unter Damen, habe ich erst neulich gelernt, wenn man aufs Klo muss, fragt man, wo man sich bitte mal die Hände waschen kann. "Ich müsste mir mal die Hände waschen - - bitte wo?" So ist das bei feinen Leuten.
Ach, da ist ja mein Gate! C 40. Schon schick die Sitzmöbel. Direkt stylish. Wirkt nicht billig! Das rechne ich Wien ja überhaupt hoch an, dass auf Qualität geachtet wird, auch bei der Stadtmöblierung. Obwohl ich bin ja gar nicht mehr in Wien. Aber das will man ja nicht wahrhaben. Man möchte nicht denken müssen: "Ach, Schwechat - ich muss dich lassen!" Das klingt einfach nicht. Auch nicht im eigenen Kopf. Das stimmt hinten und vorn nicht. Nein, wir sind bitte auf dem Flughafen von Wien, ist doch jetzt wurscht, wo der liegt. Wir wollen auf den letzten Metern nicht kleinlich werden. Ah, da rechts vom Gate ist ja ein Pfeil zu einer Treppe nach unten und das bekannte Piktogramm für "Händewaschen". Die Frau mit dem Rock. Immer einen Rock anziehen zum Händewaschen! Nicht, dass sich Männer neben Frauen Hände waschen und es zu Verwechslungen kommt. Es ist eine Wissenschaft. Habe ich eigentlich schon einmal erzählt, dass ich gerne auch mal - also natürlich nur im Notfall - durch die Tür mit dem anderen Piktogramm mit den Hosenbeinen gehe, wenn ich ganz dringend Hände waschen muss, und gerade alle Waschbecken hinter der Tür mit dem Damenpiktogramm besetzt sind? Ich würde ja sonst ewig nicht an den Seifenspender kommen. Und die Papierhandtücher wären dann ja womöglich auch schon vergriffen. Hände waschen ohne Abtrocknen ist meine Sache nicht! Auch da bin ich gewissermaßen Perfektionistin. Aber um wieder auf Schwechat bzw. den Flughafen Wien zurückzukommen: hier war es in keinster Weise erforderlich, heimlich durch die Tür mit dem Hosenpiktogramm zu schlüpfen, weil keinerlei Andrang herrschte. Ich hatte das ganze kleine Reich für mich und habe noch ein paar Minuten mit der Dokumentation des Handwaschbeckens zugebracht. Dem zentralen Möbelstück. Auch das könnte Menschen, die noch nie in Wien waren, interessieren: wie schauen sämtliche Waschbecken in den Handwaschräumen aus? Bitte sehr.
Mein Urteil: summsummarum ausreichend modern. So. Fertig mit Händewaschen. Ich gehe dann mal langsam wieder nach oben zu meinem Gate C 40. Da müsste doch jetzt in den nächsten Minuten eigentlich der ersehnte Schriftzug mit dem aufgeregt blinkenden boarding auf dem Monitor erscheinen. Hey! Ich kenne mich da aus.
Nun wird es also langsam ernst. Es ist schon ein bißchen über die Zeit, aber das soll uns nicht aus der Ruhe bringen. Ich setze mich jetzt lieber auch noch mal hin, bevor kein Platz mehr frei ist. Es werden doch immer mehr Leute jetzt, die scheinbar alle in meinen Flieger nach Berlin wollen. Ab halbdrei fängt das Volk ein bißchen an zu grummeln, weil das Boarding-Wort nicht nur nicht auf dem Monitor erscheint, sondern auch keinerlei Bodenpersonal hinter unserem C 40-Gate. Das wäre erfahrungsgemäß dann doch von Nutzen. Einer muss ja auch die Tür zur Brücke, der Röhre da aufsperren, die zum Flugfeld geht. Ich stehe wieder auf und schaue auf die Hängeterminals in der Halle. Da blinkt tatsächlich "Boarding" neben unserer Fluganzeige. Für ein paar Sekunden. Überall sogar. Dann hört es wieder auf. Die Meute wird nervös! Ein paar hektisch wirkende Flugbegleiterinnen von flyniki, der Niki Lauda-Fluglinie schwirren an unserem Gate herum und wirken ein bißchen peinlich berührt. Warum nur? Also kein Boarding. Jetzt ist es schon fünf nach drei. Was man schon geahnt hat: es gibt wohl eine kleine Verspätung. Nach mehrmaligem, weiteren Boarding-Geblinke hört es wieder auf und endlich hat der für die Anzeige zuständige Flughafen-Mitarbeiter die richtigen Tasten gefunden, mit denen man das Wörtchen "delayed" einblenden kann. Und die Zeit. Die neue Abflugzeit 16:50 Uhr. Also noch mal knapp zwei Stunden Zeit zum Händewaschen. Picobello werde ich in Berlin eintreffen.
So sauber werden meine Fingernägel schon lange nicht mehr gewesen sein. Immerhin habe ich jetzt Zeit, mir die schönsten Ecken der Abflughalle noch einmal in Ruhe anzuschauen und auch von jedem einzelnen Barhocker Abschied zu nehmen. Ich könnte mir sogar noch einen richtigen Kaffee von der Kaffeebar holen. Mit Schlagobers wird es nicht geben, das können die modernen Automaten ja nicht. Aber mit so einer schaumigen Milch. Ich will in dieser Situation auch nicht päpstlicher als der Papst sein. Man muss eben Abstriche machen! Ich könnte mich auch mit dem Kaffeebecher noch einmal still gedenkend, also zu einer Abschiedsmeditation vor das Mannerschild setzten. Vielleicht ist sogar die Kronen-Zeitung noch auf dem Müllschlucker. Von der könnte ich mich dann auch verabschieden. In aller Ruhe. Jetzt, wo ich Zeit habe, eröffnen sich so viele Möglichkeiten! Herrlich. Vielleicht lese ich auch noch einmal meinen Kaffeehausführer von vorn bis hinten gründlich durch. Nicht nur so husch husch, wie die letzten Tage, wo man hektisch vor Aufbruch nach einem bestimmten Lokal geblättert hat. Oder ich könnte schauen, ob ich eine Steckdose für meinen Klapprechner finde, ich habe ja nur den Netzadapter mitgenommen und keinen Akku zusätzlich, der ist mir zu schwer fürs Gepäck. Ich bin ja nicht so der Typ, der jede freie halbe Stunde ins Internet schauen muss oder auf der Tastatur herumspielen. Aber wenn ich noch über anderthalb Stunden Zeit habe, könnte es sich direkt lohnen. Vielleicht hat mir sogar wer eine Mail geschrieben! Aber zuallererst noch einmal in aller Ruhe die Architektur der Abflughalle auf mich wirken lassen. Jetzt, wo endlich Zeit dafür ist. Vor lauter Eier pellen und Kronen-Zeitung lesen bin ich ja noch gar nicht dazu gekommen. Man kommt ja zu nichts. Im Grunde, direkt ein Gottesgeschenk, so eine Verspätung.
Wie lange braucht man von Wien nach Schwechat mit dem Taxi? Keine dreiviertel Stunde? Mir war so. Schaut man in einer Suchmaschine, wie lange das dauert, heißt es ca. 25 Minuten, je nach Verkehrsaufkommen und Bezirk. Aber eine gute halbe Stunde war es schon. Die Wiener Stadtgrenze war schon noch zehn bis fünfzehn Minuten von Wieden entfernt. Und geregnet hat es weiterhin. Auch dehnt sich die Wahrnehmung der Zeit, wenn man sich nicht unterhält. An den Fahrer kann ich mich nicht erinnern. Es war ein Mann und er war eher der diskrete Fahrer, der den Fahrgast nicht als potentiellen Empfänger seiner Einschätzung der Weltlage betrachtet. Was aber mitunter auch amüsant sein kann. Ich bin da immer recht offen. Er aber war also geradezu stumm und ich hatte Gelegenheit, meinen Gedanken nachzuhängen und Wien und Niederösterreich durch die verregnete Scheibe auf mich wirken zu lassen. Die Flughafenstrecke. Sie ist, je näher man dem Flughafen kommt, wie es oft so ist, recht ernüchternd. Kein einziges Barockpalais, kein Kaffeehaus säumt den Weg. Die Beschilderung hat eine furchtbar nüchterne Typographie. Geradezu neuzeitlich. Wenn man noch nicht in Wien war, wie ich bei der umgekehrten Route, eine Woche vorher, weiß man ja nur diffus, was einen am Fahrziel erwartet, hat das eine oder andere Bild im Kopf. Aus Filmen, Dokumentationen, Zeitschriften. Das schon auch dem entspricht, was man vorfindet. Aber ich kenne es auch, dass man sich innerlich ein geschlossenes Bild von einem schönen Ort macht, und dann ernüchtert feststellt, dass sich das Schöne und Postkartenhafte auf ein paar wenige Straßenzüge beschränkt, auf einen ganz eingegrenzten Bereich. Und obwohl ich hauptsächlich auch im exclusivsten Ghetto der Weltkulturerbe-Schönheiten Wiens unterwegs war, im ersten Bezirk, habe ich keine so scharfe Abgrenzung wahrgenommen. Man muss nicht so sehr mit der Lupe in nicht so ganz inneren Bezirken nach vergleichbar Sehenswertem suchen, wie in manchen anderen Städten, die im Krieg sehr gelitten haben. Wenn man dann also im Taxi den umgekehrten Weg nimmt, und Wien verinnerlicht hat, als komplexes, organisches Wesen, in dem sich Zell- und vielleicht auch Bakterienstämme erhalten und weiter entwickeln konnten, die woanders ausgerottet sind, und schlagartig mit der nüchternen Industrielandschaft auf dem Weg nach Schwechat konfrontiert ist, ist es ein bißchen ein Gefühl wie vom Markusplatz in Venedig zu einem Reisebusparkplatz in einer italienischen Vorstadt katapultiert zu werden. Kein Kanal, keine Gondel, kein Renaissancepalast, kein bröckelnder Putz. Die Wiener Altstadt ist halt Venedig. In Prag habe ich auch sehr schöne Patina gesehen. Das war auch zauberhaft. Paris auch. Aber ich kann überhaupt kein tschechisch, so weit sind die familiären Herkunftswurzeln nicht gewachsen. Aber Österreichisch ist mir keine so dermaßen fremde Fremdsprache. Französisch hingegen verstehe ich nurmehr rudimentär, weil ich zu faul war, es zu pflegen, da geht mir auch das Herz nicht auf. Aber ein Begriff wie Mehlspeise hat in meiner Familie Tradition, das ist halt verwurzelt. Und dieser und jener. Mein Großvater hat auch immer nur vom Stiegenhaus gesprochen. Treppe war für ihn ein hochdeutsches Fremdwort. Das habe ich ja alles schon einmal erhellt. In Wien habe ich kein Gefühl von Fremdheit gehabt, im Gegenteil. Manchmal fast schon erschütternd familiär. Die ganzen Ausdrücke. So wie mir in Prag die Küche ebenso erschütternd familiär vorkam. Da war es nur die Küche. Lange her. Irgendwann Mitte der Neunziger war ich für sechs Tage in Prag. Damals mit einem Liebhaber, der sehr ortskundig war. Aber das ist eine andere Geschichte. Denn nun war ich im Taxi nach Schwechat. Sehr zeitig am Flughafen. Eigentlich zu früh, vielleicht Viertel vor Zwölf. Um Eins würde erst das Einchecken beginnen für den Flug nach Berlin, der für Punkt fünfzehn Uhr terminiert war. Für die überstürzte Besichtigung von noch irgendeiner Sehenswürdigeit in Wien hätte ich keine Nerven gehabt, mit dem Gepäck. Lieber ein bißchen Zeit totschlagen am Flughafen. Nach Parfüm und Souvenirs kaufen stand mir nicht der Sinn. Meine Souvenirs sind halt meine Bilder. Parfüm hab ich auch noch. Der Schalter für meinen Flieger war schon früher besetzt und ich konnte schon das Gepäck aufgeben und durch die Sicherheitskontrolle. Ich schaute in der Abflughalle, wo ich möglichst bequem und ungestört sitzen könnte. Da ist diese große Wand mit der rosa Manner-Reklame. Gegenüber an der Wand waren mehrere Sitzplätze für Behinderte ausgewiesen und noch einer extra für eine Begleitung. Auf den hab ich mich gesetzt.
Außer mir war da niemand. Eine ungestörte Ecke, in all dem Trubel, obwohl alle Reisenden daran vorbeilaufen, es ist der Eingang in die Abflughalle. Aber der ist recht breit, man kann den Menschenstrom wie einen vorbeiziehenden Fischschwarm betrachten. Ich hatte noch ein bißchen Proviant, zwei oder drei hart gekochte Eier und Äpfel. Ein Kaffeeautomat war glaube ich auch in der Nähe. Auf dem festgeschraubten Abfalleimer neben den Sitzen lag eine vergessene Kronen-Zeitung. Davon hatte ich schon einmal gehört. So eine Art Wiener Bild-Zeitung. Im Flieger nach Wien saß ein Herr neben mir, der u. a. auch die Kronenzeitung als Lektüre dabei hatte. Ich konnte das Titelblatt lesen. Bzw. anschauen. So viel zu lesen war da nicht. Lauter Herzen waren drauf. In jedem Herz war das Foto von einer europäischen Prinzessin oder Adligen, die gerade Nachwuchs gekriegt hat. Also Viktoria von Schweden und Duchess Kate und noch eine. Das hätte ich mir jetzt auf der Bild-Zeitung nicht so richtig vorstellen können. Die Prioritäten sind doch irgendwie anders. Ich glaube, die Herzen waren auch noch rosa umrandet. Wie eine Barbiepuppen-Zeitung für kleine Mädchen. Ich habe mir die Kronen-Zeitung vom Müllschlucker genommen und zum Zeitvertreib darin geblättert. Diesmal waren keine Adligen drauf. Ich habe vergessen, was die Schlagzeilen vom 16. Mai waren. Die Zeitung war auch schnell durchgeblättert. Sport war auch drin. Und Meldungen von anderen österreichischen Bundesländern. Und ein bißchen Conchita, die ja gerade den Grand Prix gewonnen hatte. Aber das war ja auch schon wieder eine Woche her. Am interessantesten war für mich, dass in den Klatschspalten - wobei ja fast die ganze Zeitung eine einzige Klatschspalte ist - viele Leute erwähnt wurden, die man wahrscheinlich nur in Österreich oder Wien kennt. Jedes Land hat eben so seine ureigene Landes-Prominenz. Dass aber die Meldung, dass Herr Mörtel Lugner mit seiner Verlobten am Tag vorher um 16:23 Uhr oder so ähnlich in Schwechat gelandet ist, ein derartig großer Aufmacher war, hat mich ein bißchen enttäuscht. Ist das denn wirklich der wichtigste Prominente in Österreich? Wenn Conchita nicht wäre, hätte die Zeitung vielleicht auch noch melden müssen, wann sein Taxi von Schwechat in seiner Wiener Villa angekommen ist. Es gab dann auch noch eine Politisiererei über ein Anti-Bettler-Gesetz in den Innenstädten, das war dann doch recht deprimierend als Lektüre. Ich habe die Zeitung wieder ordnungsgemäß zurück auf den Mülleimer gelegt, wo sie bestimmt nicht verkehrt platziert ist. Weil ich kein ungelesenes Buch dabei hatte, sondern nur einen kleinen Reise- und Kaffeehausführer, habe ich angefangen, mit meiner Kamera herumzuspielen. Natürlich von da an immer im Bewusstsein, dass ich an dem exclusiven Ort warten durfte, wo am Tag vorher noch Mörtel mit seiner Mausi oder wie sein aktuelles Gspusi heißt, leibhaftig durchgelaufen ist. Ich habe mir darauf ein Ei gepellt. Leider war das Abflughallenrestaurant gerade im Umbau, sonst hätte ich es mir da gemütlich gemacht. Es gab als Provisorium so eine Art Kaffeebar mit Snacks, da hätte man aber nur auf so Barhockern, auch mitten in der Halle sitzen können. Das ist ja noch unbequemer. Auf Barhocker setzte ich mich nur in einer echten Bar, doch nicht mitten in einer Abflughalle bei greller Beleuchtung, wo noch nicht mal ein Verehrer neben einem sitzt, an den man sich trunken lehnen kann. So ein Barhocker hat ja nicht einmal eine richtige Lehne. Also blieb ich weiter in meiner rosa Manner-Ecke.
Wenn man so ein Weilchen gegenüber von der Manner-Reklame-Wand sitzt, merkt man auch, dass so ein Altrosa, auch wenn es nicht die persönliche Lieblingsfarbe ist, irgendwie heimelig und beruhigend wirkt. Auch habe ich die Manner-Neapolitaner-Schnitten immer gerne gegessen. Die gibt es ja überall in Deutschland. Schon immer. Seit meiner frühestens Kindheit kenne ich die kleinen rosa-silbern eingeschlagenen Waffelpäckchen mit der hochfein aufgestrichenen Haselnusscreme mit dem vollendet wunderbaren Nougat-Geschmack zwischen den vielen zarten Waffelschichten. Die Verpackung hat sich seit Jahrzehnten nicht verändert. Irgendwie hat es mich gerührt, als ich beim Eintreffen in Wien von dieser großen Reklame begrüßt worden bin. So etwas Vertrautes. Und damit man es noch einmal wirklich begreift, dass die Manner-Schnitten nicht von irgendwo in Österreich kommen, ist der Stephansdom auf der Verpackung mit drauf. Das war mir vorher auch gar nicht so richtig bewusst. Aber nun hatte ich ja Zeit, ausgiebig darüber zu meditieren. Und jetzt, daheim in Berlin, habe ich sogar die Zeit und Muße, mich ganz genau über die ehrwürdige Historie der Manner-Schnitten zu informieren. Im Wikipedia steht wieder einmal sehr informativ: "Josef Manner betrieb ein kleines Geschäft am Stephansplatz in Wien, in dem er Schokoladen und Feigenkaffee verkaufte. Da ihn die Qualität der Schokolade seines Lieferanten nicht zufriedenstellte, erwarb Herr Manner die Konzession und das Lokal eines kleinen Schokoladenerzeugers und gründete am 1. März 1890 die CHOCOLADENFABRIK JOSEF MANNER."
Über die Erfindung der berühmten Waffelschnitten lese ich auf der firmeneigenen Seite: "Die Geburt eines Süßwarenklassikers! im Jahre 1889: "Nachdem gestern die bereits seit einigen Tagen erwartete Lieferung Haselnüsse aus Neapel eingetroffen ist, konnte heute erstmals mit der Serien-Produktion der neuen Waffelschnitten begonnen werden. Da bereits einige Schnitten-Variationen angedacht sind, wage ich noch keine Prognose – die heute produzierten Neapolitaner Schnitten No. 239 scheinen mir persönlich aber besonders gelungen!“ Das kann man wohl sagen. Unsterblich, ja ein Wiener Kulturgut ersten Ranges sind die Neapolitanerschnitten von Manner! So ist es nur gerechtfertigt, wenn man ein Erinnerungsfoto von sich mit der rosa Wand und dem Wien-Schriftzug anfertigt. So als letztes Bildsouvenir, bevor man österreichischen Boden verlässt. Waren so meine Gedanken. Aber so schnell wollte mich Wien nicht aus seinen Fängen lassen.
Bye bye. Sechzehnter Mai. Mein Flieger geht erst am Nachmittag aber Schwechat ist eine dreiviertel Stunde von Wien entfernt. In Niederösterreich, wie ich gelernt habe. Und ich bin auch gerne zeitig beim Einchecken. Und es gab auch eine vereinbarte Zeit am Vormittag, bis wann wir die Bleibe verlassen sollten. Ich glaube elf Uhr. Hat ja alles irgendwie gepasst. Wir haben noch gefrühstückt, aber so halb jeder für sich, wie auch jeder für sich sein Bündel zu packen hat. Seinen Rucksack oder Koffer oder Reisetasche. Mir ist, als hätte Duke mehr Gepäck dabei gehabt als ich, vom Umfang her. Obwohl ich diejenige war, die dauernd andere Sachen angezogen hat. Aber er hatte noch einen Weg vor sich, der ihn nicht zu sich heim führte, sondern zu einem Auftritt, irgendwo in Deutschland, nicht da, wo er wohnt. Sein Zug ging früher, als ich zum Flughafen musste. So war es ein Abschied, der eher von möglichst schnellem Zusammensuchen aller Siebensachen getragen war. Ich wollte möglichst wenig Spuren hinterlassen, und hatte noch zu tun, das eine oder andere Möbel an den alten Platz zu rücken. Ein paar abgehängte Bilder von Familienschlössern wieder über dem Bett aufzuhängen. Unser Gastgeber, dessen Herkunft mich sehr amüsierte, hat wohl das eine oder andere geerbte Bild in der Wohnung verteilt. Aber viel musste ich gar nicht umräumen, das meiste war schon an sich sehr gelungen platziert. Ich mache das gerne, wenn ich länger als eine Nacht wo bin. Mir ist nicht gleichgültig, wie ein Raum aussieht, in dem ich mehrere Tage aufwache und schlafen gehe. Es soll meiner werden. Deswegen habe ich in meinem Gepäck immer ein paar sehr schöne Tücher dabei, mit denen ich allzu grelle Lampen verschleiern kann oder was sonst noch ein schöneres Kleid verträgt. Große, feingewebte Schals und Tücher, die man auch selber anziehen kann, sind ideal. Es muss natürlich immer auch etwas leicht Transparentes in warmen Farben dabei sein. Ich habe da so ein paar Lieblingsteile, die mir schon seit Jahren gute Dienste leisten. Und eine Handvoll Seide wiegt so gut wie nichts.
Also Tücher eingepackt, das Bett wieder gerade gerückt, das mir ein bißchen schief über Eck besser gefiel. Es war interessant, die Reaktion von Duke auf das verrückte Bett zu sehen. Er wusste ja nicht, wie das Zimmer normalerweise aussieht, da er erst einen Tag später kam. Er fragte mich, ob das Bett schon so gestanden hätte, oder ob ich das war, weil es so eine gewisse Raffinesse hätte, wie es im Raum steht, die man normalerweise nicht sieht. Die meisten würden ein Bett nahtlos an die Wand rücken. Ich musste lachen, weil er das erkannt hatte. Wie er das erahnt hatte, obwohl wir uns seit zwölf Jahren nicht mehr gesehen hatten. Sein Bett habe ich aber nicht verrückt. Er hatte sein eigenes, ebenso großes Schlafzimmer mit einem genauso großen Bett. Das war einer der Gründe, warum die Wohnung so ideal erschien, jeder hatte ein Schlafzimmer und ein eigenes Badezimmer für sich, auf verschiedenen Ebenen. Das schöne Wohnzimmer mit den großen Sofas haben wir nicht einmal genutzt, es lag einfach so da, unter der Dachschräge und sah schön aus. Wir saßen fast immer am Esstisch in der offenen Küche, unserem Treffpunkt. Als Duke aus der Dusche kam, hat er etwas ins Gästebuch geschrieben und ich schrieb auch etwas hinein. Für einen Kaffee hatten wir noch Zeit. Als Duke gehen musste, haben wir uns noch einmal gedrückt und ich ein, zwei Tränen zerdrückt. Das passiert eben bei Abschieden, wenn man nicht weiß, für wie lange, oder ob vielleicht sogar für immer. Wenn man in keiner Verpflichtung steht, außer sich gut in Erinnerung zu behalten, ist das nicht so vollkommen klar. Das hat mich ein bißchen überwältigt, in diesem Moment. Er hat ein bißchen hilflos geguckt, weil er es nicht deuten konnte, nehme ich an. Aber es war schon alles in Ordnung. Ich habe dann noch ein bißchen in seinem Zimmer aufgeräumt, die Bettwäsche abgezogen und mit den Geschirr- und Handtüchern auf den Treppenabsatz gelegt. Und Dukes Aschenbecher von der Terrasse ausgeleert. Ein grün-blau-violetter Porzellan-Aschenbecher mit einer feinen Zeichnung von einem chinesischen Mann mit einem Strohhut und einem Hängeschnurrbart. Dann hab ich den Müll und die leeren Flaschen heruntergebracht, das erste und letzte mal. Alles war wieder wie vorher. Ich habe mich noch einmal ganz in Ruhe umgeschaut und allen Zimmern und Fenstern bye bye gesagt und ein paar Fotos gemacht. Leb wohl Küche, leb wohl Schlafzimmer, leb wohl Badezimmer, leb wohl Küchentisch, leb wohl Treppe. Leb wohl du alter Ahnherr auf dem dunklen Ölgemälde im Flur. Gehabt euch wohl. Ich habe nicht Auf Wiedersehen gesagt, sondern bye bye. Obwohl es schön da war. Zu Wien sage ich Auf Wiedersehen, irgendwann. Aber dann in einer anderen Bleibe, irgendeiner Zuflucht, wo ich wieder ein Bett verschieben werde. Wann das sein wird, weiß ich noch nicht. Als ich die Tür hinter mir zuzog, wusste ich auch noch nicht, ob ich im Jahr darauf oder viele Jahre später einmal wiederkommen würde, aber dass es nicht das letzte Mal in Wien war, das spürte ich. Das war ein angenehmes Gefühl. Als ich mit meiner großen Reisetasche und der kleineren über der Schulter vor die Tür trat, wo es schon wieder - oder immer noch regnete, wusste ich, dass ich nur bis zur Ecke laufen musste, zur Wiedener Hauptstraße und ein Taxi würde sich finden. Und so war es auch.
Sacher. Demel. Hawelka. Prater. Riesenrad. Fiaker. Grinzing. Heuriger. Hofburg. Burgtheater. Kaffeehaus. Walzer. Sachertorte. Qualtinger. Einspänner. Schlagobers. Heller. Sezession. Jugendstil. Schönbrunn. Klimt. Schiele. Opernball. Sissi. Conchita. Würschtel. Mehlspeisen. Stephansdom. Naschmarkt. Wien. Finden Sie den Fehler. Ich sage mal so: ein Fehler in dem Sinn, dass sich in der Aufzählung der bekanntesten Wien-Schlager, einer eingemogelt hätte, der nicht hineingehört, ist nicht festzustellen. Die Wienkenner werden die Augen verdrehen, dass hochkarätige Kultur-Erscheinungen wie Alfred Loos und Karl Kraus und die ungefähr siebzig anderen Kaffeehäuser nicht dabei sind. So wie Vieles noch erarbeitet und ergänzt werden müsste. Aber was da oben aufgezählt ist, sind die Dinge und Phänomene, von denen ich unterstelle, dass jeder schon einmal davon gehört hat, der weiß, dass die Stadt Wien überhaupt existiert, ohne sie je betreten zu haben. Und wenn wir uns nun die drei genannten gastronomischen Institutionen Sacher, Demel, Hawelka anschauen, ist es doch schon betrachtenswert, warum ein Kaffeehaus mit so einem komplizierten Namen wie Hawelka da drin ist. Womit hat es das Hawelka geschafft, als eine derartige Sehenswürdigkeit zu gelten, dass man das Gefühl hat, man kann keinesfalls abreisen, ohne wenigstens selbst einmal geschaut zu haben, was es damit auf sich hat? Es ist halt einfach... alles. Die Geschichte. Das Mobiliar. Die ganze Legende. Die Bilder. Die Schummerbeleuchtung. Die Litanei der berühmten Gäste. Die Lage. Dorotheergasse. Erster Bezirk. Alles kommt zusammen. Und das Etablissement ist noch immer in Familienbesitz, seit achtundsiebzig Jahren. Seit die Gründer, der Leopold und die Josefine nicht mehr sind, haben die Kinder und Kindeskinder das Geschäft in die Hand genommen und schnell begriffen, was ja auch nicht schwer ist, dass sie rein gar nichts verändern dürfen. Und bloß nicht renovieren! Das ist die halbe Miete vom Hawelka. Ausgefranste Kanapees. Dunkelgerauchte Wände. Verblichene Kritzeleien. "Vor 30 Jahren waren diese Wänd' einmal weiß" , sagt Günter Hawelka, 69, erklärend. Die seither eingetretene Verdunkelung sieht er als edle Patina an. "Rauchen gehört zum Kaffeehaus mit dazu, denn im Kaffeehaus ist immer geraucht worden. Ein Rauchverbot ist ein Frevel an der Kaffeehauskultur", ist der Sohn des Hawelka-Namensgebers Leopold Hawelka überzeugt. Das stammt aus einem Artikel im Standard über das Für und Wider der Rauchkultur im Wiener Kaffeehaus. Im Wikipedia lesen wir: Heimito von Doderer schrieb bereits 1960 über das Hawelka: „Es ist bereits in London bekannt, und es treffen auch Leute aus Paris und den Niederlanden im Café Hawelka ein“ – und warum: „Letzten Endes nur deshalb, weil Herr Hawelka nicht renoviert.“ In der Tat ist das Interieur der Räumlichkeiten, das von einem Schüler des Architekten Adolf Loos entworfen worden sein soll, seit 1912 unverändert geblieben. Also auf ins Hawelka. Im Sacher war ich zum Beispiel nicht. Und im Demel auch nicht, aber fast. Das Demel ist ja mehr so ein hochklassiger Tortentempel. Aber im Hawelka kann man sich auch nur zum Saufen und hoffentlich bald auch wieder Rauchen aufhalten. Man muss nicht die ewigen Buchteln essen, man kann auch gleich zu den harten Drogen übergehen!
Über die ganzen Künstler und Prominenten kann man ja überall lesen. Auf der Seite vom Hawelka selber gefällt mir die Formulierung ganz gut: "Während der Sechziger und Siebziger stellt das Café Hawelka schließlich alles dar, was in der Wiener Künstlerszene frisch und tatendrängig ist. Eine Tatsache, die auch immer mehr Berühmtheiten aus dem Ausland anzieht." Tatendrängig! Auch ich fühle mich direkt tatendrängig, wenn ich das lese! Der Standard hat es ganz gut beschrieben. Und so eine tumblr-Sammelsurium-Seite gibt es auch. Wer jemals die Heller-Biographie Feuerkopf liest, muss sich durch mehrere Kapitel arbeiten, die sich ausschließlich im Hawelka abspielen. Für Heller war das Lokal seine Privatuniversität, in der er sich bereits im zarten Alter von vierzehn Jahren von Tisch zu Tisch gearbeitet hat, bis er selber ein Teil des Inventars war und auf Augenhöhe mit Qualtinger schwadronieren konnte. Da ist ein anschauliches Amateur-Video, mit einem Schwenk durchs Lokal am Tag. Und da erzählt ab Minute 1:45 der Sohn Günter Hawelka von der Geschichte. Und hier ist noch ein siebenminütiges, etwas gewöhnungsbedürftiges Filmdokument, in dem die Tochter Herta mit ihrem Vater und einer Reporterin auf der Polsterbank zu sehen ist, da wo wir auch gesessen sind. Das etwas merkwürdige an dem Interview ist, dass die Reporterin eigentlich dem alten Hawelka (da war er schon 99, also ein Jahr vor seinem Tod) die Fragen stellt, aber die Tochter antwortet, weil er wahrscheinlich schlecht hört und nicht mehr so ganz beieinander ist. Er sitzt fast ein bißchen wie entmündigt da und rührt in seinem Kaffee und kriegt scheinbar nur die Hälfte mit, wenn überhaupt. Aber immer adrett mit einem Mascherl, wie der Wiener sagt. Die Tochter beantwortet jedenfalls alles komplett. Wahrscheinlich hätte man ihn auch kaum verstanden, wenn er es selber gemacht hätte. Aber immerhin behauptet die Herta, dass er manchmal noch Anweisungen geben würde. Na ja. Wir werden alle einmal alt, so Gott will, jedenfalls. Nur wer jung stirbt, muss sich nicht mit Alterserscheinungen herumplagen. Die drei kleinen Filme geben insgesamt schon einen guten Eindruck. Aber wie schön schummrig es im Dunkeln ist, sieht man auf meinen Bildern. Wir sind vom Griensteidl kreuz und quer durch den Nieselregen hingelaufen, es war schon fast dunkel. Schon am Eingang habe ich mich gleich recht wohl gefühlt, weil ich eine starke Vorliebe für Lokale mit wenig Beleuchtung habe. Da kommt doch eine ganz andere Stimmung auf! Es war von der Uhrzeit her irgendwas zwischen sieben und acht, denke ich. Das Hawelka hat zum Beispiel bis 2 Uhr nachts auf, daran sieht man schon, dass es sich nicht um so ein betuliches Tanten-Café handelt, wo sich alles nur um Zuckerbäckerwerk dreht. Wir haben uns zuerst im hinteren Bereich auf so eine schöne gestreifte, samtgepolsterte Bank gesetzt, da hat man aber nicht so gut gesehen. Gerade wo wir bestellt haben, ist die schönste Polsterbank frei geworden, die vor der Mittelwand steht und von der aus man in den vorderen Gastraum und zur Tür schauen kann.
Ich habe diesmal doch einen Kaffee Maria Theresia bestellt, weil er anders als im Griensteidl ohne die komischen Zuckerstreusel gemacht wird. Knirschende Zuckerstreusel brauche ich nicht auf dem Kaffee! Außerdem meine ich, dass der Alkohol eine Mischung aus Orangenlikör und Weinbrand war. Es gibt da ein paar kleine Varianten in der Zubereitung. Hier ist ein sehr schönes Rezept: "Maria Theresia hat es dagegen gerne hochprozentig, mit einem (sehr oft großzügigen) Schuss von (zu gleichen Teilen) Orangenlikör und Weinbrand, im verlängerten Mocca, mit Orangenzesten, Zucker und Schlagobersgupf, ebenfalls im Laufglas serviert."Und da ist noch eins mit schönem Foto. Jedenfalls hat mir der Maria-Theresia-Kaffee vom Hawelka ganz ausgezeichnet geschmeckt. Auch liebe ich recht viel Schlagobers oben drauf. Wenn ich das Bild mit unserem Tisch so betrachte, scheint es mir, als hätte Duke sogar Kaffee getrunken. Wahrscheinlich einen Verlängerten. Auf keinen Fall mit Schlag. Da wird ihm schlecht! Es ist nicht bei einem Maria-Theresia-Kaffee bei mir geblieben, weil es doch sehr gemütlich war, da zu sitzen und hinaus in den Regen zu schauen, wie er so an die Scheiben und auf das Kopfsteinpflaster der nächtlichen Dorotheergasse prasselt. Ich war wirklich froh, dass das letzte Lokal so ein schönes war, wo man nicht insgeheim gedacht hat, viel Tamtam um Nichts! Es ist halt furchtbar bequem da. Und der Ober lässt einen in Ruhe. Wer etwas anderes wahrgenommen hat, muss vielleicht noch einmal nach Einbruch der Dunkelheit hin, an einem schönen Regentag.
Wie der Abend zu Ende gegangen ist, möchte ich mit Hilfe eines Auszuges aus einer Antwortmail an Victor beschreiben, in der ich vor ungefähr drei Wochen unter anderem auf seine Frage antwortete, was ich mir bei meinem nächsten Wienbesuch anschauen wollen würde: "(...) und die Burg würde ich mir auch anschauen, in eine Aufführung gehen und ins Café Landtmann darunter. Ich habe ja auch nicht einmal das Hotel Sacher richtig vor mir gehabt, weil keine Zeit war, war ich in der Ecke gar nicht und das gehört doch dazu und dann habe ich den Taxifahrer am letzten Abend, nachdem wir im Hawelka waren, und es schon dunkel war und in Strömen geregnet hat, gebeten, doch bitte wenigstens mit dem Taxi einmal da vorbeizufahren, am Sacher und an der Burg und da hat er dann eine richtige kleine Stadtrundfahrt draus gemacht, mit viel extra Erklärungen auch zum Parlament - aber da hat er dann angefangen zu politisieren und da wurde es ein bißchen haarig. Er hat allen Ernstes Adolf Hitler erwähnt. Also irgendwie entschuldigend. Da habe ich ziemlich geschluckt. Duke hat dann auch, nachdem bis dahin alles sehr freundlich und nett war im Taxi, einen energischen Einwand gebracht, frag mich nicht mehr, was genau. Ich war nur saufroh, dass wir bald in der Lambrechtgasse waren. Die Stimmung war dann etwas abgekühlt, weil der alte Wiener gemerkt hat, dass wir nicht in dieselbe Richtung wie er denken. Huiuiui. Das war ein Schauspiel für sich..." Ja. So war das. Ich habe also das Sacher durch die Scheibe im nächtlichen Regen gesehen. Und das Burgtheater. Und das Parlament. Wo die Kasperln drin sind, das Kasperltheater, wie der Taxifahrer gemeint hat. Wo er noch lustig war. Es kann ja auch nicht alles immer komplett perfekt sein. Aber es war schon nah dran. Wir sind nicht so spät in der Lambrechtgasse angekommen, denn wir wollten noch essen, es war ja noch einiges im Eiskasten, wie der Wiener sagt. Und richtiger Champagner sogar und Rotwein, der musste ja auch weg. Ich hätte im Flieger ja auch gar keine Flasche mitnehmen dürfen. Packen mussten wir auch noch. Was man alles muss, wenn man Wien verlassen muss. Ich habe noch ein paar Bilder für morgen und übermorgen und sogar überübermorgen in petto. Es wird noch ausführlich abgereist. Da bin ich sehr genau. Das war nicht der letzte Streich. Und wenn dieses ereignisreiche Jahr nun zu Ende geht, werde ich in meinem Flieger sitzen, heim von Wien nach Berlin und Duke in seinem Zug.
Durch den Regen ohne Regenschirm, zum Griensteidl. Vom Hofburghof durchs Michaelertor, quer über den Michaelerplatz, zum Palais Herberstein. Da wo eine brünette Wiener Lili Marleen an der Laterne steht, mit blutrotem Barett. Schon mal gehört "Griensteidl". Gesehen sowieso, ich war ja nicht zum ersten mal am Michaelerplatz, sondern zum zweiten Mal. Schon eine Profi-Touristin! Und als solche kann man auch einmal vor dem Regen ins Griensteidl flüchten. Das nehme ich gerne noch mit. Also wir. Schön warm drin, kaffeehausmäßige Möblierung, wie man es sich ungefähr vorstellt. Eine ältere Dame, die Bedienung für unseren kleinen Tisch, nah der Eingangstür mit Blick auf die rechte Kuppel vom Michaelertrakt (wenn ich mich umdrehe), nimmt patent die Bestellung auf. Sie wirkt, als ob sie zum Inventar gehört und kurz vor der Rente steht. Ganz unwienerisch bestelle ich einen Irish Coffee, weil ich Lust auf ein bißchen Alkohol, aber auch Kaffee habe. Dem Kaffee "Maria Theresia" traue ich da noch nicht ganz, weil er mit einem Orangenlikör gemacht ist und ich keine Freundin von Likören außer Eierlikör bin. Duke bestellt einen Gespritzten. Überhaupt bestellt er recht wenig Kaffee, wenn wir in Kaffeehäusern sind, fällt mir auf. Ich schaue mich um und habe es mittlerweile ausgefuchst heraus, ohne geringstes Aufheben (der Kamera) ein Potpourri von Bildern zu machen, die sich nicht nur auf den Radius unserer marmornen Tischplatte erstrecken. In der Getränkekarte habe ich fasziniert und auch ein bißchen überrascht von der beeindruckenden Geschichte des Kaffeehauses gelesen, wer so alles aus- und eingegangen ist. Und ein bißchen bin ich innerlich verwundert, dass davon eigentlich nichts in der Atmosphäre zu liegen scheint. Es wirkt gutbürgerlich aufgeräumt und eher patinafrei, ein Café für adrette ältere Damen und Herrschaften und Hofburg-Reisende aus aller Herren Länder. Aber dass hier einmal Karl Kraus vor sich hingedacht haben soll, will sich mir nicht so ganz erschließen. Offenbar gab es grundlegende Renovierungen, denke ich noch, und die feudale Lage wird im Laufe der Jahrzehnte, um nicht von Jahrhunderten zu reden, zu einer Modifikation des Publikums geführt haben. Vielleicht war es früher ja einfach bohèmehafter und erschwinglicher und hat Künstler und Literaten angezogen. Es ist so ein ähnliches Gefühl, wie es mich beim Café Central beschlichen hat. Ich kann mir beim Griensteidl beim besten Willen nicht vorstellen, dass man mehrere Stunden dort verbringt und dabei gar ein Roman Gestalt annimmt.
Auch ist Rauchen nicht gestattet. Das läuft dem ja schon allein zuwider. Ein echter Literat neigt zum Tabak. Ich sehe das immer gerne. Obwohl ich selber selten rauche. Mir gefällt aber das Ritual, gerade im Kaffeehaus. Die Gedanken müssen sich in kreisförmigen Rauchwölkchen unter den kugeligen Milchglas-Lampen auflösen dürfen. Mein alkoholisierter irischer Kaffee hat gut geschmeckt und ich habe mich derweil an dem Anblick des zeitungslesenden Herrn mit den grauen Schläfen gefreut, der sich die ganze Zeit als vollendetes Klischee-Kaffeehaus-Motiv in meiner Sichtachse befunden hat. Mit großer Ruhe und Konzentration hat er die Zeitung studiert. Nachdem wir alle Eindrücke in uns aufgenommen hatten, und die Getränke so gut wie getrunken waren, kam ungerufen unsere patente Bedienung und hat mit humoriger Ansprache angekündigt, dass sie abkassieren muss, weil sie Schichtende hat. Leider kann ich mich überhaupt nicht an den genauen Wortwechsel erinnern, aber daran, dass wir uns amüsiert haben. Man kann sagen, die Dame hatte Mutterwitz. Es hat schon gepasst, mit dem Abkassieren, weil dann auch stark der Abend dämmerte und ich innerlich schon woanders unterwegs war.
Ich wollte an dem allerletzten Abend noch eine richtige Kaffeehaus-Legende besuchen, also eine spürbare. Das Griensteidl war ja nicht großartig geplant, es lag so schön da. Und nun, ein gutes halbes Jahr später, daheim in Berlin, begreife ich, warum ich die in der Getränkekarte erwähnte, traditionsschwangere Geschichte des Griensteidl so gar nicht fühlen konnte. Im Planet Vienna stehen immer recht unverblümte Dinge, stelle ich fest. Denn dort lese ich:
"Fast hundert Jahre war das Café Griensteidl verschwunden und vergessen, bis es 1990 im Palais Herbersteinwiedereröffnet wurde. Ähnlich wie das Central fand das Griensteidl in der Schalterhalle einer Bank sein neues Quartier, doch vom alten Charme dürfte heute kaum mehr etwas zu spüren sein, obschon man sehr darum bemüht war, das Lokal möglichst authentisch mit allen Schikanen einzurichten, die ein typisches Wiener Kaffeehaus ausmachen. Optisch hat man das sicherlich erreicht, doch bis auf einige alte Wiener Damen, die ein Champagnerfrühstück oder einfach einen Kaffee geniessen, lässt das Kaffeehaus den Besucher kaum etwas von Wiener Urigkeit spüren. Vielmehr besuchen das Lokal Touristen, die in gutem, aber falschem Glauben sind, nun ein Stück altes Wien kennen gelernt zu haben."
Und im Wikipedia erfährt man dann die gesamte Historie, die eben in gewissermaßen fragmentarischer Eleganz, charmant zur Begrüßung in der Karte steht, ohne unnötig plump darauf hinzuweisen, dass an dieser allerersten Adresse am Michaelerplatz zwei, annähernd hundert Jahre lang überhaupt kein Kaffee ausgeschenkt worden ist, und schon gar keine Literatur zusammengedacht. Abgesehen von blumig formulierten Geschäftsbedingungen zur Kontoführung. Die Legende des seinerzeit im Volksmund keck als „Café Größenwahn“ titulierten Lokals rührt also aus einer sehr arg versunkenen Zeit, so lese ich:
"Das Griensteidl war im späten 19. Jahrhundert ein berühmtes Künstlerlokal. Das Kaffeehaus befand sich am Michaelerplatz im Palais Dietrichstein, gegenüber dem alten Burgtheater und der Hofburg. Das Café Griensteidl, 1847 von dem vormaligen Apotheker Heinrich Griensteidl eröffnet, wurde rasch ein Treffpunkt Wiener Literaten. Später verkehrten Persönlichkeiten von Franz Grillparzer bis Schönerer hier. Das Café war auch ein Hauptquartier der Arbeiterbewegung und ihrer Führungsfiguren, u. a. Victor Adler und Friedrich Austerlitz. Besonders berühmt wurde es als Sammelplatz der Autoren des Jung-Wien. Zu den Schriftstellern, die hier verkehrten, gehörten Hermann Bahr, Hugo von Hofmannsthal, Arthur Schnitzler, der junge Rudolf Steiner sowie der junge Karl Kraus. Im Januar 1897 wurde das Gebäude, in dem sich das Café befand, im Zuge der Neugestaltung des Michaelerplatzes abgerissen. Am 25. Januar 1897 war im Illustrierten Wiener Extrablatt zu lesen: „Die treuen Stammgäste feierten den Untergang des Locales mit einem großartigen Leichenschmaus. Nach Mitternacht waren sämtliche Vorräthe an Speis und Trank vergriffen und es wurden nur noch Ohrfeigen verabreicht. Sonst war die Stimmung famos.“ Die Ohrfeige hatte Felix Salten Kraus für eine Passage der demolirten Literatur verpasst, was Schnitzler in seinem Tagebuch mit den Worten vermerkte: „gestern abends hat Salten im Kaffeehaus noch den kleinen Kraus geohrfeigt, was allseits freudig begrüßt wurde." ( ... )
Die beeindruckende Gästeliste vom alten Griensteidl umfasste also unter anderen Peter Altenberg, Hugo von Hofmannsthal, Karl Kraus, Arthur Schnitzler, Arnold Schönberg, Hugo Wolf, Rudolf Steiner, Stefan Zweig und viele andere mehr. Ich habe nur die erwähnt, die mir selbst auf Anhieb etwas sagen, ohne dass ich recherchieren müsste, um wen es sich handelt. Das ist also das Geheimnis und die Erklärung. Aber nichtsdestotrotz muss ich Planet Vienna abermals recht geben, wenn dort versöhnlich vermerkt wird: "Ein Besuch im Griensteidl lohnt sich auf jeden Fall. Wer nicht weiss, dass das Kaffeehaus was Neues ist, das auf Alt macht, der wähnt sich hier an einem sehr wienerischen Ort. So kann man hier ein durchaus schönes Ambiente geniessen. Allein die Lage am Platz mit der Michaelerkirche und dem monumentalen Michaelertor ist einmalig." Ganz genau. Allein der Blick auf den Michaelertrakt mit den Hofburgkuppeln lohnt einen kleinen Besuch. Man sollte schon einmal den schönen Blick durchs Fenster gehabt haben. Lieber ein vor einem Vierteljahrhundert neuauferstandenes Kaffeehaus im immerhin auch schon bald hundertzwanzig Jahre alten Neubau des Palais Herberstein, als eine langweilige Schalterhalle für Bankgeschäfte. Schon eine begrüßenswerte Wiedergeburt. Und immerhin war für sieben Jahre lang die Redaktion vom Standard direkt über dem neuen Griensteidl. Ein bißchen spirituelle Reinigung und geistige Belebung, nach all den Bankschalterjahren. Da soll man nicht jammern. Lieber ein Kaffeehaus-Plagiat mehr und ein Bankschalter-Original weniger am Michaelerplatz. Und außerdem gibt es ja zum Glück noch ein paar Kaffeehäuser mit beeindruckend ungebrochener Tradition und richtiger Patina. Wovon ich mich gleich danach überzeugen konnte.
"Durch ein prunkvolles Tor und eine gewaltige kuppelüberwölbte Halle erreicht man die Kaiserappartements der Wiener Hofburg, die ehemaligen Wohnräume von Kaiser Franz Joseph und seiner Sissi. Neben den privaten Räumen sind auch die Repräsentationsräume und die kaiserl. Hofsilber- und Tafelkammer zu besichtigen. Gemächer, die Prunk und Glanz eröffnen, wohin das Auge blickt. Palisandermöbel, belgische Gobelins und Kronleuchter aus böhmischem Kristall schmücken die Gemächer"
Die Hofburg. Und die Sisi. Ein paar Wochen habe ich nun mit verschiedenen Recherchen zugebracht, weil ich gerne den Zusammenhang zwischen der Wiener Hofburg und seiner bekanntesten Bewohnerin nicht gänzlich unvermittelt lassen wollte. Meine Wienreise war keine Sisi-Reise. Ich war nicht auf ihren Spuren unterwegs, aber dennoch ist sie in meinem Hinterkopf. Die Schreibweise Sissi rührt von den Romy-Filmen, den drei Marischka-Filmen aus den Fünfziger Jahren. Darüber, ob "Sisi" nicht eigentlich eine "Lisi" war, und ihre Handschrift fehlinterpretiert wurde, darüber wurde erst unlängst diskutiert. Eines aber vorweg - Sis(s)i hin, Lisi her. Die Frau, die diesen Mythos in die Welt gebracht hat, sie selbst, hätte heute ihren 177. Geburtstag. Sie wurde am 24. Dezember 1837 in Possenhofen bei München geboren. Und wenn ich mir die neuere Geschichtsforschung anschaue, die ja auch nun schon nicht mehr so neu ist, lese ich zwar interessiert von der Eigenwilligkeit und Exzentrik, die mehr in unsere Zeit zu passen scheint, aber wirklich sympathisch ist sie mir nicht. Dunkel kann ich mich erinnern, dass ich schon früh irritiert war, als ich erstmalig Fotografien der realen Elisabeth sah, dass sie so überhaupt keine Ähnlichkeit mit der bildhübschen Romy hatte. Genauer gesagt: der Mythos der angeblichen großen "Schönheit" hat sich mir nicht erschlossen. Dass sie viel an sich gearbeitet hat, um sich beeindruckend zu präsentieren, ist vielfach dokumentiert. Wenn man sich jedoch das ganze Blendwerk mit der üppigen Haarpracht, der mit Korsett und manischen Turnübungen gedrillten Figur und den erstklassig geschneiderten Roben sowie der luxuriösen Umgebung wegdenkt, wieviel Schönheit bleibt da noch übrig? Für meinen Geschmack eher wenig. Eher durchschnittlich attraktive Gesichtzüge, die vor allem einen starken Willen und Ehrgeiz ausdrücken. Eine Strenge. Das leicht Verkniffene, die beharrliche Abwesenheit eines Lächelns, soll auch von den schlechten Zähnen gerührt haben. Sie muss sich diszipliniert haben, selbst beim Sprechen so gut wie gar nicht die Lippen zu öffnen, um das Elend zu vertuschen. So viel zur angeblich makellosen, legendären Schönheit der Elisabeth von Österreich. Dass die Marischka-Filme so gut funktioniert haben, liegt mit Sicherheit nicht nur daran, dass es eine hochklassige Produktion in jeglicher Hinsicht war, angefangen bei der Ausstattung und den Dialogen - ja, den Dialogen, die durchaus augenzwinkernd waren und gar nicht durchweg banal, dumm oder undifferenziert reaktionär, sondern neben den großartig besetzten Nebenrollen, auch an der zur wahren Elisabeth völlig konträr besetzten Romy Schneider, die mit ihrem unfrustrierten Unschulds-Lächeln, das noch an das Gute glaubt, die Herzen erwärmte. Ein Lächeln, das der wahren Elisabeth vielleicht nur als Kind zueigen war. Na ja. Aber das kann man ja alles auf tausend Seiten im Internet nachlesen. Die Hofburg, um einmal wieder den Bezug zu den Bildern herzustellen, war einer ihrer beiden Wohnsitze in Wien. Schloss Schönbrunn und die Wiener Hofburg. Aber die Hofburg hat sie wohl am meisten verabscheut und die Kerkerburg genannt.
Wäre es nicht so spät von der Uhrzeit her gewesen, wären wir nicht nur im Innenhof im Regen spaziert, sondern hätten auch das dort befindliche Sisi-Museum mit den Kaiserappartements besucht. Aber es war schon kurz vor der Schließzeit und irgendwo hat jemand auch vermerkt, man sollte sich gut und gerne einen halben Tag für den Besuch der kaiserlichen Gemächer und des Sisi-Museums nehmen. Kleider sind von ihr dort zu sehen, ihre persönlichen Sachen, einer ihrer Turn-Räume und auch ein Nachbau ihres opulenten Reise-Wagons. Den hätte ich zu gerne gesehen. Das Original steht im Technischen Museum in Wien. So waren wir also nicht im Sisi-Museum und in den Innenräumen. Aber sollte ich wieder nach Wien reisen, und das wird, so Gott will, schon noch einmal passieren, lässt sich das ja alles nachholen.
Übrigens kann man in der Hofburg auch wohnen, als Mieter. Es ist wohl nur schwer, an die Wohnungen heranzukommen, Wartelisten werden geführt. Zweiundfünfzig Wohnungen soll es dort geben. Allerdings ist das Luxuriöseste wohl die Lage, wie auch bei den mietbaren Wohnungen in Schloss Schönbrunn. Der Denkmalschutz sorgt dafür, dass man nicht beliebig renovieren kann, was ja auch verständlich ist. Für mich war es schön, durch das große Portal zu gehen und die schmiedeeisernen Arabesken im Gegenlicht zu sehen. Auch das Zelt im Regen. Weil ich neugierig war, inwiefern Wien und vielleicht die Hofburg in den Sissi-Filmen vorkommt, habe ich geschaut, ob es nicht wieder zu Weihnachten eine Sendung der drei Filme gibt. Das war doch eigentlich immer so. Aber da waren nur Sendetermine im Schweizer Fernsehen und auf diesem Bezahl-Kanal Sky. Gestern lese ich in den gmx-Nachrichten eine Erklärung, warum es diesmal Weihnachten ohne die Sissi-Filme gibt: sie wurden schon im Frühjahr, anlässlich des Todes von Karlheinz Böhm gezeigt, daher. Welche Nicht-Sendung eines Filmes führt sonst schon zu einer extra-Nachricht. Das ist schon putzig. Aber weil ich letztes Wochenende so erpicht darauf war, mir das noch einmal anzuschauen, habe ich tatsächlich alle drei Folgen komplett im Internet gefunden und sie hintereinander weg angeschaut. Zuletzt habe ich sie vielleicht vor dreißig Jahren gesehen, nie mehr richtig angeschaut, seit meiner Kindheit nicht. Und ich war wirklich überrascht, dass die Filme bei aller Kritik von wegen Fünfziger-Jahre-Heile-Welt-Schmarrn-Verdrängungs-Kitsch doch so viele gewitzte Dialoge haben und durchaus auch rebellische Momente. Wenn Karlheinz Böhm als Kaiser Franz Joseph irritiert von sich weist, einen Erschießungs-Erlass für acht junge, aristokratie-feindliche Rebellen mit einem Federstrich zu unterzeichnen: "Ja ist das denn so schlimm, was diese jungen Menschen gemacht haben, dass man sie erschießen müsste? Ich kann doch nicht einfach so über das Leben von acht jungen Menschen entscheiden!" Und dann Romy, also Sissi, mit ihren Störaktionen, wenn ein Tier bei der Jagd erschossen werden soll. Es wird geniest, es werden plötzliche Bewegungen gemacht, die das Tier flüchten lassen. Ich muss sagen, da sind schöne Momente dabei, die ich politisch sehr korrekt finde. Freilich war die echte Elisabeth eine Nutznießerin ihrer aristokratischen Luxus-Verhältnisse, die ihr einen extravaganten Lebensstil ermöglichten, zu dem auch derlei Luxus-Gedankengänge gehörten, wie die Aristokratie als überholtes Konstrukt zu beurteilen. Ein recht luxuriöses Dilemma.
Bei meiner ausschweifenden Lektüre bin ich auch über das Krankheitsbild Sissi-Syndrom gestolpert. Sehr interessant. Das Phänomen, wenn Frauen mit großem Aufwand danach streben, ein nach Außen perfektes Bild abzugeben, sehr diszipliniert an ihrem Körper und Geist arbeiten, mit streng terminierten Turnexerzitien, Bildungsehrgeiz und zugleich eine innere Leere und Lebensunlust empfinden. Wo habe ich das denn gelesen - so vieles, das ich gefunden habe, rund um die arme reiche Elisabeth von Österreich.
"Das „Sissi-Syndrom” ist nach der österreichischen Kaiserin Elisabeth benannt, die zeitlebens, trotz Schönheit und privilegierten Lebens, an schweren Depressionen litt. Unter dem Sissi-Syndrom verstehen Mediziner eine besondere Ausprägung der Depression: Betroffenen Menschen ist das, im klassischen Sinne depressive Verhalten des Sich-hängen-Lassens völlig fremd. Stattdessen lautet die Devise „Aktion statt Resignation”. Diese Menschen powern durchs Leben, sind beruflich erfolgreich, haben ein makelloses Erscheinungsbild und werden von der Außenwelt bewundert, wohingegen sie selbst nur selten Freude am eigenen Leben empfinden. Ihre übermäßige Aktivität dient dem Ziel, mit aller Kraft von ihrer inneren Leere und Hilflosigkeit abzulenken."
Es mutet geradezu zeitgenössisch an, wenn man ihr eigenwilliges Tun auf sich wirken lässt, daher vielleicht auch vielerorts die größere Beschäftigung und Identifikation mit ihrer Person als mit anderen weiblichen historischen, aristokratischen Persönlichkeiten. Wo es brüchig wird, wird es interessant. Auf dieser Sisi-Seite sind auch ein paar interessante Video-Dokumentationen. In einer wird zum Beispiel darauf eingegangen, dass durch Sisi erstmalig eine extrem schlanke Körpersilhouette zur Mode erklärt wurde. Man kann sich mindestens drei Weihnachtsfeiertage mit dieser ruhelosen Persönlichkeit beschäftigen. Nach dem Freitod ihres sensiblen, erwachsenen Sohnes, des Kronprinzen Rudolph, der sich gemeinsam mit seiner bürgerlichen Geliebten das Leben nahm, trug sie nur noch schwarz und hatte einen weiteren Vorwand, sich dem Anblick der Welt durch einen Schleier zu entziehen. Die Welt sollte sie nur in ihrer Blüte in Erinnerung behalten. Man denkt an Marlene Dietrich, die sich selbst ihren engsten Freunden in den letzten Lebensjahrzehnten entzog, nur noch telefonischen Kontakt zuließ. Sisi war sechzig Jahre alt, als ihr das Leben in Genf durch einen Stich ins Herz genommen wurde, und es war vielleicht der richtige Zeitpunkt. Noch eine Stelle, die ich fand: "Der letzte Abend ihres Lebens, in der Rothschild-Villa, war ungewöhnlich heiter verlaufen: Sisi hatte Champagner getrunken, sogar mit gutem Appetit gegessen und den Klängen eines italienischen Orchesters gelauscht. Doch dann, während eines Spaziergangs durch den Orchideengarten der Rothschilds, hatte sie ziemlich unvermittelt und in perfektem Französisch gesagt: „Je voudrais que mon âme s’envolât vers le ciel par une toute petite ouverture de mon coeur“ – „Ich wünschte, meine Seele würde durch eine ganz kleine Öffnung in meinem Herzen zum Himmel fliegen“. Und so ist es dann auch gekommen.
Das kommt jetzt doch überraschend. Kann ich mir nicht so richtig vorstellen, dass Udo Jürgens mit seinen jugendlichen achtzig Jahren nun doch schon gegangen ist. So nah an seinem letzten Lebenshöhepunkt, gerade noch gefeiert, spazieren gegangen und heute vorbei, von jetzt auf gleich. Irgendwie virtuos. Kein Siechtum, mitten im Leben, wie er es so gerne augenzwinkernd beschworen hat. Das bedeutet, man wird nie an ihn als einen gebrechlichen alten Mann denken, sondern an den gefeierten Bühnengiganten. So überrumpelt wie ich bin, ringt mir dieser Abgang Applaus ab. Er hatte eben Klasse. Wenn es am schönsten ist, sollte man gehen.
Bitte Input
03.12.2014 um 01:11 Uhr
von: Gaga Nielsen
an: Duke Meyer
ich brauche noch mal ein bißchen Inspiration von dir. Sitze vor meiner kleinen Fratelli-Diaschau und komme nicht richtig rein. Das sinddie paar verstohlenen Aufnahmen. Ich hatte, glaube ich, eine weiße Tomatensuppe - oder war es eine Spargelcremesuppe? Und das Saltimbocca mit Spinat. Und danach irgendein Eis mit Erdbeeren. Und man durfte rauchen. Und draußen hat es weiter geregnet, es war, nachdem wir mit der U-Bahn von Mariahilf vom Café Jelinek gekommen waren, hungrig und - - - ja - - was hast du denn gegessen und getrunken, erinnerst du dich? Schreib mal irgendwas, ich klau es dann für mein Blog und schreibe selber was. Ich weiß nur noch, wie es dir geschmeckt hat und du warst ganz zufrieden. Ich war auch sehr zufrieden mit der Vorspeise und dem Nachtisch und dem sehr charmanten Service und die ganze Atmosphäre war, als wäre man in einen italienischen Siebziger-Jahre-Film katapultiert worden und wenn Adriano Celentano reingekommen wäre, oder am Nebentisch gesessen hätte, wäre es auch nicht verwunderlich gewesen. Ein totaler Flashback in ein heiles Spielfilm-Italien-Klischee. Da war es auch nicht so wichtig, dass ich den Wein, den Frascati, zu fruchtig fand, und das Saltimbocca ein bißchen versalzen. Aber wie du dich gefreut hast, das war mir Freude genug (...)
Gaga
AW: Bitte Input
03.12.2014 um 03:28 Uhr
von: Duke Meyer
an: Gaga Nielsen
ich kann morgen abend was drüber schreiben - vorher bin ich "ausgebucht" (und die Nacht ist schon wieder kurz geworden... muss früh raus, ha). Wollte ja schon vor Tagen was auch darüber schreiben bzw. es miterwähnen - aber hatte mich verzettelt, das Konzept ging nicht auf und dann musste ich's aufschieben wegen Wichtigerem. Zur Sache: Deine Vorspeise war weiß - aber ich weiß auch nicht mehr genau, ob weiße Tom- oder Spargelcreme-. Saltimbocca, ja. Ich hatte als Vorspeise vorzügliche Bruschetta und als Hauptgang so ziemlich die besten Medaillons in Zitronensauce, die ich je gegessen habe (die sich damit auch als die preiswertesten ever tasted erwiesen, obwohl sie so teuer waren - 32 Euro allein mein Hauptgang, glaub ich). Leider hab ich den italienischen Namen des Gerichts vergessen - scaloppine al limone oder alla lemone - weiß nicht mehr, ob Scaloppidings, das heißt ja eigentlich Schnitzel. Aber sind Medaillons keine? Fragen über Fragen... Als Dessert eine schwarz-weiße Mousse au chocolat. Italienische Namensversion ebenfalls nicht erinnert. Adriano C. hattest du schon erwähnt, als wir dort am Tisch saßen. Ich hörte ihn ab da sozusagen mit und genoss alles von der ersten Sekunde an. Selten solch vollendete Kellnerperformance erlebt: zuvorkommend bei gleichzeitiger Zurückhaltung, und dieses Zerfließen der Grenzen zwischen der geschmeidigen Freundlichkeit eines ausgebildeten Obers und einer, die von persönlicher Zuwendung nicht mehr unterscheidbar war... (wie bei einem Schauspieler, der seine Rolle verkörpert im Wortsinn: Er IST dann der Charakter, weil er ihn mit seinen eigenen Gefühlen baut. Echt und maßvoll zugleich). In großartiger Balance: immer gleich zur Stelle, aber ohne zu drängen oder auch nur einen Hauch von "Druck" übrig zu lassen, wie es in Lokalen passiert, wo die Höflichkeit des Personals steif bleibt (und dadurch etwas "Rauhreif" davon an Gästen und ihrer Stimmung hängenbleiben kann - und sei's nur, dass sie ihr eigenes Benehmen unbewusst in Frage stellen als weniger formvollendet... Ah, du siehst, ich sehe - es möchte sich schon selber schreiben Ich fand's ein bissi schade, dass dein kulinarisches Erlebnis hinter meinem zurückblieb damals... Ich hatte Glück gehabt mit meiner Auswahl (zumal ich italienische Küche ohnedies favorisiere). Und wahrscheinlich kommst du öfter dazu, auf vergleichbarem Preislevel zu dinieren als ich. So Gelegenheiten habe ich selten, aber stellte bei solchen schon dann und wann fest, dass preislich gehobenes Niveau ein ebensohohes beim Essen keineswegs immer garantiert (ich mecker ja gern auch auf hohem Plateau, äh, Niewo). Sogar mein Wein war perfekt - aber, zum Donner, ich kann mich nicht erinnern, was für einen ich mir servieren ließ. Umso mehr an deinen Frascati, dass der nicht staubt, gehört zu dem Wenigen, was ich hätte voraussagen können. Wenn ich geahnt hätte, dass du darauf aus warst. Ich schätze deine Kenntnisse in vielen kulturellen Bereichen wie Details automatisch umfangreicher ein als meine. Daher kam ich, als du Frascati bestelltest, auf keine andere Idee als die, dass dir genau nach dessen fruchtigem Flair zumute sei. Alles drumherum passte so gut, die Einrichtung, ja, und der Regen, aus dem heraus wir ins Fratelli überhaupt hineinstolperten. Rückblickend unvergesslicher Moment für mich: dieses dort Hineingeraten und dann Ahhh und Oooh. Wir restaurierten uns (...). Spüre die Sauce noch auf meiner Zunge, die ein ebensogutes Gedächtnis hat wie meine Haut und mein Ohr. Habe erst kürzlich, und noch überraschender, auf vergleichbar hohem Resto-Level gespeist. Worüber ich ja eh was schreiben will, nach wie vor. Auch wenn noch offen bleibt, wohin dann damit: aber was ich dir eh gern zuschicke, ob ich das dann auch in die Öffentlichkeit jage oder nicht. Und sei's wegen der bloßen Erwähnung des Erlebnisses im Fratelli, wo alles so geschmeidig passend um uns herumfloss, als gelungene Kulisse des langen Moments, bis in die (...) Details.
Gute Nacht. Ich schreib dir morgen abend was zu dem tollen Fratellinachmittag, den du mir schenktest. Deine Gesellschaft genoss ich übrigens wie das Mahl, es fehlte am Schluss nur die Stimme aus dem Regie-Off: "Und Schnitt! Danke, Kinder, wunderbar, das hätten wir im Kasten! Perfetto!"