Es war selbstverständlich kein Zufall, dass Ulrich Matthes und ich im Partnerlook gekleidet waren - braunes Hemd bzw. Shirt und schwarze Hose. Man spricht sich da kurz vorher ab: "Was ziehst du an? Wonach ist dir heute? So farbmäßig?" Wir haben da eigentlich nie Probleme. Er ist ein friedfertiger, umgänglicher Typ. Ganz anders als seine Rollen. Angeblich spielt er immer Bösewichte. Ich kann das nicht so genau beurteilen, weil ich die Filme nicht kenne und auch sehr selten Tatort schaue. Wir haben einfach anderes zu tun! Äh ja. In der Nachbarschaft, im KW, war eine kleine Gesprächsrunde, da hat er mitgemacht. Er und diese Journalistin, die neulich auch Rosa befragt hat. Ich denke immer ein bißchen an Witta Pohl, wenn ich sie sehe. Das scheint ein etwas unsachlicher Eintrag zu werden. Es war ein recht ernstes Thema, dem ich ohnehin nicht gerecht werden könnte, also werde ich mich besser auf die Nebensächlichkeiten konzentrieren und nicht mit einer ehrgeizigen Abhandlung "On Violence" dilettieren. Nicht hier und heute. Er hat interessante und auch kluge Sachen gesagt. Wie aber nicht anders erwartet. Das ist ja kein dummer, eitler Selbstdarsteller, der in jeder Talkshow herumsitzt und für sich Reklame macht. Braucht er allerdings wohl auch nicht. Man spürt, dass es sich um einen tiefgründigen, eigenständige Gedanken entwickelnden Menschen handelt. Und das sage ich nicht bloß, weil wir uns so nahe stehen und uns in Kleiderfragen abstimmen.
Was natürlich nicht stimmt, da ist wohl meine Phantasie mit mir durchgegangen. Ich muss gestehen, dass mich seine Arme stark fasziniert haben. Die wirken sehr durchtrainiert. Einmal habe ich ihn beim Sommerfest vom LCB am Wannssee aus der Nähe gesehen, da waren entweder die Haare dunkler gefärbt, oder er war früher so dunkel. Das Helle steht im besser, macht weicher. Jedenfalls hat er mich damals nicht so beeindruckt, er stand mit seiner damaligen Freundin, die aufwändig gestylt war und aussah, als ob sie gerne viel Geld ausgibt, etwas gelangweilt am Rande der Tanzfläche im Kaminsaal. Ich dachte mir nur, aha, das ist also dieser wahnsinnig gefeierte Schauspieler, na gut - meinethalben.
Er sah seinerzeit aus, als ob er nicht ganz fit gewesen wäre. Aber vorgestern, im KW, wirkte er sehr gut drauf und kraftvoll. Er hat jede Menge Mutterwitz. Ulrich Matthes ist gebürtiger Berliner, ein Westberliner. Und er hat exakt diese gewisse Art, ab und zu so ein bißchen zu berlinern, so absichtslos selbstverständlich, die mir ein unerklärliches Heimatgefühl vermittelt. Dasselbe Phänomen wie bei Jan, der spricht genauso. Ich könnte ihm lange zuhören, also jetzt Herrn Matthes (aber Jan natürlich auch), nicht nur, weil er nie etwas Dummes sagt, sondern alleine, wie er es sagt. Jetzt muss ich mich langsam mal anziehen und zurechtmachen. Heute ist auch wieder Sommerfest im LCB und ich will doch mal gucken, wer heute so am Rande der Tanzfläche im Kaminzimmer stehen wird. Jan kommt jedenfalls auch. Und Ina, mit ihr war ich anschließend ein paar Hausnummern weiter, bei dem Spanier, Ecke Kleine Hamburger. Tapasteller und Wein und feurige Reden schwingen.
Wenn es Rosa nicht geben würde, müsste man ihn erfinden. Dabei kann man es eigentlich belassen. Nur vielleicht noch soviel, dass mir kein anderer Mensch der Öffentlichkeit einfällt, der in Interviews so gerne und mit echtem Interesse den Spieß umdreht, oder es zumindest versucht, und seinen Gastgeber im Gegenzug befragt. "Wie ist das denn bei dir? Erzähl DU doch mal! Du hast doch soweit ich weiß, Kinder und bist schon länger verheiratet, wie läuft das denn so bei euch?" Man hat nicht das Gefühl, dass er das macht, um sein Gegenüber zu irritieren. Ich finde es schade, wenn das Potenzial eines durch seine Initiative lebhafteren Gesprächsverlaufs mit einer gouvernantenhaft schulmeisternden Ermahnung abgeblockt wird. Zumal wenn man eine gestandene Journalistin im mittleren Alter ist und sich auf der Bühne mit kess übergeschlagenen Beinen in Fickmich-Schuhen präsentiert. Die sich im Übrigen sehr gut fürs Fotografieren machen. So ist es nun mal leider, manchmal sind die präsentierten Schuhe wilder und provozierender als die präsentierten Gedanken. Aber doch schade, zumal Rosa sehr nett fragt. Er soll noch lange genau so weitermachen. Denn wie ich schon eingangs schrieb: wenn es Rosa von Praunheim nicht geben würde, müsste man ihn erfinden.
Ich glaube, der Sonntag am Pfingstwochenende. Ungefähr alle fünf Jahre frage ich jemanden, was eigentlich an Pfingsten im Unterschied zu Ostern gefeiert wird. Hat alles irgendetwas mit der Leidensgeschichte von Jesus zu tun, Kreuzigung, Auferstehung, Himmelfahrt. Jedenfalls hat nie jemand auf Anhieb die richtige Antwort und dann gucken wir alle in Wikipedia nach und vergessen es wieder über die nächsten Jahre. Aber dass es einen Oster- und Pfingstmontag gibt, das können sich eigentlich alle ohne Probleme merken. Man ist halt persönlich betroffen. Warum bin ich an diesem Pfingstsonntag, ja ich glaube es war Sonntag, zu diesem Flohmarkt? Ich war unternehmungslustig und auf meiner Ausflugsziel-Liste war keins dabei, das sich für einen Kurzausflug, den man mal eben am Nachmittag über die Bühne bringt, angeboten hätte. Ich schlafe halt gerne aus und trinke in aller Ruhe viel guten Kaffee mit Schlagobers und flaniere durchs Internet und dann mache ich mich zurecht und überlege endlich einmal in geradezu meditativer Versenkung, was ich anziehen könnte. Ziehe mich noch mal um. Und noch mal. So ist es halt. Aber ich mag das, dabei erhole ich mich. Termine nehme ich nur notgedrungen in Kauf, wenn ich dafür bezahlt werde oder es ein konkretes einmaliges Ereignis gibt, das ich nicht versäumen will. Aber wann kommt letzteres schon vor. Mir fiel irgendwo, ich glaube am Alex, ein Plakat auf, dass es diesen Antikmarkt am Ostbahnhof am Pfingstwochenende gibt. Feier der Schöpfung, Feier der Materie!
Ich bin keine häufige Flohmarktbesucherin, aber wenn, dann bin ich voll bei der Sache. Ich habe ja schon so viel Zeug in der Wohnung, eigentlich gibt es keinen materiellen Gegenstand, den ich dringend bräuchte. Aber hin und wieder verliebe ich mich in ein Ding, wegen einer vollendeten Silhouette oder eines besonderen Materials oder der Vereinigung von beidem, das ist der Idealfall.
Und dann ein bißchen feilschen und plauschen und flirten. Ja, auf Flohmärkten wird viel geflirtet. Ein guter Händler lässt sich keine Gelegenheit entgehen, mit einer potenziellen, guten Kundin wie mir zu flirten. Sonst hätte er seinen Beruf verfehlt. Auf diesem kleinen Antikmarkt hinter dem Ostbahnhof war ich noch nie. Er ist sehr sympathisch und es war ideales Wetterchen. Ich fragte immer artig, ob ich dies oder das fotografieren dürfte, denn ich habe die Erfahrung gemacht, wenn man auf Märkten oder in Läden einfach drauflosfotografiert, wird das manchmal als respektlos empfunden und man erntet strenge Blicke oder die Bitte, das zu unterlassen.
Aber kaum fragt man, wird es mit einem warmen Lächeln erlaubt. Die Händler freuen sich, dass sie höflich gefragt werden und es dann erlauben dürfen. Das ist so ein Spielchen. Zum Beispiel an dem Stand mit dem Radierwasser. Ja! Radierwasser, nicht Rasierwasser. Ich war hin und weg von dem Döschen und dem Gegenstand, auch wenn ich ihn nicht brauche. Noch nie vorher gesehen. Verschlossen stand er auf dem Tisch, der Tintentod. Ich fragte also, ob ich wohl eventuell ein Foto davon machen dürfte und kriegte die Erlaubnis. Ich habe ein Foto gemacht, dann hat er die Dose auseinandergenommen und noch mal neu hindrapiert und mich mit einer Geste aufgefordert, noch mal zu fotografieren.
Das war sehr charmant, er meinte "so sieht man es noch besser, so müssen Sie es auch fotografieren!". So ein Händler hat eben seinen Stolz, es ist sein Revier, wenn auch mitunter nur ein Tapeziertisch. Man muss immer Respekt zeigen, wenn man von jemandem etwas will. Ein heiliges Gesetz. Man will es ja mit Wohlwollen kriegen und nicht hart darum kämpfen. Gekauft habe ich aber unverhoffterweise doch ein paar schöne Dinge, für die ich auch Verwendung habe. Eine Lupe. Meine erste Lupe! Mit einem schönen Horngriff. Einen kleinen Schrankknauf, der ist jetzt an einer Oberschranktür in der Küche. Dann ein Ebenholzkästchen, eigentlich ein Hummidor, aber das Feuchtigkeitsthermometer, ich weiß nicht mehr den Fachausdruck, hat gefehlt. Ich wollte aber nur ein schönes Kästchen aus so einem herrlich gestreiften Ebenholz.
Und innen drin in dem Kästchen war als Überraschung noch ein kleineres, mit dem KaDeWe-Logo eingebrannt, aus einem anderen Holz, das kleine Kästchen riecht ein bißchen wie Sandelholz, ist aber bestimmt was anderes. Da waren mal Zigarillos drin. Ach, das KaDeWe! Mein KaDeWe. Ich liebe es einfach. Und wo ich mit meinem kleinen Rundgang und meinen vielen kleinen Schwätzchen mit den Händlern fertig war und schon fast wieder bei der S-Bahn, war da noch ein letzter Stand mit einem kleinen Brillenetui aus falschem Kroko. Für 1 Euro! Das musste ich haben, das passt genau zu meiner kleinen Lesebrille, die ich fast nie aufsetze. Aber wird sicher noch kommen. Ich will jetzt nicht sagen "time is on my side", sondern eher auf der Seite der Brille. An der Straße der Pariser Kommune kommt man vorbei, wenn man vom Flohmarkt zum Vordereingang vom Ostbahnhof spaziert. Der Name hat mir schon immer gefallen. Es ist jetzt nicht so eine pariserisch romantische Straße, wie der Name anmuten könnte, aber egal. Er klingt gut, er erzählt ja eine ganze Geschichte. Wie die "Straße des 17. Juni". Als Postanschrift macht sich das sicher sehr gut: "Gaga Nielsen, Straße der Pariser Kommune 17". Toll! Hinziehen will ich trotzdem nicht. Aber schön, dass ich mal da bei dem Flohmarkt war. Antikmarkt heißt er ja. War ein prima Ausflug.
Ein Händler hat mir seine Karte gegeben, er hat sogar ein Buch geschrieben über sein Leben als Flohmarkthändler, seine Memoiren. Hab ich jetzt aber nicht griffbereit. Er hat einen besonderen Stand, ihm hab ich das Ebenholzkästchen abgekauft. Aber das war nicht das Besondere, sondern dass er einen Tisch hat, auf dem lauter Instrumente und Werkzeuge, überwiegend aus Metall liegen, die ein normaler Mensch nicht kennt. Teilweise Sachen, Werkzeuge, die es in unserer heutigen Zivilisation nicht mehr gibt. Und wenn man richtig rät, was es ist, kriegt man von ihm irgendwas. Oder was billiger. Lustig war der. Er hatte zum Beispiel ein komisches Teil, wie eine lange Zange. Ich hätte gedacht, vielleicht um Gurken aus einem Fass zu holen, das war aber um geklöppelte Spitzenhandschuhe beim Trocknen in Form zu bringen. Aus Holz glaube ich. Weiß ich aber nicht mehr. Sehr interessant. Die aufgehängte Beinprothese hat mich auch stark fasziniert, so schön aus Leder genäht. Und der runde kleine Ofen. Und die ganz große Puppe. Und ein Bücherantiquar hatte zwei sensationelle Ausgaben von Fibeln mit bösen Zeichnungen auf geschöpftem Papier von George Grosz. Eins war Der Spießer-Spiegel von 1925. Zeitlos schön! Der Markt dort ist regelmäßig, wie viele Flohmärkte in Berlin, man hat also keinen Notstand, wenn einem nach Trödel und Antiquitäten gucken der Sinn steht. Also viele schöne Sachen zu sehen und demzufolge schöner Ausflug!
Es ist wieder so weit. Der Zeiger der Uhr, also die Anzeige rechts unten auf meinem Rechner, nähert sich der Zeit, in der ich langsam in Stimmung komme, etwas zu schreiben. Der Eintrag von heute Nachmittag fällt in eine andere Kategorie. Lesen und Copypasten schaffe ich mitunter auch am helllichten Tag. Wobei, so licht sind die Lichtverhältnisse an meinen Tagen hier in der Wohnung gar nicht. Es ist alles ein wenig gemildert und gedimmt durch vielfältige Vorkehrungsmaßnahmen, die reguläre Außentemperatur von 30 bis 35 Grad draußen zu halten. Ich will gar nicht aufzählen, was ich dazu alles machen muss, da ich keine Außenjalousien an den Fenstern und Glastüren meiner lauschigen Wohnung unter dem Dach habe. Aber so gut wie in diesem Jahr habe ich es noch nie hingekriegt. Man kann es gerade so aushalten drinnen. Wäsche für die Waschmaschine entsteht nicht an meinen Wochenenden. Außer Geschirr- und Handtuch. Thermometer hab ich nicht, es würde ja nichts an der Temperatur ändern. Immerhin habe ich an dem Südbalkon an den großen Glasfenstern an den Außenseiten Rollos aus dem Baumarkt angebracht. Links und rechts zwei Schräubchen in den Holzrahmen. Innen ein Rollo, außen ein Rollo. Das bringt schon was. Na ja. An den Fenstern nicht. Das ist mir zu wackelig, also außen nicht, innen schon. Wollte ich gar nicht im Detail erzählen - egal. Ich mache noch ein paar zusätzliche Sachen, damit es immerhin vom Gefühl her nicht mehr als dreißig Grad hier hat. Obwohl - es würde mich doch mal interessieren.
Mein Gott, wie langweilig, dieses Geschwafel über Hitzedämmmaßnahmen. Das ist jetzt schon das zweite Wort mit drei gleichen Konsonanten nebeneinander in einem Blogeintrag. Dabei versuche ich drei-gleiche-Konsonanten-hintereinander-Wörter zu umgehen. Hat es eben nicht geklappt. Ich werde ein bißchen rammdösig, wenn mein Hirn nicht im idealen Temperaturmodus ist. Der ist auf jeden Fall niedriger. Ich will nicht über zu warm oder zu kalt oder wie mache ich es mir kühler oder wärmer nachdenken.
Das sind so archaische Sachen, die man eigentlich nicht mehr haben will, in unserer Luxuszivilisation. Oder mit herzzerreißenden Flüchtlings-Geschichten konfrontiert werden. Auch das noch. Mir tut das alles weh. Sollte es auch. Ist schon richtig so. Ich habe ein Familientrauma, was das Thema anbelangt, ich kann da gar nicht in eigenen Worten einsteigen, ohne mich in furchtbare, über Generationen vererbte Erinnerungszustände hineinzumanövrieren.
Deswegen gibt es nur mal so einen gecopypasteten Eintrag wie heute Nachmittag. Denn ich bin gar nicht nur so eine weltfremde Kunst- und Kulturflaneurin, die im schicken Elfenbeinturm in Mitte nichts weiter mitkriegt. Ich kriege viel zu viel mit. Aber von Fremdschmerzen wird nichts besser. Oder vielleicht doch, wenn man es vermittelt. Ich habe keinen Grund zu jammern. Aber andere, und das soll man respektieren und einfach das Herz zeigen, das man ja zu haben glaubt. Die Bilder, die ich hier in dem Eintrag habe, haben mit all dem gar nichts zu tun, außer dass sie Dokument meiner Existenz am 26. Mai 2015 sind. Ich kann mich sehr gut an den Moment erinnern, die zwei Minuten, in denen die Bilder entstanden sind. Ich war nämlich ein bißchen aufgeregt und vorfreudig. Ich war kurz davor, zur Autorenbuchhandlung am Savignyplatz aufzubrechen. Das war das erste mal, dass ich sicher war, nur ein paar Introbilder zu fabrizieren, auf die bestimmt noch ganz viele mit anderen Menschen folgen würden. Und vor allem mit einem speziellen anderen Menschen, mit Roswitha Hecke. Ich sage ja, ich arbeite mich hier nicht mehr chronologisch durch mein jüngeres Bildarchiv, das noch nicht gepostet ist. Am 26. Mai dachte ich, es wäre der Tag, an dem Roswitha Hecke in der Autorenbuchhandlung ihre Pigalle-Ausstellung eröffnet. Ich ging also hin, war bereits kurz nach Sieben da, also neunzehn Uhr meine ich, und wunderte mich sehr, dass ich nahezu leere Räume vorfand. Am Verkaufstresen die wahnsinnig attraktive Mitarbeiterin, die mir erklärte, dass ich einen Monat zu früh gekommen wäre. Das sei erst am 26. Juni (ich war dann ja auch da, am 26., habe ich ja alles längst gebloggt). So stand ich da, in der leeren Autorenbuchhandlung, und war vor allem froh für Roswitha Hecke, dass die Veranstaltung doch kein Flop war, für die sich keine Sau interessiert. Hätte mich aber auch gewundert.
Die Autorenbuchhandlung hat ein liebevoll gesetztes, vierteljährlich erscheinendes Magazin namens Geistesblüten, mit schönen Artikeln und Fotos. Die Mitarbeiterin hat mir ein Exemplar mitgegeben und in der S-Bahn fing ich an zu lesen. Plötzlich hatte ich unerwartet einen freien Abend vor mir. Dabei habe ich ganz viele freie Abende. Ja, ich möchte sagen, mein Leben, mein abendliches Leben, besteht mehr oder weniger aus freien Abenden, das nur vereinzelt, sehr vereinzelt, von Unternehmungen unterbrochen wird, die aufgrund meiner hingebungsvollen Dokumentation dazu führen, dass genau der gegenteilige Eindruck entsteht, ich wäre ständig unterwegs, quasi von einer Einladung und Party zur anderen. Wenn ich in mein Blog schaue, kommt es mir bald selber so vor. Aber man muss nur mal das Datum der Bilder anschauen. Da sind ganz große Abstände dazwischen. Und in denen sitze ich nur hier in der abgedunkelten Bude und tippe fleißig Blogeinträge über so gut wie nie stattfindende Abendverabredungen oder ausgefallene. In der Zeitschrift war auch ein Bericht von Christiane Höllger über ihre Freundin Romy Schneider. War aber glaube ich jetzt nichts, was man nicht schon mal woanders gelesen hätte. Aber trotzdem ganz schön. Das dazu.
"(...)Eine Variante der neuen Realität erwartete mich und meine neunjährige Tochter in Berlin an einer Bushaltestelle. Wir wollten zurück in unser Übergangswohnheim, als mein Blick auf ein junges Liebespaar fiel. Die beiden tauschten heiße Küsse in inniger Umarmung aus - als seien sie allein auf der Welt.
Nur meine Kleine starrte das Paar an - mit einer Mischung aus Überraschung und Schüchternheit. Automatisch legte ich meine Hand auf ihre Augen, dann schob ich meinen Körper als Sichtschutz zwischen die Liebenden und mein Kind. Meine Reaktion war auch ein Schutz meiner selbst: Ich wollte meine Frau und mich vor einem kindlichen Fragesturm schützen.
(...) Natürlich findet man auch immer nette, fremde Menschen, die in der U-Bahn oder an der Bushaltestelle helfen. Manche schauen sogar auf ihrem Smartphone nach, wenn ich die Schilder des Berliner Schienenersatzverkehrs nicht verstehe. Auch viele Berliner scheinen sie nicht zu verstehen.
Berlin ist für mich eine typische westeuropäische Stadt. Der öffentliche Nahverkehr funktioniert, es ist sauber, grün und bislang habe ich mich noch nicht bedroht gefühlt. Berlins lange Arme umarmen mich einfach, sie erinnern mich ständig daran, dass ich in Europa bin."
Yahya Al-Aous (41) ist syrischer Journalist. Er saß von 2002 bis 2004 im Gefängnis. Seit zwei Monaten lebt er mit seiner Familie in einem Übergangswohnheim in Berlin.
Zwei Uhr zwanzig. Schon wieder so spät. Es ist einfach meine Zeit, ich wünschte selbst, die würde sich nicht derart spät nachts einfinden. Wenn ich Verabredungen habe, abendliche, nicht nächtliche (die mir mehr (sehr) liegen würden), habe ich immer das Gefühl, mir läuft die Zeit davon. Ich dusche, balsamiere mich ein, tusche meine Wimpern usw. usf., höre Musik. Im Internet (hab gerade versehentlich getippt Hinternet ) schnell noch irgendwas nachlesen, checken, gucken, wieder hängen bleiben. Noch ein Glas trinken. Noch ein paar bestimmte Songs, die mich sehr zuverlässig elektrisieren. Anybody seen my Baby? High Voltage Queen. Schuhe. Welche Schuhe? Stiefel? Doch mal wieder ein Kleid. Ach nein, doch nicht. Schmuck? Ja, aber nein, nicht das. Das andere. Martialischer. Härter. Nicht so nett. Das Zebra-Teil. Das liebe ich, darin fühle ich mich immer richtig. Auf eine nicht zu nette, unopportunistische, autonome Art gut und richtig. Ich war schon angetan, dass Doro in ihrer Einladung "ab 21 Uhr" geschrieben hatte. Nicht diese Kindergeburtstagsuhrzeiten wie bei Eröffnungen. 19 Uhr. Bitte. Da trinke ich meinen dritten Nachmittagskaffee. Und mit dem eigentlichen Trinken versuche ich immer noch nach Einbruch der Dunkelheit zu beginnen. Die ist derzeit bei ca. halbzehn. Dafür bin ich um zwei aber auch noch nicht haltlos betrunken. Was war das nun für eine Party? Mir kommt die Betitelung selbst ein bißchen aus dem Fenster gelehnt vor, weil erneut keine Bilddokumentation entstanden ist. Und auch hier war die Kamera immer in meiner Griffweite. Diesmal waren es nicht zu komplizierte Lichtverhältnisse und auch waren einige Gesichter da, die ich sehr gerne gesehen habe und gerne einmal einfangen möchte. Manche zum ersten mal. Andere gerne einmal wieder. Jedoch alles, jeder Moment schien mir zu privat. Man kann nicht einfach in einer privaten Wohnung, die nicht die eigene ist, und in der man selbst erstmalig zu Gast ist, ohne Aufforderung der Gastgeberin herumfotografieren. Das gehört sich nicht, es sei denn, sie würde es sich wünschen. Sie hätte sich einiges wünschen können und dürfen. Denn sie hatte Geburtstag. Denselben, den ich in knapp drei Wochen habe. Also dieselbe Zahl. Wir sind derselbe Jahrgang, Doro und ich. Dass ich überhaupt dort war, sein durfte, rührte von dem Abend, als Sebastian seine Hochzeit im Circus Lemke feierte. Dort war Doro auch und fragte mich, ob ich nicht Lust hätte, am kommenden Samstag zu ihrer kleinen Geburtstagsfeier zu kommen. Ich hatte sogar sehr Lust, denn immer, wenn ich Doro sehe, so selten das ist, habe ich aus unerfindlichen Gründen ein Empfinden von Vertrautheit und Verbundenheit, als wäre sie eine alte Schulfreundin, mit der man sich an Pferde erinnert, die man früher zusammen gestohlen hat. Ich weiß nicht, ob es ihr ein bißchen ähnlich geht, aber mir geht es so. Was aber nicht dazu führt, dass man von Stund an denkt, man müsste sich nun dauernd verabreden und so schnell wie möglich wieder sehen. Gar nicht. Aber manchmal. Und dann sehr gerne. Ohne Wenn und Aber. Jeder hat so sein eigenes Leben zusammengebastelt, in fünf vollendeten Dekaden. Es gibt Rituale und Verpflichtungen. Schöne und langweiligere. Aber ab und zu kann man nebeneinander in einer schönen Bar oder in einem schönen Wohnzimmer sitzen und gemeinsam laut denken, ein bißchen Telepathie pflegen. Und lachen. An diesem schönen Abend traf ich endlich zum ersten mal Kitty Koma, die mit ihrem Gefährten gekommen war. Eigentlich nur um die Ecke. Wir wohnen alle nicht so sehr weit voneinander entfernt. An ihr war mir gar nichts fremd oder befremdlich. Ich mochte sie sofort, aber irgendwie wusste ich das vorher schon, oder hoffte es zumindest. Modeste war auch da. Und Wortschnittchen. Und Engl, die sich alle drei auf eine schöne Art entwickelt haben. Anne, die auch bei Sebastians Feier im Circus Lemke war, war ebenfalls da, sie hatte ein Kleid mit einem Muster an, das mich total in den Bann zog. Und noch ganz viele andere, die ich nicht kannte. Überwiegend in etwa meinem, unserem Alter. Zehn Jahre mehr oder weniger, da wollen wir nicht kleinlich sein. Mek kam später auch noch, zu meiner allergrößten Freude, denn er ist immer meine Augenweide. Bitte nicht falsch verstehen, viele waren attraktiv anzusehen, aber bei Mek fotografiere ich innerlich immer. Eigentlich filme ich ihn sogar. Aber das ist kein Geheimnis. Wenn er nicht verheiratet wäre, würde ich solche Sachen wahrscheinlich nicht schreiben. Aber ich bin ja jenseits von Gut und Böse. O.k. Nein, Quatsch. Ich bin nicht jenseits von Gut und Böse. Es ist 2:47 Uhr, ich fange an zu faseln. Natürlich trinke ich auch. Das ist normal um diese Zeit, wenn man noch nicht schläft, oder? Blanquette de Limoux. Mek schrieb vor einer Weile einen Eintrag, in dem er diesen Abend erwähnte, vor allem den letzten Abschnitt. Kann man hier nachlesen. Wir saßen in einer sehr kleinen Runde, Mek, Modeste, das Geburtstagskind, noch eine Freundin von ihr und ich, in diesem wunderbaren Berliner Zimmer. So schöner Stuck an der Decke, so behutsam freigelegt, restauriert. Ich habe mich eigentlich wie daheim gefühlt, obwohl mein Daheim ganz anders aussieht. Doro und ich saßen unter einer großen bemalten Leinwand mit Kois, diesen orangeroten Fischen. So ein schönes Bild. Mek hat das Talent, jedes Gespräch, zu dem er stößt, zu intensivieren und in eine interessantere Richtung zu lenken, kommt mir jedenfalls so vor. Ohne ihn hätten wir uns mit Sicherheit keine Sekunde über Sexblogs unterhalten, oder ob es reizvoll sein könnte, über dieses Thema zu schreiben. Irgenwie anders. Weiß der Geier. Nicht so, wie man das kennt. So eindimensional, monothematisch, nicht so tausendmal gelesen und klischeehaft. Wir ließen uns gerne auf seine Gedanken ein. Wobei ich mir nicht sicher bin, ob wir uns nicht auch auf ein anderes Thema mit ähnlicher Konzentration eingelassen hätten, einfach um der Freude willen, mit dem Intensitätspotenzial seiner und unserer Gedanken zu spielen, ein bißchen herumzujonglieren. Wie auch immer. Es ist spät. Es war spät. Es dämmerte bereits, wir erlebten die blaue Stunde, in dieser schönen kleinen Runde. An diesem Abend wurde nicht getanzt, nicht mit Beinen, aber doch ein bißchen mit und in Gedanken.
Ich halte mich nicht mehr an die strikte Chronologie der Ereignisse. Aus irgendeinem Grund habe ich mehr Lust, mich mit den jüngeren Ereignissen und Ausflügen zu befassen. Das hier wird wieder ein Eintrag, wo man sich die Bilder selbst dazudenken muss. Denken Sie sich doch mal sechshundert Zeichnungen von sechshundert anonymen Zeichnern und im Anschluss ein paar Aufnahmen von mir und ein paar anderen Menschen. Wieder hatte ich die Kamera dabei. Akku geladen, Objektiv geputzt. Nicht ein Foto gemacht. Aber diesmal lag die Sache etwas anders. Der Abend war nicht so kurz wie neulich in Friedrichshain in der Fotogalerie. Ich muss gestehen, ich wäre von selber nicht auf die Ausstellung der "Anonymen Zeichner" gestoßen. Weil aber mein lieber Freund (und ich sage nicht mehr Bloggerfreund, weil mir das zu schlicht vorkommt und die Sache nicht trifft) Sebastian dort und dabei war, hatte ich Lust darauf. Sogar Lust, etwas zu kaufen. Mir gefiel die Vorstellung, vor so vielen Zeichnungen zu stehen, die Bilder mit den Augen zu scannen und dann vielleicht fasziniert an einem so kleben zu bleiben, dass ich es haben will. Alle Bilder hatten denselben Preis, zweihundert Euro. Ich habe extra darauf geachtet, dass ich genug Bargeld dabei habe. Auf der Internetseite des Projekts sah ich sogar ein ganz bestimmtes Bild, das ich gerne real angeschaut hätte. Leider war es nicht vor Ort.
Ich bin sehr selten in Moabit, äußerst selten. Ich wusste, dass noch wenigstens Elvira, die in Moabit wohnt, dort sein würde. An dem Abend hatte ich Lust, mich nicht schwarzweiß anzuziehen, was ich oft mache. Es widerfährt mir eher, ich fühle mich in schwarzweiß sehr wohl. Kann man auch nicht erklären. Aber wenn ich womöglich ein sehr buntes Bild kaufen würde, wäre es doch schön, wenn ich selber bunt wäre. Man ist ja auch ein Exponat von anonymen Zeichnungen, wenn man so wild gemusterte Sachen anhat. Nie erfährt man, wer den Stoff entworfen, "gezeichnet" hat. Ich hatte also zweihundert Euro im Geldbeutel und noch ein bißchen mehr, um auch was zu trinken kaufen zu können. Und für alle Fälle ein Taxi zu bezahlen (also zurück). Wenn es spät ist, hat man ja oft keine Lust, sich auf irgendwelche komplizierten U- oder S-Bahnverbindungen oder womöglich Nachtbusse einzulassen. Wenn es sehr spät ist und man sehr trunken ist, will man heim und zwar so schnell wie möglich. Auch dieser Abend war ein sehr warmer Sommerabend. Irgendwo musste ich umsteigen, auf dem Hinweg. Wie war das noch? Kommt mir schon wieder vor wie ewig lange her. Es war ein paar Tage vor dem Abend im Löwenpalais, andere Bilder in meinem Kopf überlagern die Kleinigkeiten der Erinnerung. Ich musste jedenfalls zur Turmstraße. Ach ja: vom Rosenthaler Platz bin ich bis Osloer gefahren und dann Richtung Steglitz mit der U 9 bis Turmstraße. So war das. Ein gutes Stück noch gelaufen, aber ich hatte meine schwarzen Reeboks an den Füßen, da kommt es auf hundert Meter mehr oder weniger nicht an. Viele Leute waren vor dem Eingang. Die Raucher, denkt man zuerst. Aber als ich hineinging, kam mir so eine stickig heiße Luft entgegen, viel heißer als draußen und sehr sauerstoffarm, dass wahrscheinlich selbst eine vor der Tür inhalierte Zigarette mehr Sauerstoff transportiert hätte. Ich ging ziemlich schnell durch die Raumfluchten mit den vielen hundert Zeichnungen. Alle sehr klein, meistens nur DIN A 4. Die mich interessierte, fand ich nicht, aber dafür Sebastian, der mit einem Kollegen am Fenster saß. Wir begrüßten uns freudig und ich schaute gleich noch mal weiter, ob ich das Bild nicht doch entdecke. Das von Sebastian hing auch anonym da, wie alle, aber ich habe es nicht entdeckt und zugegebenermaßen auch nicht wissenschaftlich danach gesucht.
An der Theke mit den Getränken war eine kleine Warteschlange, ich haderte, mir etwas zu holen und tat es doch nicht, es war einfach so stickig. Ich fragte noch bei der Kuratorin nach dem Bild, sie erklärte, es wäre aus dem Archiv und nicht da. Ich lief noch mal schnell an allen Wänden vorbei, die Luft wurde langsam wirklich knapp. Eine kleine Zeichnung oder vielmehr ein Bild, zwischen elektrischem Pink und Magenta, es sah aus wie mit Wasserfarben gepinselt, gefiel mir ganz gut, aber es war mir keine zweihundert Euro wert. Dafür war es zu beliebig und mickrig. Viel Amateurhaftes klebte an den Wänden, und darunter eher selten, komplexe, aufwändige Zeichnungen, mitunter von mysteriösen Welten. Im Grunde war Alles und Nichts dabei. Ich hatte genug gesehen. Aus dem Augenwinkel sah ich zufällig die wunderbare Angela Winkler mit einer Freundin an den Wänden vorbeiflanieren, sie guckte sehr konzentriert, als ob sie nach einem bestimmten Bild Ausschau hält und sah außerordentlich gut aus, und wenn ich zum Paparazzen neigen würde, hätte ich sie fotografiert. Aber sie war ja privat dort, nicht um von irgendwelchen Besuchern mit der Kamera gestalkt zu werden. So käme es mir vor, wenn ich die Situation derart ausgenutzt hätte. Ich ging hinaus und war ein bißchen orientierungslos, weil ich Sebastian drinnen nicht mehr gefunden hatte. Gegenüber von der Eingangstür war im Gewimmel eine Bank, auf der saß Konstantin. Konstantin, der Kunstkontakter. Wir begrüßten uns herzlich und wir kamen schnell ins Gespräch. Über alles mögliche. Er hat immer recht bizarre Outfits an. Eine staatstragende Offiziersmütze oder wie man das nennt, ein gelbes T-Shirt glaube ich, und so eine leuchtorange Straßenbauarbeiterhose, wenn ich es recht erinnere. Er taxierte mich von oben bis unten und meinte: "Na ja, du warst ja schon immer eine der wenigen, die avantgardemäßig unterwegs war, immer ganz ausgefallene Sachen an!" Das war aber schon irgendwie anerkennend gemeint, wie ich Konstantin kenne. Er fragte mich Verschiedenes aus der Vergangenheit, auch was bestimmte Verbindungen und Beziehungen angeht, die er zum Teil anders interpretiert hat, als sie waren. Ich staunte, an was für Details und Szenen er sich erinnert. An irgendeinen Moment vor der damaligen Galerie Sakamoto, wo er meinte gesehen zu haben, wie ich und - - - na ja. Unsinn. Egal. Auf jeden Fall offenbar viel Phantasie bei Konstantin im Spiel. Ich musste lachen. Außerdem alles ewig her. Ich erwähnte in dem Zusammenhang, dass ich eine ganze Weile sehr wenig unterwegs war. Wegen Liebeskummer.
Konstantin wetterte "Na siehst du, hättest du damals mich genommen, hättest du keinen Liebeskummer gehabt, selber Schuld!" Das ist so ein wiederkehrendes Geplänkel, dem man nicht zuviel Gewicht beimessen sollte. Sagen wir, Ausdruck einer gewissen Grundsympathie, was mir im übrigen jahrelang nicht klar war. Ich dachte, dass er nicht sonderlich viel von mir hält, aufgrund seiner früheren unterkühlt-autoritären Begrüßungsgesten. Na ja, so kann man sich täuschen. Aber nun weiß ich ja, dass er im Grunde ein weichherziger Mensch ist, der lediglich aus strategischen Gründen auch sehr streng gucken kann. Wir unterhielten uns noch recht ausführlich, über sein Elternhaus und seinen Vater und seine Mutter, seinen Herkunftsort und wie sich seine Eltern kennengelernt hatten. Beide leben nicht mehr. Auch so eine Dynamik, die sich in letzter Zeit wiederholt. Ich beginne mit jemandem ein harmloses, mitunter sogar albernes Geplauder und auf einmal wird daraus ein sehr ernstes Gespräch. Ist mir aber auch nicht unangenehm. Mittlerweile sah ich Elvira vorbeilaufen, sie ging in die Galerie aber sah mich nicht. Nach circa zehn Minuten kam sie wieder raus, ihr Liebster war auch dabei, und auch Sebastian war wieder da. Wir seilten uns in eine in Laufweite liegende Kneipe ab. Noch eine Freundin von Elvira kam dazu und auch noch ein anderer anonymer Zeichner, der sein Bild auf seinem Handy zeigte. Es war mir sogar aufgefallen, weil es so aufwändig und vielschichtig gezeichnet war. Als die Kneipe draußen nicht mehr bediente, zogen wir weiter in einen unheimlich schönen Biergarten, es war schon lange dunkel und wir tranken viel und hatten ein paar gegrillte Spieße und führten an dem langen Tisch lange, vertraute Gespräche. Ich dachte nicht eine Sekunde daran, irgendjemanden fotografieren zu wollen. Es war ja auch viel zu dunkel und man muss nicht jeden lebenswerten Moment als materialisierte Erinnerung bannen. Hat man ja früher auch nicht gemacht. Man erinnert sich auch ohne Kamerabilder an so einen schönen Abend. Das ist also diesmal die Erklärung, wieso es vom ersten August nur ein paar Bilder meiner Garderobe gibt.
Das Löwenpalais im Grunewald. Letzten Mittwoch war ich da. Es ist die Residenz einer Kunststiftung, der Stiftung Starke, die das Vermächtnis des Vaters an den Sohn war. Eine schöne Idee, Künstlerwohnungen gibt es auch dort. Yoko Ono war auch mal "Artist in Residence" in der Kunststiftung Starke. Ist aber an mir vorbeigegangen. Jedenfalls ergab es sich, dass ich diesen Ort besuchte, weil an dem Abend ein Sommerfest stattfand. Vom Garten mit den Gästen habe ich gar keine Aufnahmen. Aber das hat schon alles seinen Grund. Sicher wird man anhand der Bilder denken: Holla, das ist ja mal ein Ambiente, nicht von schlechten Eltern, hier lässt es sich feiern! Es ist halt immer so eine Sache mit der Klientel. Ich hatte gewissermaßen die Schlußfolgerung gezogen, dass das Publikum in der Stiftung Starke stark den schönen Künsten zugeneigt sein würde, was u. a. auch an der Betitelung der Feier lag, die ich hier aber lieber unerwähnt lasse. Man konnte sich da eigenmächtig auf die Gästeliste setzen lassen, sofern man überhaupt von der Veranstaltung wusste. Ich hatte mir den Weg zur Königsallee im Grunewald ausgeguckt und ausgedruckt. Das Fahrgastinfo der BVG schlug mir vor, bis Westkreuz mit der S-Bahn zu fahren und dann zu laufen. Angeblich 1,2 Kilometer. Mir kam es beim Blick auf die Landkarte, also den Stadtplan, schon recht weiträumig vor, was da mit vorgeblich 1,2 Kilometern avisiert wurde, aber wird schon stimmen. Das ist doch alles von Profis programmiert, die werden das ja wohl wissen. Kann natürlich auch sein, dass hin und wieder die Luftlinie angegeben wird. Aber da muss man sich flexibel zeigen. Während ich am Westkreuz treppauf, treppab den Ausgang suchte, war ich schon recht gut eingelaufen und froh, dass meine Lackstiefelchen um einiges bequemer sind, als sie aussehen. Ich gabelte einen Herrn in arbeitstauglicher Kleidung auf der Treppe auf, der wirkte, als ob er sich auskennt, und hielt ihm meinen gedruckten Plan unter die Nase. Ob es da noch einen anderen Ausgang gibt, wollte ich wissen. "Nein, hier gibt es nur einen, wo wollense denn hin? Ach! Richtung Halensee! Ich muss zum Trabener Steig, meine Richtung, könnse mir einfach hinter her!" "Na gut, dann lauf ich Ihnen hinterher!" "Ist mir auch schon lange nicht mehr passiert, dass mir eine Frau hinterherläuft, dass ich das noch erleben darf! Haha". Er musste dann bei irgendeinem Stellwerk oder was das war, zu seiner Arbeit, Abendschicht. Ich fand mich dann auch alleine zurecht. Wenn man erst einmal das gruselige Westkreuz mit seinem Fahrbahn- und Schienengewirr hinter sich hat, und am Halensee ist, spaziert es sich doch sehr schön. Obwohl es nun nicht mein Ziel war, den Abend mit einem Spaziergang zu verleben. Na gut, hat man es mal gesehen, das ganze Drumherum.
Tolle Villen, tolle Portale, alles sehr schön und lauschig. So hässlich wie das Westkreuz ist, so schön ist die Ecke vom Grunewald. Altehrwürdige, hochherrschaftliche Bauten. Wahnsinnig ruhig. Nur Vogelgezwitscher. Ab und zu ein teures Automobil im Schritttempo. Langsam wäre ich schon gerne angekommen. An einer Bushaltestelle kam ich vorbei. Wie ärgerlich, dort konnte ich feststellen, dass ich nur mit der S-Bahn weiter bis Grunewald hätte fahren müssen und dann zwei Bushaltestellen in die Königsallee, schon wäre ich bequem dort gewesen. Aber nun ja, eine Möglichkeit, die Umgebung zu erkunden. Fotos habe ich dabei nicht gemacht. Endlich kam das Ziel näher. Rechter Hand ein See mit viel Entengrütze drauf, der Dianasee glaube ich. Oder war es der Königssee? Man bringt das dann auch durcheinander. Also ich war ungefähr um kurz nach Zwanzig Uhr oder so da. Eigentlich sehr zeitig. Die Damen, Hostessen nennt man das auch, zwei Stück, hakten die Gästeliste ab und man kriegte noch ein Los für eine Tombola und einen Gutschein für irgendein Getränk, was mit Wodka, der dort promotet wurde. Als ich durch den Garten der Villa in den rückwärtigen Eingangsbereich mit der Freitreppe und der Terrasse ging, hatte ich sehr schnell einen umfassenden Eindruck des Publikums. Ich möchte es so sagen: es ist ein sehr spezielles Publikum gewesen. Finanzielle Engpässe spielen eher keine Rolle, war so mein Eindruck. Sicher wird auch gerne mal ein Kunstwerk gekauft, das sollte schon drin sein. Die Damen waren alle besonders zurechtgemacht. Das kennt man ja auch von irgendwelchen anderen Abendveranstaltungen, aber hier war es irgendwie so ein bißchen wie man es in den Episoden von Kir Royal immer gesehen hat. Wenn Baby Schimmerlos mit seiner Senta in dieses italienische Lokal gegangen ist, Bussi Bussi. Und viele Handtaschen mit Herstellervermerk. Hellroter Lippenstift und sehr brauner Teint. Es waren aber auch sehr schöne Partykleider darunter. Mit viel Paillettenglitzer. Die Frisuren saßen auch sehr gut. Die Herren trugen viel Weiß. Weiße Hemden und auch die eine oder andere weiße Hose. Als ich das Geschehen überblickt hatte, ging ich zum ersten mal in die Villa. Dort freute ich mich über die rosa-violette Opulenz im Salon. Die putzigen Sitzmöbel konnte ich alle durchprobieren, weil es drinnen nicht sehr voll war. Die meisten waren draußen, außer wenn sie was zum Trinken an der Bar holten. Ich holte mir auch was. Ein amerikanisches Bier. Hat mir sogar sehr gut geschmeckt, Überraschung. Heineken heißt es, ganz bekannt, habe ich bisher immer vermieden, aber kann man trinken. Ich grübelte ein bißchen, wo meine Freunde wohl bleiben, denn ich war mit Jan und Ina und Ann verabredet. Die wollten auch kommen und standen doch auch auf dieser Gästeliste. Ich hoffte, dass sie nicht etwa schon da gewesen waren und wieder gegangen sind, weil ihnen das Publikum etwas - - äh - na ja. Nennen wir es beim Namen: suspekt war. Ich überlegte, ich könnte die Hostessen fragen, ob sie die Namen schon abgehakt haben, habe ich auch gemacht. Sie waren aber noch gar nicht da gewesen. Also beschloss ich, mich zu beschäftigen, bis die vertrauten Gesichter hoffentlich noch eintreffen. Ich fotografierte ein bißchen herum, die Löwen, trank mein Heineken und ging wieder durch den Garten, hinein in die Villa, zur leeren Tanzfläche. Guter Sound. Die Bässe und der gute Klang animierten mich, doch nicht einfach abzuhauen, sondern weiter zu warten. Ich beobachtete die Leute und kam mir ein bißchen vor wie in so einer Gesellschaft, wie bei den jungen Royals. Wenn da Hochzeiten gefeiert werden, sehen die Leute auch so ähnlich aus. Adrett und gut betucht und ein bißchen verklemmt und langweilig, aber insgesamt sehr ihrer gesellschaftlichen Relevanz sicher. Es gab einen Flügel und ein Klavier im Salon. Ich hob den Deckel und drückte auf ein paar Tasten, einfach so zum Zeitvertreib. Ich klappte den Deckel wieder zu, eine junge Frau hatte mir zugeschaut und fragte erwartungsfroh, ob ich spielen wollte? Sie hoffte wohl auf ein bißchen Abwechslung und Action. Ich sagte: "ich wollte schon gerne, aber ich kann leider nicht!" Echtes Bedauern zeichnete sich auf ihrem Gesicht ab. Mein erstes Bier war gerade leer, als ich mich anschickte, mich wieder einzureihen, für ein zweites Glas Heineken. Da erblickte ich Ann in der Tür, sie kam zur Terrasse rein und ich umarmte sie begeistert. Ob Ina auch dabei wäre? Und Jan? Ja, ja, die sind auch dabei. Sie waren vorher noch bei irgendeiner Ausstellungseröffnung. Ich war wie erlöst. Ina war gut drauf und amüsierte sich mit Ann und mir über das eine oder andere gelungene Outfit der Grunewald-Society. Nur Jan machte ein Gesicht wie drei Tage Regenwetter. So hatte ich ihn überhaupt noch nicht erlebt. Als hätte er Magenschmerzen. Er war überhaupt nicht in seinem Element, dabei hatte ich gehofft, er könnte Geschmack an dem einen oder anderen Outfit der Damen finden und es ein bißchen dokumentieren. Da war nichts zu machen. Ausgerechnet Jan, der mich erst auf die Idee gebracht hatte, durch seine Bilder, ins Löwenpalais zu gehen, eröffnete mir, er hätte sich hier eigentlich immer schon irgendwie unwohl gefühlt. Na toll. Schön, dass ich das jetzt erfahre, schön, dass wir mal drüber gesprochen haben! Ina und Ann hingegen demonstrierten mir sehr überzeugend ihre Partylaune und versicherten mehrfach, dass sie es sehr amüsant fänden. Ich fand es von da an ja auch sehr amüsant, weil wir hatten ja schließlich uns und wann würde man jemals wieder so eine Veranstaltung aus nächster Nähe sehen können! Wir holten uns Getränke und suchten uns einen netten Platz im hinteren Garten, wo Tische und Sitzmöbel waren. Wir plauschten über Gott und die Welt, es wurde sogar tiefsinnig.
Kann schon mal passieren. Plötzlich kam ein Herr vom Service und kündigte an, dass jetzt die Livemusik anfangen würde und dann wäre gegen zehn die Tomobola. Eine Porsche-Sonnenbrille und eine Porsche-Armbanduhr gab es zu gewinnen. Mittlerweile war Jan einfach abgehauen, es war ihm zu blöd, er sagte nicht mal Bescheid. Wir alberten dann zu dritt herum, dass wir ihm ja als Trostpreis unsere gewonnenen Porsche-Brillen und Uhren schenken könnten. Wir haben viel gelacht. Also nicht wegen Jan, sondern weil wir uns gut unterhalten haben. Weil wir uns so verquatscht haben, sind wir zur spät zur Tombola in den großen Saal, die Leute kamen uns schon alle entgegen. Wir waren genau fünf Minuten zu spät. Alle Preise waren vergeben. Ein Mann, den ich fragte meinte, alle die aufgerufen waren, waren auch da und haben Preise abgeholt. Demzufolge hatten wir drei also alle Nieten! Aber jede Niete hatte eine Nummer. Ich hatte glaube ich 187. Niete Nummer 187! Also keine Porsche-Armbanduhr für Jan. Dumm gelaufen. Aber als sich der Saal leerte, legte die Sängerin richtig los. Sie gab einfach alles. Ein langes, enganliegendes Kleid hatte sie an, mit silbernen Pailletten von oben bis unten. Sie hat geglitzert wie eine Disco-Kugel und wenn man nicht so genau hingeschaut hat, hätte man denken können, es ist Mariah Carey. Aber zwanzig Jahre früher. Sie hat viele Songs sehr gut performt. Ja, man könnte sagen, sie hat alles gegeben. Besonders ein Lied von Amy Winehouse hat sie sehr gut hingekriegt. Es gab aber auch so Sachen von Tina Turner, "Private Dancer" und den "Happy"-Song. Wir drei hatten die Tanzfläche fast für uns. Die Grunewald-Society hatte es nicht so mit Tanzen, aber wir dafür umso mehr. Ich hatte inzwischen schon mein viertes Heineken und fühlte mich sehr rhythmisch, wie ich da so mit Ina und Ann herumkasperte. Es war richtig schön. Lag jetzt aber nicht unbedingt am Konzept des Veranstalters und der Löwenvilla, sondern wahrscheinlich mehr an uns. Und natürlich am Heineken.
In letzter Zeit passiert es immer wieder, dass ich die Wohnung verlasse, mit ein paar Bildern auf der Speicherkarte, die ich nur zum Aufwärmen mache, für die Kamera und mich bzw. als Intro, und dann bin ich am Ziel und kein einziges weiteres Bild entsteht. Aber die paar Bilder, die im Grunde nur zeigen, wie ich das Haus verlassen habe, will ich dann auch nicht löschen, wenn sie nicht totaler Mist sind. Oft wird fotografiert wo ich bin, mit Kameras aber auch mit Smartphones. Wie es eben heutzutage so ist. Und nur in sehr unberechenbaren Momenten habe ich den Impuls, die Kamera zu benutzen. Eine Ausnahme ist, wenn ich weiß, es wird jemand dort sein, den ich sowieso gerne ablichten möchte, wie Roswitha Hecke oder Vera Lehndorff. In einer Situation, die es ohnehin erlaubt und kein besonderes Einverständnis verlangt. Natürlich ist es unangemessen, die Strecke mit "Fotogalerie Friedrichshain" zu betiteln. Das ist für mein privates Archiv, zur besseren Einordnung. Ich kann rekapitulieren, in welchen Zusammenhang ich die Bilder gemacht habe. Die Fotogalerie Friedrichshain eröffnete an diesem 30. Juli eine Retrospektive, anlässlich ihres dreißigjähriges Bestehens als erste "kommunale Fotogalerie" der DDR, mit dem damals in der DDR ungewöhnlichen Vorhaben, zeitgenössische Fotografie als Kunstform auszustellen. Die Räume sind unverändert seit dreißig Jahren im Erdgeschoss eines Plattenbaus am Helsingforser Platz in Friedrichshain.
Als ich kam, nicht zu Beginn der Eröffnung,, sondern so gegen halb- oder dreiviertelneun, waren die Gespräche mit den Gründervätern in vollem Gange. Jan war auch schon eine Weile da und fotografierte und hörte zu. Auf der anderen Seite des Raumes sah ich Manfred Carpentier am Boden sitzen und auch zuhören. Ich ließ mich auch auf den Boden sinken, das war am bequemsten, und hörte zu. Erinnerungen aus den letzten dreißig Jahren. Ich war da noch nie, in dieser Galerie, die eine historische Bedeutung für Ostberliner Fotografen hat. Es gab keinen Winkel und kein Motiv, das ich unbedingt hätte einfangen wollen, es hat einfach nicht gezündet, an diesem Abend bei mir. Wir unterhielten uns noch eine Weile draußen, ich holte mir nicht einmal ein Getränk. Ein Fotograf, der mir bekannt vorkam, den ich aber nicht mehr zuordnen konnte, blieb vor Jan und mir stehen und hatte dieses Wiedererkennen im Gesicht, wenn man jemanden nach langer Zeit wieder sieht oder erkennt. Ich wusste immer noch nicht. Er ja. Wir trafen uns vor sieben Jahren bei der Fotobild, einer Fotografenmesse im Tempelhofer Flughafen. Ich hatte ihn damals auch abgelichtet und es gab in einem launigen Kommentar ein Foto von ihm, hier in meinem Blog, das zu sehr animierten Antwortkommentaren von Leserinnen führte. Es war recht schmeichelhaft für ihn. Ein paar Jahre danach, wir hatten nicht das geringste seither miteinander zu tun gehabt, schickte er mir eine Mail mit der Bitte, die Bilder, auf denen er zu sehen ist, offline zu setzen. Ich habe die tags entfernt, die die Zuordnung zu ihm ermöglichen. Was das sollte, war mir ein echtes Rätsel, vielleicht irgendwelche Frauengeschichten und damit verbundene Komplikationen. Ich sprach ihn auf den Zirkus mit den Bildern an und warum er sich da so komisch hatte. Er grinste mich an und wusste es selber nicht mehr, nur an die Geschichte an sich erinnerte er sich. Wir haben dann noch ein bißchen anderweitig geplaudert und ich habe ihm versichert, dass ich ganz bestimmt kein Bild von diesem Abend von ihm veröffentlichen werde, da hätte er gar nichts zu befürchten, weil ich nämlich ÜBERHAUPT KEINE Bilder mache, nicht wahr. Also alles sehr unproblematisch. "Ja, seh ick ja." Hat er er kein Problem damit. Na bitte.
Ich bin dann recht bald - in der Tat ohne ein einziges Glas von irgendetwas getrunken zu haben - zurück zur S-Bahn gestiefelt. Im wahrsten Sinne des Wortes. Diese Stiefel hatte ich früher so oft an, als ich unterwegs war. Sie machen so ein aggressives Klack-klack beim Laufen. Man kommt sich selber wie eine Domina vor. Und in der U-Bahnhaltestelle, am Alex, hörte ich den Hall von meinen Schritten. Ich war dann auch froh, als ich sie bald wieder ausziehen konnte. War ein sehr kurzer Auftritt. Eine disziplinierte Laufübung und eine geschlossene Bildungslücke hat mir der Abend gebracht. Jan und Manfred sind gemeinsam nach Hause gefahren, Richtung Charlottenburg. Er hat eine ganze Reihe Bilder von diesem Abend gemacht, vor allem, bevor ich gekommen bin. Ich bin in dieser Reihe nicht zu sehen, macht aber nichts. Ich habe ja ein paar Beweisfotos, wenn auch nicht an jenem historischen Ort entstanden.
Es begab sich so. Irgendwann im Mai oder Juni sah ich in der swr-Mediathek die Sendung "Nachtcafé" mit dem Thema "Gelassen älter werden". In der Gesprächsrunde war u. a. Kai Wiesinger, der als Schauspieler eine gewisse Bekanntheit hat. Mich hat er nie sonderlich beeindruckt, weder mit seiner Erscheinung, noch seiner Darstellungskunst, noch der Qualität der Produktionen, in denen er aufgetaucht ist. Wobei mir auch kein einziger Filmtitel einfällt, wo er mitspielt, obwohl das sicher nicht wenige waren. Aber ich bin sowieso seit Jahren überhaupt nicht auf dem Laufenden, was deutsche Fernseh- oder Kinoproduktionen angeht. Trifft im übrigen auch auf ausländische zu. Der letzte Film, der mich im Kino beeindruckt hat, war "Only Lovers left alive" von Jim Jarmusch. Wie auch immer, ich bin im Grunde nicht kompetent, mir ein Urteil über die Qualität des gegenwärtigen Fernseh- und Kinoschaffens zu erlauben, weil es nur von seltenen Zufällten gespeist ist, dass ich mir überhaupt etwas aus dem Spielfilm-Genre anschaue. Nun saß da aber in der Runde Kai Wiesinger zu einem Thema, das mich durchaus nicht unberührt lässt. Vertreter meiner Generation plauderten über Ach und Weh des Alterns, aber auch über die guten Seiten. Im Zuge des Gesprächs mit Herrn Wiesinger wurde, zum Thema der Talkrunde passend, eine Serie erwähnt, die wohl zunächst nur im Internet zu sehen war, die da heißt "Der Lack ist ab". Er hat die Reihe selbst konzipiert und produziert und spielt auch in jeder Folge mit. Nach dem Gespräch fand ich ihn doch recht sympathisch und humorvoll und weniger glatt gebügelt als gedacht und suchte mal nach dieser Serie mit dem schönen Titel im Internet. Mittlerweile wurde sie wohl auch im Fernsehen gesendet, hier bei ProSieben kann man die Reihe auch anschauen. Die Folgen werden dem Titel schon ganz gut gerecht. Herr Wiesinger sitzt in seiner Rolle mit seiner Lebensgefährtin (rein zufällig gespielt von seiner Lebensgefährtin Bettina Zimmermann) in einer schicken Charlottenburger Eigentumswohnung und man unterhält sich im Freundeskreis über seine Befindlichkeiten. Sozusagen Befindlichkeitsbloggen in Gesprächsform. Es hat mir recht gut gefallen, die Episoden sind eher kurz, so zehn bis fünfzehn Minuten und es sind interessante Gastschauspieler dabei, die man auch mehr oder weniger kennt. Jedenfalls wirken die Konversationen schon sehr aus dem Leben gegriffen, was man ja nicht so oft hat. Kann man schon mal anschauen, so zwischendurch. Danach hatte ich jedenfalls den Eindruck, dass Herr Wiesinger doch ein ganz patenter Darsteller ist und die Dialoge hat er sich ja vermutlich auch selber ausgedacht, Also am Küchentisch, mit seiner Lebensgefährtin, die auch sehr gut spielt. Und nun hatte ich also gerade präsent, dass dieser deutsche Schauspieler diese mich thematisch stark betreffende Serie produziert hat, als mir diese Mitteilung ins Postfach flatterte, dass eben der Herr Wiesinger im Einstein eine Ausstellung eigener Photographien zeigt. Das war mir nun auch neu, dass er jetzt auch noch fotografiert. Denkt man schon auch gerne, der Name wird nicht unausschlaggebend gewesen sein, dass nun die Ergebnisse von mutmaßlichen Hobby-Knipsereien, die in großzügig bemessener Tagesfreizeit entstanden sind, in einer Galerie gezeigt werden. Schauspieler singen, Schauspieler schreiben Kinderbücher, Schauspieler fotografieren, Schauspieler machen in Immobilien. Kennt man ja. Ich war aber schon neugierig, weil ich mittlerweile den Eindruck hatte, Herr Wiesinger ist ein aufgewecktes Kerlchen, durchaus mit gewissen Ansprüchen. Dann habe ich gesehen, dass er eine Seite hat, die sich nur auf seine Fotografie bezieht, und nicht erst seit gestern. Das sah mir doch recht interessant aus und so habe ich mich entschieden, mir die Sache aus der Nähe anzusehen. Es war ein heißer Tag in Berlin, man suchte automatisch die Schattenseite, auf dem Weg durch die Straßen. Vom Bahnhof Friedrichstraße ist man zu Fuß recht schnell beim Einstein. Klimatisierte Räume! Kam mir jedenfalls so vor. Gerald, der Inhaber vom Café und der Galerie sprach ein paar einleitende Worte. Die Bilder waren sehr groß und atmosphärisch, er arbeitet systematisch mit Bewegungsunschärfe, die Aufnahmen wirken intim, privat ohne etwas preiszugeben, das peinlich wäre. Man denkt nie too much information, obwohl Nacktheit eine Rolle spielt. Das ist sehr feinsinnig umgesetzt. Die schöne Gefährtin von Wiesinger, Bettina Zimmermann war auch da. Eine göttinengleiche Erscheinung. Wirklich bildschön. Ich wollte sie aber nicht so im Vorbeigehen abschießen, ich kenne sie ja nicht. Ihn ja nun auch nicht, aber bei so einer Eröffnungsansprache ist das Szenario doch offiziell und es ist nicht ungewöhnlich, dass fotografiert wird. Ich bin recht bald wieder gegangen, ohne es darauf anzulegen, mit ihm ins Gespräch zu kommen. Obwohl das sicher nicht schwierig gewesen wäre. Es hat mich komischerweise überhaupt nicht beschäftigt. Die Bilder sprechen ja für sich und ich hätte beim besten Willen schlichtweg nicht gewusst, wonach ich ihn befragen soll. Insofern war das alles genauso in Ordnung. Ich habe einen erstaunlich unterentwickelten Drang, mich da heranzuwanzen. Ich wüsste nicht wofür. Er ist ja auch nicht mein Beuteschema. Aber schon ausgesprochen sympathisch! Er hat Witz und einen warmherzigen Humor scheint mir. Also ich wünsche ihm alles Gute. Und seiner Bettina. Und so weiter. Und mir natürlich auch.