25. November 2010

Schwer zu sagen, wie lange ich keine Sporthalle betreten habe. Fitness-Studios kenne ich nur von außen, obwohl ich den gewaltigen Muskel-Aufbau-Geräten, die es dort geben soll, Sympathie entgegenbringe. Der letzte Sportunterricht meines Lebens fand vor ungefähr dreissig Jahren statt. Leibesertüchtigung unter Aufsicht zählte zu meinen absoluten Hassfächern. Beim Kopfstand rutschten die Arme weg und mir wurde schwarz vor Augen, ich wurde halb ohnmächtig. Ich hatte keinen Bock auf Bockspringen und Reckübungen. Ich hasste Geräteturnen. Ich hasste Ballspiele, bei denen es vor allem darum zu gehen schien, sich gegenseitig zu bombardieren oder jemandem den Ball abzujagen. So kam es mir vor. Handball war Krieg. Wurde man schmerzhaft vom Ball getroffen, wurde schadenfroh wiehernd gelacht. Aber Tischtennis und Federballspielen gefiel mir. Und Schwimmen. Und Radfahren. Und Wandern. Und Tanzen. Aber diese Bewegungsmöglichkeiten waren leider nicht im Unterrichtsplan vertreten. Wobei es gut sein kann, dass mir die didaktische Aufbereitung dieser Sportarten, die Freude daran verleidet hätte. Manchmal habe ich Lust durch ein Stück Wald zu rennen. Aber nicht als Dauerlauf, nur ein kleines Stückchen aus Übermut. Man muss die Gelenke auch schonen.



Der Geruch der Turnmatten ist mir noch diffus in Erinnerung. Die graublauen Matten rochen immer komisch, so ähnlich wie Gummireifen. Und die lederbespannten Geräte. Und der Kraut- und Rüben-Schweißgeruch halbwüchsiger Mädchen in Lycra-Trikots. Leider unvergesslich, das gemeinschaftliche Zwangsduschen, das mir immer peinlich war. Das Vergleichen von Schamhaarwuchs und Körbchengröße. Die Bemerkungen. Ich hasste es. Wenn ich daran denke, hasse ich es wieder. Nichts auf der Welt könnte mich jemals wieder dazu bringen, mich gemeinsam mit anderen in einem Gruppenduschraum zu duschen. Nicht für Geld und gute Worte. Zu intim. Die Monatsblutung war als Ausrede willkommen, wenn der Sportunterricht anstand. Man durfte am Rand der Halle sitzen und zuschauen, musste sich nicht verbiegen oder verbiegen lassen. Nach keiner Stoppuhr herumtrampeln. Und auch das Duschen fiel dann weg. Bundesjugendspiele. Weitspringen, Hochspringen. Wettrennen. Alles furchtbar. Ich mochte die ganze Atmosphäre nicht, dieses Gedrillte, das Zackige, die kratzigen Turnhosen, die ganze kratzige Unpoesie. Alles.

Ich war weit weg. Vielleicht bei dem Buch, das ich gerade las und lieber weitergelesen hätte. Oder bei dem Jungen, in den ich heimlich verliebt war und der es nie erfahren würde, auf keinen Fall von mir. Ich weilte auf meiner Schäfchenwolke ohne Trillerpfeife. Meine Angst vor dem Geräteturnen. Ich hatte Furcht mich zu stoßen, zu stolpern, abzurutschen, hinzufallen, hängenzubleiben, mich zu blamieren. Die Böcke, Kästen und Stangen waren potenzielle Gefahrenträger. Innere und äußere Gefahr. Ich wurde auch gerne verlacht. Weil ich nicht daran glaubte, dass ich irgendetwas in dieser Hinsicht gut könnte und so kam es. Jedesmal. Ich hatte Schweißausbrüche vor Angst, wenn ich dran war. Ich war das einzige Schulkind, das jemals eine fünf oder sechs in Sport im Zeugnis hatte. Inzwischen weiß ich, dass ich nicht gut an die Sache herangeführt wurde. Ich sperre mich gegen Appelle, Befehle, Imperativ. Darauf reagiere ich hochallergisch, da ist sofort der Ofen aus. Auch heute noch. Wer sich herausnimmt, mit mir im Imperativ zu reden, lernt ganz schnell, dass das nur einmal passiert. Da geht ein Messer auf.

Ich will ins Licht rücken, warum Turnhallen und ich nicht die dicksten Freunde sind. Man sollte aufgrund dieser umfangreichen Bildstrecken nicht denken, ich würde mich besonders für Olympia interessieren. Spannend, ja aufregend fand ich das Entfachen der olympischen Flamme, die vielen Völker bei den Eröffnungsfeierlichkeiten zu sehen, wie sie stolz die bunten Fahnen ihres Landes trugen und dabei strahlten. In solchen Momenten kriege ich feuchte Augen. Und auch die Rührung bei den Siegerehrungen. Die Nationalhymnen zu hören, die Überwältigung der Athleten, die Tränen. Den Jubel der Menschen. Die Freundschaft der Völker. Zwischen diesen rituellen Eckpfeilern hätten auch ganz andere Dinge stattfinden können. Zum Beispiel eine Bäcker- oder Blumen-Olympiade. Wegen mir hätte keiner rennen müssen. Inzwischen bringe ich Sportlern mehr Respekt entgegen. Ich finde es gesund, wenn jemand sehr frühzeitig sportliche Bewegung in sein Leben integriert, es selbstverständlich und bis ins hohe Alter praktiziert. Das ist absolut empfehlenswert. Ich gehe gerne, ich mag rumlaufen, auch lange Wege. Besonders wenn das Wetter mild ist. Das liebe ich. Trainierte Körper sehen einfach besser aus. Unvergleichlich. Ich finde Männer sollen ruhig mit Hanteln herumspielen und alles mögliche machen, Fußball spielen, ins Sportstudio gehen. Frauen natürlich auch. Zu meiner Überraschung war ich gerne in der Sporthalle in Elstal, trotz meiner traumatischen Biographie. Die Turnhallen meiner Kindheit und Jugend waren fensterlos.

Die Sporthalle in Elstal gewährt einen weiten Blick ins Grüne. Vielleicht war das auch die Möglichkeit, Frieden mit dieser Sache zu schließen. Ich habe das einst Nazi-infiltrierte Sportlerdorf mit ungehorsamen Geist aufgeladen. Wer jetzt nach Elstal und dem Olympischen Dorf sucht, stolpert über meine unsportlichen Berichte. Das gefällt mir. Man muss die Dinge für seine Zwecke vereinnahmen. Sie war mein letztes Erlebnis, die Sporthalle im Olympischen Dorf von 1936. Zu Beginn fiel sie mir gar nicht auf. Sie steht rechts vom Eingang. Eigentlich wollte ich schon gehen, aber da sah ich plötzlich diese Halle, die von der breiten Seite ein bißchen nach Mies van der Rohe aussieht. Von der schmalen Seite des Eingangs wirkt sie eher wie eine elegantere Scheune. Der schöne Holzboden gefiel mir. Und das alte Pferd war gleich mein Freund. Dieses zerschlissene alte Ding. Das zerrissene, fein genähte Leder, die gepolsterten Schichten darunter. Wie ein verletztes rotes Tier stand es da. Eine kleine Galerie von Plakaten vergangener Spiele aus aller Welt. Eine Vitrine mit Programmheften, alten Fotos, einer "Illustrirten", einem im olympischen Dorf abgestempelten Brief an eine Adresse in Brooklyn, N.Y. Seltsame Rührung. Und die olympischen Ringe. Ich habe so gut wie alles gesehen, was man ohne Gruppenführung sehen konnte. Vielleicht fahre ich eines schönen Tages wieder nach Elstal und finde dann die aufgebaute Bastion vor, und den Waldsee, und im Hindenburghaus kann man ein- und ausgehen und alte Olympia-Filme gucken. Im Speisehaus der Nationen gibt es dann Spezialitäten aus 43 Ländern. Und Russischen Kaffee. Und draußen nur Kännchen.


Elstal IX Sporthalle

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