23. september 2007

Ich habe den halben Sonntag damit verbracht, den Übergang von analog zu digital in einen Koffer zu packen. Die Negative mit Kontaktabzug zur zugehörigen cd. Ein gutes Jahr, von August 2003 bis September 2004 habe ich das gemacht. Noch auf Film fotografiert, aber mit der Filmentwicklung auch eine cd erstellen lassen, bis meine letzte, schon angeschlagene, analoge Olympus in Island, in Thorsmörk an einem großen Feuer, dem schönsten und größten, das ich je sah und das ich nicht mehr festhalten konnte, endgültig an Herzversagen verschied. Dann lieh mir eine Freundin für zwei Monate ihre alte analoge und am ersten November 2004 kaufte ich fest entschlossen und bester Dinge die Olympus, die so gut in meiner Hand lag und mir gestohlen wurde. Aber wen interessiert das.

Eigentlich ist der Haufen interessanter, den ich danach produzierte. In dem Koffer, in dem das Bildarchiv landete, waren alte Disketten, deren Inhalt ich längst auf Festplatte gespeichert habe. Ich habe längst kein Diskettenlaufwerk mehr. Aber an den Dingern ist Metall und ich habe Respekt vor dem Rohstoff. Metall wegzuwerfen kommt mir immer verschwenderischer vor, als andere Rohstoffe in den Hausmüll wandern zu lassen. Zweihunderteinundreißig Disketten. ein Berg.

Unter anderem ein Schriftwechsel von Tausenden von e-mails mit einem einzigen Menschen, sehr privat. Ganz fürchterliche Vorstellung, dass jemand eine dieser Disketten herausfischen würde, um neugierig zu sehen, was darauf wäre. Obwohl das ja Unfug ist. Wer kramt im Hausmüll nach einer Diskette. Aber trotzdem. Außerdem wollte ich wieder sehen, wie die von innen aussehen.

Also habe ich bei offenem Sonnenfenster bis es dämmerte, 231 Disketten in ihre einzelnen Bestandteile zerlegt. das einzige was ich nicht verwerte, ist der winzig kleine, gedrehte Draht, der einem entgegenspringt, wenn man mit der Schere in die Öffnung fährt um die beiden Hälften zu spalten. das Innenleben der alten Datenträger hat eine zwingende Ästhetik, die man schwer verwerfen kann. Ich rechne, wie groß die Leinwand sein muß. Dann sind die Worte gebannt. Ich kann kaum begreifen, dass all die Worte in einem runden Stückchen Folie mit einem Stück Metall in der Mitte gespeichert sind. Jeder kann es sehen und niemand wird es lesen.
kid37 - 24. Sep, 22:19

Betörende Idee. Wirklich. Stumme Rede.

40something - 25. Sep, 00:38

Oh, was habe ich lange gebraucht für diesen übergang von analog zu digital. Trotz digitalkamera im urlaub doch lieber analog - man weiss ja nicht, wie lange diese komischen dateien halten.... gerade mal ein gutes jahr ist es her, dass ich alle meine analogen kameras verschenkt habe, bis auf eine. und die bleibt auch. obwohl: werde ich sie je benutzen??
und dann denke ich wieder, sollte mir mal eine jahrzehnte alte analoge, massive leica in die hand fallen... würd' ich doch wieder einen film einlegen. und entwickeln (lassen). oder?

g a g a - 25. Sep, 00:58

ich muß an Peter Lindbergh denken. Es gibt eine nette kleine Doku neueren Datums über seine Arbeitsweise. Man sieht zu Beginn ein analoges Shooting. Assistent reicht frisch gefütterte Kameras. Lindbergh erklärt seinen Anspruch, durch wohlweisliche Vorbereitung und Überlegung ein Bild zu schaffen, das keine nennenswerte Nachbearbeitung nötig hat. Man hat das Gefühl, er agiert so virtuos, dass ihn ohnehin kein Medium in seiner Effizienz beeinträchtigen könnte. Gewohnte Technik, über Jahrzehnte.

Ein Hotelzimmer. Lindbergh vor seinem Notebook. Nach jenem Wüstenshooting. Begeistert spielt er mit den frisch gescannten analogen Bildern mit Kontrast und Helligkeitstufen, um ganz nebenbei (und da musste ich dann doch grinsen, weil an dieser Stelle jeder zur Kenntnis nehmen musste, dass er weiß, wovon er spricht) zu bemerken, dass heutzutage jedes analoge Bild digital mit dem selben Ergebnis entstehen kann (zeigt unterdessen eine Bildstrecke die digital entstand und mit extremen Doppelbelichtungen bizarre Effekte erzielt). Sofern man die digitale Fotografie ausgelotet hat, versteht sich. Und so lange wir nicht von Zufalls-Effekten wie dem absichtsvollen Arbeiten mit überaltertem Filmmaterial sprechen (sage ich). Aber sonst. Der Rest ist Romantik. Das rituelle Anzünden einer Zigarette. Lindbergh ist ein souveräner Hedonist. Ich mag ihn sehr. Und diesen Satz: "das einzige, was man der Photographie heute noch hinzufügen kann, ist Seele".
kid37 - 25. Sep, 15:25

(Ich mag Lindberghs Fotos nicht so sehr, aber das ist egal.) Digital kann man eine Menge machen. Nur steht der Arbeitsaufwand in der Nachbearbeitung häufig in keinem Verhältnis mehr zu dem, was man analog zwar unbequemer, aber manchmal doch effizienter machen könnte. Das wird sicher Einfluß auf die Bildsprache haben, da sich aufwendige Bildbearbeitung höchstens für Amateure, die sehr viel Zeit haben oder die Profiliga, die sehr viel Geld hat, lohnen wird. Dazwischen wird vieles "anders" aussehen. Ist natürlich eine sehr akademische Diskussion. Ich werde vielleicht nächstes Jahr hybrid arbeiten, analog fotografieren und die Scans am Rechner bearbeiten. Ich mag die Haptik von Mittelformatkameras. Und ich muss davon nicht leben.
g a g a - 25. Sep, 17:18

ich bin immer wieder überrascht, dass viele, die die analoge Vorgehensweise einigermaßen beherrschen, häufig davon ausgehen, dass technische Möglichkeiten, die im analogen zu einem gezielten Ergebnis beim Belichten und Auslösen führen, digital nicht in der Bandbreite zur Auswahl stehen würden und nur durch umständliche Nachbearbeitung erzielt werden könnten.

Die digitalen Möglichkeiten auszuloten, beginnt nicht bei Bildbearbeitungsprogrammen. Big News. Ich erwähne das auch nur, weil ich immer wieder (und zunehmend überrascht) feststelle, dass fundierte Kenner der analogen Technik, die zwar auch irgendsoeine digitale Kamera haben, oft keine Lust haben, sich noch einmal ausgiebig und akribisch mit einer weiteren Technik zu befassen, da sie bei der analogen Umsetzung nicht mehr viel überlegen müssen. Ein Lernprozess.

Es ist schon umwerfend, welche Features man im digitalen Bereich findet, ohne dass man sich bereits im High End-Bereich bewegt. Ich bin selber zu bequem, alle Möglichkeiten zu nutzen. Aber ich gehe nicht von vorneherein davon aus, dass es nicht schon beim Entstehen des Bildes möglich wäre. Analoge Entwicklung und Vergrößerung (Belichtungszeiten, 'pushen') gehört für mich mittlerweile eindeutig in die Phase der "Bildnachbearbeitung". Photoshop analog. Da fängt es an.

Was ich nicht mehr missen möchte, ist die völlig neuartige Möglichkeit, das Bildergebnis bereits während des Entstehens zu kontrollieren. Es fiel mir zunächst schwer, vom "Sucher"-Blick auf den Monitor-Blick umzusteigen. Obwohl es ja nicht zwingend notwendig ist. Ich merkte allerdings, dass ich das Bild über den Monitor weitaus realistischer einschätze. Jetzt will ich es nicht mehr missen und finde es auch körperlich entspannter, kein Auge mehr zukneifen zu müssen. Da ich ja außerdem hin und wieder zum (exzessiven) Selbstportrait neige, ist das für mich eine völlig andere Dimension. Analog unmöglich. Bestenfalls durch unwägbare Zufallstreffer. Diese autoerotische Obsession habe ich ja schon vor meiner kleinen digitalen Revolution ausgelebt. Schon alleine deshalb ist mir das digitale noch mehr ans Herz gewachsen. Und die sozial verträglichen Produktionskosten. Was ich allerdings sehr liebte, früher, das war diese Spannung beim Warten auf das Ergebnis. Die Phase hat sich jetzt um ein, zwei Tage verkürzt. Auf der anderen Seite die Möglichkeit, wenn einem danach wäre, einen visuellen Eindruck der Gegenwart zu geben. Das atmet.

Haptisches Vergnügen ist ungeheuer wichtig, wenn man eine Kamera hält. Man muß sie schon lieben. Da darf nichts stören. Ein gutes Gewicht. Eine gewisse Größe. Mittelformatkameras sind natürlich großartig für Studiosituationen. Beeindruckend, vertrauenerweckend.

Ich schaue mir Lindbergh in Relation zu anderen Mode- und Portraitfotografen an. Mir fällt auf, dass er dominante Persönlichkeitsaspekte herauskitzelt. Dass er das überhaupt zulässt und feiert. Bei einem Portrait erwartet man das. Nicht bei einer Modestrecke. Man klebt am Pantherblick von Tatjana Patitz und kommt nicht im Traum auf die Idee, dass da etwas anderes als ihr innerer Panther verkauft werden soll. Das flößt mir Vertrauen ein. Ich spüre die Elektrizität, die er provoziert. Das einzige, was mich interessieren würde, wenn mich jemand fotografieren würde. Und welche Ehre, vom Kleiderständer zur Persönlichkeit befördert zu werden.
kid37 - 25. Sep, 18:29

Und ich wundere mich immer, wie sehr der Faktor "Nachbearbeitung" unterschätzt wird. "Wieso, ist doch digital?" hört man - gerade von Verlagen und Agenturen. Die das natürlich nicht bezahlen wollen. Machbar ist vieles, klar.
g a g a - 25. Sep, 18:54

Idealerweise hält man sich gar nicht damit auf, dem Kunden irgendeinen Aspekt des Aufwandes des Entstehen eines Bildes auseinanderzuklamüsern. Das ist stillschweigend im nicht zu niedrigen Preis einkalkuliert. Der Bäcker verkauft seinen Schokoladenrehrücken ja auch nicht mit dem eigens ausgewiesenen Hinweis auf den Aufwand für die Schokoglasur mit den akkurat platzierten Mandelsplittern. Das interessiert den hungrigen Kuchenfreund sowieso nicht. Im Gegenteil. Solche kleinkarierten Details langweilen.

Geschäfte müssen so einfach wie möglich gestrickt sein, damit sie funktionieren. Abnickbare Größen sind gefragt. Runtergehen im Preis kann man immer, aber erst mal ordentlich ran. Das ist ja ohnehin ein hochgradig magischer Prozess. Wer sich mit kleinteiligen Angaben wie ein Klempner aufhält, vernichtet die Aura, bei der ein interessantes Preislevel beginnt.

Preisverhandlungen. Was bin ich wert. Was wäre mir das wert, was ich produziere, wenn ich es selbst kaufen wollte. Welchen Preis würde ich angemessen/nicht absurd erachten. Ein Pokerface ist nicht schlecht. Noch besser ist die eigene Überzeugung vom hohen Wert, dessen was man bereit ist, zu verhökern. Die rituellen Aspekte von Verkaufsverhandlungen funktionieren nach religiösen Mustern.
kid37 - 25. Sep, 20:28

Natürlich. Ich sehe Sie gerade mit religiösem Eifer rituell mit den Agenturmenschen übers Budget verhandeln ;-)
g a g a - 25. Sep, 20:36

Aber aber. Das religiöse Eifern überlasse ich den anderen. Schließlich hat man dafür seine Messdien Leute. Ich habe zu tun! Geld hat man, darüber spricht man nicht!

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