01. Dezember 2014
Das Taxi hält in der Otto-Bauer-Gasse 5, im sechsten Bezirk. Café Jelinek. Die schönste Passage zum Copy-Pasten finde ich eindeutig bei Planet Vienna: "1910 eröffnete eine jüdische Kaffeesiederfamilie das Lokal an der Otto-Bauer-Gasse 5 und betrieb es längere Zeit. Kultstatus in der Wiener Kaffeehausszene erlangte das Jelinek ab 1988. Nicht nur wegen seiner schrulligen Einrichtung, die seit jeher kaum modernisiert worden war, sondern vielmehr wegen dem Ehepaar Günther und Maria Knapp, welches hier ab dem genannten Jahr wirkte. Während Herr Knapp hauptsächlich in der Küche zum Rechten sah, mauserte sich Frau Knapp zum Hauptinventar im Jelinek. Viele Wiener denken noch heute mit Wehmut daran zurück, wie sie täglich im weissen Apothekerkittel - auch ihr Mann trug so einen - und tief auf ihrer Nase sitzender Brille, den Laden so gut wie alleine schmiss, wohlwollend aber diktatorisch. Die Dame genierte sich nicht, Leute bewusst warten zu lassen oder gar zu ignorieren, wenn diese es pressant hatten. Bald war auf einem Schild an der Wand auf englisch und deutsch zu lesen: "Wer's eilig hat, wird hier nicht bedient". Nun ja. Das klingt ein wenig anstrengend. Und weiter:
"Gegen den neuzeitlichen Kommunikationsdrang hatte Frau Knapp offenbar eine Aversion: Sie entfernte die Telefonkabine und führte gleichzeitig ein Handy-Verbot ein. Zuweilen verfiel sie einem Verbotszwang. Nicht nur Hunden war der Zutritt verwehrt; sage und schreibe klebte einmal sogar ein Täfelchen mit durchgestrichenem Kleinkind an der Eingangstür – Babys unerwünscht. Doch gegenüber Gästen, die es nicht eilig hatten, nicht telefonierten und weder Hunde noch Babys dabei hatten, zeigte sich Frau Knapp meist höchst zuvorkommend, freundlich, einfühlsam, ja oft bemutternd – was dem einen oder anderen jungen Herrn schon mal etwas unangenehm werden konnte. Vielen Gästen glaubte sie, ihren Konsumationswunsch vor der Bestellung von den Augen ablesen zu können: "Sie sind ein Teetrinker." Will man das? Möchte man das? So lustig sich das liest, man - oder genauer ich - bin nicht so sehr betrübt, dass ich diesem strengen Regiment entkommen bin. Obwohl ich ja sogar gute Chancen gehabt hätte, mich zum bevorzugten Gast zu mausern. Keine Eile. Kein Hund. Kein Kind. Kein Kegel. Auch bin ich äußerst reinlich.
Herrn Phettberg soll sie aus dem Lokal gebeten haben, mit der Aufforderung, sich erst einmal zu waschen. Ich kann mir allerdings auch vorstellen, dass er nicht so angenehme Ausdünstungen hatte. Sie musste ja auch Rücksicht auf die anderen Gäste nehmen. Deshalb auch der separierte Raucher-Bereich, den wir gar nicht identifiziert haben. Diese Beschreibungen beziehen sich ja alle auf die Vergangenheit, die Dame hat längst das Zeitliche gesegnet, ebenso wie ihr Mann. Die neue Bewirtung zeigt eindeutig weniger Profil, ich kann mich nur erinnern, dass man nicht unbedingt überschwänglich warm begrüsst wurde. Die Bestellung wurde eher pragmatisch sachlich entgegengenommen. Die Einrichtung ist aber eindeutig nicht von dieser Welt. Nicht aus dieser Zeit, wollte ich sagen. Sehr pittoresk, sehr stark patiniert. Um diese frühe Tageszeit (irgendwann zwischen Mittag und Nachmittag) fanden sich noch nicht so viele Gäste ein. Es war ja auch noch ein Tag unter der Woche, und Müßiggang im Kaffeehaus kostet ja auch Geld. Auch wenn man sich als Student drei bis vier Stunden bei einem Verlängerten aufhält. Ich habe die Rechnung vom Jelinek nicht mehr, aber wir hatten auf jeden Fall irgendeinen Kaffee, so viel ist sicher. Oder auch zwei. Vielleicht auch, weil es ein bißchen leer und ruhig war, und der Regen so ausdauernd einschläfernd vor sich hinregnete, hatten wir nach etwa einer dreiviertel Stunde Mühe, die Augen aufzuhalten. Wahrscheinlich steckt das auch an.
Kaum verfällt einer in so eine leichte Starre, verlangsamt sich auch alles andere um das betreffende Lebewesen, und das springt dann auf das Gegenüber am Kaffeehaustisch über. Wir waren uns recht gleichzeitig einig, dass wir uns woanders hin begeben sollten, bevor der Alphazustand ein Nickerchen auf der grünen Polsterbank einläutet. Ein Herr am Nachbartisch war noch so kooperativ, uns die Frage zu beantworten, wo die nächste U-Bahn-Haltestelle zu finden sei. Die Antwort wurde ebenfalls sehr pragmatisch herrübergereicht, ohne sich umständlich mit einem Lächeln aufzuhalten. Warum sollte man sich an so einem Regentag auch verausgaben. Wir waren jedenfalls einmal im berühmten Jelinek.
Auch wenn ich keinen Schauspieler gesehen habe, außer dem mir gegenüber. Aber das war sicher auch eine eher ungünstige Tageszeit, denn Planet Vienna versichert: "Das Publikum setzt sich primär zusammen aus Quartieransässigen, Studenten und auffallend vielen namhaften Schauspielern und solchen, die es gerne wären, es aber nicht sind und wohl auch nie werden, sich aber trotzdem so geben, als gehörten sie zur Elite." Das ist ja sehr interessant. Und so war ich außerdem auch einmal in Mariahilf. Der Fußweg zur U-Bahn führte uns durch eine sehr lange Einkaufsstraße, die Mariahilfer oder die Gumpendorfer Straße, die mich ein bißchen an die Wilmersdorfer und die Schloßstraße in Berlin erinnert hat. Deswegen habe ich wahrscheinlich auch keine Fotos gemacht. Kein Alleinstellungsmerkmal! Die U-Bahn hat uns dann wohlbehütet wieder in die innere Stadt, zum mittlerweile schon vertrauten Stephansplatz gebracht. Nach der doch etwas anstrengenden Kaffeehaus-Sitzerei und der U-Bahnfahrt war es dann aber auch langsam Zeit für eine kräftigende Mahlzeit in einem schönen Lokal mit warmer Küche, wo man den Regen endlich einmal wieder aus der guten, warmen Stube betrachten konnte.
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g a g a - 1. Dezember 2014, 23:59