bizarr
vergangene Nacht geträumt, ich hätte bei irgendeinem Empfang oder einer Ausstellungseröffnung eine Begegnung mit einem älteren Mann, so Mitte Fünfzig, der ausgesehen hat, wie neuerdings der letzte Bundespräsident, wie hieß er noch, Wulff. Da geisterte ein
Foto durch die Bunte oder Gala von ihm mit neuer, stylisher Brille und definierterem Kurzhaarschnitt. Ich war überrascht von dem Bild, weil er beinah attraktiv aussah. Nun ist dieser Herr Wulff so ziemlich exakt das Gegenteil von der Sorte Mann, auf die meine Zellen reagieren. Ich merke den gar nicht. So war es auch im Traum. Aber im Traum war er nicht ehemaliger Bundespräsident, sondern ein wichtiger, erfolgreicher Dirigent und Kunstprofessor mit wahnsinnig vielen wichtigen Kontakten, geradezu eine graue Eminenz. Also das, was er als Bundespräsident nur vom Titel her war, aber nicht von der Ausstrahlung. In meinem Traum dagegen ein absolutes Alphatier mit unwiderruflicher Autorität und erhabener Ausstrahlung. So eine Art Dirigenten- und/oder Kunstpapst. Man spürte die Ehrfurcht, die ihm entgegengebracht wurde und ich merkte, dass er ein Auge auf mich geworfen hat. Irgendwie suchte er sehr schnell mit mir Kontakt und ich scannte sofort, dass er für mich als Mann nicht interessant ist, aber sicher als Multiplikator. Der Mann hatte Verbindungen! Bei diesem Empfang war quasi niemand, der ihm nicht mit einer gewissen Unterwürfigkeit begegnete, es wurde auch nur mit gesenkter Stimme über ihn geraunt, niemals irgendetwas Negatives, man hörte nur ehrfürchtige Bewunderung. Das verstärkte noch das Gefühl bei mir, dass es nicht sehr schlau wäre, die Gelegenheit verstreichen zu lassen, davon zu profitieren. Irgendjemand muss uns auf seinen Wunsch bekannt gemacht haben und wenige Traumsekunden später, gab es schon eine Latte von künftigen gesellschaftlichen Terminen, wo ich von ihm als seine Begleitung auf die Gästeliste gesetzt wurde. Er sprach nicht viel mit mir, aber das Wenige sehr bestimmt und planvoll. Ich weiß auch nicht mehr genau was, aber ich hatte immer das Gefühl, dass er sich vorgenommen hat, mir sämtliche Türen zu öffnen, zumal es für ihn ein Kinderspiel war. Ich war einerseits immer noch auf dem Empfang und andererseits auch schon halb bei späteren ähnlichen Ereignissen und Festlichkeiten. Ich ging auf sein Werben, das mir zusätzlich als Frau galt, allerdings nicht ein. Ich hielt mich irgendwie bedeckt und wusste, dass es eine Gratwanderung ist, die nicht lange funktionieren kann, da er langsam etwas ungeduldig wirkte. Mir war klar, dass ich ihm kein Theater vorspielen würde, um opportunistisch die Möglichkeiten auszureizen. Ich wusste, der Countdown läuft im Grunde. Das Ganze sofort abzubrechen, war mir allerdings auch nicht recht, weil es interessant war, mit ihm irgendwo aufzutauchen, man hatte sofort eine unfassbar elitäre Position, schon interessant.
Wie auch immer - auf einmal tauchte eine ehemalige Freundin, eine sehr enge Freundin, in diesem Plot auf, und beobachtete meine neue Bekanntschaft irgendwie argwöhnisch, bis sie zu erkennen gab, dass sie vorher eine Liason mit dieser grauen Wulff-Eminenz hatte, die aus irgendwelchen Gründen kurz vorher zu Ende ging. Sie schien da noch Ressentiments zu hegen und ich spürte ihre Eifersucht. Vielleicht auf die Position, neben dieser wichtigen Erscheinung. Ist mir nicht ganz klar in Erinnerung. Ich weiß auch nicht, ob ich transparent gemacht habe, welcher Natur der Kontakt von meiner Seite aus ist. Jedenfalls gab es keinen sichtbaren Anlass, uns gesichert für ein Paar zu halten. Es war wahrscheinlich eine automatische Assoziation, die unwidersprochen im Raum stand. Ich schätze die maximale Berührung bestand vielleicht darin, dass er meinen Ellbogen leicht dirigierend berührte. Wie auch immer. Die Freundin sah sich veranlasst, frühere Begebenheiten ihrer Zeit mit ihm aufzuzählen, die dokumentieren sollten, dass es eine bedeutungsvolle Beziehung war. Ich hörte mir das eher desinteressiert an, weil mich der Mann als Mann ja überhaupt nicht interessierte. Dann setzte sie ihre Erfolgsberichte aus der Vergangenheit fort mit einer Dokumentation der gemeinsamen Zusammenarbeit mit ihm, wobei nicht ganz klar war, worin die bestanden haben könnte, vielleicht irgendeine assistierende Tätigkeit. Ich hatte das Gefühl, ich bin in einer Verkaufsveranstaltung, wo mir jemand seine konkurrenzfähigen Qualitäten wie Sauerbier anträgt. Die Superlative reihten sich aneinander und ich war inzwischen in einer Stimmungslage zwischen Mitleid und Fassungslosigkeit. Ich glaube, sie erzählte gerade von einem geplanten Roman und ich konnte mir die Frage nicht verkneifen "Findest du eigentlich, dass du schreiben kannst?". An der Stelle war das Gespräch und die Szene dann zu Ende, da kam nichts mehr, außer einem irritierten Gesichtsausdruck. Ich drehte mich um, von ihr weg und schaute nach hinten. Da war er wieder, der alte Wulff, er saß circa zehn bis fünfzehn Meter hinter uns, in einer Art Lounge-Sitzgarnitur, irgendsoeine gepolsterte Sitzlandschaft, links und rechts von ihm einige seiner Bewunderer, Studenten von ihm oder irgendwelche anderen Adepten.
MIST! jetzt ist mir der Dreck hier abgestürzt! Verdammt, ich hatte schon fast alles fertig, jetzt fange ich wieder an der blöden Stelle an! Scheißdreck! Es ist schon so spät, aber ich muss den Mist bloggen.
Also kurz und gut, ohne Umschweife, ich gehe auf ihn zu, er hat eine professionell wirkende Kamera in der Hand, einen Fotoapparat, er zeigt mir, dass er mich auch gefilmt hat, die ganze Zeit über. Ich habe schrecklicherweise auf dem ansonsten sehr schönen Film, eine planschbeckenblaue Kittelschürze an, wie sie schlimmer nicht sein kann, mit pinken und gelben Paspeln, aber das Blau steht mir irgendwie. Ich bin entsetzt über das Kleidungsstück und gleichzeitig begeistert von dem Film, der mich komplett in den Fokus nimmt. Irgendwie wirkt der alte Wulff mit der neuen Brille jünger und attraktiver und ich komme ins Schwanken, ob man nicht doch eine gewisse Annäherung ausprobieren sollte. Er strahlt mich und den kleinen Monitor erotisiert an und ich frage ihn, ob er diese muttihafte Schürze nicht auch fürcherlich findet, ja peinlich, ganz schlimm eben!? Nein, nein, meint er, das wäre für Männer doch gerade interessant. Aha! Ich tue eher überrascht, als dass ich es bin und versetze mich in seine Perspektive, die Mutti-Sex antörnend findet. Ja ja, verstehe, sind ja nun Big News, dass Männer gerne wie kleine Jungs verwöhnt werden. Schon toll, wenn ein praktischer Kittel über dem mütterlichen Busen spannt. Usw. usf. Das sage ich aber nicht, ich gebe mich neutral. Er schiebt dann noch ein superlatives Kompliment hinterher, so ungefähr, ich wäre aber unabhängig davon die Schönste von allen. Das scheint für mein Ego ausreichend zu sein und ich beschließe zu gehen. Ich nehme die Kamera wie selbstverständlich mit, als wäre jede Kamera der Welt meine. Zumal ja ein Film von mir drauf ist. Während ich den Weg zurückgehe, weg von der Lounge-Garnitur, denke ich noch bei mir: dafür hat sie sich doch gelohnt, diese Begegnung, dass er so einen schönen kleinen Film von mir gemacht hat. Selbst wenn nichts anderes mehr passiert, ich habe etwas Brauchbares davon mitgenommen. Meine Neugier, das Video in Ruhe allein daheim anzuschauen, erotisiert mich wesentlich mehr, als die Aussicht, noch weitere Stunden mit ihm und der Gesellschaft mit Smalltalk zu verbringen.
Als ich aufwache, denke ich noch im Halbschlaf, wie viel Wahres an dem Traum ist, direkt gnadenlos. Heute morgen war ich noch überzeugt, es wäre mir zu peinlich, einen derart entblößenden Traum zu bloggen, aber sei's drum. Das hat mich jetzt mehrere Stunden beschäftigt, nun ist es verarbeitet und ich habe das unbeschönigte Ausmaß meines eitel berechnenden Charakters preisgegeben. Wer unter den Lesenden frei von Schuld ist, der werfe den ersten Stein. So, auf in die nächste Runde. Gute Nacht.