01. Januar 2012

Ich habe gerade das Datum getippt und bemerkt, dass die Zahl 2012 eine für mich viel interessantere Aura hat, als 2011. Kann ich schlecht erklären. Die Zahl wirkt schon rein visuell auf mich visionärer. Aufstrebender. Mögen andere an Weltuntergang denken, der stand ja schon häufiger auf der Agenda. Zweitausendelf wirkte als Zahl bereits passiv und zurückgezogen. Ich bin da natürlich auch befangen. 2012 ist offener. Moderner. Experimentierfreudiger. Dynamischer. Behaupte ich einfach mal so, Kraft meiner Wassersuppe. Astrologen gucken in dem Jahr gebannt auf das wiederkehrende, Unruhe stiftende, hochexplosive Pluto-Uranus-Quadrat, das wir im März 2011 an Fukushima studieren durften. Da ist die letzte Messe noch nicht gesungen. Die persönlichen Konstellationen von Individuen stehen aber auf einem anderen Blatt. Den Stier-Jupiter habe ich im letzten Jahr nicht großartig bemerkt. Von wegen schönes Trigon zu meiner Sonne. Dafür aber Pluto, der sich bereits im ermutigend kraftspendenden Sextil zu meinem Skorpionmars befand und sich nach einigem Hin und Her nun endlich wieder dynamisch auf diese Konstellation zubewegt. Ich glaube hoffe bete, etwas überwunden zu haben, eine Sache, die mich die letzten drei Monate sehr beschäftigte, mir Kraft nahm. Etwas körperliches. Ich habe tatsächlich angefangen zu beten. Und noch strikter gelebt. Ich vermute, denke, beides hat geholfen.



Aber nun das neue Jahr, das ich wirklich von Herzen willkommen heiße. Mir sind in den letzten zwei Jahren Dinge widerfahren, über die ich so schnell nichts schreiben werde können. Ich habe zwar keinen Weg gesehen, aber bin einfach weiter gegangen. Die Dinge vor Augen gehalten, die noch gut sind, in meinem Leben. Und jetzt möchte ich Hundertsieben werden. Oder eine andere schöne Zahl mit Sieben. Nur Siebenundvierzig wäre mir zu früh, um zu gehen. So alt werde ich in diesem Jahr. Und Siebenundfünfzig ist mir auch zu bald. Und Siebenundsechzig auch. Ab Siebenundsiebzig lasse ich mit mir reden. Aber auch nur bedingt. Immerhin ist Vera von Lehndorff im kommenden Mai Dreiundsiebzig und wenn ich sie so sehe, fände ich Siebenundsiebzig doch auch entschieden übereilt. Mein erster Januar 2012 begann in gewisser Weise spektakulär, da ich meiner bereits Ende November beendeten privaten Prohibiton endlich Taten folgen ließ. Ich bunkerte in meinem Kühlschrank seit einer Einladung zwei übriggebliebene Dosen Prosecco vom Berliner Currywurstmuseum. Die gab's mal gratis und ich dachte, wenn du mal Gäste haben solltest, sorge vor! Punkt Mitternacht öffnete ich als mein exclusivster Gast eine der beiden gut gekühlten Dosen, mit einem eher mittelmäßigen Geschmackserlebnis rechnend. Der Augenblick war mir nicht zu schade, um die alkoholhaltige Flüssigkeit auf zwei Champagnergläser zu verteilen und mit mir selber anzustoßen. Aus so einem Champagnerkelch schmeckt doch alles gleich viel besser. Ein erfrischendes Getränk zur Mitternachtsstunde, das mir wohl bekommen ist. Ich war dann auch ein bißchen stolz deswegen, weil ich mich endlich überwunden habe, pünktlich zur Geburtstunde des neuen Jahres.



Gut ausgeruht nach festem Schlaf, unverkatert und insgesamt guter Dinge stand ich auf und war bereit, wichtige Dinge anzugehen. Ein kleiner Neujahrsausflug stand an. Zuerst den Müll runterbringen und dann mal Fotos von der Hütte hier mit mir drauf machen. Hab ich noch nie von unten fotografiert, meinen kleinen Kensington Palast. Die Luft war mild und ich musste gar nicht weinen. Die Sonnenbrille hab ich nur aus Gewohnheit aufgesetzt. So gefällt sogar mir spazierengehen. Frost und Schnee hat mir kein bißchen gefehlt, müsste ich lügen. Dann in mein Atelier - nein halt! - vorher war noch etwas ganz Wichtiges zu erledigen. Ich bin zur Sparkassenfiliale in der Hermannstraße und habe meinen Kontostand geprüft und neues Wirtschaftsgeld für Januar abgeholt. Den Kontostand hab ich sogar fotografiert! Na ja. Ein bißchen albern, aber ich kann mich eben noch freuen. Und dann bin ich in mein Atelier, mein stiefmütterlich vernachlässigtes Kabuff, und habe in den Briefkasten geguckt und zur Feier des Tages ein bißchen sauber gemacht. Man muss nach einigen Monaten immer ein paar Sachen machen, auch wenn man gar nicht da war. Zum Beispiel das alte Herbstlaub vom Balkon putzen. Und die Reste vom Feuerwerk. Hat sich gelohnt. Alles wieder picobello. Ging eigentlich ganz fix. Im Briefkasten war nur Reklame. Dann bin ich wieder heimgefahren, in die Auguststraße, mit meiner U 8. Und habe neue Umschläge präpariert. Ich bin bereit für das neue Jahr.



Allen, die mich gut leiden können, wünsche ich ein schönes, glückliches, gesundes und heilsames und so weiter Jahr. Was eben so gebraucht wird. Bei Eugene hab ich mit Panzerknackerlachen unter den Neujahrsglückwunsch geschrieben, dass ich durchaus nicht Allen ein gutes neues Jahr wünsche, aber dafür ein gerechtes. Ihr wünsche ich natürlich ein supergutes, weil sie es verdient hat. Und ihr auch. Und ich auch.

31. Dezember 2011



Heute Nachmittag die Kamera aus dem schwarzen Kubus befreit. Hat funktioniert. Um mich meiner nicht nur geistigen Existenz zu vergewissern. Ich spielte mit dem Gedanken, anlässlich der finalen Gelegenheit ein festlich glitzerndes Kleid anzuziehen, hab es auch anprobiert, aber das war nicht das Gebot der Stunde. Am hellichten Nachmittag im silbernen Paillettenkleid Partystimmung vorzutäuschen, wirkt doch recht aufgesetzt. Also wieder ausgezogen. Dann ein anderes, langärmliges, eher kurzes, enganliegendes Kleid angezogen, aus flauschigem schwarzem Nickistoff mit großen roten Mohnblumen drauf. Jawohl, solche Kleider befinden sich in meinem Schrank. Immer wenn ich es anhabe, gibt es ein Kompliment. Ich habe dann ein paar Fotos gemacht und mich wieder umgezogen. In meine komfortablen Abhäng-Klamotten, ein langwärmliges schwarzes T-Shirt mit Charlie Chaplin drauf, eine bequeme, verwaschene Hose aus Nickistoff, die dereinst auch mal schwarz war und darüber ein dunkelblau-grün karierter Flanellponcho, mit anderen Worten: Kraut und Rüben. Dann hab ich die Bilder von der Kamera auf die Festplatte geladen und gemerkt, ich war mit der Situation offenbar noch nicht ganz vertraut. Nicht so toll. Bis auf eins alle Bilder gelöscht. Da die Kamera noch in Griffweite lag, hab ich noch mal von vorne angefangen, in meinen allein-daheim-und-kein-Besuch-zu-erwarten-Anziehsachen. Deswegen wirken die Bilder auch nicht ganz so unnatürlich, weil ich nur dasselbe gemacht habe, wie halt immer. Irgendwie gucken und ab und zu Faxen machen. Und die Klamotten sieht man sowieso kaum. Man muss das alles dokumentieren. Jedenfalls hin und wieder. Die Zeit rast und auf einmal ist man Siebzig oder Hundertsieben und versucht sich zu erinnern. Wie man war. Und alles. Wer, wie, wo, was. Bilder helfen auf die Sprünge. Man sieht dann auch, dass es einem besser geht, als man manchmal denkt. Jedenfalls sehe ich kein armes Schwein. Das beruhigt dann doch. Nun wird das Poesiealbum Zweitausendelf zugeklappt und am ersten Januar ein neues angelegt. Vielleicht wird es ja im neuen Jahr sogar wieder einmal Bilder mit Menschen geben. Ich mag gemeinsame Bilder gerne. Aber dafür kommt natürlich nicht jeder Passant an jeder Ampel in Frage. Mal gucken. Ich hege und pflege mich einfach weiter, dann habe ich mir wenigstens in dieser Hinsicht nichts vorzuwerfen. Das wäre auch so ein Vorsatz. Ich hab ja nie welche, weil gerade neues Jahr vor der Tür steht, sondern immer mal mittendrin welche. Aber das wäre ein guter Vorsatz. So zu leben, dass man sich nichts vorzuwerfen hat. Ein großer Vorsatz. Ich meine jetzt aber nicht etwa vorrangig meinen ökologischen Fußabdruck. So, Ende. FiNiTo.

31. Dezember 2011




Ich lebe zwischen


Kränen wo einmal


nichts als Krater


waren. Ich mag all


die vielen Seen


und Bäume, die


sie eng


umstehen.








Ich lieb die


Friedrichstraße,


Pariser Platz und


Kreuzbergs Stau.








Ich mag die


Linden Untern


Linden, die mit


und die noch


ohne Laub.



H. KNEF


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