13. November 2011

Chuzpe? Chuzpe ist also zum Beispiel, wenn ein Elternmörder bei Gericht auf mildernde Umstände plädiert, da er Vollwaise sei.
Friedrich Hollaender, Von Kopf bis Fuß, S. 54

(Falls der Nachwuchs mal fragt)

13. November 2011

Ich wusste nicht, was es damit auf sich hat. So weit gingen meine Recherchen nicht, bevor ich hinging, zu dieser Langemarckhalle. Könnte man im ersten Moment denken, vielleicht irgendso ein Turnvater, der alte Langemarck. Wird schon seine Verdienste um den Sport gehabt haben. Klingt auf jeden Fall markig. Haha. Nun ja. Scherz beiseite. Das ist in der Tat das Bauwerk, in Anbetracht dessen originärer Bestimmung mir das Lachen vergeht. Ich weiß, dass nicht nur ich da eine Bildungslücke habe oder besser hatte, insofern kann ich mein Unwissen jetzt ganz ungeniert eingestehen.



Fragen Sie mal irgendeinen Berliner oder eine Berlinerin unter Siebzig, wo die Langemarckhalle steht und was es damit auf sich hat. Ein großes Fragezeichen wird auf der Stirn stehen. Was einem als naiven Besucher wie mir schon auffallen kann ist, dass es kaum Hinweisschilder gibt, wo die Halle namentlich erwähnt ist. Eigentlich gar keine. Ich hab keines gesehen. Es heißt immer "zum Glockenturm". Oder "historic olympic grounds". Oder das Schild ist gut versteckt. Es steht auch nicht außen dran. Ich habe den Namen der Halle erstmalig registriert, als ich anfing in Wikipedia etwas über den Glockenturm und das Maifeld zu lesen. Man muß sich vorstellen, dass man die Langemarckhalle vom olympischen Gelände aus, beim Blick auf das Maifeld in der Ferne sieht. Der vielzitierte "Führerstand" erwächst aus der ersten Etage der Halle wie eine Terrasse. Man muss allerdings eine Wanderung um mehrere Ecken machen, bis man zum rückwärtigen Zugang der Halle gelangt. Kurz und gut: ich betrat die Halle, vorbei an den schießschartenschmalen alten Kassennischen und ging zuerst in die Ausstellung zur Geschichte der olympischen Spiele zu ebener Erde. Wuchtige Pfeiler aus dem allseits verwendeten Muschelkalk schon in der Halle im Eingangsbereich. Die Ausstellung zeigt einige großformatige Tafeln mit alten Fotografien und Erklärungen zur Verstrickung der Spiele mit dem nationalsozialistischen Regime. In einem Nebenraum läuft ein Film, eine Dokumentation.



Man kann die Treppe nehmen oder den gläsernen Fahrstuhl nach oben. In der ersten Etage landet man in einer großzügigen Halle, von der aus offenkundig der Zugang zum 'Führerstand' ist. Man kann leider nicht raus. Die Glastüren sind verschlossen. Der Bereich zur Terrasse wirkt mit seiner großen Glasfront wie eine exklusive Wohnhalle in einem Hitchcockfilm. Nur die Möbel, der Kamin und die Teppiche fehlen. Und Tippi Hedren. Durch die Scheibe sehe ich das Olympiastadion wie einen fernen Tempel, ein Kolosseum vor mir liegen. Ich begreife das System der Blickachsen. Furios, Herr March. Sehr gelungen. Erhaben schweift der Blick über das Maifeld zum Stadion. Parallel zur Terrasse ist eine Art Caféteria ohne Personal. Mit ein paar Freischwingern und einem Kaffeeautomaten. Es gefällt mir. Auch so schön leer. Außer mir ist niemand da. Keine großartigen Hinweistafeln. Ich ziehe mir einen Becher Kaffee und beginne diese große Halle auszuloten, die sich über die ganze Länge zu erstrecken scheint. Seltsame mattschwarze Gedenktafeln in der Form von Ritterschilden reihen sich aneinander, auf denen irgendwelche Reservekorps- und Regiment-Divisions-weiß-der-Geier-Nummern in Goldbuchstaben graviert oder aufmontiert sind. Darüber der Reichsadler. Spätestens da ist auch mir klar, dass hier keine Kollegen von Turnvater Jahn geehrt wurden. Offensichtlich eine hehre Gedenkhalle für alte Militaristen. Ich stehe irgendwie beklommen davor und wundere mich gleichwohl über den ungenutzen Platz. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass da früher irgendwelche Möbel drin waren. Es ist einfach nur eine leere, monumentale, sehr hohe Halle mit zahllosen dicken Quader-Säulen, den unvermeidlichen Fackelhaltern reihum und eben diesen düsteren Tafeln. Nur die schmaleren Wände zu beiden Seiten sind noch wert genauer betrachtet zu werden. Das Licht gleißt über die hintere, westliche Steinwand und man sieht die Schlagschatten der eingemeißelten Großbuchstaben. Die Typen klar und modern. Sie entsprechen gar nicht dem Klischee der Nazi-Ästhetik. Von Fraktur keine Spur.



Ich lese

IHR HEILIGEN
GRAUEN REIHEN
GEHT UNTER WOLKEN
DES RUHMS
UND TRAGT
DIE BLUTIGEN WEIHEN
DES HEIMLICHENNIGSTUMS
Walter Flex

Aha. Ich bin viel zu gefangen von der gesamten Architektur und der Typographie und den Schatten und dem intensiven Sonnenlicht, um den Spruch verstehen zu wollen. Ich will das lieber gar nicht so genau wissen. Als ich fotografiere, sehe ich eigentlich nur die beiden Wörter "heimlichen Königstums". Die beiden Wörter sind zwar auch schon mysteriös in der Kombination aber mit denen kann ich für die Dauer des Aufenthalts und auf meinen Fotos leben. Worum es eigentlich geht, ahnt man ja ohnehin schon dunkel. Dass es eine Hymne an den Heldentod ist, der ganze Langemarck-Mythos sich um die Verherrlichung des Todes für das Vaterland dreht, erfahre ich erst viel später zu Hause, als ich im Internet auf den Begriff Langemarck-Mythos stoße. Kein Turnvater. Ein Schlachtfeld. Keine Nazi-Erfindung. Viel älter, aber ganz in deren wirrem Sinn. Die Saat, die hier aufging, wurde schon früher gelegt, lese ich später. Aber in diesem Moment gelingt es mir noch das Licht der warmen Spätsommersonne auf dem Stein zu genießen. Es kommt mir beinah vor, als stände ich sonstwo in Ägypten vor einer monumentalen Wand des Pharaonenkults. Da ist ja auch immer alles Mögliche in Steinwände eingemeißelt. Und immer riesig. Und immer scheint die Sonne. So sieht es wenigstens auf den Bildern aus, die man kennt. Ich war noch nie in Ägypten, aber habe mich als Kind intensiv zu diesen Pharaonenstätten geträumt. Ich fahre mit der Hand darüber. Der Stein hat eine angenehme Ausstrahlung. Solche Wände hätte ich auch gerne im Wohnzimmer. Ohne die Sprüche. Die Sonne bringt mich für einen Moment zum Lachen, und dass es nur noch historische Kulissen sind, von einem eingemotteten Stück mit abgelaufener Spielzeit.



Bei meinen Recherchen daheim finde ich diesen Blogeintrag. Der Verfasser weiß ein paar Sachen, die ich nirgendwo anders gelesen habe. Über die teilweise Zerstörung der Halle bei der Sprengung des Glockentrums durch die Briten und den erstaunlich widerstandslosen Wiederaufbau nach dem Krieg durch Werner March. Und er schreibt: "Was der Weltöffentlichkeit vorenthalten wurde: bevor der Führer die Spiele des Friedens eröffnete, zog er sich privat zum Heldengedenken in eben jene Halle zurück." Ich nehme an, man findet solche Hinweise in Hitler-Biographien. Ich habe nie eine gelesen. Jedenfalls genug Stoff zum Nachdenken. Kein anderer Bereich des Olympiageländes hat mich derart befremdet, wie die historisch unveränderte Sinngebung dieser Halle. Die Architektur an sich hat dennoch viele gelungene Aspekte. Das ist also die Halle, deren Namen kaum noch einer kennt. Die Berliner, die ich später danach fragte, egal ob gebürtig oder zugezogen, wussten rein gar nichts davon. Und ich habe keine jungen Menschen danach gefragt. Eigentlich auch kein Wunder, denn sie ist kaum zweckzuentfremden, außer vielleicht für andere Ausstellungsexperimente. Oder als kommerziell genutzte Partylocation. Abgeschieden genug wäre es für hohe nächtliche Dezibel, dagegen stünde aber sicher der Denkmalschutz. Wer den Glockenturm nicht besucht oder die Ausstellung, kommt niemals zufällig daran vorbei. Ich weiß natürlich nicht, ob sich nicht irgendwelche Nazi-Spinner oder Neo-Militaristen zu Hitlers Geburtstag oder am 10. November, um dieser Schlacht zu gedenken, heimlich dort verabreden und der Erinnerung huldigen.



Ich hatte eine gewisse Befangenheit, diesen Eintrag anzugehen. Mir war gefühlsmäßig eher nach Drüberzappen. Aber wenn man diesen ungemütlichen Aspekt schon in Bildern berührt, darf man im Eintrag nicht fahrlässig drübertänzeln, über den Abgrund. Mal schnell husch husch ist nicht bei dem Ganzen. Dafür wiegt dann eben doch alles zu schwer. Man muss nach unten schauen, sich ein Bild der Lage machen und dann mit einem beherzten Schritt über den Abgrund schreiten. Auf die sichere Seite mit dem festen Boden. Nun habe ich diese Etappe endlich hinter mir. Wer diesen Eintrag gelesen hat, kann jetzt jedenfalls mitreden und weiß mehr über die Langemarckhalle als die meisten Berliner. Ich habe zwar hier in meinem Blog eine kleine Pause eingelegt, zwischen meinen olympischen Begehungen, aber in der Realität hat das alles an einem einzigen Tag stattgefunden. Will sagen, ich bin nicht zehnmal mit meiner militärisch anmutenden Tarnkappe und der blauen Sonnenbrille los, falls jemand befürchtet, ich ziehe zu jeder Gelegenheit dieselben Klamotten an. In vier Stunden kann man eine Menge sehen und festhalten. Und dann hat man eine Menge zu verarbeiten. Auf vielen Ebenen. Und das ist noch nicht alles.

12. November 2011

08. November 2011

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06. November 2011

Ƹ̵̡Ӝ̵̨̄Ʒ

04. November 2011

Ab 21.



All of the clips used in this film came from a reel of 35mm nitrate found in an old theater somewhere in Pennsylvania. The projectionist clipped these scenes to meet local moral standards of the time.

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