18. Mai 2020

Michel Piccoli zum Gedenken. Auch ihn traf ich oft, aber nur in seinen Filmen, besonders Les choses de la vie ließ ich viele Male laufen. Der ganze Film ist ewig. Oder die Szene, wo er als Polizist Romy in der Badewanne fotografiert. Über meiner eigenen Badewanne hängen Bilder aus dieser Szene (u.a). Er war ein wunderbares Gespann mit ihr, sie waren ja auch sehr befreundet. Piccoli wirkte im selben Maß sinnlich wie intellektuell, alleine wie er rauchte. Wahnsinnig charismatisch. Und so ruhig. Aber unter der ruhigen Oberfläche spielte sich immer etwas ab. Das war die Spannung. Michel Piccoli wurde vierundneunzig. Au revoir.

18. Mai 2020

Noch ein ganz arg geliebtes Gedicht von einem Lieblingsdichter, Max Dauthendey (1867 - 1918)


Immer Lust an Lust sich hängt


Alle Dinge können sehen. Sag nicht, daß sie blind dastehen.
Sag nicht, daß sie dunkel gehen.

Häuser, Bäume, Wege, Wind, Stühle, Tische, Bett und Spind,
Alle Dinge sehend sind.

Alle Dinge können denken. Nicht nur Stirnen Geist dir schenken, Alle Dinge Geister lenken.

Kleiner Mücken grauer Zug,
Spinnwebfaden leis im Flug; jeder Grashalm denkt genug.

Und es lieben alle Dinge. Wie die Vögel mit Gesinge
Liebt sich alle Welt im Ringe.

Eines hin zum andern drängt,
Jedes seine Lust sich fängt.

Immer Lust an Lust sich hängt.



Max Dauthendey, Lusamgärtlein, 1909

16. Mai 2020

Friedrich Rückert zu Ehren, geb. am 16. Mai 1788




Frühlingslied


Der Frühling lacht von grünen Höh'n,
Es steht vor ihm die Welt so schön,
Als seien eines Dichters Träume
Getreten sichtbar in die Räume.

Wann schöpferisch aus Morgenduft
Der Sonne Strahl die Wesen ruft,
Kehrt jedes Herz sich, jede Blume
Empor zum lichten Heiligtume.

Wann Abendrot den Purpur webt,
Darin die Sonne sich begräbt,
Schließt sich befriedigt jede Blüte,
Und Sehnsucht schlummert im Gemüte.

Vom Morgen bis zur Nacht entlang
Ist all ein Kampf der Sonne Gang;
Ein Kampf, die Schöpfung zu gestalten,
Durch Licht zur Schönheit zu entfalten.

Die Sonn' ist Gottes ew'ger Held,
Mit goldner Wehr im blauen Feld,
Und zu dem lichten Heldenwerke
Erneut der Frühling ihr die Stärke.

Die Sonn' am Tag, der Mond bei Nacht,
Sie ringen all' mit Wechselmacht,
Die Sonne, Rosen rot zu strahlen,
Und Lilien weiß der Mond zu malen.

Der Himmel ein saphyrnes Dach
Der Flur smaragdnem Brautgemach,
Wo sich im Spiegel von Kristallen
Schaut Rose Braut mit Wohlgefallen.

Die Morgenröte wirkt ihr Kleid,
Der Morgentau reicht ihr Geschmeid,
Der Morgenwind, ihr kecker Freier,
Küßt sie errötend unterm Schleier.

Der Frühling gibt im Garten Tanz,
Und alle Blumen nahn im Glanz,
Wo Mädchen vorzustellen haben
Die Rosen und Jasmine Knaben.

Das Veilchen birgt in Duft sich still,
Weil aufgesucht es werden will;
Die Rose glühend zeigt sich offen,
Wie könnte sie Verbergung hoffen?

Des Paradieses Pforten sind
Nun aufgethan im Morgenwind,
Und auf die Erde strömt vom Osten
Der Duft, den sonst die Sel'gen kosten.

Die Lauben Edens werden leer,
Zur Erd' hernieder zog ihr Heer,
Wo nun die Engel schöner wohnen
In Rosenzelt und Lilienkronen.

Nun lebt, berührt vom Liebeshauch,
Das Leben neu, und Totes auch;
Der starre Fels vor Sehnsucht bebet,
Bis auch ein Epheu ihn umwebet.

O Frühlingsodem, Liebeslust,
O Glück der felsentreuen Brust,
Die ein Geliebtes an sich drücket,
Das dankbar sie mit Kränzen schmücket.

In dieser Stille der Natur,
Wo Liebe spricht und Friede nur,
Sei fern den schweigenden Gedanken
Des Menschenlebens lautes Zanken.

Wie sie die Sinne sich verwirrt
Und wie in Wüsten sich verirrt,
Wie sie die Freude sich verkümmert
Und wie das Dasein sich zertrümmert.

Und wie die Welt, so ist ihr Lohn.
Es reut mich jeder Liedeston,
Der aufs verworrene Getriebe
Der Zeit sich wandt' und nicht auf Liebe.

Die Liebe ist der Dichtung Stern,
Die Liebe ist des Lebens Kern;
Und wer die Lieb' hat ausgesungen,
Der hat die Ewigkeit errungen.

Weg Thorentand und Flitterpracht!
Im Himmel gilt nicht ird'sche Macht.
Erob'rer, Helden, Weltvernichter,
Geht, sucht euch einen andern Dichter.

Du Freimund laß den eitlen Schwall,
Sing' Lieb' als wie die Nachtigall,
O trachte, still in deinen Tönen
Dein eignes Dasein zu versöhnen.

Friedrich Rückert

14. Mai 2020



Nun sind sie beide tot, Irina aus der Lüneburger Heide und der aus der Nähe von Kassel stammende Rolf Hochhuth, die es beide nach Berlin verschlagen hatte. Meine Freundin Irina war nicht nur eine surrealistische Malerin, sondern auch Hochhuths Assistentin, sie kümmerte sich bis einige Zeit vor ihrem Tod im Oktober 2018 um seine Internetseite und alles, was sich um die digitale Verarbeitung seines Werks drehte. Er hatte immer bewundernde Blicke für sie, das war sehr rührend.

Das Bild entstand im Dezember 2016 bei Irinas letzter Ausstellung zu ihren Lebzeiten. Bei der Gelegenheit sprach ich auch mit Hochhuth, er signalisierte mir mit seinen Blicken Interesse und ich setzte mich zu ihm und er fragte mich aus. Aber wie. Ich erzählte ihm, dass ich blogge, sehr Persönliches und er war total gefesselt. "Was schreiben Sie denn da zum Beispiel genau?" "Na, es könnte zum Beispiel sein, dass ich über unsere Unterhaltung hier einen Eintrag schreibe." Er: "Das ist ja wahnsinnig interessant!".

Wirklich ein netter, umgänglicher älterer Herr, damals war er ja nun auch schon 85 und etwas vergesslich. Aus heutiger ärztlicher Sicht vielleicht dement. Nachdem man sich eine halbe Stunde intensiv unterhalten hatte, konnte es sein, dass er einen eine Stunde später erneut ansprach, als wäre man sich noch nie begegnet. Insofern ist es doch etwas beschönigend, in den Meldungen zu seinem Tod zu lesen, dass er keinerlei Vorerkrankungen gehabt habe.

Na gut. Früher bezeichnete man vergessliche alte Menschen ohne dramatischen Unterton als "auch schon ein bißchen verkalkt" und nahm das als den normalen Lauf der Dinge. Aber das Gespräch mit ihm verlief sehr eloquent, er erzählte mir von verschiedenen Ärgerlichkeiten mit Verlagen, an die er sich deutlich erinnerte, die aber sicher schon weiter zurücklagen. Ich fand es interessant, dass er mir so etwas erzählte, als sei ich eine Vertraute. Er hatte schon mitbekommen, dass ich mit Irina befreundet bin, vielleicht war ich für ihn dadurch eine Art erweiterte Familie.

Deutlich war zu spüren, dass in seinem doch etwas eingetrübten Blick so eine gewisse Bereitschaft für eine erotisierte Wahrnehmung der Welt weiterhin bestand. Das rührte mich. Er war viel sympathischer und zugewandter, als ich je für möglich gehalten hätte. Zuletzt sah ich ihn vor etwas mehr als einem Jahr bei einer Gedenkfeier für Irina. Er erkannte mich nicht mehr. Ich hatte es aber auch nicht ernsthaft erwartet. Frieden seiner rebellischen Seele.

14. Mai 2020

Seit gut vier Wochen steht ein gelesenes Buch links von mir in der Ecke. Ich habe es nicht ins Regal geräumt, weil ich noch einen Gedanken daraus hier schreiben wollte und ihn unbedingt in die Welt tragen. Einen Absatz hatte ich schon aus dem Buch zitiert, in diesem Eintrag, Mitte April. Aber der zweite Gedanke kommt mir geradezu existentiell und aufrüttelnd vor, obwohl er so schlicht formuliert daherkommt. Einfach mal auf sich wirken lassen, er könnte das bisherige Weltbild, die eigene Biographie betreffend, ins Wanken bringen.

"Ich wollte in die Welt. Und ich war naiv und kühn genug, um mir zu nehmen, was ich wollte. Ob ich Glück hatte, oder das Geheimnis des Glücks darin liegt, dass man es einfordert, ist eine Frage der Interpretation. Jedenfalls wurde mein Wunsch erhört."

Carsten K. Rath, Sex bitte nur in der Suite, S. 54

13. Mai 2020

"Behandeln Sie Probleme nicht wie große französische Weine, denn sie werden nicht besser, wenn man sie lagert."

Dagmar Koller, Dranbleiben, S. 153 (letzte Seite)

In diesem Sinne wünsche ich allen einen tatkräftigen Mittwoch.

11. Mai 2020



Wer heute seinen Postkasten besucht, könnte darin ein Kärtchen von mir finden. Am Freitag war wieder Frühlingstombola, allerdings vielleicht zum letzten mal. Ich habe mich nämlich ein bißchen mit Fortuna herumgestritten. Sie will immer nur sieben Karten verlosen, ich muss mich dann ihrer Entscheidung beugen. Sie ist da leider sehr autoritär und lässt nicht mit sich handeln. Diesmal hat es mich besonders geärgert, weil ich das Motiv gerne den ausgewiesenen Blumenliebhaberinnen unter meinen Freundinnen zukommen lassen wollte, z. B. J. und C., aber ich konnte einfach nicht schummeln. Am Ende trifft es ja auch so immer die Richtigen, das will ich gar nicht bestreiten.



Außerdem hat sie auch noch mit mir geschimpft, weil ich bei den letzten Postkarten den Text aufgedruckt habe und nur die Anrede und die Anschrift mit der Hand geschrieben. Das wäre kein guter Stil und wirkt unpersönlich, hat sie gemeint. Wahrscheinlich hat sie da auch ein bißchen recht. Ich wollte aber auch ganz viel auf die Karten schreiben und so klein kann ich nicht mit der Hand schreiben, deswegen! Jedenfalls habe ich diesmal wirklich alles, alles mit der Hand geschrieben, aber dafür ist die Glücksbotschaft halt entsprechend kürzer! Man kann nicht alles haben! Aber sie kommt wie immer von Herzen.



Am meisten freue ich mich, wenn Gewinner dabei sind, die bis jetzt noch gar nicht gewonnen haben, nämlich K. und P.! Wegen der Diskretion muss ich die Namen abkürzen, mir reicht schon der Ärger mit Fortuna! Also gewonnen haben: A., I., K., M., M., M. und P. (alles Mädchen)


11. Mai 2020

Kann mich nicht erinnern, wann mich zuletzt eine Lektüre so erheitert hat, wie das Werk von Frau Koller. Seite 73:

»(...) Ich kaufe mir auch keine Modezeitschriften mehr. Früher posierten in der Vogue derart schöne Frauen - die Models von heute schauen alle aus wie Buben. Germany''s Next Topmodel habe ich mir nie angesehen, obwohl ich Heidi Klum mag. Sie ist noch so etwas wie ein Idol. Und sie hat sich einen jungen Boy genommen. Ich hätte mir an ihrer Stelle allerdings einen Schöneren ausgesucht. Wenn ich mir einen Jungen nehme, muss es schon der Schönste in der Stadt sein.«


Dagmar Koller (80), Dranbleiben

Das kleine Buch ist vor einem halben Jahr erschienen. Jetzt weiß man natürlich nicht genau, ob sie diese Gedanken verfasst hat, als Heidi noch mit Vito zugange war oder ob bereits Tom gemeint ist. Im späteren Verlauf des Kapitels benennt sie noch Männer nach ihrem Geschmack, da sind dann aber auch Kandidaten dabei, wo man recht schnell begreift, dass Schönheit offenbar auch im Fall von Dagmar Koller im Auge des Betrachters liegt. Wobei ihr verstorbener Mann schon fesch war.

10. Mai 2020



Die Wüstentochter hat einen neuen Gesichtsschleier gegen die Stürme in der Betonwüste. Gestern in der schönen Galerie von Michaela Binder in der Gipsstraße bei mir um die Ecke entdeckt. Etwas frühlingshafter als das schwarze Modell, das ich sonst trage.



10. Mai 2020

Sehr interessante Verhaltensempfehlung von Frau Koller:

»Als schwierig empfinde ich es bis heute, wenn ich Premierenparties von Aufführungen besuchen soll, die mir nicht gefallen haben. Ich tat mir immer schon schwer, Kollegen zu bejubeln, wenn mir das Stück oder ihre Arbeit nicht gefallen hat. Nachdem Helmut 1983 Bundesminister für Unterricht und Kunst geworden war, erlebten wir etliche solcher Situationen, die für mich eine Qual waren. Einmal erwischte uns Susi Nicoletti, die Grande Dame der österreichischen Schauspielkunst, nach einem völlig misslungenen Abend, als wir gerade dabei waren, uns möglichst unauffällig aus dem Staub zu machen. Sie stellte sich uns in den Weg und meinte: "Kommt doch gar nicht in Frage! Und wenn einer der Mitwirkenden von euch wissen will, wie es euch gefallen hat, dann sagt ihr einfach: Gratuliere, gratuliere!"

Dieses wertvolle "Gratuliere, gratuliere!" wende ich bis heute in den unterschiedlichsten Situationen an. Auf diese Weise muss ich nicht lügen und bleibe mir trotzdem treu. So klingt hohe Diplomatie. Für die Künstler meiner Generation spielt nämlich noch etwas eine wichtige Rolle: das Alter. Aus eigener Erfahrung weiß ich, was es bedeutet, in einer Hauptrolle auf der Bühne zu stehen, und welche Probleme sich manchmal ergeben können, einfach weil man keine dreißig, vierzig oder fünfzig mehr ist. In solchen Momenten lüge ich so gekonnt, dass alle glücklich sind. Weil ich Respekt vor der Arbeit habe. Ich kann lügen, dass sich die Balken biegen! Interessant ist, dass man mit zunehmenden Jahren sensibler wird und nicht abgestumpfter. Bedenken Sie immer: In einer Welt der wachsenden Unsicherheiten kann es nicht genug Lob geben. Quittieren Sie daher jede Art von Leistung immer mit einem "Gratuliere, gratuliere!" So müssen Sie nicht lügen und bleiben sich trotzdem treu.«


Dagmar Koller, Dranbleiben

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Lydia Gebel Ahhh,...
01.04.25, 22:28
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Lydia Gebel Warst...
01.04.25, 21:59
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Margarete 29. März...
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Christoph Martius Was...
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