22. August 2010

Sich selber rufen. Sich bei Lebzeiten nachrufen. Habe Bilder gemacht. Ja ja. Noch mehr. Es gibt so Schübe. Gesundheits-. Bei akuten Gesundheitsschüben manifestieren sich die Symptome in digitalen Bildern. Mein Sein. Was ich sehr mochte mag, gerade zuletzt, war der zwingende Charakter des Privaten, Persönlichen, Fleischlichen, Verletzten, Verlustigen, Liebenden bei Christoph. Da kam es, dass ich ihn nur noch Christoph nannte. So für mich. Vorher war er Schlingensief. Plötzlich war er so nah. Ist. Aber ich wollte dir nicht nachrufen, sondern mir selbst.



Ich nahm das Notebook mit auf den Balkon, sah schnell, dass das Licht zu gleißend war, um noch irgendeinen Kontrast zu erkennen. Auch mit Sonnenbrille kaum. Musik an. Klappe zu. Ich holte das Vogue-Heft, das ich zum Warten auf Frida gekauft hatte und legte es schützend auf den kleinen Rechner. Das Heft bedeckte gerade so das silbergraue Rechteck. So wird es die Hitze besser aushalten. Ich war zu faul, das Notebook mit den kleinen Lautsprechern wieder ins Zimmer zu räumen. Kaffee. Immer wieder Kaffee. Und Wasser. Gestern war das. Ich blätterte in dem wenig gelesenen Heft, las ein bißchen. Ganz schöne Sachen. In einer Fotostrecke entdeckte ich ein mir bekanntes Gesicht und dachte komisch, jemanden auf einem großen Foto in der Vogue zu finden, mit dem ich neulich einen trinken war. Die Bindung* löste sich auf.



Es gab zwei Bücher auf dem Balkon. Just kids, das ich gerade fertig gelesen hatte und noch einmal begann. Was ich noch nie tat. Ich habe noch niemals ein Buch gelesen, zugeklappt, und ein paar Stunden später wieder von vorne angefangen, als wäre es ganz neu. Obwohl - vielleicht hab ich das als Kind mit meinen Petzi-Büchern gemacht. Das kann schon sein. Ich hab hundert mal dieselben Bilderbücher angeschaut und gelesen. Weil ich mich immer wieder über bestimmte Bilder und Stellen freuen wollte. Das hat prima geklappt. Pattis Buch rührte mich von der ersten Seite. Petzi und Patti klingt ja auch ein bißchen ähnlich. Und jetzt, wo ich weiß, wie die Geschichte war, will ich sie noch einmal lesen. Mit dem Wissen um alles. So, wie sie es mit jenem Wissen schrieb. Den vielen kleinen und großen Bildern und déjà vus noch einmal nachspüren, die sie auf die Seiten wirft. Aus der Zeit. Aus Zeiten. Zurückholt, noch einmal leben lässt. Und wieder. Und wieder. And again. And again. And again. ... play it again Sam...



Und ein Bilderbuch. Ich hab es schon ein paar mal durchgeblättert. Es ist wie ein Film. Das sieht man ja auf den Fotos, auf meinen. Es war ein schöner Sommerferientag, gestern in Berlin. Ich stand auf, um die Kamera in den Schatten zu legen und erhaschte mein Bild, das mich in der Scheibe reflektierte. So entstehen meine Bilder eigentlich immer. Ich habe das schon manchmal befreundeten Bloggern erzählt. Ich lebe sozusagen so vor mich hin und sehe plötzlich einen Ausschnitt meines Daseins, der mir wie ein Foto vorkommt. Und dann hole ich die Kamera und drücke einfach drauf. Auf das Gelebte. Erlebte. Das kleine große Stück Leben. Es ist ganz einfach. Man muss sich ein bißchen bemühen, es sich möglichst schön zu machen. So schön, dass man die Kamera drauf halten will. Klingt irgendwie total einfach, jetzt wo ich es lese.



Es gibt aber ein paar Sachen, von denen man denkt, man hat keinen Einfluss darauf, ob sie schön oder nicht schön verlaufen. Darüber denke ich viel nach. Wenn ich es rausgekriegt habe, erfahrt ihr es als Erste. Obwohl ich schon eine diffuse Ahnung habe. Von der möglichen schönen Kraft von Wut. Und Trauer. Widerständen, Kräfte messen. Scheitern aber schön. Scheitern als Chance hieß der Slogan von Schingensiefs Aktion (da war er noch Schlingensief), fällt mir gerade ein. To Walk in Beauty versuchen empfehlen sagen predigen die Navajo, always. Also always to walk in beauty. Das ist mir schon nah. Das ist mir nicht fern. Der Wunsch. Dieses Begehr. Ja, das hat schon eine gewisse Poesie. Ich versuche herauszufinden, wie man das negativ Besetzte in ein schönes Universum integrieren kann. Vielleicht geht es gar nicht darum, das vermeintlich Negative zu ächten und zu geißeln, sondern nur den Platz zu identifizieren, an den es gehört, damit es seine Kraft so entfalten kann, dass man der Schönheit gewahr werden kann. Schönheit der Aggression. Schönheit der Wut. Schönheit der Rebellion. Schönheit aufbegehrender, feuriger, transformativer Kräfte. Also geht es um Transformation oder um Ausrichtung. Man kann auf Lava-Gestein sehr gut ein Steak grillen. Ein Lavafluss leuchtet auch sehr schön. Nur die Koexistenz mit anderen Lebensformen gestaltet sich für Lava etwas schwierig. Man muss so einem Lavafluss viel Platz einräumen und ihm im Zweifel aus dem Weg gehen. So ein Lavafluss hat es eigentlich sehr gut. Er muss sich nichts sagen lassen. Keiner versucht, belehrend auf ihn einzuwirken. Ich bin ein bißchen neidisch.



Bilder also. Meine Freundin Nanou entdeckte sie schon heute Nachmittag irgendwann. Ich lade ja ganze Strecken hoch und verlinke immer erst, wenn ich etwas dazu schreibe. Aber sie wurde vorher darauf aufmerksam, weil sie dieses Bild in dem Kommentar entdeckte und ahnte, dass sich mehr Bilder dahinter verstecken. Später telefonierten wir und ich merkte etwas zu einem anderen Bild an, das Frida zeigt, wie sie offenbar lacht, aber die Hand schützend vor den Mund hält. So interpretiere ich das Bild, nicht wie der Verfasser der Bildunterschrift "Frida Kahlo machte ein obszöne Geste". So ein Quatsch. Frida hatte große Hemmungen, ihre Zähne zu zeigen, weil die nicht das Beste an ihr waren. Es kann auch sein, dass sie eine Zahnlücke in der Mitte hatte, es gibt ein einziges Bild, wo man das ahnen kann. Sie hat immer darauf geachtet, den Mund geschlossen zu halten, weil sie sich so geniert hat. Von wegen obszöne Geste. Dummes Zeug. Ich hatte auch einen Minderwertigkeitskomplex (nicht nur einen) als Kind. Unter anderem wegen meiner Zahnlücke. Irgendwann wurde ich nicht mehr gehänselt deswegen und hab den Komplex einfach vergessen. In den letzten Jahren haben sich sogar zwei ausgewiesene Liebhaber meiner Zahnlücke gefunden. Einer hat sich sogar schon beschwert, dass sie kleiner geworden wäre und ich dringend zum Zahnarzt müsste, um dem womöglich drohenden Schwinden der Lücke Einhalt zu gebieten. Ich glaube, ich muss schlafen gehen. Ich schreibe schon ganz schwafeliges Zeug, dabei wollte ich nur ein bißchen Text haben, wenn ich die Bilder hier reinklebe. Ober- und unterhalb. Also fertig.



[ alle Bilder ]


*) des Heftes
nanou - Mo, 23. Aug, 04:25

First: @ Man muss sich ein bißchen bemühen, es sich möglichst schön zu machen ... walk in beauty ...:
schönes offenes geheimnis
Es gibt den Impuls, alles nochmal zu lesen, aber für mehr reicht grade meine Wachheit nicht - vielleicht stellt sich auch eine besondere Lesart ein, so, wie's grade ist.

nanou - Mo, 23. Aug, 07:56

Second: Da ist schon wieder eine Art Parallele. In einem schlauen Buch las ich über eine Visualisierungsübung in Zusammenhang mit der eigenen Beerdigung... Genaueres führte mir nun zu weit, aber ich will das machen, die Tage.

g a g a - Mo, 23. Aug, 12:06

Spannend. Darüber müssen wir reden.

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