30. Mai 2010

Reisetagebuch, Samstag 15. Mai 2010. Der Tag unseres Auftrittes in der Disharmonie. Am Abend zuvor, spät am Abend nach der Rückertführung am vierzehnten Mai, gegen 22:30 Uhr sind wir vor Ort, um das Wichtigste aufzubauen. Wir müssen noch das Ende der laufenden Show von einem Comedian abwarten, die zieht sich länger hin, als erwartet. Es ist halbzwölf als wir loslegen, ich brauche einen Tisch vor der Bühne für den Beamer und das Notebook. Alles wird verkabelt, der Ton gecheckt und die ersten Bilder angebracht.



Es ist fast halbdrei Uhr morgens als wir die Disharmonie verlassen, ich bin bei Weitem nicht fertig. Ein kleiner Schlummertrunk im Mephisto. Am nächsten Nachmittag ab drei können wir weiter machen, dann wird auch gegen vier Hannes zum Soundcheck dazukommen. Ich verbringe den ganzen Vormittag damit, endlich festzulegen, zu welchen Songs ich überhaupt welchen Film laufen lassen will. Dabei entsteht noch etwas Neues, eine phantastische Überlagerung von der Hand- und Sandszene aus Arizona und den flirrenden Farben und meiner Hand aus Hippolyta. Während ich, Gott sei es gedankt, endlich Sicherheit gewinne, was ich zeigen werde, wächst meine Freude auf den Abend. Ich ziehe mich dreimal um und dann ziehen wir los. Jeder checkt seine Sachen für sich ab, Cosmic muss noch ein paar Sachen mit dem Looper regeln, ich bringe die letzten Fotografien am Bühnenrand an und klebe die Verkabelung mit Gaffertape ab. Als es fertig ist, bin ich von meinem eigenen Werk regelrecht gerührt. Wie der Raum plötzlich aussieht. Als wäre es ein privates kleines Museum. Was doch ein paar Bilder ausmachen. [...]



Eine Stunde vor Einlass machen wir einen gemeinsamen Durchgang um zu sehen, ob es einigermaßen passt, was ich da ausgebrütet habe. Cosmic spielt immer nur zwei drei Akkorde des Anfangs eines Stückes und ich lasse die ersten Sequenzen meiner Filmbilder auf mich wirken und gucke, ob überhaupt auch der richtige Film kommt, wir eine einheitliche Setlist haben. Wenn Cosmic die Reihenfolge kurzfristig ändert, muss ich die Nummerierung meine Filme ändern, weil ich nach Nummerierung, blind mit shortcuts blättere, damit das Publikum nie Desktop und Ordnerverzeichnisse sieht, sondern einfach einen Film nach dem anderen im Vollbildmodus.



Als die ersten Gäste kommen, sind wir gerade fertig. Ich schmeiße ein paar meiner Opus-Filme mit Ton an und wir gehen eine Treppe höher in den Backstagebereich, der früher tatsächlich der Übungsraum von Cosmics Band Suzi Cream Cheese war. Zwanzig Jahre muss das her sein. Oder noch länger. Im Kühlschrank gibt es sogar zwei Flaschen Bier mit Alkohol. Der Rest des Kühlschranks ist mit Wasser, Saft und alkoholfreiem Bier bestückt. Ich genehmige mir ein Bier zur Beruhigung, Hannes auch. Cosmic trinkt nur Wasser. Unter anderen Umständen hätte ich eine Flasche guten Bordeaux mitgenommen, aber da ich selbst nicht als Gast zuschauen kann, bin ich vorsichtig mit Alkohol, bis die Kuh vom Eis ist. Wenn ich einen Moment unkonzentriert bin, die falschen shortcuts drücke, kann es schnell peinlich werden. Ich bin ein bißchen angespannt, Cosmic auch, das spüre ich. Dann ist es so weit. Ich gehe als erste nach unten in den Saal und nehme meinen Platz ein.



Gerade ist der letzte Film zu Ende und ich blende nur das poetrYclub-Logo ein, das nach einer Weile mit dem Motto unseres Abends wechselt: Romantik Liebe Rebellion. Cosmic betritt die Bühne und beginnt mit Widerspruch. Manchmal kann ich den Abend für ein paar Sekunden so genießen, als wäre ich Zuschauer, aber dann muss ich mich auch schon wieder konzentrieren und darauf achten, wann sich sein Song dem Ende neigt, um den laufenden Film ins Dunkel auszublenden und zum nächsten zu blättern, während er vielleicht eine Ansage macht und dann abchecken, wann er den ersten Akkord greifen wird, damit genau dann der nächste Clip startet. Ich spüre, dass er sehr gut ist und erfahre erst später, mit welchen technischen Widrigkeiten er zum Teil kämpfen musste. Ich habe es nicht gemerkt.



Das Publikum ist während des ersten Sets sehr leise, die Lieder sind es auch. Ich spüre den Respekt, es hat beinah etwas Andächtiges. In der kurzen Pause, die wir verabredet haben, hole ich etwas zu trinken, begrüße Cosmics Zauberschwestern und schon geht es weiter mit Zauberkreis. Dann Blume der Ergebung. Sing out geht zu Ende. Als nächstes steht auf der Setlist das neue Lied, das er gerade gemacht hat, das Mondlied nenne ich es immer. „Du bist mein Mond“, das er auf der Treppe drei Tage vorher gesungen hatte. Cosmic fängt nicht gleich mit dem nächsten Song an, sondern möchte etwas sagen. Während die letzten Bilder von Arizona laufen (die Bilder, wo man seine Hände im Sand sieht. Er baute eine Frau, einen Frauenkörper in den Sand. Das war nicht abgesprochen, das ist es nie. Wir tun nie abgesprochene Sachen, wenn ich filme. Und so oft wir Filme zeigten, war es meistens diese Szene die den meisten im Gedächtnis blieb). Und während also diese Bilder laufen, erzählt Cosmic ein bißchen, warum man diese Bilder sieht und von wem sie sind, und wie wir uns begegneten. Ich bin sehr gerührt. Er bittet mich auf die Bühne und ich spüre eine Welle der Wärme aus dem Publikum. Es ist ein bißchen, als ob die Temperatur im Raum steigt. Deshalb traue ich mich auch, auf der Bühne zu erzählen, warum ich überhaupt hier bin. Und dann singt Cosmic endlich das Lied. „Du bist mein Mond“ und ich darf den Text halten, weil er ihn noch nicht so richtig kann. Das war ein sehr schöner Moment. Für mich der schönste des Abends.



Danach gab es Stern und die Show war eigentlich zu Ende, aber das Publikum ließ das nicht so recht zu. Er durfte noch zweimal auf die Bühne zurück. Als erste Zugabe gab es Neujahrsmorgen, von dem man hier die Audiospur hören kann. Ich ließ dazu die Bildspur von meinem letzten Opus 47 im loop laufen, und ich empfand das als den hypnotischsten Song an diesem Abend. Als eigentlich letzte Zugabe gab es eine wilde Version von die Goldene Zeit die in Hey Jude mit Hannes am Klavier endete. Das hatte Cosmic schon bei der Probe im Hinterkopf und ich konnte es mir nicht so recht vorstellen, aber es war grandios. Und noch eine Zugabe und noch eine. Ganz herzliches Publikum, warmer langer Applaus. Geschafft.



Nach ein paar Minuten Rückzug backstage wieder nach unten, ein bißchen mit dem Publikum reden. Mit den wenigen die ich kannte, ein bißchen quatschen. Da war unter anderem eine Frau, die mir schon bei der Rückertführung aufgefallen war. Sie war jüngerer Generation als die meisten, die an dem Rundgang teilnahmen. Ich ging zu ihrem Tisch, nachdem sie mir gewunken hatte. Sie war mit ihrem Lebensgefährten gekommen und begrüßte mich herzlich und erzählte, dass sie eine Urururenkelin von Friedrich Rückert sei. Und wie es sie freut, was wir da machen.

Die jüngere seiner beiden Schwestern wünschte sich zwei Bilder ihres Bruders, die sie besonders mochte. Wir krakelten unsere Widmungen auf die Rückseite und eine Unbekannte bekannte, sie sei nur zufällig gekommen, eine Freundin hätte sie mitgenommen und sie wollte ehrlich sein. Sie hätte sich zu Beginn gefragt, ob sie es gut oder grenzwertig finden soll, was hier an zum Teil Privatem öffentlich von uns zelebriert wurde. Aber nachdem sie die Musik, die Bilder und die Filme, den ganzen Abend auf sich wirken ließ, sei sie restlos überzeugt, dass es große Poesie sei, was wir hier fabrizierten. Ohne jeden Zweifel. Das hat mich schon glücklich gemacht. Und Cosmic auch. Ja, ein schöner Abend.

Als der letzte Gast gegangen war, packten wir unsere Sachen und bauten alles wieder ab. Wie das eben so ist. In der Altstadt fanden wir wieder zu jener Bar, Mephisto. Wir haben nicht dauernd auf die Uhr geschaut, aber wir hatten im Hinterkopf, dass wir am nächsten Tag verdammt früh aufstehen müssen. Wegen der anstehenden Wanderung zu Ehren Friedrich Rückerts Geburtstag. Treffpunkt der Wandergruppe 7:30 Uhr.

Hier ist der Song Neujahrsmorgen
Und hier sind alle Bilder.
cosmic - So, 30. Mai, 21:36

...das ist

schon wieder Geschichte... Schön wie Du mich zurückholst zu diesem Mittelpunkt der Reise...es ist sehr anregend zu lesen.
Ich hatte es nicht vergessen, aber schon wieder in anderen Gefilden...wenn man Bild und Text hat und eine poetrYclub Tüte und ein Nielsen-Unikat und vieles mehr, dann kann man sich sehr
glücklich schätzen...mache ich! So gut!

g a g a - So, 30. Mai, 21:43

Es ist eine Art (!), alles zu übertreiben. Die maximale Verdichtung. Du weißt doch, ich muss immer alles übertreiben. Sogar das Erinnern... Ich finde es aber auch sehr schön. Darin kann man so schön baden. Und in schlechten Zeiten kann man sich erinnern und besinnen, dass man gute hatte. Sehr. Goldene. Zeit.
cosmic - Mo, 31. Mai, 00:48

...

und die goldene zeit ist jetzt und dann kommt das paradies. zur zeit ganz drin in der musik...und dem text...
stand schon alles in den sternen...

kid37 - Mo, 31. Mai, 10:29

Ein schöner Bericht einer intensiven Reise.

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Margarete 20. Dezember...
20.12.24, 17:28
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Saskia Rutner Sieht...
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