21. August 2011



Ich nehme an, über die Jahre stellt sich ein Gefühl der Vertrautheit mit meinem Balkon ein. Dem Badetuch mit dem Vogel drauf. Dem Fensterwinkel und der abgelegten Sonnenbrille an aufgeklapptem Lesebuch. Wieder so ein Balkontag im Süden. Meiner Wohnung.



Ach - das ist vielleicht der Moment um zu erzählen, wieso ich gerade keine riesengroße Lust auf Sommer in einer Ferienwohnung habe, also zu verreisen. Kommt wahrscheinlich wieder, aber wenn ich an die Gegebenheiten in meiner Hütte auf Föhr denke, die ich gemietet hatte, kommt mir die Hütte hier in Mitte vor wie ein Luxus-Resort. Ich gehöre ja zu den Menschen, die bei der Wahl zwischen einer sehr schlichten Ferienwohnung mit Küche und Bad und einem sehr luxuriösen Hotelzimmer die Wohnung nehmen. Ich würde sogar im Zweifel mehr dafür bezahlen. Grandiose Hotelzimmer gibt es, aber ich ertrage es nicht, von dem meistens sehr charmanten Personal behelligt zu werden. Klopfen an der Tür, wegen was weiß ich. Das kommt auch mal vor, obwohl man 'bitte nicht stören' als Dauerzustand an die Klinke gehängt hat. Dass jemand durch einen Raum geht, den ich für ein paar Tage bewohne ist mir schon ungenehm. Nicht zuletzt, weil ich bislang in jedem Hotelzimmer und jeder Wohnung zuerst umräume. Überflüssige Möbel auf den kleinen Zimmerflur stelle, Bilder abhänge. Bis es mir geräumig und ideal erscheint. Dann werden nach und nach meine kleinen Reisesouvenirs in der Zimmerflucht verteilt. Teilweise sehr persönliche Sachen. Ich habe immer ein, zwei bunte Tücher in warmen Farben dabei, um sie über die meistens zu grellen Nachttischlampen zu werfen. Das Deckenlicht benutze ich überhaupt nicht.

Zimmermädchen haben leider häufig die Angewohnheit, Stühle und so weiter nach dem Bettenbeziehen und Staubsaugen wieder vorschriftsmäßig anders hinzustellen. Ich komme zurück in das Zimmer, sehe das frischgemachte Bett, die vernichteten Spuren meiner eigenen Innenarchitektur und leide. Ich brauche kein täglich oder alle zwei Tage frisch bezogenes Bett. Das mache ich zuhause ja auch nicht, alle zwei Tage das Bett frisch beziehen. Wie im Krankenhaus. Die reinste Hysterie. Diese ganzen Putzrituale tragen jedenfalls nicht zu meinem Wohlbefinden bei. Ich putze zum Beispiel automatisch nach dem Duschen die gröbsten Pfützen, falls welche vorhanden sein sollten, oder was es an menschlichen Spuren so gibt, gerne eigenhändig weg.

In dem letzten Hotel, das ich bewohnte, weil es keine Ferienwohnung zu mieten gab, habe ich irgendwann nur noch den Papierkorb demonstrativ vor die Hotelzimmertür mit dem festgetackerten Schild "bitte nicht stören" gestellt. Der darf gerne alle zwei Tage geleert werden. Das führte dazu, dass die Zimmermädchen lauerten, wann ich zum Frühstücken ging und dann einfielen zum Saubermachen. Und dann bin ich ja auch so eine Vorhänge-beiseite-Schieberin und -Drapiererin. Nach meinem Aufenthalt haben die Vorhänge dann diverse Falten wo sie nicht hingehören. Aber was soll's. Müssen die Vorhänge eben auch mal in die Wäsche und die Plättmaschine.

Auf jeden Fall hatte ich vor fünf Jahren auf Föhr eine Ferienwohnung gemietet, die in einem reetgedeckten, sehr schönen Haus lag. Aber ich hatte nicht das ganze große Reetdachhaus, nur eine kleine Wohnung im Erdgeschoss mit Terrasse und kleiner Wiese. Leider ahnte ich nicht, dass die Besitzer, obwohl sie im Nachbardorf in einem anderen Haus wohnten, nicht nur zu Beginn und Ende des Aufenthalts der Feriengäste in Erscheinung treten würden, sondern täglich. Und zwar auf eine sehr subtile Art und Weise.

Nun war mein kleines Terrassen- und Rasenstückchen der Ferienwohnung leider derart durch Nachbarn und für Spaziergänger der angrenzenden Feldwege einsehbar, dass ich traurig zur Kenntnis nahm, dass ich unter diesen Umständen wohl kaum draußen frühstücken oder Abendessen würde, derart auf dem Präsentierteller. Auf der Terrasse standen einfache Gartenmöbel aus weißem Kunststoff. Keine Aufwertung für den Blick aus der Terrassentür. Ein großer runder weißer Plastiktisch, zwei oder vier von diesen billigen weißen Einheitsstühlen, wo mir jetzt gerade der Fachausdruck (Uniblock oder so ähnlich) nicht einfällt. Und ein weißer Plastikliegestuhl mit Rollen. Wie im Sanatorium. Auch noch auf meiner Blickachse aus dem Wohnzimmer befand sich so ein Ding mit aufgerolltem Gartenschlauch.

Ich habe somit das Naheliegende getan und den Tisch und die Stühle ganz nach rechts an die Mauer und die Liege und den Gartenschlauch ganz nach links geschoben, mit dem Ergebnis, dass ich als Ausblick nun nurmehr die schlichte unmöblierte Terrasse, dahinter den Rasen, den kleinen Zaun und dahinter die Felder sah. Das Frühstücken und alles andere habe ich komplett in die Wohnung verlegt, auf das große Bett, auf das am Vormittag ein Sonnenfleck schien. Dabei liebe ich es viel mehr draußen noch halb in Unterwäsche in der Sonne zu sitzen, mit dem ersten Kaffee, herumzutrödeln und mich langsam ausflugsfertig zu machen. Umso mehr war ich interessiert, so schnell wie möglich aus der sonst ziemlich schattigen Wohnung ins Freie zu kommen, an den Strand oder mit dem Fahrrad irgendwo hin.

Als ich vom ersten Tag am Strand am Abend zurückkomme, wundere ich mich, dass der weiße Liegestuhl wieder genau in der Mitte der Terrasse prangt, der Gartenschlauchhalter befindet sich ebenfalls wieder zentral auf meiner Sichtachse und auch der Tisch wurde wieder mittig gerückt und die Stühle ringsherum drapiert. In diesem Moment wusste ich, dass ich diese Unterkunft niemals mehr in Betracht ziehen würde und auch keinem Menschen weiterempfehlen. Die folgenden Tage wiederholte sich das Spielchen, ich stellte vormittags die Sachen wieder zur Seite, kam am Abend vom Ausflug zurück und fand die Gartenmöbel wieder wie bei meiner Ankunft vor.

An einem Regentag blieb ich fast den ganzen Tag in der Wohnung und hörte irgendwann die Stimmen des Ehepaars vom Garten her. Vielleicht hatte ich geräuschvoll ein Fenster geöffnet um meine Anwesenheit zu demonstrieren oder sie hörten durch das gekippte Fenster, dass ich Musik anhatte und demzufolge da war. Sie ließen sich jedenfalls nicht blicken und es wurde auch nichts umgeräumt. An einem anderen Tag traf ich sie im Treppenhaus, sie grüßten mich mit aufgesetztem Gastgeberlächeln und unterschwelligem Misstrauen in den Augen.

Irgendwann bemerkte ich, dass sie in der Ferienwohnung waren, weil der Tisch und der Stuhl anders standen. Die von mir unverzüglich nach Ankunft im Küchenbuffet verstauten, mit Seidenblumen in Bleu und Rosé bekränzten Porzellan-Kerzenhalter prangten aufs Neue auf dem von mir ebenfalls vorübergehend entsorgten bestickten Deckchen auf der Mitte des bäuerlich gedrechselten Holztisches. Der Mülleimer ward geleert und eine neue Klorolle und neue Handtücher lagen im Bad. Gegen frisches Klopapier und frische Handtücher lässt sich ja nun wenig sagen, aber die Art und Weise des Transfers war halt leider nicht nach meinem Geschmack. Gegen diese Ferienwohnung ist meine Wohnung hier der reinste Urlaub und: kostet nicht extra. Ich kann in der Sonne frühstücken, und zwar wie Gott mich schuf. Keiner stellt weiße Plastikmöbel auf meinen Balkon, sagenhafter Erholungsfaktor.

Allerdings hatte ich auch schon recht schöne Ferienwohnungen mit lauschigem, uneinsehbaren Plätzchen an der Sonne zum Frühstücken. Auf Hiddensee und Santorin, Favignana und Spetsai. Und bestimmt auch noch woanders. Aber das hier ist aus den oben dargelegten Gründen mein unschlagbares Lieblings-Resort.

rosmarin - So, 21. Aug, 23:26

für einen Autisten wie mich, wäre diese Ferienwohnung auf Föhr ein absoluter Alptraum....
ich hätte ja auch gern eine Mauer ums Haus :-) eine hohe natürlich :-)))

g a g a - So, 21. Aug, 23:42

Dafür hat der liebe Gott in seiner unermesslichen Güte und Weisheit den abendländischen Lebensbaum erschaffen. Und dafür sollten wir ihm danken.

"In Europa wird er überall häufig angepflanzt, und zwar als ganzjährig blickdichte Hecke in Gartenumfriedungen. Der abendländische Lebensbaum ist ein immergrüner Baum, der eine Wuchshöhe von etwa 20 m, in Einzelfällen bis maximal 38 m (!) erreichen kann." Wikipedia

Ich kann mir eigentlich nichts Schlimmeres vorstellen als einen eigenen Garten, von dem aus man andere Leute sehen kann und demzufolge die mich. Das muss ja die Hölle auf Erden sein! Kein Wunder, dass so viele Menschen unter Depressionen leiden.
g a g a - So, 21. Aug, 23:54

P.S. es geht aber noch schlimmer. Neulich hat mir eine Bekannte erzählt, dass sie für 2012 eine Ferienwohnung in Ahrenshoop gebucht hat. Alles wäre nach ihren Wünschen, das einzige, was sie etwas beschäftigen würde sei die Vermieterin, die allerdings nicht im selben Haus wohnt, sondern in Laufnähe, ein paar Häuser weiter. Nach telefonischer Anfrage schlug die Dame ein "Kennenlerngespräch" vor. Da die Interessentin an der Ferienwohnung gerade in der Nähe war, ließ sie sich darauf ein und konnte ja schließlich dabei gleich mal das Ganze von innen 'kennenlernen'. Aus dem Kennenlerngespräch wurde ein ausgiebiges Kaffeetrinken, mit ausführlicher Einführung in die Familiengeschichte der Dame und die Historie des Hauses. Ihr Schwiegervater war irgendein Maler, der im Ort einen gewissen Rang hat, so gab es viel zu erzählen. Auch von der Scheidung, beruflichem Werdegang und gegenwärtigen Lebensgefährten und was eben sonst noch so von Interesse war. Ich hatte nach ihren Ausführungen den Eindruck, die Konversation war etwas einseitig. Lustigerweise hatte meine Bekannte die Internetseite gar nicht angeguckt, sie kam über eine warme Empfehlung vom Fremdenverkehrsbüro drauf. Ich neugierig wie ich bin, gucke mir das Objekt online an und stolpere in der ausschweifenden Einleitung über die frohe Botschaft, dass sich die Vermieterin schon auf die künftigen gemeinsame Ferien mit weiteren Gästen freut, wo man gemeinsam gar wunderbare Wochen an der schönen Ostsee verleben wird. Ich habe diesen Absatz des Ferienwohnungsportraits meiner Bekannten vorgelesen. Sie macht sich nun doch Gedanken.
rosmarin - Mo, 22. Aug, 00:16

OMG!!!! das ist das Grauen pur.
Und eine.also nein: unsere sichtdichte Hecke aus Lebensbäumen hat unsere polnische Nachbarin gerade abgeholzt, weil sie die Grundstücksgrenze falsch einschätzte.
Deutschland privat
*schaudernd*
*es wäre zum lachen, wenn es nicht so blöde wäre*
g a g a - Mo, 22. Aug, 22:29

Die dusslige K Frau Nachbarin holzt mal eben nach Gutdünken die Hecke vom Nachbargrundstück ab? Ich würde gleich dafür sorgen, dass der Schaden mit entsprechend höher gewachsenen Pflanzen behoben wird. Man möchte ja auch etwas davon haben. Das wäre dem nachbarlichen Einvernehmen bestimmt auch zuträglich. Wie hoch war die Hecke vorher? Zwei Meter fünfzig? Drei Meter sollten schon drin sein. Schließlich wäre die Hecke ja inzwischen entsprechend höher!

Trackback URL:
https://gaga.twoday.net/stories/38751617/modTrackback

g a g a
Gaga Nielsen 28. April...
28.04.24, 01:17
g a g a
Zucker 27. April 2024...
27.04.24, 23:22
g a g a
P.P.P.S. gibt zig...
27.04.24, 17:05
g a g a
g a g a
NeonWilderness
g a g a
Zucker 27. April 2024...
27.04.24, 13:54
g a g a
Jon Tinic Ein Setup...
26.04.24, 08:42
g a g a
Christoph M. und? Gaga...
26.04.24, 01:13
g a g a
:-)
26.04.24, 01:02
NeonWilderness
Yay, es muss auf den...
25.04.24, 23:49
g a g a
g a g a
Isabel Bogdan Aber...
24.04.24, 21:55
g a g a
Margarete 24. April...
24.04.24, 19:35
g a g a
Margarete 22. April...
22.04.24, 23:39
g a g a
Margarete 22. April...
22.04.24, 22:18
g a g a
Margarete 22. April...
22.04.24, 20:27
g a g a
MARGARETE 21. APRIL...
22.04.24, 14:27
g a g a
Im Grunde ist Sonne...
22.04.24, 14:19
kid37
Hier entpuppte sich...
22.04.24, 14:06

21.47
a
April
april 2004
april 2005
april 2006
april 2007
april 2008
April 2009
April 2010
April 2011
April 2012
April 2013
April 2014
April 2015
April 2016
... weitere
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren