27. Mai 2022

Der alte Martenstein schreibt sich im nachfolgenden Kapitel seines Werkes "Die neuen Leiden des alten M." seinen Neid auf bildende Künstler von der Seele. Teil der im Internet hängenden Leseprobe, daher gestatte ich mir, das Eingangskapitel "Das Schreiben" in Gänze zu copypasten:

"Ach, Sie sind Maler? Wie interessant. Ich bin gegen die bildende Kunst. Den Kunstbetrieb lehne ich ab. Warum? Hauptsächlich aus Neid. Ich bin Autor, wissen Sie. Ich schreibe Kolumnen, Reportagen, Romane, ich erfinde Geschichten, man könnte wohl sagen, dass ich künstlerisch tätig bin, wenngleich auf einem anderen Feld.

Das Problem dabei ist, dass man sich immer was Neues einfallen lassen muss. Ein gewisser Sound ist natürlich da, ein Autor muss einen Sound haben. Wenn aber jeder Text klingt wie der andere, wendet das Publikum sich ab. Das Publikum verlangt schon ein bisschen Abwechslung.

Die Leute wollen unterhalten werden, oder berührt. Wenn Sie Unterhaltung nicht hinbekommen, können Sie es als Autor mit tiefen Gedanken probieren, gehen Sie halt auf die intellektuelle Schiene. Und wenn Sie auch das nicht hinkriegen, dann tun Sie so, als ob. Werden Sie dunkel, raunen Sie, weichen Sie aus ins Ungefähre. Oft funktioniert das. Wenn die Leute etwas nicht verstehen, dann werden zumindest einige von ihnen denken, es sei groß, was, wie wir beide wissen, nur selten tatsächlich der Fall ist. Die Musik funktioniert übrigens ganz ähnlich wie die Literatur, meiner Erfahrung nach.

In der bildenden Kunst brauchen Sie eine Idee, nur eine. Und das ziehen Sie dann durch, wieder und immer wieder. Sie gießen Tiere in Plastik ein. Oder Autos in Beton. Sie verfremden Schreibmaschinen. Malen Sie einfarbig. Machen Sie Bilder aus lauter Nägeln, aus lauter Punkten, aus Buchstaben, malen Sie mit Blut, kommen Sie, Ihnen wird schon was einfallen. Es muss natürlich neu sein, das, was ich gerade aufgezählt habe, gibt es alles schon. Sie müssen eine Marke werden, wiedererkennbar.

Wenn Sie zu Ihrem Kram eine Theorie haben und reden können, umso besser, aber das muss nicht sein. Wichtig ist, dass Sie als Typ was hermachen. Sie müssen ein Typ sein. Es muss rüberkommen, dass Sie das, was Sie tun, einfach tun müssen, verstehen Sie.

Handwerkliche Fertigkeiten sind nicht erforderlich, Handwerk ist 19. Jahrhundert. Es muss nicht gefallen oder gut gemacht sein, es muss beeindrucken, es muss wirken. Legen Sie ein geschlachtetes Tier in eine Glasbox, stellen Sie den Verwesungsprozess aus, Maden, Fliegen, das gefällt nicht, aber es beeindruckt. Leider gibt es auch das schon.

Wenn Sie Glück haben, kommen Sie mit einer einzigen Idee Ihr ganzes Leben lang über die Runden. Das ist es, worauf ich neidisch bin. Klar, bei uns Autoren wird auch mit Wasser gekocht. Viele schreiben immer wieder das gleiche Buch, ich könnte Namen nennen. Aber das darf bei uns eben nicht zu sehr auffallen. Bei euch ist es ein Vorteil, bei uns ist es ein Nachteil. Wenn ich ein Jahr lang über das gleiche Thema etwa das Gleiche schreibe, immer besser vielleicht sogar, immer perfekter, werfen die mich raus. Wenn Sie zwanzig Jahre lang das Gleiche machen, sind Sie am Ende vielleicht Millionär.

Sie werden lachen: Ich kaufe Kunst. O ja. Ich investiere. Festgeld wirft nichts mehr ab, für Aktien bin ich nicht blöd genug oder nicht schlau genug. Wirtschaftlich glaube ich an die bildende Kunst. Im Herzen bin ich für die Realisten, ich glaube, das habe ich deutlich gemacht. Ich bin Realist, oder Reaktionär, wenn Sie so wollen. Das ist ja fast das Gleiche. Die Neue Leipziger Schule finde ich ganz gut, Neo Rauch und so was, obwohl die natürlich nicht mehr so gut malen können wie die Alte Leipziger Schule, Tübke, Mattheuer und Konsorten, die Alten waren besser, klar. Aber der Wille zählt. Die Jungen probieren es wenigstens.

Das ist alles sehr teuer, leider. Ich kaufe, was ich mir leisten kann, auch wenn ich nicht immer überzeugt bin. Ein Buch würde ich niemals als Geldanlage kaufen, nur aus Neugier, ein Buch ist eine ganz miese Investition. Das ist der Unterschied."

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