22. Mai 2022



Gestern war ich ganz alleine beim Berlin Beat Club! Es war trotzdem schön. Meine Kamera habe ich daheim gelassen, was ich aber schon bald bedauerte. Ich hatte einen Platz an dem langen Tisch rechts von der Bühne, wo schon andere Gäste waren. Es kamen noch drei dazu, zwei reifere Herren, die eine zierliche Frau in ihre Mitte nahmen. Sie gehörte wohl zu dem einen. Der andere Mann, der über Eck quasi fast neben mir saß, hatte den Stuhl zum Tisch gedreht, wie er normalerweise steht. Ich gab ihm den Tipp, er könnte den Stuhl drehen, so dass er Richtung Bühne gucken könnte. Er entgegnete: "Aber dann kann ich Sie ja gar nicht mehr sehen!" Ich deutete Richtung Bühne und erklärte: "DA spielt die Musik!" Er gab zu bedenken: "So schön sind die aber nicht!" Da kam auch schon meine Currywurst, die mir Hans empfohlen hatte. Er saß (wie meistens, wenn er nicht auf der Bühne steht) bevor es losging, im Biergarten, wo ich Hallo sagte. Zur Currywurst trank ich, wie im Rickenbackers immer, ein kleines Jever. Daraus werden dann immer mehrere kleine Jever, die ich irgendwann nicht mehr zähle. Meistens vier bis fünf. Ich könnte mir natürlich auch gleich ein großes Jever bestellen, aber ich trinke lieber aus den kleineren Tulpen. Das große kommt in so dicken, schweren Henkelgläsern, da schmeckt es mir nicht so gut.

Um dazuzukommen, warum ich bedauerte, die Kamera daheim gelassen zu haben: es waren die Gäste. Weibliche Gäste, die zum Teil spektakulär waren, und damit meine ich nicht mich. Hinter unserem Tisch saß eine schlanke Brünette mit schulterlangem Haar, ca. Mitte/Ende Vierzig, ein silbergraues Paillettentop legte ihre herrlich gebräunten, straffen Arme frei. Dazu eine toll sitzende hellgraue Hose mit scharfer Bügelfalte. Schönes Abend-Make up mit stark betonten, dunkel geschminkten Augen, Ein strahlendes Lächeln ließ ihre schönen weißen Zähne sehen. Als sie an mir vorbeiging, machte ich ihr ein Kompliment für ihren Look: "Das ist ein ganz tolles Outfit, ich ärgere mich gerade, dass ich meine Kamera nicht mitgenommen habe!" Sie griff mir ergriffen an den Arm und strahlte: "DANKE!!!!"

Die zweite Dame, die mich fesselte, war eine schätzungsweise 82 - 87-jährige Lady von filigraner Statur mit hennarot gefärbtem, hochgesteckten Haar und einem kirschrot geschminkten Mund, die einen farbenfroh geometrisch gemusterten Glockenrock mit einer dunkelroten Häkelweste kombiniert hatte. Dazu vielerlei Schmuck, über dem Arm eine rote Henkeltasche, rotlackierte Fingernägel und in der rechten Hand stets ein kleines Gläschen, wie eine Schnapstulpe, in der eine klare Flüssigkeit war, von der ich nicht sagen könnte, ob es Wodka oder Leitungswasser war. Sie ließ es nicht aus der Hand und es war mysteriöserweise immer halb gefüllt. Manchmal nippte sie daran. Sie tanzte an allen Tischen vorbei und gab sich den Songs aus den Sechzigern und Siebzigern hin. Bei Jimi Hendrix war sie besonders in ihrem Element und hob beide Arme, um sie im Rhythmus zu wiegen.

Des weiteren gab es jüngeres weibliches Publikum zu begrüßen. Zwei circa 23-jährige junge Frauen standen hinter einem älteren Pärchen, der Mann im Rollstuhl. Ob sie zusammengehörten, kann ich nicht beurteilen. Mir fiel auf, dass die Mädels die ganze Zeit beim Mittanzen im Stehen ihre Gläser in der Hand behielten, obwohl vor ihnen ein Tisch stand, wo noch Platz zum Abstellen gewesen wäre. Da im Rickenbackers überwiegend eine ältere Generation feiert, also bei meiner angefangen, nach oben offen, stellt man traditionell das Glas auf den Tisch, bevor man tanzt. Tanzen heißt ja nicht, auf einer Stelle stehend mit der Fußspitze wippen. Das kostbare Naß möchte man ungern verschütten.

Aber: ich habe gelernt, dass der jüngeren Generation, also sprich den Millenials und wohl auch der in den Dreißigern eingetrichtert wurde, das Getränk niemals aus der Hand zu geben, damit keiner k.o.-Tropfen reinschütten kann. Das war in meiner Jugend natürlich überhaupt kein Thema. Und auch das Rickenbackers-Publikum hätte sicher Probleme zu beantworten, wo es solche k.o.-Tropfen überhaupt zu kaufen gibt. Man fühlt sich dort zu Recht von der Problematik unbehelligt. Da die beiden jungen Frauen nun auf meiner Sichtachse waren und ich auch deswegen immer hingucken musste, weil die eine Blonde im Ringelshirt eine unheimliche Ähnlichkeit mit den beiden jüngeren Töchtern von Keith Richards hatte, sie sah aus wie die heimliche dritte Schwester von Theodora und Alexandra. Als sich die Stimmung bis zum Geht-nicht-mehr steigerte, wir waren inzwischen bei den Top Ten der gestrigen Beat Club-Hitparade, und die Tanzereien ekstatischer wurden, beobachtete ich, wie Theodora-Alexandra die älteren Herrschaften am Tisch vor sich mutig fragte, ob sie ihr Glas abstellen dürfte. Sie durfte. Mit etwas noch zaghaften Bewegungen tanzte sie zum ersten mal in ihrem jungen Leben ohne Getränk in der Hand. Sie probierte ganz neue Armbewegungen aus, das klappte recht gut!

Auch mich hielt es natürlich nicht mehr auf meinem Stuhl, die Currywurst war längst verspeist, Zeit für etwas Bewegung. Unter den Top Ten waren zum Teil kuriose Titel wie "Here Comes The Sun", was ja sehr schön ist, aber nicht so wirklich die Tanznummer erster Kategorie. Auf Platz eins war "Riders On The Storm". Schön als Ausklang. Aber getanzt hab ich bei "Wild Thing" und "Paint it Black" und noch ein paar anderen Nummern und der Zugabe "Gloria". Auch herrlich zum Mitsingen. Mein Kavalier am Tisch ließ es sich bei allen Titeln in denen irgendwas mit "I love you" vorkam, nicht nehmen, mich gestenreich anzusingen, ich sang kräftig mit. Zum Abschied küsste er mir die Hand, ich ließ ihn gewähren, da er so eine nette Bemerkung zu meinem Lächeln gemacht hatte: "Kennst du die Mona Lisa? Die lächelt ja immer. Und Dein Lächeln....!" Ich habe es als Kompliment genommen.

Auch noch bemerkenswert war die Stimmungsänderung bei der eingangs von mir erwähnten Damenbegleitung zwischen den beiden Herren am Tisch. Die kleine dunkelhaarige Frau trank gut gefüllte Gläser mit schätzungsweise Weißwein und schwang auch das Tanzbein. Ihr Tanzstil war so eine Mischung aus verhaltenem Aggressionsabbau und Hingabe. Einmal sah sie begeistert aus, dann wieder wütend. Nach dem dritten sehr großen Glas stierte sie plötzlich schlecht gelaunt vor sich hin und schimpfte in einer Art Selbstgespräch mit dem Rest der Welt. Ich verstand es nicht, die Musik war zum Glück zu laut. Mein Tischkavalier überredete sie dann noch mal zum Tanzen und sie beruhigte sich wohl. Aber es hatte nichts mit mir zu tun, das weiß ich ganz bestimmt. Denn ihr Verehrer saß ja auf der anderen Seite hinter ihr. Ein Nichttänzer. Aber immerhin stand er für ein Selfie mit dem Smartphone zur Verfügung. Bildunterschift "superhappy@Rickenbackers". Oder so.
g a g a - 22. Mai, 14:06

Beine: Gabi Mehlitz!
(Archivfoto vom 4. Mai 2018)

g a g a - 22. Mai, 22:52

Cosima Wald
Sehr gut beobachtet - war schön zu lesen - ein Lächeln von mir zu dir 😀

Wie war eigentlich dein Outfit?


Gaga Nielsen
Schwarze, enganliegende Hose, schwarzes Leibchen, darüber ein figurbetonter Blazer mit einem riesigen Muster, weiße, wild flatternde Schmetterlinge auf schwarzem Untergrund. Und schwarze Boots. Kein Schmuck. (Außer meinem "Mona Lisa"-Lächeln, nicht wahr 🙂 ) Muss mal gucken, ob ich früher schon mal ein Foto von dem Oberteil gemacht habe, habe das gute Stück schon ein paar Jahre!

P.S. Gibt kein Foto davon, hab geguckt. Aber kannst du dir ja vorstellen!


Lutz Lüül Graf-Ulbrich
Ach schön dass du keine Kamera dabei hattest so könnte man Mal einen kleinen Kurzroman genießen und sich das selbst ausmalen danke dafür


Gaga Nielsen
Ich hatte tatsächlich nach der Begegnung mit der Lady im Paillettenoberteil beschlossen, mir die Eindrücke besonders gut einzuprägen, um davon erzählen zu können 🙂


Lutz Lüül Graf-Ulbrich
das merkte man!


Cosima Wald
Ja, kann ich mir gut alles an dir vorstellen - wäre auch mein Stil !
Sehr edel - aber erst auf den 2. Blick!

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