14. August 2015

Gratuliere, lieber Wim Wenders. Schon siebzig Jahre, allerhand. Wie schnell die Zeit vergeht, man dreht sich um, fährt sich gerade noch schwungvoll durchs Haar und schon sind wieder zehn Jahre vorbei. Weder habe ich alle Filme von ihm gesehen, noch habe ich die, die ich gesehen habe, alle verstanden. Manche Bilder sind hängen geblieben. Natürlich aus dem Himmel über Berlin. Neulich kam auf arte "Der amerikanische Freund" mit Bruno Ganz und Dennis Hopper. Ich konnte rein gar nichts damit anfangen. Weder mit den Dialogen noch mit der verworrenen Geschichte, noch den Figuren. Trotz Respekt für die Schauspieler. Hat mir nicht gefallen. Den Himmel über Berlin finde ich stellenweise auch unerträglich pathetisch, dann wieder zu Herzen gehend. Starke Bilder der Stadt. Das wechselt sehr. Ich mochte teilweise das Video, das er mit Frau Minichmayr und diesem Sänger aus Düsseldorf zu dem sehr schönen Song Auflösen gedreht hat. Vor allem, weil ich das Lied mag und man spürt, dass zwischen den beiden echte Energie herrscht. Aber eigentlich gratuliere ich Wim Wenders viel mehr wegen meiner Eindrücke von ihm aus der Nachbarschaft und manchen kurzen Momenten auf roten Teppichen, wo er befragt wird. Wo ich nebenbei noch niemals dabei war, das hört sich jetzt ja fast so an. Auch haben wir uns noch nie unterhalten, aber ich sehe ihn manchmal mit wehendem Haar und sehr jugendlich wirkend, auf dem Fahrrad hier herumradeln, mit ziemlich viel Tempo. Bestimmt nicht wie ein älterer Herr, der das Eintrittsalter in den Ruhestand überschritten hat. Manchmal sitzt er auch da unten, vor meinem Fenster, beim Al Contadino, wo ich mich nie trauen würde, ihn zu fotografieren. Und wenn er einem mal entgegenkommt, passiert nicht dauernd, aber schon mal, dann schaut er sehr wach und aufmerksam. Ich habe den Eindruck, er interessiert sich für die Welt und was ihn umgibt. Keine Arroganz geht von ihm aus, viel mehr eine außerordentlich komplexe Wahrnehmungsfähigkeit. Er ist mir einfach sympathisch und ich freue mich, dass er auch hier wohnt und dabei so gut geschnittene Anzüge trägt und so interessante Brillen, und immer noch die Haare wirft, als wäre er gerade mal dreißig. Das steht ihm gut und er sollte das unbedingt weiter so halten. Und immer schön Fahrrad fahren und dabei freundlich gucken. Ich wünsche gute Gesundheit und noch viele vergnügte Jahre. Vielleicht ergibt es sich ja doch irgendwann einmal, dass wir ein Schwätzchen halten. Mit Löwen verstehe ich mich ja schon immer sehr gut!
kaltmamsell - Sa, 15. Aug, 18:46

Ich freue mich sehr zu lesen, dass Herr Wenders im Alltag so frisch ist! Was mir an seinem Werk besonders positiv auffällt, ist das große Gewicht der Musik; ich habe viele Musik durch einen Wenders-Film entdeckt.

g a g a - Sa, 15. Aug, 19:03

Er wirkt total frisch, als ob er immer was vorhat und in Aufbruchstimmung ist. Ist wahrscheinlich auch einfach so. Und außerdem hat er ja eine Frau in meinem Alter an seiner Seite, da vergisst man wahrscheinlich, dass man eine andere Generation ist. Letztes Jahr im Oktober hätte ich Gelegenheit gehabt, zu einer "Friends & Family"-Vorführung von "Das Salz der Erde" in seiner Anwesenheit im Delphi zu gehen, ich hatte mich schon tagelang darauf gefreut, aber ausgerechnet an dem Tag war ich total erschöpft und lustlos und hatte den ganzen Tag Kopfweh und schlecht war mir dazu und ich konnte mich einfach nicht in eine Verfassung bringen, in der ich das hätte genießen können. Erst Film gucken und dann noch die Gespräche. Ich hätte ja gerne ein bißchen kommunizieren wollen und hätte mich bestimmt irgendwie mit ihm unterhalten. Auch wenn seine Frau immer an ihm dranklebt. Oder er an ihr. Wie auch immer, hat nicht sollen sein. Muss die Nachbarschaft ein andermal gepflegt werden. Bei manchen Leuten habe ich so ein Gefühl, dass ich sie irgendwann kennenlerne, ohne es großartig zu planen. Wenn der Zeitpunkt gekommen ist. Könnte ich mir bei dem guten Wim Wenders auch vorstellen. Kann ich nicht erklären. Die Musik in den Wenders-Filmen hat mich auffallend nicht gestört, soviel ist sicher. Da fält mir ein, es gab auch mal einen Film, der mir sehr gut gefallen hat, der war aber ganz dokumentarisch, sehr persönlich. Nick’s Film – Lightning Over Water. Habe ich großartig in Erinnerung. Über die letzte Lebenszeit des Regisseurs Nicholas Ray. Und die Musik von Paris Texas habe ich natürlich schon in Erinnerung, fällt mir gerade ein. Ry Cooder, ja. Sehr, sehr schön.
kaltmamsell - Sa, 15. Aug, 19:43

In diesem Wenders-Portrait spielt seine Frau eine große Rolle:
http://sz-magazin.sueddeutsche.de/texte/anzeigen/43411/Der-Unverstandene
(Allerdings verstehe ich die Überschrift nicht.)
g a g a - Sa, 15. Aug, 19:46

Ah, danke! Gleich mal lesen.

[edit: gerade gesehen, das ist ja derselbe Artikel, den ich eingangs in meinem Eintrag verlinkt hatte, aber gar nicht richtig gelesen, nur das Intro überflogen! Gut, dass ich noch mal durch den Kommentar animiert wurde, ihn auch komplett und aufmerksam zu lesen!]
g a g a - Sa, 15. Aug, 20:29

Das ist ein schöner Artikel, sehr persönlich. Die Überschrift verstehe ich schon, aber unglücklich gewählt. So eindimensional eingedampft auf diesen für ihn unbefriedigenden Aspekt, dass seine Spielfilme weniger Publikum finden, als seine Dokumentarfilme. MIr geht es da ja offenbar auch wie dem größeren Teil des Publikums. Und dreimal war er schon für den Oscar nominiert, immer für Dokumentarfilme. Buena Vista Social Club, Pina, Salz der Erde. Sind aber auch alle preiswürdig, so weit ich das beurteilen kann. Bei dem letzten Roten Teppich zur Oscar-Verleihung im Frühjahr, als er nominiert war, wurde er mit seiner Frau von Steven Gätjen kurz interviewt, Gätjen hatte Wenders etwas gefragt, wie er sich fühlt, oder ob er diesmal damit rechnet. Er schien noch zu überlegen, da antwortete wie aus der Pistole geschossen seine Frau, als wäre die Frage ihr gestellt worden. Und sie sagte immer "Wir". "Wir sind nominiert". Als wäre Wim Wenders zu 50 Prozent Donata Wenders. Das hat mich etwas befremdet. Aber man merkte auch, dass Wim Wenders das gewohnt war, er lächelte warm und ließ sie plaudern, als sei sie der Star des Red Carpet-Interviews. Ich denke schon, dass man sich gut in seinem Ruhm sonnen kann, so großzügig wie er wirkt und ja auch sein soll, sieht er das offenbar mit den Augen der Liebe. Jedenfalls schön, dass er sein Glück gefunden hat. Wusste gar nicht, dass er schon mehrfach verheiratet war. Liegt wahrscheinlich daran, dass er ein großer Romantiker ist, und immer gleich heiraten muß. So kommt er mir jedenfalls vor. Ich glaube Liz Taylor hat einmal gesagt, sie hatte gar nicht viele Männer, sie hätte nur im Unterschied zu den meisten Frauen die überschaubare Zahl, die sie geliebt hat, aus altmodisch romantischen Gründen immer gleich heiraten müssen.
kaltmamsell - Sa, 15. Aug, 20:37

Auch ich habe lediglich Bruchstücke seines Werks gesehen, aber eigentlich immer sofort den Soundtrack gekauft. Den Pina-Film fand ich sensationell, zum ersten Mal sah ich 3D-Technik als inhärenten Teil eines Kunstwerks. Mit Buena Vista Social hat er im Grunde sogar Musikgeschichte geschrieben, er hat einen Musikstil wiederbelebt, berühmt gemacht.
Es gibt ja viele Künstler und Künstlerinnen, die mit einem Teil ihres Werks Kunstgeschichte schrieben, der ihnen nicht am meisten am Herzen lag. Ich habe mir noch nie Gedanken gemacht, wie das wohl für den Künstler ist.
g a g a - Sa, 15. Aug, 21:10

Ich muss gerade an Helmut Newton denken, dessen heimliche Leidenschaft Landschaftsfotografie war, und den Mond von seiner Terrasse aus zu fotografieren. Aber in diesem Aspekt waren seine Bilder einfach zu beliebig und er wusste das. Jeder kann so ein Landschaftsfoto hinkriegen, die hält ja auch so schön still und die Natur lässt sich nicht in einem Ausmaß subjektiv ablichten, dass es einen sensationellen, kommerziell oder ruhmreich verwertbaren Wiedererkennungswert hätte. Newton war in dieser HInsicht auch überhaupt nicht frustriert, er machte das für sich, aus Sentimentalität und Liebe zum Augenblick. Es ist also schon wohl meistens angemessen, welcher künstlerischen Leistung der Weltruhm zuteil wird. Wenn Wim Wenders aber natürlich das Spielfilmgenre als die Meisterdisziplin betrachtet, innerhalb derer er gerne eine Meisterleistung abliefern will, die auch als solche gewürdigt wird, hat er für die kommenden Jahre immer noch einen ehrgeizigen Plan. Er hat ja auch für Paris, Texas und den Himmel über Berlin viele internationale Preise bekommen, da wäre es wahrscheinlich wieder einmal Zeit nach seinem Empfinden, das ist alles lange her. Gerade dass seine Dokumentationen so eine erzählerische Qualität haben, hebt sie heraus. Eigentlich hat er doch den Dokumentarfilm meisterlich mit der Königsdisziplin verbunden. Dass er immer noch nicht satt und zufrieden ist, lässt ihn aber auch so jung wirken. Da will jemand noch etwas von der Welt. Das ist das Geheimnis. Ich sehe ihn vor meinem geistigen Auge schon wieder durch die Haare fahren und sie nach hinten werfen. So eine ganz bestimmte Geste, die sich wiederholt und obwohl auch eitel, auf eine impulsive Art sehr anmutig wirkt. Übrigens ist er meistens alleine mit dem Fahrrad unterwegs und auch in dem einen oder anderen Lokal, da ist seine Frau nicht ständig daneben. Sie hat auch ihre eigenen Projekte. Ich hab sie erst einmal zu zweit hier herumlaufen sehen. Sie sehen sich ja wahrscheinlich eh dauernd in ihrem Penthouse. Sehr spezielles Objekt. Tägliches Schwimmen hält natürlich auch überaus fit. Hier erzählt Wim Wenders über seine Lieblingsstädte und warum er in Berlin lebt. (Der achtzehn Meter lange Swimmingpool auf der Dachterrasse bleibt allerdings unerwähnt. Man weiß auch gar nicht, ob er den für sich alleine hat. Vicky Leandros wohnt auch in dem Haus, da wird man sich vielleicht arrangieren müssen. Das macht es dann wieder nicht so attraktiv. Bei mir guckt dafür keiner.)
g a g a - Sa, 15. Aug, 23:42

Schöner Ausschnitt aus einer Gesprächsrunde vor sechs Wochen mit Jim Rakete, Peter Lindbergh und Wim Wenders über die besondere Bedeutung des Vertrauens beim Fotografieren.

g a g a - So, 16. Aug, 00:47

Auch interessant zu sehen, wie Wim Wenders mit seiner Stiftung seit 2012 aufwändige Vorkehrungen trifft, dass seine alten, analog entstandenen Filme für das digitale Zeitalter und nachkommende Generationen verfügbar sind.

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