16. August 2020

Aus meinem goldenen Notizbuch XXXIX. 13. August 2020

„S-Bahn Richtung Zoo, Mann mit Armprothese. Gute Körperspannung. Attraktiv."

Ich saß in einer Entfernung von ca. fünf Metern, schräg gegenüber eines Fahrgastes, der am Hauptbahnhof zugestiegen war und sich schwungvoll hingesetzt hatte. Alter etwa zwischen Anfang und Mitte Vierzig. Kurzhaarschnitt, dunkelhaarig, ganz leicht ergraut, schwarzer Mund-Nasen-Schutz. Athletisch, sportlich durchtrainiert wirkender Körper. Elegant knappe, gezielte Bewegungsabläufe. Er trug eine blauschwarze Baumwollhose, gut geschnitten, keine Jeans, ein hellblaues, unfassbar perfekt sitzendes Hemd, das die durchtrainierten Schultern und die Brustmuskulatur zur Geltung brachte, die Ärmel vollendet hochgekrempelt. Gute Halbschuhe aus feinem Leder.

Auf den Knien hielt er einen hochwertig wirkenden, ledernen Aktenkoffer, cognacbraun. Er stellte den Koffer senkrecht, um ihn zu öffnen. Er hielt ihn mit der linken Hand und öffnete ihn mit der rechten. Ganz flüssige, geschmeidige Bewegungsabläufe.

Dann erst fiel mir auf, dass die linke Hand, die den Koffer hielt, aus einem hellen, weißgrauen Kunststoff war, leicht transparent, wie Milchglas, schlanke Finger, wie an der rechten Hand. Der Unterarm hatte eine andere Farbe, er war aus schwarzem Kunststoff. Ich konnte nicht sehen, ob der Kunststoffarm in den Oberarm überging, vielleicht war er an der Stelle vom Ellbogengelenk angebracht, wo der hochgeschlagene Hemdsärmel aufhörte.

Ich war sehr fasziniert von der Erkenntnis, dass an dem Anblick nichts unangenehm war. Die Armprothese, die auch noch farblich wie abgestimmt auf seine Kleidung erschien (oder die Kleidung auf die Prothese), nahm ihm nichts von seiner Attraktivität. An der rechten Hand, die seine eigene war, steckte ein Ehering. Das Gesicht konnte ich nicht sehen, aber der Schwung der Augenbrauen und der konzentrierte Blick ließ Attraktivität und Intelligenz vermuten.

Mir wurde klar, dass nicht die perfekte Vollständigkeit von Gliedmaßen einen Körper anziehend macht, sondern die Dynamik des Bewegungsablaufes, die Körperspannung. Vielleicht hat er den Arm bei einem Sportunfall verloren. Er wirkte eher wie ein geistiger Arbeiter, der gerne Sport treibt, nicht wie ein Handwerker. Ich glaube, das Wort Invalide ist in unserer Zeit - zum Glück - nicht mehr gebräuchlich. Als "ungültig" bewertet zu werden, weil einzelne Körperteile nicht vorhanden sind, ist unangemessen. Dieser Mann war nicht nur eine gültige, sondern eine mustergültige Erscheinung und eine bemerkenswert attraktive dazu.

14. August 2020

Gestern Vormittag vorgehabt, eine interessante Wahrnehmung in der S-Bahn hier festzuhalten, dann verlief der Tag etwas anders als erwartet. Ich bekam einen Anruf vom Eigentümer meines Ateliers, dass am Tag davor eine Notöffnung durch die Polizei und Feuerwehr veranlasst wurde, weil die Nachbarin unter mir einen Wasserschaden von oben bemerkte. Ich war zwei Tage nicht dort und für die Nachbarin nicht kontaktierbar. Hätte ja auch sein können, dass ich tot hinter der Tür liege.

Der Eigentümer erklärte, dass das Wasser abgedreht und ein neues Schloss eingebaut wurde, und ich nun zur Polizeiwache müsste, um die Schlüssel zu bekommen, mit Mietvertrag und Personalausweis. Alsdann sollte ich Kontakt zum Installateur aufnehmen, der den "geplatzten Panzerschlauch" austauschen soll und auch die sonstige Installation prüfen. Puh. Mit viel Beharrungsvermögen habe ich den Klempner telefonisch dazu gebracht, sich mit mir um 17 Uhr beim Objekt zu treffen, da hätte er gerne schon Feierabend gemacht.

So war ich nun gestern Nachmittag auf der Polizeiwache Abschnitt 55 in der Rollbergstr., ging alles reibungslos über die Bühne. Der Polizist begutachtete den Mietvertrag mit der sehr akzentuierten (schwer leserlichen) Handschrift meines Vermieters und hatte dann sichtbar keine Lust, die Eintragungen wissenschaftlich zu analysieren und gab mir die Schlüssel. Ganz altmodische Polizeiwache, dass keine mechanischen Schreibmaschinen auf den Siebziger Jahre-Schreibtischen standen, war fast ein wenig schade. Es gab schon Computer, sogar Flachbildschirme. War ich da also auch einmal.

Dann etwas bang vor der Tür meiner Werkstatt, was würde mich erwarten? Ein Durcheinander wie nach einem Einbruch, umgeworfene Bilder, eine Pfütze auf dem Boden? Nichts da. Sie waren sehr umsichtig, die Feuerwehrleute und hatten zwei Zettel hinterlassen. Dann kam der Klempner und hat den Schlauch gewechselt und alles war wieder ok. Also Glück im Unglück. Bei dem Wort "Notöffnung" zuckt man schon zusammen.

Die interessante S-Bahn-Beobachtung erzähle ich später noch.

12. August 2020



Guten Abend.
Mein Name ist Kafka. Franz Kafka. Und ich möchte hier etwas richtig stellen. Ich bin ja nun schon eine Weile tot, aber von hier oben sieht man eine ganze Menge. Zum Beispiel, dass Postkarten im Umlauf sind, auf denen ein mir zugeschriebenes Zitat gedruckt ist. Dieses durchaus interessante Zitat, das da heißt "Wege entstehen dadurch, dass man sie geht." ist nicht von mir. Sie haben ja alle Internet (auch das kann ich von hier oben genau sehen) und somit können Sie gerne hier und dort nachlesen, was es mit diesem Zitat auf sich hat.

Belegt ist, dass mein Kollege Antonio Machado auf Spanisch sinngemäß so etwas geschrieben hat, was aber nicht bedeutet, dass ihm die Autorenschaft gebührt, da gut informierte Kreise berichten, dass es sich um ein geflügeltes Wort handelt, dessen Erfinder keiner mehr finden wird. Das ist genauso aussichtslos wie eruieren zu wollen, in welchem Schusterhandwerksbetrieb zum ersten mal "Schuster, bleib bei deinen Leisten!" verlangt wurde. Wissen Sie, wenn man tot ist, so wie ich, hat man über solche Dinge einen besseren Überblick. Nicht dass mir das Zitat unangenehm wäre, es geht mir nur um die Ordnung. Lassen Sie sich gerne davon inspirieren, man kann es ja als Aufforderung verstehen, auch einfach mal was anzupacken und nicht immer nur darauf zu warten, dass es andere schon in die Wege leiten werden. Vielen Dank für die Zusendung der Postkarte, leider ist nicht erkennbar, wer hier so schwungvoll seine Grüße entbietet, aber ich soll von Frau Nielsen bestellen, dass sie sich darüber gefreut hat.

Einen angenehmen Abend wünscht
Franz Kafka





















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