27. November 2010

Zurück zum Bahnhof. Zurück nach Berlin. Beim Verlassen des Dorfes fällt mir dieses seltsame sechseckige, mannshohe steinerne Bauwerk auf. Mit schmalen Löchern wie Schießscharten. Gerade, dass man durchgucken kann. Ich sehe aber keinen Eingang. Ich komme nicht dahinter, was es für einen Zweck haben kann. Oder vielmehr hatte. Am Ehesten denke ich an einen Unterstand für einen Wachmann, aber warum diese seltsame Bauweise. Zuhause lese ich im Internet in einem Bericht über das Olympische Dorf das Wort Einmann-Bunker. Ein Einmann-Bunker für einen Wachmann? Oder für jemanden der es bei Fliegeralarm nicht bis zum großen Bunker schaffen konnte? Sicher gibt es auch irgendwo in der Nähe einen großen Luftschutzbunker. Ich will nicht weiter darüber nachdenken. Derselbe Weg zurück zum Bahnhof von Elstal ist schöner als hinwärts, weil das Licht jetzt ganz weich auf die Blätter fällt, die schon ein bißchen anfangen, sich zu verfärben. Grün zu gelb. Gelb zu Orange. Orange zu Rot. Das erste mal im Jahr sehe ich Herbst. Neben einem Strauch liegen Mirabellen im Laub. Ich hebe eine auf, stecke sie in die Tasche.



Ein alleinstehender Baum auf einer weiten Ebene. Er ist zu weit entfernt um zu erkennen, was für einer es ist. Nah beim Bahnhof ein kleines Wäldchen junger Essigbäume vor einem verfallenden Haus. Alte ausrangierte Gleise liegen herum. Eine rostige Tonne, leere Flaschen. Ein seltsamer Findling mit altem Moos. Drei Jungs, die nichts genaues vorhaben, streunen herum. Sonst ist es einsam vor dem Bahnhof. Da ist er wieder, der Turm, den man immer wieder sieht. Der Wasserturm von Elstal, 1920 erbaut, lese ich später. Am Bahnsteig gibt es zwei Fahrtrichtungen. Auf der rechten Seite steht auf einem Schild Richtung Berlin. Auf der anderen Seite ist kein Schild, es gibt kein Pendant, vermutlich weil zu viele verschiedene Zielorte in Frage kämen. Da braucht man gar nicht erst anfangen. Oben auf der Eisenbrücke über den Gleisen wartet ein älterer Mann auf den Sonnenuntergang. Älter ist immer eine Generation älter als man selber. Seine Kamera hat ein großes Objektiv. Später sehe ich noch zwei Fahrradfahrer mit ihren Rädern, da oben im Gegenlicht. Es ist noch viel Zeit, bis wieder ein Zug nach Berlin kommt. Die Batterien der Kamera geben nur noch wenige Bilder her. Dann geht sie einfach aus. Ich habe auch ein Buch dabei zum Lesen, vielleicht Dorfpunks von Rocko Schamoni. Die einzige Bank liegt schon im Schatten, die Sonne geht an einer anderen Stelle unter. Ich finde einen letzten Sonnenfleck und setzte mich auf den asphaltierten Bahnsteig. Mein langer Ledermantel hält das schon aus. Die Nasenspitze wird wieder ein bißchen wärmer. Gut, dass ich Handschuhe dabei habe, die kann man schon vertragen, Anfang Oktober, am Abend. Die Mirabelle ist noch nicht reif. Ganz sauer. Der Mann mit der Kamera kommt die Gittertreppe von der Brücke herunter auf den Bahnsteig. Wenig später eine Mutter mit ihrem kleinen Jungen. Zeichen, dass bald ein Zug kommt. Die Mutter lässt den Gummidinosaurier des Kindes sprechen und zubeißen. Der Kleine lacht glucksend. Ich denke ein bißchen traurig daran, wie selten man sieht, dass Eltern ein Kind nicht nur bewachen und anleiten, sondern mit ihm spielen. Albernes Zeug, aus Spaß an der Freud. Ohne Lernziel. Wie die beiden. Da kommt der Zug. Ich freue mich, dass er am Alexanderplatz hält, da muss ich nicht umsteigen, kann gleich in meine U8 zur Weinmeisterstraße fallen. Auf der Rolltreppe nach unten zur U-Bahn fällt mir plötzlich ein, dass heute ein Feiertag war. Der 3. Oktober. Und dass ich ihn würdevoll begangen habe, obwohl das nicht die Absicht war. Bahnhof Weinmeisterstraße. Ausgang Gipsstraße. An den blauen Kacheln vorbei, die windige Treppe nach oben. Warten an der Ampel. Gleich bin ich zuhause.


Elstal X Departure

26. November 2010

Lu hat eine schöne Idee.

25. November 2010

Schwer zu sagen, wie lange ich keine Sporthalle betreten habe. Fitness-Studios kenne ich nur von außen, obwohl ich den gewaltigen Muskel-Aufbau-Geräten, die es dort geben soll, Sympathie entgegenbringe. Der letzte Sportunterricht meines Lebens fand vor ungefähr dreissig Jahren statt. Leibesertüchtigung unter Aufsicht zählte zu meinen absoluten Hassfächern. Beim Kopfstand rutschten die Arme weg und mir wurde schwarz vor Augen, ich wurde halb ohnmächtig. Ich hatte keinen Bock auf Bockspringen und Reckübungen. Ich hasste Geräteturnen. Ich hasste Ballspiele, bei denen es vor allem darum zu gehen schien, sich gegenseitig zu bombardieren oder jemandem den Ball abzujagen. So kam es mir vor. Handball war Krieg. Wurde man schmerzhaft vom Ball getroffen, wurde schadenfroh wiehernd gelacht. Aber Tischtennis und Federballspielen gefiel mir. Und Schwimmen. Und Radfahren. Und Wandern. Und Tanzen. Aber diese Bewegungsmöglichkeiten waren leider nicht im Unterrichtsplan vertreten. Wobei es gut sein kann, dass mir die didaktische Aufbereitung dieser Sportarten, die Freude daran verleidet hätte. Manchmal habe ich Lust durch ein Stück Wald zu rennen. Aber nicht als Dauerlauf, nur ein kleines Stückchen aus Übermut. Man muss die Gelenke auch schonen.



Der Geruch der Turnmatten ist mir noch diffus in Erinnerung. Die graublauen Matten rochen immer komisch, so ähnlich wie Gummireifen. Und die lederbespannten Geräte. Und der Kraut- und Rüben-Schweißgeruch halbwüchsiger Mädchen in Lycra-Trikots. Leider unvergesslich, das gemeinschaftliche Zwangsduschen, das mir immer peinlich war. Das Vergleichen von Schamhaarwuchs und Körbchengröße. Die Bemerkungen. Ich hasste es. Wenn ich daran denke, hasse ich es wieder. Nichts auf der Welt könnte mich jemals wieder dazu bringen, mich gemeinsam mit anderen in einem Gruppenduschraum zu duschen. Nicht für Geld und gute Worte. Zu intim. Die Monatsblutung war als Ausrede willkommen, wenn der Sportunterricht anstand. Man durfte am Rand der Halle sitzen und zuschauen, musste sich nicht verbiegen oder verbiegen lassen. Nach keiner Stoppuhr herumtrampeln. Und auch das Duschen fiel dann weg. Bundesjugendspiele. Weitspringen, Hochspringen. Wettrennen. Alles furchtbar. Ich mochte die ganze Atmosphäre nicht, dieses Gedrillte, das Zackige, die kratzigen Turnhosen, die ganze kratzige Unpoesie. Alles.

Ich war weit weg. Vielleicht bei dem Buch, das ich gerade las und lieber weitergelesen hätte. Oder bei dem Jungen, in den ich heimlich verliebt war und der es nie erfahren würde, auf keinen Fall von mir. Ich weilte auf meiner Schäfchenwolke ohne Trillerpfeife. Meine Angst vor dem Geräteturnen. Ich hatte Furcht mich zu stoßen, zu stolpern, abzurutschen, hinzufallen, hängenzubleiben, mich zu blamieren. Die Böcke, Kästen und Stangen waren potenzielle Gefahrenträger. Innere und äußere Gefahr. Ich wurde auch gerne verlacht. Weil ich nicht daran glaubte, dass ich irgendetwas in dieser Hinsicht gut könnte und so kam es. Jedesmal. Ich hatte Schweißausbrüche vor Angst, wenn ich dran war. Ich war das einzige Schulkind, das jemals eine fünf oder sechs in Sport im Zeugnis hatte. Inzwischen weiß ich, dass ich nicht gut an die Sache herangeführt wurde. Ich sperre mich gegen Appelle, Befehle, Imperativ. Darauf reagiere ich hochallergisch, da ist sofort der Ofen aus. Auch heute noch. Wer sich herausnimmt, mit mir im Imperativ zu reden, lernt ganz schnell, dass das nur einmal passiert. Da geht ein Messer auf.

Ich will ins Licht rücken, warum Turnhallen und ich nicht die dicksten Freunde sind. Man sollte aufgrund dieser umfangreichen Bildstrecken nicht denken, ich würde mich besonders für Olympia interessieren. Spannend, ja aufregend fand ich das Entfachen der olympischen Flamme, die vielen Völker bei den Eröffnungsfeierlichkeiten zu sehen, wie sie stolz die bunten Fahnen ihres Landes trugen und dabei strahlten. In solchen Momenten kriege ich feuchte Augen. Und auch die Rührung bei den Siegerehrungen. Die Nationalhymnen zu hören, die Überwältigung der Athleten, die Tränen. Den Jubel der Menschen. Die Freundschaft der Völker. Zwischen diesen rituellen Eckpfeilern hätten auch ganz andere Dinge stattfinden können. Zum Beispiel eine Bäcker- oder Blumen-Olympiade. Wegen mir hätte keiner rennen müssen. Inzwischen bringe ich Sportlern mehr Respekt entgegen. Ich finde es gesund, wenn jemand sehr frühzeitig sportliche Bewegung in sein Leben integriert, es selbstverständlich und bis ins hohe Alter praktiziert. Das ist absolut empfehlenswert. Ich gehe gerne, ich mag rumlaufen, auch lange Wege. Besonders wenn das Wetter mild ist. Das liebe ich. Trainierte Körper sehen einfach besser aus. Unvergleichlich. Ich finde Männer sollen ruhig mit Hanteln herumspielen und alles mögliche machen, Fußball spielen, ins Sportstudio gehen. Frauen natürlich auch. Zu meiner Überraschung war ich gerne in der Sporthalle in Elstal, trotz meiner traumatischen Biographie. Die Turnhallen meiner Kindheit und Jugend waren fensterlos.

Die Sporthalle in Elstal gewährt einen weiten Blick ins Grüne. Vielleicht war das auch die Möglichkeit, Frieden mit dieser Sache zu schließen. Ich habe das einst Nazi-infiltrierte Sportlerdorf mit ungehorsamen Geist aufgeladen. Wer jetzt nach Elstal und dem Olympischen Dorf sucht, stolpert über meine unsportlichen Berichte. Das gefällt mir. Man muss die Dinge für seine Zwecke vereinnahmen. Sie war mein letztes Erlebnis, die Sporthalle im Olympischen Dorf von 1936. Zu Beginn fiel sie mir gar nicht auf. Sie steht rechts vom Eingang. Eigentlich wollte ich schon gehen, aber da sah ich plötzlich diese Halle, die von der breiten Seite ein bißchen nach Mies van der Rohe aussieht. Von der schmalen Seite des Eingangs wirkt sie eher wie eine elegantere Scheune. Der schöne Holzboden gefiel mir. Und das alte Pferd war gleich mein Freund. Dieses zerschlissene alte Ding. Das zerrissene, fein genähte Leder, die gepolsterten Schichten darunter. Wie ein verletztes rotes Tier stand es da. Eine kleine Galerie von Plakaten vergangener Spiele aus aller Welt. Eine Vitrine mit Programmheften, alten Fotos, einer "Illustrirten", einem im olympischen Dorf abgestempelten Brief an eine Adresse in Brooklyn, N.Y. Seltsame Rührung. Und die olympischen Ringe. Ich habe so gut wie alles gesehen, was man ohne Gruppenführung sehen konnte. Vielleicht fahre ich eines schönen Tages wieder nach Elstal und finde dann die aufgebaute Bastion vor, und den Waldsee, und im Hindenburghaus kann man ein- und ausgehen und alte Olympia-Filme gucken. Im Speisehaus der Nationen gibt es dann Spezialitäten aus 43 Ländern. Und Russischen Kaffee. Und draußen nur Kännchen.


Elstal IX Sporthalle

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