06. Oktober 2010

Ich war nicht in Jesse Owens Sportlerunterkunft, der einzigen, die seit 1936 wieder in einen bewohnbaren Zustand versetzt wurde. Ich sah nur durch die Scheibe, da ich mich keiner Gruppe anschloss. Das Hindenburghaus, die Schwimmhalle und auch den Speisesaal der Nationen kann man nur von innen sehen, wenn man eine Gruppenführung mitmacht. Nicht nur, dass ich den Zeitpunkt versäumte, ich wusste ihn gar nicht. Er war mir auch egal. Ich leide in Gruppenveranstaltungen ohnehin gerne unter Zeitkorsetten und geplanten Wegen. Aber ich sah auch ohne diese Innenaussichten so viel. Immerhin war ich in jener erwähnten vermoderten Gruselkammer und am Ende auch in der Turnhalle.

Da saß ich also nach vier oder fünf Stunden des Umhertreibens in der Nachmittagssonne auf einer gekalkten Steinbank im inneren Hof des verlassenen Nationen-Restaurants. Ich warf amüsierte Blicke auf meinen Proviant, der ausschaute wie hindrapiert. Jeder würde das denken. Das hab ich schon mal erzählt, dass einige denken, ich drapiere, lege zurecht, bevor ich fotografiere. Es stimmt höchstens insofern, dass ich nicht anders kann, als Dinge dem Auge nicht missfallend abzulegen und es gar nicht mehr bemerke. Insofern drapiere ich vermutlich mein ganzes Leben und komme nicht auf die Idee, es so zu nennen. Und mich mittenhinein. Mit oder ohne Kamera. Das könnte im Übrigen jeder. Es kostet ja nichts, außer Aufmerksamkeit beim ersten Handgriff.

Ich habe mittlerweile zirka dreihundert Bilder der Strecke weggeworfen und währenddessen gedacht, interessant, wenn die Bilder, die man löscht, gut sind. Absolut gesehen. Nur nicht besser im Vergleich mit einem ähnlichen davor oder danach. Aber wozu ziemlich gute Bilder aufbewahren, wenn eines davor oder danach dasselbe Motiv besser zeigt. Da war ein anderer Fotograf. Er grüßte mich mit einem freundlich zurückhaltenden Hallo und nickte mir zu, mit diesem gewissen vorsichtigen Respekt im Blick, der fragt "Ist es gestattet, dass ich in den Kreis ein wenig eindringe?" Ihn interessierte zurecht die Perspektive in meiner Nähe. Ich nahm ihm die Scheu, indem ich ihn auf einen Bogen hinwies, dessen Besonderheit man nur von meiner Warte erkennen konnte. Er kam näher "Ja, tatsächlich, interessant".

Ich konnte an seiner Art zu sprechen hören, dass er aus dem Norden kommt. Ziemlich nah bei Hamburg, vermutete ich. Aber hier in Berlin lebend. Wir sprachen über das Licht. Wie gut es an diesem Tag sei. Gestern nicht, aber heute, ganz besonders sogar. Und diese Sache mit den Gruppenführungen. Er erwähnte, er hätte die Gruppe gesehen und das Tempo, in dem sie von einem Punkt zum nächsten geführt wird. Das sei nichts für ihn. Da wäre überhaupt keine Zeit, irgendetwas in Ruhe zu fotografieren. Ich musste grinsen. Er meinte, es sei sicher nicht das letzte mal, dass er hier wäre, man müsste sich vielleicht einfach als Gruppe anmelden, ein paar Leute, die einfach nur in Ruhe fotografieren wollen. Ich nickte halb zustimmend, aber wusste nach kurzem Überlegen, dass ich ebenso wenig Lust hätte, in einer Gruppe mit aller Zeit der Welt, verabredet zu fotografieren. Aber man muss nicht jeden Hintergedanken ausbreiten. Er verabschiedete sich sehr freundlich lächelnd.

Ich blieb noch ein Weilchen auf meiner Bank, blinzelte zufrieden in die Nachmittagssonne. Von Weitem sah ich die erwähnte Gruppe in die Ellipse, das innere Auge des mittlerweile halbschattigen Hofes treten. Sie kam aus dem Speisehaus. Ich stand auf und näherte mich, einen anderen Bogen der Deckenkonstruktion im Fokus. Noch mit halbem Ohr nahm ich wahr, dass ich dem unfreiwillig schnarrenden Ton des Führers nicht gerne zuhören mochte, geschweige denn folgen. Ich hatte also nicht viel versäumt und ging zielstrebig Richtung Ausgang, an der Gruppe vorbei. Einen kurzen Moment fühlte ich die unterbrochene Aufmerksamkeit für den Vortrag und spürte meine kleine große Freiheit.

Jesse Owens taucht oft auf, dort im olympischen Dorf. Auf Bildern. Was für ein sympathisches, warmherziges Lachen. Ich stelle mir vor, wie er in diesem verrückten Spiel für große Kinder gesprintet ist und dabei gelacht hat. Er war der erfolgreichste Sportler 1936. Und der strahlendste. Für mich der Schönste.


Nielsen Owens

Innerhalb dieser Zeilen versteckt sich kein Link zur Fotostrecke, nur das eine Bild da oben. Die anderen wollen noch ein bißchen bei mir zuhause bleiben. Ich finde, ich sollte mir jetzt auch noch einmal in Ruhe das Olympiastadion ansehen. Ich kenne es nur von Konzerten. Eigentlich fällt mir gerade sogar nur ein einziges Konzert Anfang der Neunziger ein, bei dem ich es von innen sah, ein Stones-Konzert. Sonst bin ich wohl nur sehr oft daran vorbei gelaufen, auf dem Weg zur Waldbühne. Es verlassen zu sehen, wenn nichts stattfindet, ist bestimmt sehr interessant. Vielleicht morgen.

03. Oktober 2010

Ich war heute in Olympia-Elstal. Bevor ich losging, ließ ich Leni Riefenstahls Final Diving Sequence aus ihrem Olympia-Film laufen. Aber die Musik war mir unerträglich. Ich machte den Ton weg und ließ querbeet Musik von meiner Festplatte dazu laufen. Ich war ziemlich beeindruckt von der Wirkung. Die Turmspringer im Himmel. Besonders ab Minute 1:12. Ich klickte ungefähr sieben oder achtmal auf replay und hörte immer andere Musik dazu. Alles passte. Alles grandios. Ich hatte noch nie den Impuls, Filmbilder von jemand anderem sequenzenweise zu verwenden. Heute ja, als ich diese Turmspringer wieder und wieder sah. Und das asiatische Mädchen im Zuschauerrang.



Bei schönstem Sonnenlicht mit einem Regionalzug Richtung Rathenow vom Alex nach Elstal. Ich kam mit beinah soviel Bildern zurück, wie ich sonst von zweiwöchigen Reisen hochlade. Fast Tausend. Ich muss die erstmal drehen und aussortieren. Sicher hat noch nie jemand so viele Bilder bei einem einzigen Besuch im olympischen Dorf gemacht. Großartige Augenblicke. Das Licht war so weich und klar und satt. Ein echter Spätsommertag. Noch kein Herbsttag. Herbst fühlt sich anders an. Tiefblauer Himmel. Arizona-Indigo. Starke, eigenwillige Kiefern. Sympathische, unprätentiöse Architektur bei den Sportlerunterkünften. Wunderbare Natursteine auf den Terrassen. Bei einer Unterkunft stand die Tür offen, ich trat näher, ging hinein. Ich erblickte einen Raum mit den unfassbarsten, unbeschreiblichsten Zeichen des Verfalls. Ich dachte, ich träume. Von der Decke hing eine bizarres Gebilde aus weißfaserigem Hausschwamm und Spinnweben, so dicht und haarig, wie ein verrottendes Tierfell. So etwas kennt man nur aus verrückten Traumsequenzen oder David Lynch-Filmen. Ich hab das Gefühl, ich war eine Woche weg. Man muss das ganz oft machen, solche Ausflüge in die nähere Umgebung. Elstal ist nicht weit weg von Berlin. Das war ein wirklich großer Ausflug, diese kleine Reise. Aber Reisen war immer schon mein Glück. Ob nah oder fern. Wenn ich unterwegs bin, fühle ich mich zuhause, am richtigen Ort. Wenn die Landschaft am Zugfenster vorbeifliegt und mir unbekannte Baumwipfel zuwinken.

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