Es folgt ein langer Eintrag. Was man in dem
Video von der Lesung, das ich gestern gepostet habe, nicht sieht, ist was vor und nach der Lesung passiert ist (für ungeduldige Leser: am Pikantesten sind die letzten beiden Absätze). Ich führe nachfolgend u. a. aus, wie es dazu kam, dass ich Lydia auf der Bühne begleitete und wie sich das Ende des Tages im "Schmutzigen Hobby" gestaltete.
Lydia und ich sind sehr gut befreundet und einige Sätze aus diesem Theaterstück wurden schon einmal bei einer privaten Lesung im Frühjahr 2018 vorgetragen. Damals hatte die Rolle von Frau 2 Irina Rosanowski gelesen, eine gemeinsame gute Freundin, die im Oktober 2018 mit nur 37 Jahren an einer gemeinen Krankheit starb.
Lydia hatte der Lesung im Lettrétage schon vor Monaten zugesagt und wählte wohl erst später den Text aus. Eigentlich könnten noch mehr Stimmen die Rollen lesen, aber das erfordert noch mehr Abstimmung und Übung als zu zweit. Sie fragte mich spontan, ob ich es mir vorstellen könnte, mit ihr gemeinsam aufzutreten, gar nicht so lange her, erst Anfang September, und ich sagte gut gelaunt zu. Ich habe nur Hemmungen auswendig Gelerntes auf einer Bühne zu präsentieren, wenn ich ablesen darf, kenne ich keine Grenzen. Also kaum. Ich war schon als Kind eine Leseratte und muss auch nicht zwanzig mal überlegen, wie ich etwas betone. Wir trafen uns auch nur zweimal zum Proben, es wurde einiges zusammengestrichen, ich machte Lydia teilweise verrückt mit meinen Einlassungen, welche Sätze mir befremdlich seien. Total unprofessionell, da Lydia aus meiner Sicht die Regisseurin der Sache war, schon klar, aber immer im Interesse der Performance gedacht. Ich kann halt den Kopf nicht abschalten und bin eine schlechte Erfüllungsgehilfin, wenn ich nicht hinter der Sache stehen kann. Nun konnte ich aber dahinterstehen und freute mich. Die Sache mit den hochgehaltenen Schildern fußt auf dem Zitatrecht. Lydia hat im Stück Zitate von Heiner Müller und dem Philosphen Marcus Steinweg eingestreut. Mir erschien es holprig, vorlesend dauernd Fußnoten mit Urheberverweis zu machen, die genaue Herkunft lässig unter den Tisch fallen zu lassen, fand ich aber auch nicht die feine Art. Da kam mir die Idee mit den hochgehaltenen Schildern, einer Kenntlichmachung ohne den Lesefluss zu unterbrechen. Somit konnte keiner unterstellen, dass sich die Autorin mit fremden Federn schmückt.
Am Abend der Lesung hatte ich vorher einen wichtigen Termin, der unverschiebbar war. Ich eilte mit fliegenden Fahnen von der Besprechung nach Hause, bastelte noch fünf weitere Schilder (u. a. die Pippi-Herzchen) und rannte zum Taxistand in der Rosenthaler Str., wo ich, seit ich denken kann, noch nie länger als eine Minute auf ein Taxi warten musste. Aber es war wie verhext. Es war Freitag gegen 18:30 nach der großen Klima-Demo und ich wartete zehn Minuten, bis ich entschied, die Straßenseite zu wechseln, weil alle Taxis, die frei waren, in genau die andere Richtung unterwegs waren. Normalerweise schafft man es bei flüssigem Verkehr in fünfzehn Minuten zum Mehringdamm, wo die Lettrétage ist. Aber durch die vielen Absperrungen wichen ganz viele Autofahrer auf dieselbe Route am Tempelhofer Ufer aus, die wir auch nahmen. Stockender Verkehr, zähflüssig wäre übertrieben. Man stand fast nur. Eine unendlich lange dreiviertel Stunde Stop and Go. Ich hatte zum Glück darum gebeten, dass wir als Letzte lesen und mich für worst case 20 Uhr angekündigt.
Ich war dann kurz nach Halbacht in Kreuzberg, fast eine Stunde von Mitte nach Kreuzberg unterwegs! Ich eilte möglichst diskret durch den hinteren Zuschauerbereich, es wurde schon gelesen. Aus dem Augenwinkel sah ich Jenny und Fabian und hoffte, dass noch andere Freundinnen gekommen waren. War zu meinem Bedauern nicht der Fall. Es war recht gut besucht, keine leeren Reihen. In einem Hinterzimmer zog ich mir die Jacke aus und holte die Schilder und das Skript raus, winkte Lydia nach hinten und wir stimmten und kurz ab. Dann ging es auch schon los.
Gerne hätte ich danach in dem schönen Restaurant
Schmelzwerk in den nahen Sarottihöfen gegessen, aber es stellte sich heraus, dass man die Räume nur privat anmieten kann, mit allem Drum und Dran. Dafür haben wir an einer der Wände im Innenhof einen riesigen Sarottimohr bewundern können.
Wir landeten in einem nahen italienischen Ristorante und ich teilte mir mit Lydias Freundin eine vegetarische Pizza, die sehr gut war. Ich hätte aber auch eine ganze verdrücken können. Habe mir dann noch ein kleines Törtchen als Nachtisch bestellt, sehr liebevoll präsentiert. Sah tausendmal besser aus als der Nachtisch neulich in der bejubelten französischen Brasserie, wo sich die Berichte mit Lobhudeleien auf die Küche überschlagen.
Mittlerweile hatten sich uns zwei junge Männer um die Dreißig angeschlossen, die uns ihren Plan unterbreiteten, anschließend noch in ein Lokal namens "Clash" zu gehen, so ein Hard Rock Schuppen, wo man das eigene Wort nicht versteht, und dubiose Getränke auf der Karte stehen. Aber sympathisches Publikum. Nur die Kontakaufnahme gestaltete sich schwierig bis unmöglich. Jeder blieb in seinem Grüppchen und versuchte sich mit Zeichensprache, Geschrei und Händen und Füßen zu verständigen. Einer der beiden Jungs hatte zum Glück recht bald den Vorschlag, weiterzuziehen und einen Kumpel mit Auto vor den Club bestellt. Ein recht teures Auto mit toller Musikanlage, ich war beeindruckt. Der Fahrzeughalter sah auch recht gut aus und schien in der gleichen Altersgruppe wie unsere neuen Bekannten zu sein.
Nun wurde zu flotten Rhythmen das RAW-Gelände in Friedrichshain angesteuert. Wir waren nun zu fünft. Vor dem ersten Club wurden wir abgewiesen, weil einer unserer drei Herren dort Lokalverbot genoss. Im zweiten Club wurde wie schon im ersten gefragt, welche Sprache wir sprechen. Ich war irritiert ob dieser Fragestellung und antwortete mit: "Wieso? Also ich kann ganz gut Deutsch, aber wir können uns auch auf Englisch unterhalten." Lydia fragte keck "Sprechen Sie auch Griechisch?". Der Türsteher fand das gar nicht lustig und wies uns strikt ab, er sah direkt ein bißchen beleidigt aus. Komische Sitten an den Türen heutzutage, dachte ich so bei mir. Beim dritten Club hielten wir artig die Klappe und warteten. Und warteten. Und warteten. Nicht etwa in einer Schlange, einfach so. Bis das salomonische Urteil erging, dass wir reindürften. Mittlerweile waren wir nur noch zu viert, der Junge mit Lokalverbot wollte dann auch zu keinen anderen Clubs mehr, vielleicht ist er auf dem ganzen Gelände aktenkundig und meines Erachtens war er auch pleite. Als wir drin waren, war ich dann überraschenderweise doch recht angetan. Eine gemütlich-schicke Einrichtung mit kleingerahmten alten Schwarzweißfotos, älterer Musik und vielen Sitzgelegenheiten. Sogar zwei Dancefloors, ich konnte mich gar nicht entscheiden. Das Publikum wirkte nicht unangenehm. Ich checkte erst nach einer Weile auf der Tanzfläche, dass da doch recht viele schwule Pärchen miteinander tanzten. Aber nicht nur. Ich fühlte mich sehr wohl, weil es eine ausgewogene Mischung von Heteros und Schwulen war, die miteinander Spaß hatten und vor allem super enthusiastisch tanzten. Richtig gut tanzende junge Männer darunter. Ich war in meinem Element! Auch wurde ich angesprochen. Ein besonders eifriger Tänzer hatte für sich entschieden, dass ich nun genug Freestyle getanzt hätte und packte mich immer wieder mal um Taille und an den Händen, um irgendetwas Disco-Fox mäßiges zu starten. Ich machte ein Weilchen mit, merkte aber, dass wir offenbar ein sehr unterschiedliches Rhythmusgefühl hatten.
Lydia tanzte mittlerweile auf dem DJ-Podest zwischen dem sympathischen schwulen DJ-Pärchen, das sich ab und zu heiße Küsse gab. Der Autofahrer, der uns kutschiert hatte, war kein so heißer Tänzer, er trat mehr oder weniger von einem Bein aufs andere und machte dabei sehr kontrolliert wirkende schaufelnde Handbewegungen, die mich nicht zu erotisieren vermochten. Ich tanzte dann regelmäßig an ihm vorbei, in alle Richtungen, mal mit dem und mal mit dem, was ihn zu der Bemerkung hinreißen ließ: "Läuft ja bei dir! Du bist ja ein richtiger Männermagnet!" Solcherlei Worte hatte ich schon lange nicht mehr vernommen, gerne höre ich mir noch weitere Anmerkungen dieser Qualität an. Nun winkte mich der andere junge Mann, der schon mit uns beim Italiener war, und die Idee mit dem Metal-Schuppen hatte, zu sich, mit der Bitte, ihm zu einer Sitzgelegenheit mit gut gepolsterten Kino-Klappsesseln zu folgen. Ich konnte eine Pause vom Tanzen vertragen und machte es mir gemütlich. Er nahm neben mir Platz und hob nun an, dass er beobachtet habe, dass ich "Klasse" hätte. Also "richtig Klasse". Auch was ich sagen würde, sei sehr stark beeindruckend und man würde die Überzeugung und Leidenschaft spüren, die aus meinen Worten spräche. Das sei ihm schon beim Italiener aufgefallen, als ich von diesem japanischen Pornofilm erzählt hätte. Hierzu möchte ich anmerken, dass ich von einem japanischen Film mit einer erotischen Szene bei einem Tätowierer erzählte, bei dem die Erotik nahezu ausschließlich durch die Mimik transportiert wurde. Ich betonte sogar mehrfach, dass es kein Pornofilm war. Aber bei dem jungen Mann blieb wohl nur das Wort "Pornofilm" hängen.
Alsbald eröffnete der junge Mann mir, dass er es für den passenden Zeitpunkt hielte, dass wir beide uns nun ein Taxi nähmen, um zu mir zu fahren. Ich erklärte ihm pädagogisch wertvoll, um ihn nicht zu verstören, dass ich am Liebsten alleine in meiner Wohnung aufwache, den darauffolgenden Tag eingeschlossen. Dieses wollte er nun nicht gelten lassen und fragte übergangslos, ob ich eine Katze beherberge. Er erklärte den Anlass der Frage mit seiner Katzenallergie. Ich bedauerte keine Katze zu haben, einziger Grund sei der fehlende Garten. Ich musste leider hart bleiben, versuchte aber dennoch keine trübsinnige Stimmung zu verursachen. Er machte ein längliches Gesicht und hielt dann Ausschau nach anderen Club-Besucherinnen mit hoffentlich mehr Interesse an seinem erotischen Verlangen. Insgesamt gefiel es mir sehr gut, einmal wieder nach Strich und Faden mit Komplimenten überschüttet zu werden, zumal von so jungen Männern. Ein direkt vor der Clubtüre stehendes Taxi hat mich dann gegen Halbsieben heimgebracht, es wurde schon hell. Ein ereignisreicher Tag war zu Ende gegangen und ein neuer angebrochen. Der Club hieß übrigens "zum schmutzigen Hobby". Gerne schwinge ich dort bald wieder einmal das Tanzbein!