04. Dezember 2019
Am letzten Donnerstag habe ich tatsächlich die Kamera aus ihrem Versteck genommen, um meine Wimpern zu verewigen. Die Abende im Hobby werden liebevoll vorbereitet, auch von mir als Gast. Ich fühle mich unter anderem deshalb so wohl bei der Veranstaltung, weil das Publikum so sympathisch und gutaussehend und entspannt ist. Man schaut sich zuerst gut gelaunt die für meine Begriffe derzeit politisch wirksamste Sendung im deutschen Fernsehen an, erfreut sich an experimentellen Outfits und Statements, die zur Prime Time gesendet werden, unterhaltsam verpackter Freigeist und Rebellion. Das ist wahre Evolution, wenn die Freiheitsbewegung einer Gruppierung, die einige immer noch als Randgruppe bezeichnen, in jedem Wohnzimmer ankommt. Ich wüsste nicht, was ich lieber feiern wollte. Wieder ein schöner Abend, auch Dank unserer drei schönen blonden Berliner Drag Queens, die die Abende moderieren und die laufende Sendung aufs Lustigste kommentieren. Lydia war da und unsere Freundin Nora, die auch gerne wieder kommt. Nach dem Tanzvergnügen saßen Lydia und ich noch ein Weilchen auf den Kinoklappsesseln im Foyer, als uns eine schöne Nonne im silbernen Habit beehrte. Sie kam von den Schwestern der Perpetuellen Indulgenz, im Arm ein Körbchen mit Kondomen und Seifenblasenpustefix. Mutter Dora kam ein längeres Weilchen zu Lydia und mir und wir plauderten unter anderem über meine Wimpern, die ihr sehr gut gefielen, und ich spendete mein komplettes Kleingeld in die Spendenbüchse von Mutter Dora zu Balfanz für die Berliner Aidshilfe. Der Heimweg führte uns wieder zur S-Bahn Warschauer Straße. Lydia fand, ich sollte die Wimpern über Nacht dranlassen, damit sie am nächsten Tag auch alle anderen sehen können, ich erklärte ihr, dass ich darüber nachgedacht hatte, es aber für schwierig befand, weil ich mich ja sehr gerne dusche, wenn ein neuer Tag anbricht, und zwar von Kopf bis Fuß. Und dann wären die Wimpern bestimmt auf Halbacht. Ungewaschen aus dem Haus gehen wollte ich auch nicht so gerne. Plötzlich stand der männliche Fahrgast von Gegenüber auf, er hatte trotz seiner Kopfhörer mitgehört und ließ mich wissen, dass er gut fände, dass ich "mitdenke". Aha. "Richtig, richtig gut" fände er das. Ich weiß nicht mehr wie es dazu kam, dass er uns auch noch wissen ließ, dass er gelernter Koch sei und später auch noch eine Ausbildung zum Tontechniker gemacht hätte und jetzt aber einen anderen Job hat. Mitterweile waren wir an der Haltestelle Jannowitzbrücke, wo wir eigentlich in die U 8 umsteigen wollten. Ich war aber neugierig, was er noch weiter erzählen würde, und entschied, dass wir erst am Alex in die U 8 umsteigen. Nun sprach der Mann eine Einladung in Richtung Lydia aus, die ich akustisch nicht verstanden hatte. Explizit wurde Lydia eingeladen, und zwar zu seiner Geburtstagsfeier, wie sie mir später erzählte, zumindest hatte sie das verstanden. Aber mich wollte er mit in sein Tonstudio nehmen. So so. Na immerhin. Leider kamen die großen Pläne nicht zur Ausführung, weil wir dann auch schon am Alex waren und ausstiegen, und zwar ohne den guten Mann. Man hat sich dann noch zugewunken. Solche Sachen passieren auch nur in der Nacht. Und das war es definitiv. Und zwar schon so spät in der Nacht, dass längst keine U-Bahn mehr gefahren ist. Zum Glück sind wir erst am Alex ausgestiegen, so konnten wir heimlaufen. War noch ein launiger Spaziergang über den Hackeschen Markt und durch die Sophienstraße und die Große Hamburger. Wir blieben an Schaufenstern stehen und blödelten herum. Ecke Auguststraße haben wir uns getrennt, ich bin ein paar Meter weiter in meinen Adlerhorst und Lydia ist in die Ackerstraße.
g a g a - 4. Dezember 2019, 02:22