04. April 2011

Hilfe aus Berlin.

Immer wieder Berlin. Berliner Blau 1706.
Uran 1789. Kernspaltung 1938. Radiogardase 2011.

Nicht nur Astrologen sind sich einig, dass der Stadt Berlin zwei Geburtsdaten zuzuordnen sind, da es zwei nachweisliche Gründungsdaten, gemäß urkundlicher Erwähnungen gibt.

"Im Jahr 1237 wurde Cölln an der Spree gegründet. 7 Jahre später, am 26. Januar 1244 wird Berlin erstmals urkundlich erwähnt. Im Jahre 1307 werden diese beiden Städte vereint; als Gründungsdatum Berlin’s gilt deshalb der 28. Oktober 1237. Beide Städte wuchsen jedoch unmittelbar nach ihrer Gründung durch eine gemeinsame Befestigung und eine Brücke über die Spree zusammen."


28. Oktober 1237. 26. Januar 1244.

Interessant ist der grundlegende Spannungsaspekt von Skorpion und Wassermann. Die Sonnen stehen in einem nahezu exakten Quadrat auf jeweils fünf Grad des jeweiligen Zeichens zueinander. Vielleicht ist das die elektrische, unruhige Energie, die man hier dauernd spürt. Und die man hasst oder liebt. Das latent Aggressive, die Bereitschaft zum geistigen Kampf. Die verschärfte Ausdrucksweise. Selten ohne Witz. Tatsächlich sind die archetypischen Eigenschaften, die dominante Aura der Stadt, das ganze unwiderlegbare Charisma geprägt von den Energien Skorpion und Wassermann. Tiefschürfend, abgründig, auslotend, düster, leidenschaftlich, unnahbar, einzelgängerisch, triebhaft, jedoch immer kontrolliert, der Skorpion. Visionär, in die Zukunft strebend, verspielt, erfinderisch, unkonventionell, überraschend, optimistisch, das Kollektiv, das Verbindende suchend, der Wassermann.

Starke eigensinnige Kräfte. Das Skorpionische scheint sich oft im Äußeren auszuwirken, ein merkwürdiger Reiz, der die Bewohner mehr als in anderen Städten veranlasst, bei geringstem Sonnenschein mit Velvet Underground-Sonnenbrillen durch die Gegend zu tigern. Immer noch viel Schwarz. Dieser take-a-walk-on-the-wildside-Spirit. Iggys Passenger. Es fiel mir besonders auf, als ich meine Bilder der Demo am vorletzten Samstag anschaute. So viele arschcoole Berliner mit dunklen Brillen. Man könnte stellenweise denken, ich war nur auf irgendeinem coolen Open Air, von einer ziemlich angesagten Band. Wenn da nicht die, nicht ganz so coolen, älteren, bürgerlicheren Berliner dazwischen wären. Aber die sind auch cool, wie sie so absichtsvoll ein bißchen böse gucken. Denn sie sind böse. Und das rechne ich ihnen hoch an. Böse wie Loriot.



Denn es geht um keine lustige Sache. Kein Wochenendausflug um des Ausflugs willen, auch wenn wenn da lauter lustige, bunte Luftballons herumflogen, wie auf einem netten Kindergeburtstag. Ja, es ist auch ein schönes rebellisches Gefühl, ein Banner mit einer widerspenstigen, sinnigen Botschaft hochzuhalten. Es ist völlig legitim, seiner Angst um das Fortbestehen der Menschheit mit einem sehenswerten Auftritt Achtung zu verschaffen. Denn es geht um Achtung. Um Aufmerksamkeit für den Willen, unsere Existenz zu schützen. Damit wir noch ein Weilchen aus Gründen der Coolness Sonnenbrillen tragen dürfen und nicht, um uns vor lebensgefährlichen Strahlungen zu schützen. Ich war sehr glücklich in dieser Meute von jung und alt. Glücklich in Berlin. Ein Vierteljahrhundert schon. Als ich geboren wurde, am 1. September 1965, standen Uranus und Pluto in exakter Konjunktion. Was nicht sehr oft geschieht. Vielleicht ist mir der widerspenstige Geist dieser Stadt auch deswegen gleich so vertraut gewesen, von der ersten Stunde an, am 2. April 1986.

Was mir aber gerade auffiel, gerade eben: dass Pluto, der Herrscher des Zeichens Skorpion und Uranus, der Herrscher des Zeichens Wassermann damit an der Wiege Berlins standen. Pluto, Uranus. Uranium, Plutonium. Wassermann, Skorpion. Berlin, Berlin. Berlin hat die grausame Formel entdeckt. Und Berlin hat ein Gegengift gefunden. Nicht für alles, aber aus dieser Stadt kann Rettung für die Welt kommen. Der Geist ist da. Alle Geister sind versammelt. Sie waren auf der Straße und sie sind in den wissenschaftlichen Labors. Ich las vor einigen Tagen, dass das noch im Aufbau begriffene, größte online-Netzwerk für Wissenschaftler weltweit, eine Art facebook für Forscher, seinen Sitz in Berlin hat. Es gibt schon 800.000 registrierte Mitglieder. Inzwischen werden es noch mehr sein. Wenn ein Wissenschaftler in Japan über einer Formel brütet und nicht weiterkommt, teilt er sein Problem dem weltweiten Netzwerk aus Berlin mit und alle schmeißen ihr Fachwissen zusammen. Die Vorstellung rührt mich. Bitte tauscht euch ganz viel aus und forscht ganz schnell ganz viel über diese blöde Scheiß-Verstrahlung und wie man das Unglück stoppen kann. Bitte.

Ich möchte lieber dafür auf die Straße gehen, dass Knut nicht ausgestopft wird, wie es einige Berliner Knut-Fans am letzten Samstag getan haben. Ich bin auch dagegen, aber die Kraft der Wut fließt gerade woanders hin und man muß auch haushalten. Für läppischere Dinge möchte ich auf die Straße gehen. Für Tante-Emma-Läden, gegen Einkaufs-Silos. Für so Zeug. So Sachen, die nur den Augen weh tun, aber nicht die Existenz der ganzen Menschheit in Frage stellen. Ich lebe gerade so gern. Und immer mehr. Und bin doch so traurig wegen all dem. Wie kann man schwerelos in den Frühling taumeln, wenn gerade ein Teil der Welt untergeht. Und wir mit ihm. Jeden Tag ein kleines Stück. Japan ist nicht weiter weg als vorher. Es ist näher. Auch wenn man es mit aller Kraft wegzuschieben versucht. Man muss in den Abgrund schauen, um herauszufinden, wie tief er ist. Um herauszufinden, wie lang das Seil sein muss, das man brauchen wird, um den abgestürzten Kameraden hochzuziehen, aus der tiefen Schlucht, da unten in Japan. Und wie gut wir uns selber anseilen müssen. Jetzt. Gleich. Sofort. Gestern.

04. April 2011

Da Weihnachten vor der Tür steht: mein Geschenktipp.

("Da ist dann immer ein großes Hallo und viel Spaß!")

[...]
( aus meiner unbeliebten Spielverderber-Rubrik:
"sauertöpfische Betroffenheits-Blogeinträge" )


Früher war mehr Lametta.

03. April 2011

Probleme kann man niemals mit derselben Denkweise lösen, mit der sie entstanden sind.
Albert Einstein



Gestern Abend einen Haufen Loriot-Interviews angeschaut. An dem Gespräch mit Marianne Koch bin ich besonders hängengeblieben. Ab der dritten Minute fängt Herr von Bülow an, rechtschaffen zu politisieren und hört nicht mehr auf. Sehr eindrucksvoll.


LORIOT: "(...) Wir Wähler, wie wir hier sitzen, wir bestimmen unser Leben - wir bestimmen, wieviele Autos produziert werden, wieviele Campingwagen rumstehen, wir bestimmen, wieviele Büchsen auf der Straße liegen, wie sehr es stinkt oder wie sehr alles in Ordnung ist - wenn das keine Macht ist, weiß ich nicht. Und wenn das nicht politisch ist, dann ist mir auch nicht mehr zu helfen. Das ist Politik. Und darum muss ich den Vorwurf, nicht politisch zu sein, sehr ärgerlich und ernst zurückweisen."

M. K.: "Satire, hast du gesagt, muss notwendigerweise immer destruktiv und zersetzend sein. "

LORIOT: "Ja. Es ist eine merkwürdige Erscheinung in unserem Land. Ich weiß nicht, wie es woanders ist - Worte wie 'zersetzend' und 'destruktiv' - denen haftet so etwas an wie Pestilenz und Teufel und 'negativ'."

M. K.: "'Terrorist'. Alles Synonym."

LORIOT: "Terrorist, links, lange Haare und schlecht rasiert und so was. Dabei ist destruktiv etwas durchaus Positives, wenn das destruiert wird, was es gilt kaputt zu machen, weil es nicht in Ordnung ist."


Ab der Stelle wird es richtig interessant. Einfach selber gucken.

03. April 2011

Es war kein Zufall, dass Farin in diesem schon etwas älteren Video eine kleine japanische Liebesgeschichte gespielt hat. Er hatte das Land immer wieder bereist und auch japanisch gelernt. Die Liebe zu Japan zeigte sich zuletzt in seiner ersten Ausstellung als Fotograf, die den Titel Kuroboshi trug. Es waren Bilder aus einem heilen Land. Seine Songs brechen an irgendeiner Stelle immer die fundamental darunter liegende Sentimentalität. Kaum lässt man sich elegisch auf die dargebotene Traurigkeit ein, kommt er mit einer aus trotzigem Überlebenstrieb geborenen Albernheit um die Ecke. Selbst wenn man gar nicht will, kann man dann ein kleines bißchen lachen, über die ganze verfahrene Situation. Kaum grinst man, bricht er die Albernheit wieder durch eine ernste Sequenz. Ich kenne niemand, der so etwas sonst praktiziert. Er ist schon einmalig. Sicher finden ihn einige einmalig albern, aber er ist für viele ein großer Mutmacher. Ich habe große Achtung vor ihm. Es muss schmerzhaft für ihn sein, zu sehen was in Japan geschieht.

01. April 2011



Einigermaßen überraschender Kommentar in der heutigen B.Z.:

German Angst.


"(...) Aber wie reagieren andere Nationen auf so etwas? Tanzen sie erst einmal Sirtaki, um die mediterrane Lässigkeit zu feiern? (...) "Typisch deutsch": Dieser genervte Seufzer ist mir in letzter Zeit andauernd begegnet. Ausgestoßen wird er grundsätzlich von Deutschen, die ihre Landsleute wahnsinnig kleinkariert und peinlich finden. Sie selbst sind natürlich ganz anders, sonst würden sie ja nicht so darunter leiden ..."Typisch deutsch" - so wird zurzeit auch die neue Atomkraft-Debatte geschmäht. Über die Gefahren nachzudenken, wird als "German Angst" belächelt. Während sich etwa die Franzosen die Laune nicht verderben lassen, nehmen die Deutschen das Unglück in Japan doch tatsächlich zum Anlass, ihr eigenes Konzept zu hinterfragen" Stephanie Jungholt, B.Z. vom 01.04.11

[ durchaus.]

29. März 2011


Das Schiff war fertig am siebenten Tag bei Sonnenuntergang. Was immer ich hatte, lud ich darein: was immer ich hatte, lud ich darein an Silber, was immer ich hatte, lud ich darein an Gold, was immer ich hatte, lud ich darein an allerlei Lebenssamen: steigen ließ ich ins Schiff meine ganze Familie und die Hausgenossen, Wild des Feldes, Getier des Feldes.


Kaum, daß ein Schimmer des Morgens graute, stieg schon auf von der Himmelsgründung schwarzes Gewölk. Eragal reißt den Schiffspfahl heraus, Ninurta geht, läßt das Wasserbecken ausströmen, die Anunnaki hoben Fackeln empor, mit ihrem grausen Glanz das Land zu entflammen. Die Himmel überfiel wegen Adad Beklommenheit, jegliches Helle in Düster verwandelnd; das Land, das weite, zerbrach wie ein Topf. Einen Tag lang wehte der Südsturm. Eilte dreinzublasen, die Berge ins Wasser zu tauchen, wie ein Kampf zu überkommen die Menschen. Nicht sieht einer den andern, nicht erkennbar sind die Menschen im Regen.


Vor dieser Sintflut erschraken die Götter, sie entwichen hinauf zum Himmel des Anu. Die Götter kauern wie Hunde, sie lagern draußen. Es schreit Ischtar wie eine Gebärende, es jammert die Herrin der Götter, die schönstimmige: "Wäre doch jener Tag zu Lehm geworden, da ich in der Schar der Götter Schlimmes geboten! Wie konnte in der Schar der Götter ich Schlimmes gebieten, den Kampf zur Vernichtung meiner Menschen gebieten! Erst gebäre ich meine lieben Menschen, dann erfüllen sie wie Fischbrut das Meer! Die Anunnaki-Götter klagen mit ihr, die Götter sitzen da und weinen.


Sechs Tage und sieben Nächte geht weiter der Wind, die Sintflut, ebnet der Orkan das Land ein. Wie nun der siebente Tag herbeikam, schlug plötzlich nieder der Orkan die Sintflut, den Kampf, nachdem wie eine Gebärende sie um sich geschlagen. Ruhig und still ward das Meer, der böse Sturm war aus und die Sintflut. Ausschau hielt ich einen Tag lang, da war Schweigen ringsum, und das Menschengeschlecht war ganz zu Erde geworden Gleichmäßig war wie ein Dach die Aue. Da tat ich eine Luke auf, Sonnenglut fiel aufs Antlitz mir; da kniete ich nieder, am Boden weinend, über mein Antlitz flossen die Tränen.




1973

Nach Ufern hielt ich Ausschau in des Meeres Bereich: auf zwölfmal zwölf Ellen stieg auf eine Insel, zum Berg Nißir trieb heran das Schiff. Der Berg Nißir erfaßte das Schiff und ließ es nicht wanken; einen Tag, einen zweiten Tag erfaßte der Berg Nißir das Schiff und ließ es nicht wanken; einen dritten Tag, einen vierten Tag erfaßte der Berg Nißir das Schiff und ließ es nicht wanken; einen fünften und sechsten erfaßte der Berg Nißir das Schiff und ließ es nicht wanken. Wie nun der siebente Tag herbeikam, ließ ich eine Taube hinaus; die Taube machte sich fort und kam wieder: kein Ruheplatz fiel ihr ins Auge, da kehrte sie um. Eine Schwalbe ließ ich hinaus; die Schwalbe machte sich fort und kam wieder: kein Ruheplatz fiel ihr ins Auge, da kehrte sie um. Einen Raben ließ ich hinaus; auch der Rabe machte sich fort; da er sah, wie das Wasser sich verlief, fraß er, scharrte, hob den Schwanz - und kehrte nicht um.


Da ließ ich hinausgehn nach den vier Winden; ich brachte ein Opfer dar, ein Schüttopfer spendete ich auf dem Gipfel des Berges: sieben und abermals sieben Räuchergefäße stellte ich hin, in ihre Schalen schüttete ich Süßrohr, Zedernholz und Myrte. Die Götter rochen den Duft, die Götter rochen den wohlgefälligen Duft, die Götter scharten wie Fliegen sich um den Opferer. Sobald wie die Mach herzugekommen, hob sie die großen Fliegengeschmeide empor, die Anu ihr zum Vergnügen gemacht: "Ihr Götter hier, so wahr des Lasuramuletts an meinem Halse ich nicht vergesse, will ich die Tage hier, fürwahr, mir merken, daß ewig ihrer ich nicht vergesse! Die Götter mögen nur kommen zum Schüttopfer! Doch Enlil soll nicht kommen zum Schüttopfer, weil er unüberlegt die Sintflut machte und meine Menschen dem Verderben anheimgab.


Ea tat zum Reden den Mund auf und sprach zu Enlil, dem Helden: "O Held, du Klügster unter den Göttem! Ach, wie machtest unüberlegt du die Sintflut?! Seine Sünde leg auf dem Sünder! Seinen Frevel leg auf dem Frevler! Lockere, daß nicht ganz abgeschnitten werde; Ziehe hin, daß nicht getötet werde! Statt daß eine Sintflut du machst, mag ein Löwe aufstehen, die Menschen zu mindern! Statt daß eine Sintflut du machst, mag ein Wolf aufstehen, die Menschen zu mindern! Statt daß eine Sintflut du machst, mag eine Hungersnot gesandt werden, das Land zu fällen! Statt daß eine Sintflut du machst, mag Era aufstehen, die Menschen zu erwürgen! Nicht aber enthüllt' ich der großen Götter Geheimnis! Den Hochgescheiten ließ ich schaun einen Traum! So vernahm er der Götter Geheimnis; schaffet nun für ihn Rat!"


Da hat Enlil das Schiff bestiegen, meine Hand gefaßt, mich einsteigen lassen, lassen einsteigen, knien mein Weib neben mir, hat berührt unsre Stirn, zwischen uns stehend, uns segnend: "Ein Menschenkind war zuvor Utnapischtim; uns Göttern gleiche fortan Utnapischtim und sein Weib! Wohnen soll Utnapischtim fern an der Ströme Mündung!" Da nahmen sie mich und ließen mich fern an der Ströme Mündung wohnen.



[ Fragmente des Gilgamesch-Epos / 11. Tafel. 2100 - 600 v. Chr. aus dem Raum Babylonien bis Kleinasien überliefert, von Prof. Dr. Albert Schott übersetzt und in das von ihm vermutete Versmaß gesetzt. ]

28. März 2011


Samstag bei die Demo

Da lacht er, der Jürgen. Angela Merkel ist am 17. Juli 1954 geboren. Jürgen Trittin acht Tage später, am 25. Juli 1954. Ich finde, jetzt können mal die jüngeren ran. Außerem habe ich Angela Merkel noch nie bei einem Patti Smith-Konzert getroffen. Ihn schon. Er wurde auch nicht hingeschleppt, sondern ist aus freien Stücken hingegangen. Patti-Smith-Kompetenz ist letztlich die Schlüsselqualifikation für einen vertrauenswürdigen Volksvertreter. Er ist übrigens ziemlich groß. Nicht nur im Reden halten. Politiker sollten nicht nur geistig attraktiv sein. Bin ich streng!

26. März 2011

Zwölf Uhr zehn Berlin - das Schild sitzt:



Atomkraft bu!!!
Solarenagie ja jippi


Ich liebe zwar nicht alle Kinder, aber alle Schilder, die Kinder malen. Das rechts von der Schrift sind übrigens nicht die Füße von dem flüchtenden deutschen Adler oder von Donald Duck, wie ich zuerst gedacht habe, sondern Daumen runter und Daumen rauf. Ist ja logisch, eigentlich.

24. März 2011

[ ohne Worte ]

23. März 2011



Ende letzter Woche antwortete ich einer Freundin, wir haben uns sehr lange nicht gesehen, auf eine nachfragende Mail, in der sie mir einen Gruß sandte. Wie ich es in der letzten Zeit meistens mache, versuchte ich mich dafür zu entschuldigen, dass ich mich im Moment nicht in der Lage fühlte, mich zu treffen, mit anderen. Besser gesagt, es ist für mich tatsächlich einfacher, flüchtigen Bekannten bei einer Feier wie vorgestern im Einstein zu begegnen, die kein ernsthaftes, aufrichtiges und vertrauensvolles Gespräch von einem erwarten. Nichts muss erklärt werden, erzählt werden. Obwohl es dadurch auch banal ist, ist es angenehmer, dass an nichts gerührt wird...

(...) Du bist also immer noch da, und ich hab dich immer noch nicht dort besucht. Viel ist passiert, viel Aufregendes und auch viel Trauriges. Im Moment bin ich sehr zurückgezogen, auch wegen des furchtbaren Unglücks in Japan, das uns ja alle betrifft und noch viel mehr betreffen wird, sehr traurig. Ich staune, dass man bei manchen Menschen das Gefühl hat, sie glauben, dass sie aufgrund der Entfernung nicht betroffen sind. Als ob die Strahlung nicht durch die Gewässer und die Wolken und den Regen über die Erde verteilt wird. Ich muss auch gerade ein paar private Verluste verarbeiten, über die es mir schwer fällt zu sprechen. Deswegen bin ich nicht so recht in Stimmung zum Plaudern, was aber nicht immer so bleiben wird. (...)

Das schrieb ich ihr unter anderem. Ich musste gerade daran denken, dass es tragisch ist, wenn man gerade damit beschäftigt war, unter anderem herauszufinden, welche Nahrung man idealerweise für den eigenen Organismus wählt, um Belastungen und Abwehrreaktionen möglichst gering zu halten, trotz der vielfältigen Mutationen, Manipulationen in der Erzeugung. Und nun stehen wir alle vor der Frage, wie wir die schleichende Kontamination der Nahrung und des Wassers mit der im Augenblick noch nicht ganz für uns greifbaren Radioaktivität aus dem Unglücksherd in Japan umgehen. Wie kann man die Gewässer der Welt schützen, diese unfassbar große Verkettung. Die Wolken, der Regen, die Winde. Das Grundwasser. Es gibt ja keine Schutzmauer. Kann man den Erdboden des havarierten Kraftwerks unterhöhlen und versiegeln, und wer soll das wann tun? Mit Beton und Sand von unten und oben, irgendwann, später, wenn schon alles durchtränkt davon ist, das ganze Land dort und über die Grenzen hinaus. Ach... Eine gigantische Käseglocke aus Blei darüber, zwei Kilometer hoch? Oder eine riesige Stahlröhre ins All, durch die die Strahlung abgeleitet wird, oder der Dreck ins Weltall katapultiert? Ins All, das Unendliche? Wie werden wir das nur wieder los. Ich glaube, durch dieses Unglück müsste auch der Letzte begriffen haben, dass die alten Brennstäbe sehr, sehr lange noch weiter aktiv sind, umso mehr, je geringer die künstliche Kühlung von außen ist. Das wird einem jetzt wie im Schulbuch vor Augen geführt. Ich kann den Satz "Reaktor XY hat wieder Strom" nicht mehr hören. Was hat denn da Strom? Da wurde irgendeine Starkstromleitung gelegt, die sich zwar lokalisiert "am" Reaktor XY befindet, aber nicht an ihn angeschlossen werden kann, weil da ja alles hinüber ist, wie wir mit jeder neuen Meldung lernen, wenn es auch nebulös verscheiernd offen gehalten wird. Bis jetzt konnte noch kein Reaktor-immanentes Kühlsystem wieder aktiviert werden, wenn ich das richtig herausgelesen habe. Aber das haben ja auch sicher schon andere außer mir begriffen, dass die Kühlversuche von außen der sprichwörtliche Tropfen auf den heißen Stein sind. Ach. Aber genug für heute jetzt dazu. Ich muss jetzt schlafen gehen, weil morgen früh aufstehen.
Gute Nacht aus Berlin.

g a g a
Margarete 20. November...
21.11.24, 00:01
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