30. Juni 2019



Gedenkminute für Astrid North. 1973 - 2019. Mehr als eine Minute. Maria erzählte mir vorhin, dass Astrid am Dienstag starb. Wir saßen in meinem Atelier auf dem Balkon und rauchten eine Zigarette für sie. Im März 2018 sah ich sie zweimal kurz hintereinander. Einmal in der Bar jeder Vernunft, bei ihrer North-Lichter-Show, in der auch Maria auftrat und wenige Tage später in der Wabe, wo Jenny mit auf der Bühne war. Ich war hin und weg von ihr. Nach beiden Konzerten fragte sie mich nach einer Zigarette. Sie rauchte gerne, hatte aber nie welche. Es ist wirklich merkwürdig, dass ich vor wenigen Tagen - ich lief so in meinem Wohnzimmer hin und her, vielleicht habe ich die Pflanzen gegossen, plötzlich an sie denken musste, und wie es ihr wohl ginge. Und noch dachte, wenn es ihr nicht besser ginge und sie den Kampf gegen die Krankheit verlieren würde, ob das dann wohl eine Nachricht auf gmx wert wäre. Das dachte ich. Jetzt sehe ich, dass es in einigen Zeitungen online Meldungen gab. Sie war jedenfalls sehr begabt und diese Nachricht stimmt mich traurig. Ich hatte sie an beiden Abenden fotografiert, kurz danach wurde es ruhig auf ihrer facebook-Seite, merkwürdig ruhig. Einige Monate später gab es ein Posting von ihr, in dem sie ihre Krankheit mitteilte. Maria meinte, poste doch eines der Bilder, die du von ihr gemacht hast. Einer der schönsten Menschen, die meine Kamera je eingefangen hat. Sie war immer sehr auf das Schöne aus. Das Schönste.

27. Juni 2019

Aus meinem goldenen Notizbuch XV.
(noch mal) 21. Juni 2019:

"Ausgang S-Bahn Zoo, Baustelle Hardenbergstr. (vor C/O)
3 Straßen-Bauarbeiter, Wortfetzen:
- "Lindemann!"
- "Till???"
- "TILL LINDEMANN!"
- "Till! TILL!!!"

Erinnerung an Brandschutzschulung, Löschdecken bei Rammstein"

Die kleine Unterhaltung unter großen Männern kam tatsächlich mit zwei Wörtern aus. Also soweit ich es mitbekam. Ich nehme an, dass Bauarbeiter 1 Herrn Lindemann irgendwo gesehen hat, vielleicht auf der Straße und aus nächster Nähe. Was schon etwas sehr Besonderes ist, da man ja praktisch auch an Rammstein-Tickets, wo man ihn dann ja immerhin mal von weit weg sehen könnte, so gut wie gar nicht kommt. Das sind ganz hochkomplizierte Vorgänge mit ganz eng getaktetem Zeitfenster, wann diese personalisierten Tickets erworben werden können, ich bin da leider überfordert, sonst hätte ich mir sehr gerne auch mal so eine Rammsteinkonzertkarte gekauft.

Es handelt sich um eine reine Vermutung, dass eine Zufalls- - "Begegnung" kann man ja vielleicht kaum sagen - eher "-Sichtung" des charismatischen Sängers Grund des Fachgesprächs an der aufgerissenen Hardenbergstraße war. Die anderen beiden klangen jedenfalls auch sehr fasziniert. "Lindemann...???" "Till!" "TILL!!!"
"TOLL" möchte man noch hinzusetzen.

Als ich das notierte, fiel mir wieder ein, dass ich mal eine Schulung als Brandschutzhelferin hatte, wo der Schulungsleiter verschiedene Feuerlöscher etc. erklärt hat und erläutert hat, wieso in Großküchen seit einer Weile Brandschutzdecken verboten sind: weil die superlässigen Profiköche die Löschdecken meistens mit zu viel Schwung, so aus der Hüfte, Richtung Brandgut geworfen haben, was eher zur größeren Ausweitung des Brandherds, als zur Löschung führte.

Und dann brachte er ein Beispiel, wo heutzutage überhaupt noch beim Profi-Brandschutz Löschdecken zum Einsatz kommen: Nämlich bei Rammstein! Er ist da nämlich immer im Einsatz, und wenn was daneben geht, steht er mit der Löschdecke parat, um Till zu löschen! Till! TILL!!! Also war er ihm auch schon ganz oft ganz nah! Wenn man Till mit einem anderen Löschmittel löschen wurde, wäre ja die Bühne und sein Outfit versaut, und die Show könnte nicht so weitergehen wie gedacht. Also Löschdecken bitte nur zum Till-Löschen verwenden, sonst nicht!

27. Juni 2019

Aus meinem goldenen Notizbuch XIV.
21. Juni 2019:

"v. Rudi P(r)otrudi geträumt, hat Kneipe in Berlin, ist meistens selber betrunken bzw. verkatert (Alkoholproblem)"



Merkwürdig. Es handelt sich bei Rudi Protrudi um einen Musiker aus Amerika, der mich gedanklich so gar nicht beschäftigt. Er ist auch schon älter (66), war in den Achtziger Jahren recht erfolgreich mit seiner Gruppe Fuzztones, und wenn Georg mir seinerzeit nicht davon erzählt hätte, dass er mit seiner Band mal die Vorgruppe der Fuzztones war, hätte ich meinen Lebtag noch nie von ihm gehört. Er sah früher sehr Rockstarmäßig aus. Eigentlich immer noch, halt wie ein ganz gut gealterter Rockstar. Ich hatte letztes Jahr mal Gelegenheit, ihn persönlich zu sehen, bei "Ein Hit ist ein Hit", im Ballhaus in der Chausseestraße, diese etwas moderationslastige Musikshow, da ist er aufgetreten mit dem Schlagzeuger der immer noch existierenden Formation und Hans hat die beiden an der Gitarre unterstützt. Das ist zwölf Monate her und hat mich jetzt auch nicht so nachhaltig beschäftigt, dass es sich damit erklären könnte, dass ich ein gutes Jahr später träume, dass Rudi Protrudi eine Kneipe in Berlin führt, und zwar schon ziemlich lange, und sein bester Gast ist. Er torkelte mit einem Tablett oder Wischlappen in der Hand von Kneipentisch zu Kneipentisch, es war eher leer. Braune Holzstühle und -Tische, so klassisches Eckkneipenmobiliar, nichts hippes oder szeniges, auch recht dunkel der Gastraum. Weiter ist im Traum mit Rudi Protrudi nichts passiert. Ich habe nur bemerkt, dass er einen ziemlichen Pegel hat und recht müde um die Augen ausschaut, also verkatert. Ich hoffe, es geht ihm in echt besser und es ist nicht ganz so schlimm mit dem Alkoholproblem. Ich wünsche ihm alles erdenklich Gute.

27. Juni 2019

Aus meinem goldenen Notizbuch XIII.
20. Juni 2019:

"S-Bahn, "Kinderwagen" mit 6 Plätzen, 2 Kindergartentanten, 8 Kids (Mini) ca. 2 - 3 Jahre alt (2 größere hängen wie Äffchen dran) StVo(?)

Kindergartentante 1 wie Gaugin-Südseeschönheit (ca. 23 - 24) m. langen, glatten Haaren, mit s/w-(längs-)gestreiftem Cocktailkleid mit kesser roter Schleife in d. Taille, dazu weiße Turnschuhe, sehr schick + cool! (schöner als die Kids!)"

Noch nie gesehen: die beiden erwähnten Kindergartentanten schoben zu zweit einen ca. zwei Meter langen und 1,20 Meter breiten "Kinderwagen" mit gegenüberliegenden Sitzbänken mit Platz für sechs Racker in die S-Bahn, wo sie mit dem Gefährt die ganze freie Fläche vor den Türen einnahmen. Ja, ist das denn erlaubt? Das war schon mehr eine Kutsche als ein Kinderwagen. Die Kids saßen dann auch drin wie die englische Königsfamilie, die Kindergartentanten waren die Bediensteten. Nur zwei größere Kinder hatten keinen Platz und hängten sich irgendwie so seitlich dran ans Gefährt. Welche Fahrkarte kauft man denn, wenn man eine große Kutsche mit in die S-Bahn nimmt?

Na gut, nicht mein Problem. Jedenfalls ein merkwürdiges Gefährt.

Ebenfalls merkwürdig fand ich das sehr schicke Outfit der jüngeren Kindergartentante, wie bereits erwähnt. Sie hätte eigentlich mit ihrem schönen gestreiften Cocktailkleid in die Kutsche gehört. Normalerweise sehen Kindergartentanten ja immer mehr so praktisch gekleidet aus. Nicht, dass Cocktailkleider zwangsläufig unpraktisch sein müssen. Ich plädiere dafür, dass sich Kindergartentanten immer schick machen, damit die Kids schon vorgelebt bekommen, dass man sich möglichst schön zurechtgemacht in der Öffentlichkeit präsentieren sollte, um die Mitmenschen zu erfreuen, deren Laune zu heben und damit die Welt zu einem friedlicheren Ort zu machen. Sozusagen aus politischem Verantwortungsbewusstsein.

26. Juni 2018

Aus meinem goldenen Notizbuch XII.
19. Juni 2019:

„U 8-Bahnsteig, Hermannstr.
irre grinsende Doppelg. d. hochstapelnden Bloggerin
(unheimlich)“

War einen Moment perplex, die Dame sah schon sehr ähnlich aus. Sogar psychologisch nicht unplausibel, der Wahnsinn hat eventuell komplett das Regiment übernommen und manifestiert sich durch irres Dauergrinsen und wildes Gelächter, während Tag und Nacht über Bahnsteige gestolpert wird. Ein Stephen King-Moment. Shining oder Carrie. Gruselig.

26. Juni 2019

Aus meinem goldenen Notizbuch XI.



19. Juni 2019:

„neue Termine m. Clark!

[Clark:]
„Es wäre mir (also ihm) schon lieber, wenn wir beide da weitermachen, wo wir aufgehört haben, also kein anderer!“

Ich: „ja ja, viele Köche verderben (….)“

Er: „….die Köchin!“

Ich: „Genau! Viele Köche verderben die Köchin!“ ;-)“

Eigentlich ist ja hiermit alles gesagt. Die Sache an sich erfüllt nicht meinen hohen Anspruch an eine Merkwürdigkeit, aber die Formulierung fand ich durchaus bemerkenswert. Am 8. Juli geht es weiter, nun immer Abend-Termine. Das Folge-Rezept umfasst abermals sechs Behandlungen.

25. Juni 2019

Aus meinem goldenen Notizbuch X.
auch 17. Juni 2019:

"Patschhändchen in U 8 v. Kind auf Papa-Arm
Junge, ca. 4 - 5 Jahre alt (Reptil...!)"

Sollte schnell erklärt sein, diese Notiz. In der U 8 am Abend, ein Vater, so Ende Dreissig, hat einen Stehplatz vor der Tür in der vollen U 8, ich auf dem Klappsitz in der Ecke, lese Montauk. Auf seinem Arm trägt er einen Jungen, ungefähr vier oder doch eher fünf Jahre alt, nicht mehr klein, schon ein Racker, der alleine Fußball spielt, blond wie Michel aus Lönneberga. Er schläft tief, wohl erschöpft von einem Ausflug. Der Junge hat seine Arme um den Hals von seinem Vater gelegt, aber die Hände halten sich nicht am Rücken fest, sondern stehen so in die Luft, wie man das manchmal bei Katzen sieht, wenn die Pfoten so in die Luft stehen, ganz entspannt. Ich kann auf einmal nicht mehr weiterlesen, weil ich dauernd auf die freischwebenden Patschhändchen des Jungen gucken muss. Sie erinnern mich an die Hände von Reptilien, die haben ja auch Finger. Wie große Echsenpatschhändchen. Bin ganz hypnotisiert und kann mich gar nicht mehr für mein Buch interessieren. War keine Rührung, wegen putzigem Kleinkind, so klein war er ja auch nicht, der Junge, sondern die Faszination der offensichtlichen Verwandtschaft von Menschen-Patschhändchen und Tier-Patschhändchen. So sehr verwandt. Werde nie verstehen, wie man Tieren Empfindungen absprechen kann. Das sind doch unsere kleinen Brüder und Schwesterchen. O.k. ich esse auch Tiere, gerne sogar. Fühle trotzdem solche Anwandlungen.



(Bild: "Echse", Gaga Nielsen 2003, Acryl auf Leinwand, 120 x 140)

24. Juni 2019

Ich lese immer noch Montauk von Max Frisch. Ein schmales Taschenbuch eigentlich, aber ich lese in Etappen, in der S-Bahn, in der U-Bahn, und mit Hingabe. Ich will es nicht zu schnell lesen, es soll mich länger begleiten. Aber ich bin nun doch schon bei Seite 151 (von 207). Ich mag das Buch sehr, ist mir nah. Auf Seite 151 in meiner antiquarischen blauen Suhrkamp-Taschenbuchausgabe der 1975 veröffentlichten Erzählung, kommt der vielleicht am meisten zitierte Satz von Max Frisch über seine Beziehung, oder genauer das Ende seiner Beziehung zu Ingeborg Bachmann. "Das Ende haben wir nicht gut bestanden, beide nicht.". Immer wieder wird der Satz in Texten über die beiden zitiert. Man kann ihn schon im Schlaf herunterbeten. Da ich Montauk jetzt erst zum ersten mal lese, obwohl ich es schon ewig vorhatte, lese ich den Satz nun zum ersten mal im Kontext:

"(...) "Zuletzt gesprochen haben wir uns 1963 in einem römischen Café vormittags; ich höre, daß sie in jener Wohnung, Haus zum Langenbaum, mein Tagebuch gefunden hat in einer verschlossenen Schublade; sie hat es gelesen und verbrannt. Das Ende haben wir nicht gut bestanden, beide nicht."

Max Frisch, Montauk, S. 151

Das Buch wurde also 1975, zwei Jahre nach Ingeborg Bachmanns Tod 1973, veröffentlicht. Zehn Jahre vergingen nach dieser erwähnten letzten Begegnung, vielleicht ohne jeden Kontakt. Ich weiß jetzt nicht, ob es in diesen zehn Jahren noch irgendeinen Briefwechsel gab. Die Briefe zwischen Bachmann und Frisch sind noch unveröffentlicht.

Mich beschäftigt diese hölzerne Formulierung "Ende (...) nicht gut bestanden." Was soll das denn heißen, "ein Ende einer Beziehung gut bestehen"? Ich ahne es, dass es für Frischs Seelenfrieden angenehm gewesen wäre, wenn man nach einer gewissen Zeit, wenn die akute Verletzung bei Bachmann halbwegs angeheilt war (was sie aber vielleicht nicht war, sie hat lange unter der Trennung gelitten), eine freundschaftliche, respektvolle letzte Begegnung zustande gebracht hätte. Er ist in eine neue Verbindung gegangen, als er die Trennung verursachte. Ein einseitiges Ende wie eine Prüfung gut bestehen. Hm. Für den, der verlässt, ist es eher eine Gewissensprüfung, für den, der verlassen wird, eine Herzensprüfung. Eine echte Überwindung des Verlustes, mit einer Vergebung von Herzen, ist meiner Erfahrung nach erst dann möglich, wenn das Herz nicht mehr gebunden ist. Und das geschieht am ehesten, wenn eine neue Bindung ins Leben tritt. Vielleicht sucht das Herz immer nach Bindung, weil man es dann stärker spürt. Das Band der Bindung berührt, gibt Halt. Man darf es nicht zu fest schnüren, sonst wird die Funktion eingeschränkt. Ich glaube, ich habe zweimal ein Ende "gut bestanden", jedoch einige Jahre nach dem jeweiligen Ende. Mich beschäftigt der Verlust eines Menschen, der mir sehr nah kommen durfte, sehr lange. Immer.

24. Juni 2019

Aus meinem goldenen Notizbuch IX.
Dritte merkwürdige Notiz vom 17. Juni 2019:

„Balkon, Nachbarin (Schierker) bittet um Erlaubnis für Insektenhotel! (na klar!)"

Versuche mich kürzer zu fassen, als bei der letzten episch erläuterten Notiz. Meine kleine Werkstatt hat einen Balkon, der eigentlich ein ungefähr 4 Meter langer Balkon war und bei der offenkundigen Trennung einer großen Wohnung zu zwei kleineren, auch getrennt wurde, durch ein halbhohes Mäuerchen und eine darauf befestigte Trennwand aus Eisen. Auf meiner Seite ist ein Anstrich in einem Farbton zwischen Beige und Elfenbein. Der Rest des Balkons ist allerdings Blau-Weiß-Türkis, das Auge erblickt marokkanisch und portugiesisch gemusterte Fliesen und Kacheln, zwei verschnörkelte Eisengartenstühle in altweiß und blauweiße Blumenbepflanzung, Hortensien, Lavendel, Männertreu, Rosmarin, ein Oleander, der aber noch nicht blüht. Ein blauweiß geringelter kleiner Sonnenschirm.

Als ich am Abend des siebzehnten Juni nach der Tanz-Episode bei Rewe eine Weile herumgewurstelt habe, ich saß gerade auf einem Bodenkissen und malte was an, höre ich Klopfzeichen. Die Balkontür stand auf. Klopf, klopf, dann Rufen: "hallo, hallo? Sind sie da?" Ich saß in meinem bekleckerten Shirt mit dem Pinsel in der Hand da und habe erst mal nicht reagiert. Ich bin ja nicht so ein kommunikativer Typ, wenn ich meine Ruhe haben will. Einige Nachbarinnen habe ich schon getroffen in den letzten siebzehn Jahren, aber manche auch noch gar nicht. Die Balkon-Nachbarin gehört zu denen, die ich noch nie gesehen habe. Aber nun sah ich sie, denn ein Kopf kam plötzlich hinter der Trennwand hervor, sie beugte sich weit vor und rief noch mal. Sie konnte mich sehen, auf dem Boden sitzend, mit dem Pinsel in der Hand! Also musste ich reagieren, ich stand auf und rechnete schon damit, dass mir nun irgendeine Beschwerde unterbreitet wird, irgendetwas soll ich bestimmt unterlassen. Vielleicht einmal zu laut Musik gehört? Aber sie lächelte sehr nett. Ein kurzhaariger blonder Kopf, ca. Ende Fünfzig. Und nun fing sie an zu sprechen.

"Entschuldigen Sie bitte, aber ich wollte Ihnen etwas zeigen. Weil Sie es ja vielleicht stören könnte, farblich... also... ich möchte gerne ein Insektenhotel aufhängen, und das steht dann ja so drüber, aber Sie können das gerne anmalen. Wissen Sie, die Natur hat es doch so schwer in der Stadt, und deswegen möchte ich etwas dafür tun, dass die Insekten, die immer weniger werden und auch nützlich sind, wieder zurückkommen. Schauen Sie mal."

Und zeigt mir so ein Holzhäuschen, so ein flaches, mit mehreren Fächern für Bienen und Marienkäfer. Oben dran so Stahlaufhänger, die dann bei mir drüberstehen würden, aber scheiß drauf, die mal ich dann halt an. Habe ich ihr auch mitgeteilt. Ich habe ihr mehrfach versichert, dass ich dem Insektenhotel meinen Segen gebe und das alles wirklich überhaupt kein Problem für mich ist! Sie war wahnsinnig erleichtert, eine Urberlinerin, ich habe es genau gehört, und eine mit ganz viel Herz. Wie könnte ich da Nein sagen, zu ihrem kleinen Insektenhotel. Hat mich gerührt. Auch, dass sie so eine Wahrnehmung für meine ästhetischen Bedürfnisse hatte. Solche Nachbarn kann man sich nur wünschen. Sie wohnt da mit einem Mann, der hat aber einen anderen Namen. Wie er aussieht, weiß ich nicht. Aber bestimmt auch ein netter Mensch. Seit gestern hängt das kleine Insektenhotel, ich hab die Aufhänger übergepinselt, alles gut.

23. Juni 2019



Es folgt ein Eintrag vom Küchentisch. Habe meiner Erinnerung nach noch nie am Küchentisch geschrieben. Das ist im Moment neben dem Schlafzimmer und dem Bad der am angenehmsten temperierte Raum. Mittlerweile bin ich rundum bei zwei Rollos pro Fenster und sogar drei bei der Balkontür. Das hilft sehr gut, ich flüchte nicht in ein klimatisiertes Museum oder ins KadeWe oder in den Supermarkt. Apropos Supermarkt - die folgende merkwürdige Notiz aus meinem Buch spielt im Supermarkt.

Es gibt dieses goldene Buch übrigens wirklich, wie ich noch einmal betonen möchte, es handelt sich nicht um eine hübsch benannte Kategorie, keine Metapher oder dergleichen. Ina hat mich am Freitag gefragt, daraufhin habe ich das Buch aus der Tasche geholt und ihr meine bisherigen Notizen gezeigt. Die Einträge, die ich schon in Blogtexten veröffentlicht habe, bekommen am Seitenrand einen senkrechten Vermerk "Blogeintrag vom xx.xx.2019" und einen schwungvollen Haken.

Ina wünscht sich eine Abbildung davon, hier im Internet. Ich dachte auch schon darüber nach. Alternativ zur Kamera kann man ja auch scannen und als Bilddatei abspeichern. Meine Kamera macht seit Mitte November 2018 Pause, und sie will nicht in ihrer Ruhe gestört werden. Die Pause hat sie auch verdient. Um hin und wieder auch einen Eintrag mit Bild zu präsentieren, greife ich auf ältere Aufnahmen zurück. Es findet sich immer etwas passendes (bei 60.000 Bildern kein Wunder), zum Beispiel ist das Küchenbild (ich hatte wohl gerade den Tisch abgewischt, daher das Geschirrtuch) vom 17. Mai 2008. Da die Küche immer noch so aussieht (ich habe mich selbstverständlich auch nicht im geringsten verändert), handelt es sich um eine respräsentative Aufnahme. Aber nun zur Merkwürdigkeit im Supermarkt. Es geht um Musik.

Aus meinem goldenen Notizbuch VIII.

Notiz vom 17. Juni 2019:

„REWE, Hermannstr. "Hermann Arcaden"
"I'm in Love with your Body"
tanze durch die Regalreihen (bei Ketchup und Mayo)
"Shape of You" (Ed Sheeran)"

Der siebzehnte Juni war auch ein recht sommerlich temperierter Tag. Wie so oft holte ich mir auf dem Weg in meine kleine Werkstatt noch ein paar frische Sachen bei REWE im Untergeschoss der Hermann Arcaden. Da gibt es zum Beispiel im Kühlregal so einen Gurkensalat, der immer frisch zubereitet auf mich wartet und mich total überzeugt. Das muss ich erwähnen, weil ich normalerweise alles selbst zubereite, aber Gurken hobeln etc. kostet dann doch etwas Zeit und besser kriege ich den auch nicht hin. Im REWE läuft Musik zur Unterhaltung beim Einkauf. Das ist für mich sehr interessant, weil mir dadurch Lieder zugetragen werden, die ich normalerweise nie hören würde. Es kommt auch vor, dass ich etwas kenne, aber meistens ist es irgendein Tralala-Popsong, wo ich nicht weiß, wer da gerade singt. Manchmal kenne ich auch die Melodie, irgendwo schon mal beiläufig gehört - eventuell bei Edeka. Obwohl ich mir nicht sicher bin, ob die dort auch Musik spielen. Der Edeka am Hackeschen Markt, in der Rosi, der in dem jetzt abgebrochenen Haus war, hatte auch Musik, das weiß ich noch. Manchmal kommen ja auch aktuelle Songs aus der Hitparade als Hintergrundmusik beim Perfekten Dinner oder bei Shopping Queen. Ich schaue mir das ab und zu in der Mediathek an, zu später Stunde beim Schlaftrunk. Aber zurück zu REWE!

Ich hatte die Hände noch relativ frei, nur den Gurkensalat in der Hand, und war nun vor dem Ketchup- und Mayoregal. Da wurde über den Lautsprecher ein Rhythmus in den Laden gespült, Marimbaklänge, sehr groovy, wie die jungen Leute Ende der Siebziger gesagt hätten. Ich hatte an dem Tag wenige Stunden davor eine Mittagsstunde zur Physiotherapie bei Clark Kent genossen und fühlte mich recht locker. Dieser Rhythmus ging mir direkt in die Beine und ich fand den Text auch sehr schön. Ein junger Mann, vermutlich so ein schwarzer junger Sänger mit so einem Dancefloor Projekt, sang immer wieder: "I'm in love with your body", "I'm in love with your body". Ich konnte es direkt fühlen. Ich musste tanzen! Ich bewegte mich also am Ketchup und Mayo rhythmisch vorbei, Richtung Bautzener Senf und wieder zurück. Ich sollte ja mehr tanzen, hatte Clark mir ans Herz gelegt, es wäre sicher in seinem Sinn. Ein tolles Lied zum Tanzen. Es ging in dem Text scheinbar nur um den Körper einer jungen Frau, die der Sänger anbetete. Er variierte die Aussage sogar mit "I'm in Love with the shape of you". Ich sah ihn direkt vor mir, sicher vom Aussehen her so ein Typ wie Pharell Williams oder ein junger Prince (Gott hab ihn selig). Wahrscheinlich hat er ein Unterhemd an, oder Tank Top sagt man ja international, während er seine braunen Muskeln im Video spielen lässt, falls es ein Video davon gibt. Ich freute mich, wie schön lang das Lied war, ich konnte noch ein bißchen vor dem Ketchup herumhampeln. Zum Glück waren in dieser Regalreihe keine Kunden, ich war praktisch unbehelligt. Und die wenigen, die mich hätten sehen können, nahmen nur Notiz von den Produkten im Regal. Das war mir sehr recht. Nicht, dass ich mich irgendwie peinlich bewegen würde, aber ich wollte nicht den Eindruck erwecken, dass ich mich an unpassender Stelle mit meinen Tanzkünsten hervortun möchte. Alles Aufgesetzte ist mir zuwider!

Manchmal singen junge Frauen (komischerweise nie junge Männer) hörbar in der S-Bahn vor sich hin, durch die Bank wirkt es auf mich, als handelt es sich nicht um einen Impuls, weil man nicht anders kann, und die Muse einen halt gerade massiv küsst, sondern weil die jungen Damen sich selbst eine Gesangsstimme attestieren, die auf Entdeckung wartet. Bisher war aber für meinen Geschmack noch nichts dabei, was ich mir gerne auf Schallplatte anhören möchte.

Als der kleine schwarze Sänger sein Lied mit einer nochmaligen Bestärkung der Aussage: "Im in love with your body, Im in love with the shape of you" zu Ende gebracht hatte, konnte ich meinen kleinen Einkauf mit drei Sardinenbüchsen, einer Flasche Tonic Water der Rewe-Hausmarke und einer guten Flaschengärung vollenden. Es war bisher eigentlich mein schönster Einkauf bei Rewe und ich nahm mir vor, daheim zu googeln, wer der schwarze Sänger mit diesem tollen Lied ist. "Im in love with your body" konnte ich mir auch gut merken, die Notiz machte ich dann gleich in meiner Werkstatt. Als ich dann am Abend daheim vor dem Computer war, wollte ich meine Notiz um den Zusatz des Namens des schwarzen Sängers ergänzen. Ich googelte also die Textzeile und fand auch gleich als Ergebnis ein Video auf youtube mit dem Foto von so einem schwarzen Rapper-Typen. Ah ja, ich hatte ihn mir kleiner vorgestellt, zarter irgendwie, aber passt schon. Aha, der Song heißt also "Shape of you". Als ich auf den Startbutton klicke, kommt ungefähr das Lied, das ich vor dem Ketchupregal gehört habe, aber irgendwas stimmt nicht. Es muss irgendein Remix sein, nicht das Original. Prompt hat auch darunter einer als Kommentar geschrieben, "I love your remix of the song!" Aha.

Also gibt es noch eine andere Version, die es zu finden gilt. Ich googelte nach den Lyrics von "Shape of You" und da stand plötzlich, sehr irritierend für mich "by Ed Sheeran". Hä? Das ist doch dieser rothaarige britische Popsänger, mit Gitarre und Balladen. Von dem soll das Lied sein? Kann ja wohl nicht sein. Der würde doch bestimmt niemals solche eindeutigen Anmach-Lieder singen, das passt doch gar nicht zu dem braven Ed Sheeran. Ich meine, es geht hier doch nun wirklich um hitzige erotische Gefühle, ohne Herzschmerz etc. Das muss ein Ausrutscher gewesen sein, mal schauen, ob es ein Video dazu gibt. Nun fand ich auch recht schnell das Lied, genau das, was mir im Rewe vorgespielt wurde, und was soll ich sagen: der schwarze kleine Sänger war scheinbar tatsächlich Ed Sheeran. Und im Video zeigt er sich sogar etwas körperbetonter im Sportstudio. Die Angebetete passt auch gut zum Song. Ihm kaufe ich die Rolle im Video nicht so ganz ab, so sportiv wirkt er nicht auf mich, wie er da tut. Es soll sich übrigens um einen Hit handeln. Was natürlich auch angebracht ist, denn ein Lied, das mich im Rewe zum Tanzen bringt, hat ganz klar Hitpotenzial, und zwar weltweit. Ich bin da auf jeden Fall ein zuverlässiger Indikator.

Wie ich aber bei weiterer Recherche sehe, ist Ed Sheeran nicht der einzige Autor des Liedes, da werden noch die Herren Steve Mac und Johnny McDaid genannt. Das steht im Wikipedia-Eintrag des Liedes. Wenn es ein Song erstmal zum Wikipedia-Artikel gebracht hat, kann man glaube ich mit Fug und Recht sagen, dass es sich um einen Hit handeln muss. Jedenfalls vermute ich ganz stark, dass der frivole Text maßgeblicih von diesem Steve Mac oder Johnny McDaid stammt. Die sehen schon von den Fotos her mehr so aus, als ob sie auch mal so eine angesexte Nummer raushauen. Ed Sheeran hat sich dann vielleicht die putzigen Marimba-Töne dazu ausgedacht. Aber vielleicht unterschätze ich auch das erotische Songwriterpotenzial von Ed Sheeran, kann gut sein. Es sind halt schon recht einfache Sätze, ohne akademisch lyrischen Anspruch, aber das muss ja auch nicht immer sein. Hier nochmal ein Auszug aus dem Text:

"(...)
Grab on my waist and put that body on me
Come on now, follow my lead
Come, come on now, follow my lead
I'm in love with the shape of you
We push and pull like a magnet do
Although my heart is falling too
I'm in love with your body
And last night you were in my room
And now my bedsheets smell like you
Every day discovering something brand new

I'm in love with your body
Oh—I—oh—I—oh—I—oh—I
I'm in love with your body
Oh—I—oh—I—oh—I—oh—I
I'm in love with your body
Oh—I—oh—I—oh—I—oh—I
I'm in love with your body"


Schon sehr schön. Wobei man vielleicht auch in einer gewissen Grundverfassung sein muss, um das in der Fülle zu würdigen.



Das war also die merkwürdige Notiz vom 17. Juni im Rewe. Ich zeigte Ina die bis dahin unverarbeitete Notiz in meinem goldenen Büchlein, schilderte kurz den Sachverhalt und vergewisserte mich bei ihr, ob der Vorfall das Prädikat "merkwürdig" verdient. Sie gab der Notiz den Segen mit den Worten: "merkwürdiger als merkwürdig!" Na, meine ich doch. Zuerst die Tanzerei vor den Ketchup-Flaschen und dann ist der kleine schwarze Sänger von dem Lied in Wahrheit Ed Sheeran.

Heute habe ich übrigens im Badezimmer beim Abrocknen nach der Dusche auch einen kleinen Tanz-Anfall gehabt. Meine Stereoanlage spielte mir zufällig "Latest Flame" von Elvis. Ein herrliches Lied, hat natürlich auch einen Wikipedia-Eintrag. Das sind so die Rhythmen, die mich in Bewegung bringen. Dies allen Songschreibern, die hier mitlesen, als kleine Hausaufgabe. "His Latest Flame" ist übrigens aus der Feder von einem gewissen Doc Pomus und dem auch mir durchaus geläufigen Mort Shuman. Elvis hat auch an seinen Songs mitgeschrieben, aber "Latest Flame" war ein Cover von einer Originalaufnahme von einem gewissen Del Shannon (nie gehört), die nicht sehr erfolgreich war. Das fehlende Hitpotenzial kann man auch auf youtube prüfen, hier die Version von Shannon. Also die Komposition alleine macht noch nicht den Hit. Man braucht schon ein starkes, grooviges Arrangement und einen starken Sänger. Wie Elvis. Hören Sie mal beide Aufnahmen kurz hintereinander und dann weiß man, warum nur Elvis der King sein konnte. Elvis Forever.

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