03. August 2024







Zebragras. Hochsommer. So starkes Sonnenlicht, dass der Schatten vom Zebragras auf der Rückseite des gar nicht transparenten Rollos erscheint. Die Polster auf den Balkon gelegt, aber doch zu heiß für ein Sonnenbad. Angenehmer im Schatten.



Ein Samstag ohne Vorsätze. Essen ist im Kühlschrank, Getränke auch. Vielleicht lese ich ein bißchen im Notizkalender von 1976 von Mama. Vorgestern ging mir plötzlich ein Restaurant durch den Kopf, wo wir, meine Eltern und mein Bruder, als ich Kind war, manchmal Schaschlik aßen. Es war ein Grillrestaurant in einem modernen Flachbau und relativ edel, mit ganz geradlinigem Siebziger-Jahre-Interieur. So schwarz-beige-orange. Keine Ahnung, wo das genau war. Man fuhr eine Weile mit dem Auto und mein Vater kannte die Inhaberin des Restaurants, weil er entweder dort auch mal Auftritte hatte oder nach irgendwelchen Gigs dort mit seinen Musikerkollegen aß. Er wurde immer sehr familiär mit Handschlag, wie ein guter alter Bekannter begrüßt. Und dann gab es Schaschlik für alle. Es galt als das beste weit und breit. Ich habe es von da an geliebt, das war genau mein Geschmack. Ein bißchen scharf, mit den gerösteten Zwiebelringen. Es war immer etwas Besonderes, wenn wir dorthin fuhren. Mir gefiel, wie modern das Restaurant ausschaute, auch weil es sonst in der ganzen Region nur eher rustikale Gastwirtschaften gab, die wahrscheinlich seit den Fünfziger Jahren unveränderte Inneneinrichtung im einheitlichen Wirtshaus-Stil hatten. Vielleicht gibt es in dem Taschenkalender von 1976 irgendwo einen Eintrag, wo sie einen Besuch in dem Lokal erwähnt. In ihrem typischen Telegramm-Stil, der in Stichworten festhielt, was sie zum Abendessen gekocht hat oder wer zu Besuch kam, oder wo sie auswärts unterwegs war.

31. Juli 2024











Memory Box Mama. Gestern noch einmal in ihr Adressbuch vertieft. Bei Namen und Adressen, die nicht durchgekreuzt waren, und auch nicht das "gestorben"-Kreuz-Symbol hatten und kein Sterbedatum, habe ich versucht, über online Telefonbücher und googeln herauszufinden, ob diejenigen noch leben könnten.

Wie alt die einzelnen Adresseinträge sind, ist schwer zu sagen. Wenn es bereits eine fünfstellige Postleitzahl gab, immerhin aus diesem Jahrhundert, habe ich Hoffnung, dass es ankommt. Und sie hat bis zuletzt aktualisiert, wie ich ja auch an Sterbedaten der letzten fünf Jahre sehen kann. Ich freue mich über jeden Adresseintrag ohne Sterbedatum.

Schlimmstenfalls kommt es zurück - aber ich hoffe, dass es auch beständige Einträge gibt. Wer will denn im hohen Alter noch zig mal umziehen, ohne Not. Bis jetzt ist nur eine Post zurückgekommen, heute habe ich noch mal vier verschickt und morgen noch mal zwei. Die beschrifte ich gleich. Gehen an zwei Adressen, die so weit weg vom Ort der Beisetzung sind, dass es auch keine Überrumpelung ist, wenn sie es eine knappe Woche davor erfahren, weil es höchst unwahrscheinlich ist, dass sie eine größere Reise deswegen auf sich nehmen.

Wenn ich schon gar nicht weiß, um wen es sich bei manchen Einträgen handelt, können es auch keine engeren Kontakte der letzten Jahre gewesen sein. Sie hat ja nur noch wenige neue private Begegnungen gehabt. Und die nennenswerten sind mir bekannt, die sind alle längst unterrichtet.

Vorgestern hatte ich sogar eine Antwort-Mail von einem Herrn aus dem Adressbuch, dem Sohn von einem verstorbenen Ehepaar, das viele Jahrzehnte eng mit meinen Eltern befreundet war. Besonders seine Mutter mochte ich sehr gerne. Er machte eine mich überraschende Bemerkung in seiner Kondolenz-Mail. Sein Vater hat mit meinem Vater jahrzehntelang bei vielen Auftritten gemeinsam musiziert.

Er schrieb: "Meine Eltern, mein Vater und Hans, standen sich ja sehr nah durch ihrer beider Leidenschaft, die Musik. Da mussten die Frauen oft etwas zurückstehen. (...)" Hat mich irgendwie irritiert, die Einschätzung des Sohns. Ich kann mich nicht erinnern, dass meine Mutter meinem Vater seine häufige abendliche Abwesenheit aufgrund seiner musikalischen Verpflichtungen vorgeworfen hätte. Das wusste sie ja schon, als sie ihn geheiratet hat.

Diesen Schreiber, den Sohn des Paars habe ich meiner Erinnerung nach nie oder nicht bewusst getroffen. Ich weiß weder, wie alt er ist, noch wie er aussieht. Vielleicht ist es mir in den Jahrzehnten auch entfallen. Es ist nicht unbedingt oft der Fall, dass befreundete Ehepaare nach dem Tod des Paars noch nennenswerten Kontakt zu deren Kindern haben, zumal wenn sie erwachsen und eigenständig sind.

Aber meine Mutter scheint einen sporadischen telefonischen Kontakt zum Schreiber der Mail gepflegt zu haben. Seine Mutter war immerhin eine gute Freundin meiner Mutter. Und sie hat in ihrem Adressbuch an einer Stelle notiert, wann sie zuletzt mit ihm telefoniert hat, das war relativ wenige Jahre her, daher schickte ich ihm Post. Zur Beisetzung kann er leider nicht kommen, seiner Frau geht es nicht gut, da muss er sich kümmern.

So, nun will ich endlich die beiden letzten Umschläge beschriften, die morgen auf den Postweg gehen. Die Notizbücher und Briefe und losen Fotos, die ich zurückbekam, sind alle in der Schachtel. Und in anderen Kisten, auf dem einen oder anderen Dachboden oder Keller, wartet noch so manches andere. Aber damit will ich mich zu einem späteren Zeitpunkt beschäftigen. In Ruhe, eilt nicht.

















30. Juli 2024

Einkaufszettel

Jever, Kaffee, Sahne

30. Juli 2024



Ich lese seit geraumer Zeit "Wonderful Tonight". Die Lebens-Erinnerungen von Pattie Boyd, Model, Fotografin, Ex-Frau von George Harrison und Eric Clapton. Die beiden Beatles-Songs aus der Feder von Harrison "I Need You" und "Something", sowie die großen Clapton-Erfolge "Layla" und "Wonderful Tonight" waren allesamt Liebeserklärungen an Pattie Boyd.

Das Buch korrespondiert inhaltlich stark mit meiner vorherigen Lektüre "Miss O'Dell" von Chris O'Dell. Beide, Pattie Boyd und Chris O'Dell, sind bis zum heutigen Tag innigste Freundinnen. Sie haben die letzten Jahre der Beatles gemeinsam erlebt, sogar zusammen unter einem Dach gewohnt, in Friar Park, George Harrisons riesigem, viktorianischen Anwesen in Oxfordshire, das sich bis heute im Besitz seiner Nachfahren befindet.

Zunächst hatte ich ein wenig Schwierigkeiten, in den Leseflow zu kommen, weil ich das unmittelbare, enthusiastische Feuer von Chris O'Dells Schreibe vermisste. Bei Chris O'Dell war ich direkt in der Zeit und den Begebenheiten, als würde es gerade geschehen - mir geschehen. Bei Pattie Boyd hingegen ist es eine klare Rückschau, Blick auf Vergangenes.

Ich überblätterte die Anfangskapitel, die sich um ihre Kindheit in Afrika drehten. Weder interessierten mich Details zu ihren Vorfahren, noch ihre Kindheitserlebnisse dort. Das mache ich zunehmend häufiger (und ohne schlechtes Gewissen) bei der Lektüre von Autobiographien, wenn der Vollständigkeit halber, von mich absolut nicht interessierenden Vorfahren wie Uroma, Uropa, Großtante und Großonkel und allerlei Familien-Anekdoten die Rede ist.

Ich las erst ab dem Kapitel, wo sie mit dem Modeln anfing, jedoch auch das nur flüchtig quer, und stieg erst richtig tief ein bei ihrer ersten Begegnung mit Beatle George. Denn das ist es doch, was alle - und so auch mich interessiert! Sie lernten sich 1964 bei den Dreharbeiten zu "Yeah, Yeah, Yeah" kennen und wurden ganz schnell ein festes Paar. Von der Stelle an las ich kontinuierlich und konzentriert (vorwiegend bei U-Bahn- und nun auch Regionalbahnfahrten, denn die S-Bahn fährt immer noch nicht durch zum Zoo).

Ich kann jedem Beatles- und Stones-Fan die Bücher der Damen nur warm ans Herz legen. In beiden Werken spielen die vielen Begegnungen und gemeinsamen Aktivitäten innerhalb der sich stark überschneidenden Freundeskreise der Beatles und Stones immer wieder eine Rolle. Für hardcore Beatles- und Stones-Fans ein Must Have! Es kommt viel Atmosphäre, Lifestyle bis in die kleinsten Einzelheiten dieser Zeit über die Rampe, so dass es sich beim Lesen wie ein Film anfühlt. Ein ganz privater Super-8-Film, den man ohne Heimlichkeiten gucken darf.

Und dabei wird noch mein Englisch etwas aufpoliert. Das ist jetzt EVENTUELL etwas peinlich, dass ich es nicht wusste, aber ich vertraue darauf, dass es manch anderen ebenso geht. Pattie Boyd verwendet auffallend oft das Wort "eventually". Mir fiel recht bald auf, dass es keinerlei Sinn ergibt, wenn ich es im schnellen Leseflow mit "eventuell" oder "möglicherweise" zu übersetzen versuche. Ich lese englische Texte oder Bücher ohne Wörterbuch daneben und komme meistens ganz passabel zurecht. Aber das wollte ich nun doch einmal amtlich übersetzt wissen. "Eventually" heißt sinngemäß ins Deutsche übersetzt "schlussendlich",oder "endlich" oder "zuguterletzt" oder "letztlich" oder "letztendlich".

Gratulation allen, die das bereits in der Grundschule gelernt und seither ohne Festigung durch einen Auslandsaufenthalt behalten haben. Eventuell habe ich es sogar in der Schulzeit mal im Unterricht gehört, und dann EVENTUALLY wieder vergessen!

29. Juli 2024



Und ein Blick unters Kleid des unvermeidlichen Server- und Netzwerkschranks. Schwarzes Loch mit Strippen und Geblinke.



Ich praktiziere kein Home Office, sondern das genaue Gegenteil. Nicht hält die Arbeit Einzug in meine private Umgebung, sondern ich verändere seit einigen Jahren die Arbeitsumgebung innerhalb meiner Gestaltungsmöglichkeiten und meines Radius so, dass sie ästhetisch eher meinen privaten Vorstellungen und Bedürfnissen entspricht. Davon profitieren auch alle anderen. Seither bilde ich mir ein, dass ich neben meiner Wohnung in Mitte und meinem Atelier in Neukölln, private Räume in Charlottenburg bewirtschafte.



29. Juli 2024



Bleibt so. Der zwei Meter hohe Serverschrank, vorhin fotografiert.

28. Juli 2024



Letzte Dinge. Drei Taschenspiegel. Eine Sonnenbrille. Acht Lesebrillen. Ein Necessaire. Sechs Nagelscheren. Zwei Pinzetten. Eine Feile. Eine Uhr. Ein Poesiealbum. Zwölf Geburtstags-, Oster-, Weihnachts-Briefe, -Karten von mir. Vierzehn von anderen. Sieben Notizbücher. Ein Adressbuch. Viele Fotos. Sieben davon gerahmt.







27. Juli 2024

26. Juli 2024

Märchenhafte Eröffnungsfeier der Olympischen Sommerspiele in Paris. Mir fehlen die Worte. So viel Kunst. Die Tänzerinnen in Pucci-haften Kostümen auf den hohen Stangen auf der Pont Neuf. Gerade die Metal Band mit dem Blutregen aus roten Schleifen und den geköpften Marie Antoinettes aus allen Fenstern. Wahnsinn. Zufällig zugeschaltet, als ich im Live Ticker auf gmx davon las, was schon alles bei der Eröffnung geschah. Sport-Begeisterung nicht von Nöten, um das großartig zu finden. Trotz Regenwetter in Paris. Ich gucke mal weiter. Möchte sehen, wie das Olympische Feuer entzündet wird. Sport ist mir ansonsten relativ schnuppe, aber das ist groß. Sehe ich mir später in der Mediathek noch mal von Anfang an. Jetzt live im Ersten. Unbedingt gucken!

26. Juli 2024

[ Einblick in mein Gefühlsleben, aus zwei Chats von gestern. Zuerst mit Lydia, später mit Georg ]

"(...) ich habe gerade das Paket mit den Sachen meiner Mutter geöffnet, so viele Notizbücher... das wird mich die nächsten Tage beschäftigen... Adressen zu finden, wem ich noch Trauerpost sende... aufwühlend gerade.

(...) gucken, was Mama ins Notizbuch geschrieben hat. Auf einem Umschlag, vielleicht der letzte mit ihrer Handschrift, vom März 2024, die Geburtsdaten ihres Urenkels und sein Gewicht und die cm, wie groß er ist, und darunter schrieb sie Geburts- und Todesdaten ihres Sohns und meines Vaters... ich war erst irritiert, dass sie schrieb "Opa - Andreas, geb. 10.05.1964, gest. 04.07.1987" Ich kriegte das nicht zusammen... "Opa" mit meinem Bruder. Aber ja. Er wäre im März zum ersten Mal Großvater, also Opa geworden. Ich war perplex. Dachte erst, meine Mama war zuletzt vielleicht doch verwirrt, aber sie hatte recht. Muss das alles verdauen, was ich da in Händen halte... so viel - und passt doch in zwei Stoff-Einkaufsbeutel. Das Existentielle, was ihr etwas bedeutet hat, die Bilder, Briefe, Notizen ihrer Lieben... und hatte natürlich Fotos von mir im Portemonnaie...

Wenn man als Pflegefall ins Pflegeheim, Seniorenheim kommt, ist es nicht wie bei rüstigen Alten, die noch Möbel mitnehmen oder so. Da gibt es nur noch das Pflegebett, einen Einbauschrank und ein Nachtkästchen. Und ein paar eigene Bilder an der Wand. Das wars. Und dann, irgendwann.... Adieu.

Ich pack jetzt die Sachen aus und leg sie auf den Teppich und sortiere... die mindestens 8 Lesebrillen, ca. 5 Nagelscheren, Handspiegelchen.... alles doppelt und dreifach. Aber am allerallerwichtigsten, ihre kleinen Notizen, die sie immer in Taschenkalender gekritzelt hat. Sogar ihr Poesiealbum aus ihrer Kindheit ist dabei. Aber leider nicht das Tagebuch aus ihrer Jungmädchenzeit. Darin las ich heimlich als Kind. Wo mag es nur sein..."


[ einige Stunden später an Georg ]

"(…) gerade - bis jetzt - sechs Stunden die Notizbücher und Post (und das uralte Adressbuch) meiner Mutter der vergangenen Jahre (im Pflegeheim) detektivisch untersucht und ausgewertet... wer hat ihr noch zum Geburtstag gratuliert... könnte ich eine Parte schicken... Die allermeisten Adressen sind durchgekreuzt und rechts davon steht das Todesdatum. Puh. Sehr spezielle Lektüre. Krass. Und die eigenen Briefe und Karten zurückzubekommen. Hab ihr schon recht oft bildschöne Liebesbotschaften zukommen lassen... Selbstberuhigung.... durchaus gerechtfertigt bei kontroverser Mutter-/Elternbeziehung. Am Ende auf alle Seiten Frieden. Wichtig im Kleinen wie im Großen. Love & Peace. Allenthalben."

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