Kunstvolles Kopfzerbrechen.
Art Kopfzerbrechen. Aber Kryptologie gehört besser in Forschungsbereiche der Archäologie oder archaische Kulturwissenschaften. Wohin auch immer, aber nicht in dieses Blog. Ich schreibe jetzt einfach. Ein magischer Akt. Der Schreibzauber. Seelenpflege auch. Ich habe die letzten Tage einige Zeit damit zugebracht, alte Filmaufnahmen zu sichten und bislang nicht als verbunden gesehene Sequenzen zu montieren. Vergangenheit. Bilder, die vor ziemlich genau zwölf Jahren, hier bei mir in Berlin entstanden sind, in diesem Raum, diesem Zimmer, in dem ich jetzt diesen Eintrag schreibe. Vor allem an den letzten drei Tagen zusammenmontiert mit einer noch älteren Aufnahme, einer tatsächlich genau unfassbare dreißig Jahre alten Tonspur. Ein Lied, das ich gleich liebte, als ich es 1983 zum ersten mal hörte. Ich war mit dem Keyboarder einer noch im Entstehen begriffenen Band seit langem sehr gut befreundet, und über ihn lernte ich die anderen, mit denen er dort zwei kurze Jahre lang deutschsprachige Songs fabrizierte, kennen. Ich könnte jetzt bis nach China ausholen, denn es ist eine lange
Geschichte, in der der Keyboarder aber nicht die Hauptrolle einnimmt, sondern der Sänger. Man könnte im Grunde einen abendfüllenden Film oder Mehrteiler haha, aus der Geschichte drehen, über unerfülltes Begehren aus der Distanz, und über eine schicksalshafte Wiederbegegnung, viele Jahre später. Die Wege kreuzen sich, driften auseinander, kreuzen sich wieder, driften auseinander. Vielleicht sehen die Götter das Universum aus ihrer erhabenen Distanz als ein riesiges Netz und verstehen mühelos den Zusammenhang, die Verbindungen, können diese Knotenpunkte bis in alle Unendlichkeit sehen, und dass sie durchaus rhythmisch gewoben sind. Und die, eine kleine Menschen-Ameise niemals ermessen kann. Ich will wirklich - ich meine das aufrichtig - nicht kryptisch werden, ich kann das als Prinzip, um eine Art attraktives Geheimnis zu kreieren, nicht ausstehen. Als wären die Dinge nicht schon geheimnisvoll genug. Ich rede nicht von Diskretion oder dem Gegenteil, sondern von innerer Klarheit, die ich brauche, um es klar zu formulieren. Ach. Aber man kann eben auch nicht im aufklärenden Sinne plakativ werden, wenn die inneren Bewegungen, Gedanken und Überlegungen noch nicht in plakativer Deutlichkeit und Pflückreife vor dem inneren Auge stehen, so dass man sie nur noch abschreiben müsste. Ich kann aber immerhin hier und heute in geistiger Klarheit sagen, es handelt sich um ein gutes Zeichen, dass ich voll unbefangener Erinnerung mit diesen Sequenzen spielen kann. Da ist keine Schwere mehr, dafür ist es zu lange her. Viel geschehen. Bilder, Welten, Kontinente. Als ich vor kurzem in meinem Atelier war, um den Strom abzulesen, legte ich die beiden alten Kassetten ein und ließ bei einigen Liedern die Kamera zwecks Audioaufnahme, direkt aus dem Raum, laufen. Daher ist der Klang auch so garagenmäßig. Dreidimenisionale Patina aus Bequemlichkeit. Ich hatte plötzlich einen Anflug, diese alten Sachen aus den Achtzigern nach Belieben hören zu können. Seit langem gibt es keinen Kassettenrekorder mehr in meiner Wohnung, aber in meinem Atelier staubt noch eine dieser Mini-CD-Player-Kompaktanlagen der ersten Generation vor sich hin, die letzten mit einem Tapedeck drin. Durchaus hätte ich lieber eine professionell gerippte, digitalisierte Aufnahme davon gehabt, für mein so plötzlich und so eilig aus dem Nichts ans Licht drängende Opus Siebenundsiebzig. Der Song hätte es verdient. Aber wenn ich sofort mit etwas arbeiten will, wird gerne mal
dilettantisch improvisiert. Wenn es raus will, muss es eben raus. Nur die Filmaufnahmen habe ich vor einiger Zeit, schon im April digitalisieren lassen. Wie so oft, hat der Zufall bei diesem Opus Hilfe geleistet. Ich ließ meine mitgeschnittene Version von "Ich fühl mich gut", neben anderen Songs, im Hintergrund auf dem Rechner laufen und öffnete etwas ratlos die Filmprojektdatei, in der ich ursprünglich etwas anderes schneiden wollte. Plötzlich schienen die Pausen zwischen dem Eigentlichen, wo ich nicht so recht den Einstieg fand, zu dem Lied zu passen. Ich entwickle beim Hören von Musik (wie wahrscheinlich die meisten) eine visuell greifbare, sehr räumliche Vorstellung der Atmosphäre, in die ein Lied zu gehören scheint. Es sind zwar nicht genau die wiederkehrenden Bilder, die ich Anfang der Achtziger Jahre hatte, als ich den Song hundert Mal hörte, aber schon nah dran. Ich weiß, dass Duke, der in diesem Opus im Alter von Zweiundvierzig zu sehen ist, und dessen junge Stimme zu hören ist, als er vierundzwanzig war - die selben Zahlen, zwei und vier fällt mir gerade auf - nicht so gerne an diese musikalische Entwicklungsphase mit dieser Band mit dem komischen Namen, über die es kaum Hinweise im Internet gibt, zurückdenkt oder -dachte, so wie ich es tat. Ich war traurig, dass meine noch nach Jahren nachklingende Begeisterung durch mir übertrieben scheinende Selbstkritik relativiert wurde und damit das nahezu perfekte Kaleidoskop meiner farbenfrohen Erinnerung torpedierte. Dabei ging das gar nicht. Ich ließ es insgeheim nicht zu, nicht an mich heran und blieb stur. Bis heute. Denn, wenn ich es heute höre, bin ich verblüfft, wie unverändert sehr mir das Lied gefällt, wie unaffektiert, wie beiläufig der Gesang ist, wie glaubwürdig er erzählt, flüstert, da in seinem Zimmer, spät in der Nacht, allein daheim. Er klingt, wie ich ihn damals im direkten Gegenüber empfunden habe. Als die in keinem Zusammenhang damit stehenden Filmaufnahmen, die hier nur in geringen Fragmenten zu sehen sind, entstanden, war sehr viel Zeit vergangen. Zwischen
1983 und
2001 liegen (lie
ben habe ich gerade versehentlich getippt) immerhin achtzehn Jahre. Auf manchen Bildern erinnert er mich an den Vierundzwanzigjährigen, dem ich damals gerne näher gekommen wäre. Und er mir, wie wir uns viele Jahre später offenbarten, aufgelöst und fassungslos. Aber mehr will ich jetzt gar nicht dazu schreiben. Wir haben seit langem keinen Kontakt mehr, aber ich denke, er sollte wissen, dass ich in den letzten Tagen mit unseren alten Aufnahmen gebastelt habe, die nie das Licht irgendeiner Öffentlichkeit erblickten. Wenigstens für unser Archiv. Ein schönes Stück unseres Lebens. Um zu sehen, dass das Beste von uns in unseren Bildern und Liedern bleibt, die wir mit heißem Herzen eingefangen haben. Ich glaube, ich muss ihm wenigstens mit einer Mail sagen, dass ich gerade etwas veröffentliche, das mit ihm zu tun hat. Das gehört sich einfach. Ich denke, ich schicke ihm jetzt einfach den Link zu diesem Eintrag.
...steck die Hände unter die Achseln, von meinem warmen Overall
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