18. November 2010



Wie war das noch, warum wollte ich da eigentlich hin? Mal überlegen. Ich habe ungefähr 1972 das letzte Mal Olympia geguckt. Ich bin in keinem Sportverein und auch keine Neonazisse. Obwohl ich mir Kraft meiner Wassersuppe erlaube, Lenis lichtbildnerisches Werk sehr zu schätzen. Das eine hat übrigens mit dem anderen nichts zu tun. Ich mag Pathos und Patina. Darauf war ich neugierig. Pathos war kaum zu finden, im olympischen Dorf von 1936 im brandenburgischen Elstal, aber Patina und dieses geheimnisvolle Gefühl vom Stillstehen der Zeit. Man findet das an Orten, an denen die Menschenhand lange nicht mehr oder kaum eingegriffen hat. In Naturreservaten, Naturschutzgebieten. Dann entfaltet sich ungehemmt die elektrische Aura der kleinsten Erdbewohner. Der Tanz der zurückgekehrten Mikroben. Die einst vom Menschen zurechtgestutzte, geformte Materie verbindet sich wieder mit den wilden Organismen und bekommt jenen atmenden, unerschrockenen Rhythmus zurück, den sie im Urzustand hatte. Ich liebe das. Die harten Kanten werden wieder weich. Die glatten Flächen porös und bewohnbar für die kleinsten Wesen. Wände, die zu leben scheinen, die vielen Abstufungen von Ocker an einer zuletzt irgendwann in der Mitte des letzten Jahrhunderts verputzten Fassade. Wenn alles instand gesetzt wäre, dort in Elstal, wäre es nur halb so schön. Aber ich will mir noch ein bißchen Text aufheben für die anderen neun Bildstrecken, die mir dort widerfahren sind. Nun fühlt es sich an, als sei ich nicht fünf Stunden, sondern fünf Wochen dort gewesen, in diesem verschlafenen kleinen Dorf in Brandenburg, das ich eigentlich ja immer noch nicht kenne.



Ich kam am Bahnhof an, es war ein Sonntag und ich nahm zur Kenntnis, dass der einzige Bus sonntags nie fährt. Auf einen kleinen Zettel kritzelte ich grob den Weg, noch zuhause. Dann war es recht einfach, immer diese lange Autostraße entlang, vorbei an einer struppigen Talsenke den Weg zu finden. Es gab ein, zwei Schilder. Windig war es. Und sonnig. Vor dem Eingang des olympischen Dorfes, gegenüber einer Wohnsiedlung war ein Platz mit der Bushaltestelle und ein paar Bänken und einer Till Eulenspiegel-Figur. Was mich freute, weil Till ein wilder Vogel war, ein kleiner Anarchist. Der Spiegel in seiner Hand hatte sogar eine richtige Spiegelfläche. Ein bißchen märchenhaft. Wenn ich es recht erinnere, zahlte ich einen Euro Eintritt. Oder waren es zwei? Es war jedenfalls so wenig, dass man schon deshalb das Gefühl haben konnte, ganz weit weg zu sein. Wie man manchmal über sehr niedrige Preise in anderen Ländern gerührt ist, weil man von zuhause anderes gewohnt ist. Den Eintritt entrichtete man an irgendeiner Bretterbude in der Nähe des Eingangs. Ich fragte nach einem Lageplan, irgendeinem Faltblättchen vielleicht? Das war gerade alles vergriffen. Vielleicht noch fünf andere Leute, eine Familie, war auch im Begriff ins olympische Dorf zu wandern. Sonst weit und breit kein Mensch. Großartig. Das erste was auffällt, sind die durch dicke Taue abgesperrten Wiesenflächen mit den Schildern "historische Fläche, bitte nich...". Man schaut auf die Wiese und denkt so "aha, historisch!". Aber weiter ist da nichts.


is jut, is jut Mann.

Und dann plötzlich diese kaum sichtbare Ruine, mit Planen verkleidet und einem rundumlaufenden, mannshohen riesigen Banner mit historischen Schwarzweiß-Fotografien. Es ist die verfallene Schwimmhalle, die wiederhergestellt wird. Die alten Fotos haben mich sehr fasziniert. Wieviel Leben, Lebensfreude in diesen wenigen Wochen dort einzog. Die Athleten schienen ziemlich viel Spaß zu haben. Ich machte ein paar Fotos mit mir und vor allem Jesse Owens und ging weiter, der Sonne entlang. Hier war also der Waldsee, wie ich auf dem Schild lese. Mit einer finnischen Sauna. Eine weite, offene Talsenke in der Landschaft, die auch in Schweden sein könnte. Wälder ringsum. Der See ist wieder verlandet, er wurde nur zum Komfort der Athleten mit Wasser gefüllt. Ich stelle mir vor, wie sich die Sportler aus aller Herren Länder dort vergnügten und den Eindruck haben mussten, dass sich das Gastgeberland wirklich Mühe gegeben hatte, den Gästen möglichst viele Annehmlichkeiten zu bieten. Das hat mich schon beeindruckt. Und hinter der Biege des nächsten Birkenwäldchens konnte ich ein großes Gebäude erahnen.



Elstal I Arrival

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