19. Oktober 2012

Muss gerade an Weimar denken, an eine seltsame Nacht. In einem Hotel. Irgendwas mit "... Hof" Russischer Hof oder Petersburger Hof. Lange her. Eine kalte Silvesternacht. Schnee lag auch glaube ich. Aber unter der Bettdecke war es warm. Man könnte sogar sagen heiß. Ich glaube, ich komme drauf, weil ich bei den Bildern an Schiller und Goethe denken muss. Am ehesten identifiziere ich mich mit Schiller, aber nicht mit den zugehörigen Frauen. Eine ästhetische Identifikation. Ich wäre ein attraktiver Mann gewesen, lieber ein Mann als eine Frau in dieser Zeit. Ja, so ein rebellischer Hofpoet mit wilder Mähne und flatterndem Hemd. Aber auch sehr entschieden. Wie ich eben heute auch bin! Entscheidungsschwierigkeiten sind mir fremd. Ein klares Ja oder Nein geht ganz schnell bei mir. Es kommt mir sogar vor, als wäre diese dumme Mieterhöhung das erste Mal in meinem Leben, dass ich hin- und hergerissen bin. Zwischen Unterschrift und einfach friedlich hinnehmen oder Widerspruch, der mit Arbeit und Argumentation und Hin und Her verbunden ist. Ich schiebe es immer noch vor mir, aber das soll nicht das Thema sein, in meinem kleinen Eintrag. Wenn nur nicht dieses blöde Zustimmungsritual dazugehören würde, dann wäre es einfacher. Ach, egal jetzt, heute Abend. Meine Probleme möchte ich haben. Wie heißt es doch so schön: "Manche haben für jede Lösung ein passendes Problem".



Interessant zu beobachten, wie ein erreichter, erarbeiteter guter Status für viele recht bald gewöhnlich wird, so gewöhnlich, so normal, dass die Sehnsucht nach Abwechslung überhand nimmt. Wahrscheinlich braucht man immer etwas zum Erhoffen und Ersehenen, um sich lebendig zu fühlen. Ein Ziel, das noch nicht erreicht ist, gibt den Blick auf einen Weg frei, auf Zukunft und unbekannte Erlebnisse, neue Begegnungen und Erfahrungen. Wenn man aber am Ende des Weges ist, an einem bestimmten Punkt und noch Lebenskraft und Übermut und Erfahrungshunger da sind, kann man nicht davon zehren, sich am Ziel umzudrehen und stolz auf den zurückgelegten Weg zu blicken. Obwohl er genauso lang oder kurz ist, wie von der anderen Seite. Aber am Anfang weiß man noch nicht, wie er sich anfühlt. Am Ende kennt man alles und kann sich hier und da sentimental erinnern, aber das ist nicht abendfüllend. Außer vielleicht, man ist sehr alt und die Kräfte verabschieden sich, so dass man bereits den Übergang in eine jenseitige Existenz ersehnt, als Erlösung und auch wegen der Abwechslung. Aber das ist auch ein Blick in die Weite, zum Horizont eines unbekannten Landes. Mir fällt gerade auf, dass ich nicht gerne mit Menschen zusammen bin, die zu ausgiebig von Vergangenem schwärmen, es langweilt mich und ich empfinde es als Missachtung der - zumindest für mich - offensichtlich hohen Qualität der Gegenwart. Wie kann man einer Zeit hinterherwinseln, in der man nur halb so viel wusste, einem Lebensalter, in dem man so ahnungslos war. Das einzige was vielleicht besser war, war das ständige Empfinden von Neuem, das gebe ich zu, diese Aufregung der Jugend über Alles und Jegliches. Was es alles auszuloten gab.



Die Freude an Experimenten mit Substanzen und Provokation. Das lässt sich nicht wiederholen, der Effekt nutzt sich ab. Man kann nicht zweimal mit derselben Handlung auf eine Art provozieren oder an Grenzen gehen, dass es auch beim zweiten Mal eine aufregende Erfahrung garantiert. Wenn ich in Keith Richards Buch lese, muss ich manchmal daran denken, wie das wohl jemand wahrnehmen mag, dem diese Welten von Grenzerfahrungen anhand von Drogenexperimenten unbekannt sind, oder diese besondere Welt, dieses Universum, in dem sich Rockmusiker bewegen. Wahrscheinlich findet jemand ohne eigenen Zugang zu dieser Welt das ganze Buch langweilig und irrelevant. Ich mag das allerdings sehr, kleine Details über den Augenblick zu erfahren, die Situation, aus der in einem Hotelzimmer an einem verregneten Tag Gimme Shelter mit einem Riff begann, als Mick und Anita Pallenberg Performance drehten und Keith alleine auf seinem Zimmer blieb, in einer seltsamen Stimmung, irgendwie diffus, er konnte nicht wissen, dass die beiden miteinander rummachen würden. Anita war ja mit ihm, Keith, zusammen, aber die Badezimmerszene war eine reizvolle Angelegenheit, keine sterilen Dreharbeiten. Na ja und so weiter. Es liest sich irgendwie familiär. Vielleicht ist mir diese Welt in Fleisch und Blut, weil die Musik mich seit meiner Jugend so sehr begleitet hat, mein Bruder war ein großer Keith Richards-Fan. Ich glaube nicht mal, dass er wusste, warum alle seine Gitarren nur fünf Seiten haben. Er erklärt das alles ganz genau und ich lese alles ganz genau, als hätte ich Ahnung von Gitarren. Beinah absurd. Schon seltsam, wie viel Zeit ich mit Männern verbracht habe, für die eine Gitarre die zweite Geliebte war, manchmal auch die Erste. Immer an ihrer Seite, immer da, wenn man sie braucht, anschmiegsam, tröstend auch. Tatsächlich, mein Leben ist von Männern mit einem Zimmer voller Gitarren, Verstärkern, Kabeln und Mikrofonen gesäumt, wenn ich so zurückschaue. Wenn ich nach vorne schaue, bin ich wie im Nebel. Ein heller, lichter Nebel zwar, aber vermutlich kein Bühnennebel. Mit Typen mit Hang zu Nebelmaschinen hatte ich aber ohnehin nie etwas zu tun. Jetzt fange ich aber langsam an mich zu verfransen. Ich höre mal auf für heute. Ist sicher besser so.

Trackback URL:
https://gaga.twoday.net/stories/172010635/modTrackback

g a g a
ANH 6. MAI 2024 UM...
06.05.24, 15:08
g a g a
g a g a
Kavi V. Der Frühling...
03.05.24, 22:33
g a g a
g a g a
Isabel Bogdan Ha,...
02.05.24, 14:45
g a g a
g a g a
Margarete 1. Mai 2024...
01.05.24, 23:41
g a g a
MARGARETE 30. APRIL...
30.04.24, 14:32
g a g a
Lydia G. Toller Typ!
29.04.24, 21:49
g a g a
Jan Sobottka bei mir...
29.04.24, 21:06
g a g a
Ina Weisse Schöne...
29.04.24, 20:08
g a g a
g a g a
Gaga Nielsen 28. April...
28.04.24, 01:17
g a g a
Zucker 27. April 2024...
27.04.24, 23:22
g a g a
P.P.P.S. gibt zig...
27.04.24, 17:05
g a g a
g a g a
NeonWilderness
g a g a
Zucker 27. April 2024...
27.04.24, 13:54
g a g a
Jon Tinic Ein Setup...
26.04.24, 08:42

21.47
a
April
april 2004
april 2005
april 2006
april 2007
april 2008
April 2009
April 2010
April 2011
April 2012
April 2013
April 2014
April 2015
April 2016
... weitere
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren