21. september 2005

ich überlege gerade, ob autistischem verhalten zu einem initialen zeitpunkt eine sehr bewusste entscheidung zugrundeliegt. ein zustand, der sich dann festigt und ausweglos wird, scheint. ich las vor vielen jahren das buch von einem jugendlichen autisten, birger sellin 'ich will kein inmich mehr sein', der auf merkwürdige art gelernt hatte, an einem computer zu schreiben. das waren zauberhafte texte von einem hochempfindsamen menschen.

ich kannte eine frau persönlich, die lebenslänglich - ich nenne es: autistisch lebte. es war die ältere schwester einer engen freundin. ich traf sie ab und zu, die autistische schwester, wenn ich meine freundin besuchte. ich hörte, sie hätte sich bis zu ihrem dritten lebensjahr ganz normal entwickelt und hätte fröhlich geplappert. dann ist irgendetwas geschehen. kriegsjahre. es gab eine zeit, einige jahre, ihre letzten, als sie gemeinsam mit meiner fürsorglichen freundin in einer großen berliner wohnung lebte, eine späte wohngemeinschaft mit der mutter. die autistische schwester lebte in einer symbiose mit der mutter und war sehr auf gemeinschaftliche alltagsabläufe fixiert. feste zeitpunkte waren sehr wichtig. sie sammelte bis zu ihrem lebensende micky maus-hefte und wusste immer genau die zahl. um 20:15 mahnte sie mit einer geste auf ihre armbanduhr die tagesschau an. sie hatte wache augen und begrüßte mich mit einem kopfnicken. sie starb kurz vor der mutter, vor drei oder vier jahren. eigentlich habe ich kein medizinisches wissen darüber. aber wer kann schon wirklich wissen. wenn man es schafft auf irgendeiner ebene kontakt aufzunehmen, erfährt man etwas sehr eigenes.

wie komme ich jetzt darauf. ich hatte den einfachen und sehr klaren gedanken, dass mir bewusst ist, dass ich in einem bestimmten bereich autistisch geworden bin. es gibt dinge, über die ich nicht sprechen kann. es ist ein schutzmechanismus. um nicht durchzudrehen, da sprache gefühle auslösen und verstärken kann. und ich bedaure das. ich merke zwar, wie sich der griff und die beklemmungen zunehmend lösen, aber ich kann mir nur schwer vorstellen, das je in worte zu fassen. wozu auch. ich habe genug in worte gefasst.

umblättern.
kid37 - Do, 22. Sep, 10:13

Die Quallen am Ostseestrand sind im Leben nicht weit gekommen. So ein Schutzpanzer bietet viele Vorteile gegenüber dem Molluskelhaften, Empfindsamen. Ich erschrecke oft, nein manchmal, wenn Sprache mich über eine Schwelle trägt.

Dann steht man in einem neuen Land oder auch nur in einem alten Land, das es neu zu entdecken gilt. Und versteht die Sprache nicht mehr. Was wollte ich sagen? Ach so, ich schweige.

g a g a - Do, 22. Sep, 10:33

ich glaube zutiefst daran, dass man mit der manifestation von worten auf der wirklichkeitsebene manifestiert. man ehrt die dinge damit. im guten wie im argen. es verstärkt die energie. wenn ich nicht daran mit worten rühre, tut es spürbar weniger weh. ich spüre, wie die farben verblassen. irgendwann ist es vielleicht nur noch ein alter streifen zelluloid. stummfilm. ich glaube auch, dass man die gegenwart damit ungeheuer belasten kann. lieber eine zäsur. naivität ritualisieren. die alten spuren liest man ohnehin in den augen. das ist genug. anfang neu.
kid37 - Do, 22. Sep, 15:45

Definitiv. Viele spüren den archaischen Namenszauber, wenn ihr Name genannt wird. Die Kraft und die Macht, die darin liegt. Bilder und Schweigen verlassen sich auf andere Schwingungen. Nicht weniger intensive. Nur gemeinsam Schweigen kann man nicht über das Internet.
g a g a - Do, 22. Sep, 16:05

leider -
sehr schwierig, als out of body experience. für sehr fortgeschrittene. telepathischer rittberger. aber eislaufen hat mich noch nie interessiert. ich war nie besonders sportlich. ich glaube in der siebten klasse teilte mir meine sportlehrerin mit, dass ich ein phänomen wäre, insofern, dass sie in ihrer gesamten schulischen laufbahn noch nie einer schülerin die note ungenügend in sport geben musste. immer hätte es noch für eine vier gereicht, aber ich sei da wohl ein völlig hoff- nungsloser fall.

bei diversen ballspielen hatte ich angst vor diesen unvermittelt auf mich zurasenden geschossen. ich verschränkte reflexartig schützend die arme und duckte mich, anstatt zu fangen. wie man sich denken kann, war niemand unbeliebter als ich, wenn es darum ging, die spieler für die eigene gruppe auszuwählen. mein gott - wie ich das hasste. beim bockspringen blieb ich hängen. beim kopfstand wurde ich ohnmächtig. beim weitsprung sprang ich zu kurz. beim rennen hatte ich keine ausdauer, zu langsam war ich sowieso. es war mir völlig wurscht, wer bei was gewinnt oder welchen platz macht. wenn es einen ersten platz für mangelnden sportlichen ehrgeiz gibt, steht er mir zu. beim basketball warf ich nicht hoch genug. am barren konnte ich mich nicht hochziehen und prellte mir bei irgendwelchen erfolglosen überschlägen die knie. mein erster und hoffentlich letzter sprung von einem sprungbrett ins wasser war von einem ein-meter-brett. mir kam es vor wie der fernsehturm. und ich bin keineswegs schwindelfrei. beim skifahren hatte ich horror vor vereisten flächen und ließ mich lieber in den schnee fallen. ich hasste das technokratische regelwerk. ich hasste sport.

ich hasste die umkleidekabinen. das gemeinsame duschen und die vergleichende fleischbeschau. ich hatte gelegenheitshalber zweimal monatlich "meine tage" und saß lieber am rand der turnhalle und träumte mich weit weg. heute renne ich manchmal plötzlich un- kontrolliert und impulsiv durch den wald. zum glück misst keiner mehr die zeit...

aber im warmen wasser schwimmen kann ich endlos. ich lasse mich langsam treiben. wenn ein angeber mit dynamischen delphinschlägen an mir vorbeispritzt, verfluche ich ihn. (oder sie...). eine freundin, die sich mit asiatischen entspannungsmethoden befasst, wunderte sich bei einem experiment über meine beweglichkeit, weil ich trotz völliger bewegungsarmut erstaunliche arm- und beinverrenkungen zustande bringe. eigentlich müsste ich längst komplett eingerostet sein... wahrscheinlich bin ich vom mars.

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