08. Juli 2014
More Vienna. Also weiter. Aus dem Tuchlaubenhof kommend, finde ich mich in der Seitzergasse. Eine nicht übersehbare Bauzaunverkleidung markiertproklamiertzitiertdefiniert das Goldene Quartier. Durch Wiederholung lernen wir. Die in vielfältigen Sand- und Beigetönen gewachsenen, aufgefächerten Fassaden wirken beruhigend, unerschütterlich etabliert. Das Establishment alter, gewürdigter Architektur. Die Wiener "Innere Stadt" ist Weltkulturerbe. Und das ist bestimmt keine Fehlentscheidung. Mir war schon einigermaßen klar, dass der Begriff "Goldenes Quartier" neueren Datums sein muss, denn das Althergebrachte, Selbstverständliche wird selten plakatiert. Es ist einfach allzu bekannt und deswegen obsolet, es groß an die Glocke zu hängen. Wie man eben auch nicht plakatieren würde "Der Goldene Komponist" (W. A. Mozart). Warum das Etikett fürs Quartier? Wahrscheinlich, eine Kampagne zur Status-Festigung, Unterfütterung der Exklusivität des Areals. Mit so einem schicken Etikett kann man sich noch besser abgrenzend verorten. Eine kleine, kostspielige Grenzziehung innerhalb des ersten Gemeindebezirks. Wahrscheinlich wird sich auch die entsprechend liquide Klientel finden, um das "Living" nicht nur auf der schicken Internetseite zu visualisieren. Schon schöne Wohnungsangebote. Teuer ist ja sehr relativ. Für den einen unbezahlbar, für den anderen Portokasse. Ich vermute, wer dringend interessiert ist, sehr viel Geld zu erwirtschaften, wird es auch irgendwie hinkriegen. Eine Frage des Willens. Könnte aber sein, dass es auf Dauer ein bißchen eintönig wird, wenn lauter gleichgestrickte Premium-Gelderwerber auf einem Haufen sind. Da muss dann wieder die Kunst ran, die Narren zur Belustigung. Und natürlich Drogen für das nächste Ekstase-Level. So viele finanziell sehr wohlhabende Menschen habe ich noch gar nicht getroffen, aber die Wenigen hatten oft einen starken Hunger nach Reichtum auf virtueller, visionärer Ebene. Dem, wofür die Kunst im besten Fall steht. Oder auch einfacher: sogenannte Lebenskünstler. Ich stehe da irgendwo dazwischen und schaue mir den ganzen Zirkus an. Wieder mal ein paar Gedankensprünge. Wie man eben auch mit den Gedanken springt, wenn man durch die Gassen von Wien flaniert, oder sonstwo auf dieser schönen Welt. Ah, ich höre Feuerwerk. Meine Nachbarn freuen sich. Sollte heute etwa der Dauerfluch des ewig finalen Halbfinales gebrochen werden? Unglaublich. Schon schön. Aber auch irgendwie... man möchte sich ein bißchen bei den Gastgebern entschuldigen... oh là là... fast hätte ich gestern meine Überschrift noch korrigiert... von wegen "Victory".... jetzt Khedira 5:0 in der 29 Minute...
: : alle Wiener Geschichten : :
g a g a - 8. Juli 2014, 22:30
Der schadenfrohe Österreicher würde jetzt vielleicht sagen ...
http://de.wikipedia.org/wiki/Fu%C3%9Fball-Weltmeisterschaft_1954#Halbfinale
Ich denke, die Brasilianer haben sogar jetzt mehr Sympathien für die deutsche Mannschaft, auch gerade jetzt, wo der "Erzfeind" Argentinien im Finale steht.
Und das letzte Wort müssen Sie mir bitte übersetzen.
Bitte um Vergebung und schulde Ihnen eine Mozartkugel. Doch doch doch.
'Bananderl' ist eine Verkleinerungsform von Banane und 'Tandler' ist ein 'Händler, Krämer'. Zumindest in meiner Phantasie davon, was man in Österreich so spricht. Vielleicht ja auch falsch!
Wemmasnuimmawüsst!
Wikipedia vermerkt zum deutsch-österreichischen Halbfinale von 1954 folgendes:
"Nach dem überstandenen Viertelfinale wartete in der Runde der letzten Vier Österreich auf das DFB-Team. Die Duelle mit der Alpenrepublik waren schon seit jeher von großer Bedeutung. Man pflegt zwischen Deutschland und Österreich eine nachbarschaftliche Rivalität, die natürlich durch den „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich 1938 noch verstärkt wurde. Die Österreicher hatten sich in der Vorrunde 1:0 gegen Schottland und 5:0 gegen die Tschechoslowakei durchgesetzt und wurden durch Losentscheid gegenüber Uruguay zum Gruppenersten „gezogen“. Dadurch trafen die Spieler von Teamchef Walter Nausch in der zweiten Runde auf den Gastgeber Schweiz. In Lausanne entwickelte sich bei 40 Grad im Schatten ein Spiel, das später unter dem Namen „Hitzeschlacht von Lausanne“ Bekanntheit erlangte.[8] Mit zwölf Toren, sieben für Österreich und fünf für die Schweiz, ist die Begegnung vor 32.000 Zuschauern im Stade Olympique de la Pontaise bis heute das torreichste Spiel bei einer Fußball-Weltmeisterschaft. Die Bilanz der Begegnung war ein Sonnenstich beim österreichischen Torhüter Kurt Schmied und ein Kollaps des Schweizer Spielers Roger Bocquet. Schließlich gewann Österreich 7:5 und stand im Semifinale. Dort wartete Deutschland. Österreich ging noch geschädigt durch das schwere Spiel in Lausanne in die Begegnung, sodass die Deutschen einen Vorteil genossen. In der 33. Minute gelang Hans Schäfer das 1:0. So stand es auch zur Pause. In der 47. Minute erhöhte Max Morlock auf 2:0, ehe Erich Probst fünf Minuten darauf der Anschlusstreffer zum 2:1 glückte. Jetzt startete eine Galavorstellung der Walter-Brüder. Fritz und Ottmar trafen je zweimal zum Endstand von 6:1. Beide Male per Elfmeter verwandelte Fritz in der 57. Minute und 65. Minute zum 3:1 und 5:1. Sein Bruder traf in der 61. und 87. Minute zum 4:1 und 6:1-Endstand. Deutschland stand damit im Endspiel.[9] Die Euphorie in der Heimat kannte keine Grenzen. Die Mannschaft wurde mit Glückwünschen überhäuft und Herbergers Taktik, die in der Vorrunde noch so stark kritisiert wurde, wurde jetzt als „genialer Schachzug“ angesehen. Auf einer Münchner Theaterbühne änderte ein Schauspieler sogar seinen Text. Nachdem er seiner Freundin im Schauspiel Blumen gegeben hatte, sagte er statt eines Liebesbekenntnisses die Worte: „… weil wir 6:1 gewonnen haben.“
Die besondere Schmach lag für die Österreicher 1954 sicher auch in der Vorgeschichte des vorangegangenen spektakulären Viertelfinales, wo es nur so Tore auf beiden Seiten regnete, und man sicher stark beflügelt an das Halbfinale gegen Deutschland dachte.
(Wozu es alles eigene Artikel gibt, ts!)
Hihi: "...taumelte in einem tranceähnlichen Zustand zwischen den Torpfosten umher." [a.a.O.]
Auch nicht unbizarr, die Diagnose vor der Sache mit dem Getaumel: "Der österreichische Tormann Kurt Schmied erlitt in der ersten Halbzeit einen Sonnenstich, durfte aber gemäß der damals geltenden Regeln nicht ausgewechselt werden. Er taumelte in einem tranceähnlichen Zustand zwischen den Torpfosten umher."
und weiter... "Der österreichische Masseur Josef Ulrich stellte sich hinter das österreichische Tor und begann, den nahezu orientierungslosen Kurt Schmied zu dirigieren. Zusätzlich versuchte er, den Tormann während des Spiels mit Schwämmen und Wasser zu kühlen."
Und freilich: nichts, was es nicht gibt!
Die Höhepunkte der Hitzeschlacht von Lausanne mit herrlichem österreichischem Kommentar im Film:
("Die österreichischen Schlachtenbummler sind von den Sitzen hochgefahren! (...) jagt die Kugeln in die Maschen!")
Schön auch, wie ich nun endlich eine sinnstiftende Brücke zwischen deutscher Fußballgegenwart und meiner österreichischen jüngeren Vergangenheit gefunden habe!
Wenn ich es recht überblicke, war diese WM vor nun genau sechzig Jahren, die erfolgreichste für Österreich. In den Folge-Weltmeisterschaften waren unsere österreichischen Nachbarn oft gar nicht mit von der Partie, weil man die "Qualifikation verpasst hat", wie man hier mehrfach wissenschaftlich aufbereitet nachlesen kann:
http://de.wikipedia.org/wiki/%C3%96sterreichische_Fu%C3%9Fballnationalmannschaft#Teilnahme_an_Weltmeisterschaften
Nun verbinde ich mit "verpassen" ja eher terminliche Unpässlichkeiten (Anmeldeschluss versäumt, weil zu lange beim Heurigen gesessen), aber im Wikipedia-Fußball-Deutsch/Österreichisch ist damit gemeint, man hat in der Vorqualifikationsrunde für die WM nicht ausreichend Tore geschossen, also: Spiele gewonnen. Also quasi nicht den Termin für die Anmeldung verpasst, sondern die passenden Pässe verpasst...äh - ja.
Aber wir erinnern:
"Die österreichische Nationalmannschaft konnte bisher bei Weltmeisterschaften noch keinen Titel gewinnen, verzeichnete aber mit dem dritten Platz bei der WM 1954 und dem vierten Rang bei der WM 1934 schöne Erfolge!"
Ich denke, diese beiden letztlich doch sehr schönen Erfolge und die damit verbundenen Umstände bleiben dann auch unwahrscheinlich lange in Erinnerung. Also haften.