31. Mai 2014



Da sind wir jeden Tag gewesen, auf dieser Wiedner Hauptstraße. Man kommt gar nicht dran vorbei, wenn man woanders hin will, von der Lambrechtgasse aus, wo unsere Wohnung war. Am dreizehnten Mai waren wir auf dem Weg Richtung Karlsplatz, immer nach Norden. Duke hatte zum Glück einen Kompass dabei. Da wollten wir in die U-Bahn steigen, die direkt nach Hütteldorf fährt, wo Ernst Fuchs seine unglaubliche Villa hat, vom legendären Architekten des Wiener Jugendstils, Otto Wagner erbaut. Aber erst mal hinkommen. Ich hatte wieder unausgesetzt meine Windschutzbrille auf, gegen blendende Sonne hätte man sie nicht gebraucht. Dass ich ausgerechnet auf der Höhe der Klavier-Manufaktur Stingl auf die Idee gekommen bin, anzuhalten, um endlich mal ein paar Fotos von Wien zu machen, lag an einer blitzartigen Erkenntnis, als ich das Schild sah. Mir wurde auf einmal klar, dass ich schon mindestens an vier oder fünf Ecken vorbeigelaufen war, die ich, wäre ich alleine unterwegs gewesen, das Laufen unterbrechend, mit einem Foto gewürdigt hätte. Aber zu zweit ist da so ein kleiner Herdentrieb, der fatal werden kann, wenn man sich nicht besinnt, warum man eigentlich auch in einer Stadt ist. Um eben das Besondere zu würdigen, auch in Bildern. An der Stelle fragte Duke mich noch, weil ich plötzlich stehen blieb und meine Kamera aus der Tasche zog, sehr freundlich, ja neugierig, ob ich jetzt vorhätte, ein Bild zu machen. Die Frage machte mich etwas unwirsch und ich habe leider etwas weniger freundlich, als er gefragt hat, geantwortet, es sei gewissermaßen naturgegeben davon auszugehen, dass wenn ich die Kamera in die Hand nehme, die Absicht dahinterstünde, zu fotografieren. Also das nicht einer Erklärung für bedürftig hielte. So ungefähr. Es war merkwürdig für mich, dass überhaupt eine solche Frage an mich kommt, weil ich normalerweise entweder alleine unterwegs bin, wo sich keiner dafür interessiert, was ich tue, ob ich gehe oder stehe. Oder in einem Umfeld bin, wo man mich nur mit Kamera in der Hand kennt, und sich eher wundert, wenn ich nicht fotografiere. Seine Frage zeigte mir aber auch deutlich, dass ich nun erst am dritten Tag meines Aufenthalts beginne, mich auf diese meine ureigene Bestimmung zu besinnen. Ja, ich will festhalten, was mir geschieht, und was ich sehe. Ich will es würdigen. Auch in Worten. Deswegen existiert auch dieses Blog. So ein Aufenthalt in einer anderen Stadt, zumal einer derart sehenswerten, rauscht nicht einfach wie Bilder aus einem Zugfenster an mir vorbei. Mich beschäftigt das naturgegeben auch durch die Bilder, die entstanden sind, noch eine Weile danach. Ich schreibe das wahrscheinlich auch, weil es mich seltsam berührt hat, dass Duke in einer Mail vor wenigen Tagen schrieb, diese Reise nach Wien, das sei alles schon wieder weit weg. Da ich in den letzten Jahren nicht so viel in anderen Städten unterwegs war wie er, habe ich dafür sicher auch eine andere Aufmerksamkeit. Durch Berlin laufe ich ja auch nicht oft flanierenderweise, da könnte eine Begleitung an meiner Seite, die alles neu entdeckt, auch von meinem Tempo eingeschüchtert sein. Jedenfalls war in diesem Moment auf dieser Wiedner Haupstraße mein Entschluss gefasst, nicht mehr zügig weiterzulaufen, wenn mich ein Bild anspringt. Und das Stingl-Bild ist die Premiere. Zum Glück ging es mir wieder gut an dem Tag, keine Katerspuren mehr. Ich wagte es nicht, Duke alleine in den Fokus zu nehmen, aber wenn ich mich ins Bild nehme, kann es schon mal passieren, dass auch jemand im Hintergrund darauf landet. Damit muss man leben. Ich frage mich, ob es nicht auch eine ungewohnte Erfahrung für ihn war, dass ich die Kamera nur zaghaft in seine Richtung gedreht habe. Als wir uns zuletzt sahen, vor diesen vielen Jahren, war er es gewohnt, dass sich meine Kamera, die damals noch analog war, und kein Display hatte, auf ihn richtete, ausgiebig. In vieler Hinsicht war die Situation neu. Wir hatten uns beide verändert. Zwölf Jahre sind eine Menge Leben.







: : alle Wiener Geschichten : :

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