01. November 2010

In der S-Bahn. Junge mittelblonde Frau eine Sitzbank vor mir, spricht laut mit dem Telefon. Halt so wie daheim! Man ist ja ganz für sich. Weil sie aber so kurios souverän unter gefühlt vier Augen erzählt, d. h. ein bißchen über eine Frau aus dem Bekanntenkreis lästert, wie man es in der Art selten hört (höchstens mal in einem Spielfilm), höre ich interessiert zu. Sie findet es, soweit ich dem Gespräch folgen kann, wohl unanständig, dass die Frau aus dem Bekanntenkreis eine Putzfrau hält, anstatt alles selber zu putzen. Dazu ist sie nämlich zu faul, die Bekannte. Das muss man sich mal vorstellen! Und der Ulrich, also ihr Mann, der unterbindet diese Faulheit auch nicht, der Schwächling. Das Wort hat sie zwar nicht benutzt, aber man merkte schon, dass Ulrich dadurch nicht in ihrer Hochachtungsskala auf zwölf gestiegen ist. Mich aufs Neue überraschend wird plötzlich das Thema gewechselt.

Es geht um ein Foto, auf dem die mittelblonde junge Frau für hellblonder gehalten wird, als sie in Wahrheit und Wirklichkeit ist. Wahnsinn! Nun dreht sich das Gespräch ein bißchen im Kreise, weil die mittelblonde junge Frau nicht müde wird, immer wieder aufgeregt zu beteuern, dass sie von fast niemandem auf dem Foto erkannt wird. Aber dabei ist sie es wirklich! Ist das nicht toll? Dieses Foto! Nein Nein Nein! Schon eine tolle Sache. Ich musste dann ja leider das Abteil verlassen, weil ich am Fahrtziel angelangt war. Die junge Frau freute sich immer noch über ihre eigene Aufregung um das Foto. Und da dachte ich so bei mir, wenn man eine weltweite Umfrage machen würde, auf welche menschliche Ausdrucksform man am ehesten verzichten könnte, wäre die Fotografie sicher nicht dabei. Welche Bedeutung eine Abbildung von sich selbst für einen Menschen haben kann. Oder das plötzlich nahe, beinah lebensnahe Abbild eines geliebten fernen Menschen. Auf Bildhauerei und Collagenarbeiten könnte man wohl leichteren Herzens verzichten. Oder auf Kupferstiche. Oder auf Radierungen. Aber Fotos. Das täte richtig weh. Eine Erde ohne Fotografie, jetzt wo wir uns so daran gewöhnt haben. Unvorstellbar. Und Musik. Und Film. Auf diese drei wollte ich am wenigsten verzichten. So schön Malerei auch sein kann. Und all das andere. Eine Fotografie ist mit der Energie des Augenblicks aufgeladen, in der sie entstand. Und man kann diesen Augenblick auf ewig teilen und aufs Neue erwachen lassen. Das ist magisch. Fotografie ist Fotomagie. Unvergessliche Musik, die man für immer mit einem Augenblick verbindet.

kaltmamsell - Di, 2. Nov, 06:49

Und dann die Fotos, die einen Augenblick erst völlig erzeugen. Manche von Ihren gehören dazu.

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