31. August 2010
Ein Eintrag, bevor die Turmuhr schlägt. Ich war doch bei diesem Suhrkamp-Geburtstag im LCB. Wegen Angela Winkler vor allem. Als ich genug Leuchtballons fotografiert hatte und die dunkle Terrasse betrat, sprach mich ein junger Mann mit Namen an. Er guckte irgendwie familiär und ich grübelte, woher wir uns kennen könnten. Weil er ziemlich gut aussah, überlegte ich, ob da vielleicht mal was war, aber wenn, schoss es mir durch den Kopf, würde er mich jetzt sicher nicht so unbefangen anlächeln. Außerdem bin ich aus dem Alter raus, wo man sich nicht mehr an seine Schandtaten erinnert. Ich erinnere mich inzwischen an alles. Mein Gedächtnis ist so gut, dass ich selber manchmal erschrecke und mich frage, ob es sich um eine Art Überfunktion handelt, so wie Schilddrüsenüberfunktion. Ein bißchen mehr Vergessen täte mir in vielerlei Hinsicht bestimmt sehr gut. Na ja. Ich musste kein wirklich schlechtes Gewissen haben, dass ich nicht sofort wusste, woher er mich kannte. Es war nur ein einziger Abend in einer Kreuzberger Kneipe mit ein paar anderen Bloggern vor über drei Jahren, und er saß auch am anderen Ende des Tisches.
Ich erzählte ihm, dass ich hauptsächlich wegen Angela Winkler gekommen sei, weil es diesen roten Faden von Verwechslung und Vergleich gäbe und ich mir selbst ein Bild machen wollte. "Stimmt" meinte André, "du siehst ihr wirklich ähnlich". Fand ich zwar immer noch nicht so sehr, aber sympathisch war sie mir schon, soweit ich das von Fotos und Filmausschnitten beurteilen konnte, und wie sie mir da bei meiner Zahnärztin lächelnd entgegengekommen war. Das erste mal war mir ihr Bild auf dem Einband der Taschenbuchausgabe "Die verlorene Ehre der Katharina Blum" begegnet. Ich war vielleicht dreizehn oder vierzehn. Wir nahmen diesen verfilmten Böll im Deutschunterricht durch und ich fand es eine schöne Hausaufgabe, Romankapitel zu lesen, weil ich sowieso gerne las.
Auch auf der Terrasse wurde gerne gelesen und ich holte mir ein zweites Glas. Irgendein spanischer Rotwein mit ordentlich Tannin. Wir schlenderten Richtung Wintergarten, wo schon ziemliches Gedrängel herrschte. Ich bemerkte beiläufig "Wenn man jetzt unbedingt was aufreißen wollte, wäre schon so einiges dabei." Das war eigentlich gar nicht als Kalauer gedacht. Ich fand wirklich, dass eine ungewohnt unüberschaubare Menge an attraktiven Menschen durch die Räume der alten Wannseevilla wimmelte. Christian Brückner saß auf einer Tischkante und ich spürte den Pfeil seiner Energie. Gut sah er aus. Der wird irgendwie auch nicht älter. Attraktive, kultivierte Menschen. Autorenfotos an der Wand. Fotogene Köpfe unter den Suhrkamp-Autoren. Den sehr charismatischen Florian Havemann hab ich leider verpasst, aber Jan hat ihn tagsüber im Sonnenlicht erwischt. Ich war ja, wie schon mehrfach erwähnt, vor allem wegen Frau Winkler da.
Und nun war es also so weit. Ich versuchte mich etwas mehr anzunähern, ohne zu drängeln. Da stand sie, rechts vom Flügel und strahlte wie ein siebzehnjähriges Mädchen. Ich muss dieses klischeehafte Bild bemühen, weil mir einfach kein besseres einfällt. Ich spürte, dass sie gut gelaunt war und möglicherweise ein kleines bißchen betrunken. Was sich aber außerordentlich charmant auswirkte. Aber vielleicht ist sie ja auch immer so. Sie begann den Vortrag mit der Bemerkung, sie wüsste eigentlich gar nicht genau, was sie jetzt machen soll und was von ihr erwartet wird und irgendwo hätte gestanden, dass sie heute Abend Brecht singt, und sie wüsste auch nicht, aber sie singt dann halt einfach mal irgendwas jetzt. Wie sie da so unvorbereitet redete, musste man sie gleich gern haben. Dann hat sie ein sehr sentimentales Chanson der verstorbenen Barbara gesungen. Nicht, dass sie jetzt die umfangreichste Stimme hätte, aber was für eine Hingabe. Ans Herz rührend. Nach dem zweiten Lied fragte sie "gefällt es Ihnen denn ein bißchen?" Man hatte noch nicht einmal den Eindruck, dass die Frage kokett war, obwohl man es so empfinden musste. Die Herzen flogen wie Rosenblätter in die Ecke mit dem Flügel.
Ich konnte schwer begreifen, dass dieses mädchenhafte Wesen mit dem explosiven Lächeln eines Kobolds eine sechsundsechzigjährige Frau sein sollte. Eine Dame im Seniorenalter. Wenn sie irgendwie gesetzter ausschauen würde, würde man von ihr vielleicht als der 'großen Mimin' oder der 'Grande Dame' des deutschen Theaters reden. Aber das passt hinten und vorne nicht. Man denkt bei solchen Ehrentiteln automatisch an eine gesetztere, robuste Erscheinung. Aber nicht an jemand wie Angela Winkler. Ich war angetan. Mir fällt Magnetismus ein. Eine Spur Romy, nur elektrischer und auch ein bißchen Nico. Aber vor allem Angela Winkler. Erotisierte Heiterkeit erfüllte den Raum. Vor mir stand die Schauspielerin Katja Bienert. Zufällig hatte ich erst zwei Tage zuvor irgendwo im Internet gelesen, dass sie am gleichen Tag wie ich Geburtstag hat. Sie drehte sich plötzlich zu mir um und fragte, ob ich gerne ihren Platz einnehmen wollte, sie hatte meine Kamera gesehen. Wirklich nett. Es war recht dunkel, ich konnte eigentlich nur Bilder machen, die schön sind für mein eigenes Erinnern, ganz furchtbar verrauscht. Aber den Zauber hab ich eingefangen.
[...]
g a g a - 31. August 2010, 23:59
Wenn "Alter" so aussieht - bereits der Begriff will mir hier nicht passen - also, wenn "Zukunft" so aussieht, dann her damit! Das lässt eine Art Vorfreude aufkommen.
Du, sie ... Als würdet ihr euch gegenseitig anlächeln
Und genau dazu: Gutes für Dich! Jeden Tag!