30. Dezember 2013



Und wie ich da so lang gehe, vor-vor-vorgestern, in Berlin Westend, die Sensburger Allee, steht auf einmal dieses Schild vor mir. Gewiss ein Salon für hochmoderne Damenfrisuren, Fasson-Haarschnitte. Diese Renée Sintenis hat bestimmt bei Vidal Sassoon gelernt. Solche Akuratesse, findet man nur in den besten Salons. Ob ich mir auch demnächst so einen frechen Kurzhaarschnitt aus dem Salon Sintenis zulege? Das sind so ungefähr die Gedanken, die mir durch den Kopf gegangen wären, wäre ich völlig unvorbereitet die Sensburger Allee entlangflaniert. Aber Gaga Nielsen ist niemals unvorbereitet! Dank einer Bekanntschaft ist Gaga Nielsen im Verteiler vom Georg Kolbe-Museum gelandet. Und da ist ihr beim Querlesen einer Mail das Foto von der Frau mit dem flotten Haarschnitt ins Auge gestochen. Gaga Nielsen hat gleich gemerkt, dass es eine besonders eigensinnige Frau gewesen sein muss, weil der flotte Haarschnitt, der so supermodern ausschaut, schon vor ungefähr hundert Jahren gemacht worden ist. Und so viele Haarschnitte von vor hundert Jahren gibt es nicht, die heute noch supermodern ausschauen würden. So schlichten Geistes es klingt: der Haarschnitt ist Schuld, dass ich wissen wollte, was die Frau gemacht hat. Bildhauerei, das ist ja klar, weil Georg Kolbe auch ein Bildhauer war, und in seinem ehemaligen Atelier fast ausschließlich Bildhauerei ausgestellt wird. Na gut, dazwischen auch mal ein paar Fotos und Zeitungsschnipsel über den Künstler, das kommt vor. Jedenfalls hat die Frau mit dem kecken Haarschnitt unter anderem den kleinen Berliner Berlinale-Bär gemacht. Der steht auch in ganz groß am Eingang von Berlin. Bei Dreilinden winkt er den Autofahrern zu. Überhaupt Tiere, Renée Sintenis hat hauptsächlich Tiere gemacht. Rehe und Pferdchen und andere Vierbeiner. Alles sehr putzig. Aber für mich jetzt - ganz unter uns - nicht so wahnsinnig spannend. Manchmal auch einen Kopf von einem berühmten Mann ihrer Zeit, legendäre Zeitgenossen. Oder einen Frauenakt. Aber so richtig beeindruckt hat mich die Galerie ihrer lebensgroßen Selbstportraits über den Zeitraum von ungefähr vierzig Lebensjahren. Ich habe es respektiert, dass man in der Ausstellung nicht fotografieren soll, aber draußen, im Garten darf man. Was im Garten steht, sind aber keine Werke von ihr, sondern



von Georg Kolbe. Im Frühling und Sommer muss es ein sehr romantischer und lauschiger Ort sein. Das war er ja jetzt schon, an diesem wolkigen Dezembertag. Da zeigt sich ja die wahre Qualität eines Ortes, wenn einem sogar bei trübem Wetter poetisch zumute wird. Ich habe also einen schönen Spaziergang durch den Garten gemacht, kurz vor der Abenddämmerung. Dann einen Rundgang durch die Ausstellung. Wo im hinteren Raum ein phantastisches Foto sehr groß aufgezogen hängt, das Renée Sintenis im Profil mit einem ihrer Selbstportraits zeigt. Ich habe es leider nur ganz klein im Netz entdeckt, hier. Sie müssen sich das Bild bitte unbedingt im Format von ca. ein mal zwei Meter vorstellen. Und rechts davon schloss sich diese Allee mit ihren Selbstportraits auf hohen weißen Stelen an. Von außen konnte ich zumindest ein bißchen etwas davon einfangen. Es gab eine Schauwand mit Zeitungsschnipseln zur Berlinale und dem kleinen und großen Bär, und Nina Hoss hat ihren silbernen Berlinale Bär als Leihgabe gestiftet. Er ist wirklich hübsch. Es gab damals, nach dem Krieg auch eine Aktion "Kauft Berliner Waren!" und einen extra Stempel mit einem Bär drin, um Waren aus Berlin zu kennzeichnen, um die Berliner Wirtschaft anzukurbeln. Den Stempel hat Renée Sintenis wohl auch gemacht. Auch sehr hübsch. Ich hätte gleich Berliner Waren gekauft! Dann bin ich wieder raus, auf die Sensburger Allee, wo ich vorher noch nie war. Dabei kommt man so leicht hin mit der S-Bahn, einfach am S-Bahnhof Heerstraße aussteigen und dann gegenüber direkt in die Sensburger Allee. Ein bißchen weiter hinten als das Georg-Kolbe-Museum, ist ein kleiner Teich mit Entengrütze. Und Enten drin. Ein Pärchen habe ich gesehen. Er ist immer der Entenfrau hinterher. Ich habe ein paar Fotos gemacht,



natürlich auch welche mit mir drauf, wie immer, aber auch mit Natur! Sonst denken alle, ich sehe immer nur Stadt und Häuser und nie Natur. Dann bin ich wieder zurück, noch mal am Georg-Kolbe-Museum vorbei, es war schon blaue Stunde, was man auf den Fotos auch schön sehen kann, und da habe ich dann noch mal von außen in die Ausstellung fotografiert. Es ist schon ein sehr schöner Ort. Das nächste mal könnte ich auch das kleine Café besuchen. Da war mir diesmal nicht danach, so alleine. Obwohl ein heißer Kakao schon sehr gut gewesen wäre oder eine gepflegte Tasse Kaffee! Na ja, zu spät. Selber schuld! Auf jeden Fall ist Renée Sintenis schon eine interessante Figur gewesen. Sie wurde ja auch ganz oft fotografiert und hat die tollsten Leute ihrer Zeit in Berlin gekannt und ordentlich gefeiert. Was mir natürlich neben den Selbstportraits auch sehr sympathisch ist. Und Alfred Flechtheim war ihr Galerist. Den Namen haben jetzt wahrscheinlich mehr Leute als früher präsent, weil er oft durch die Presse gegangen ist, im Zuge dieser ganzen Gurlitt-Geschichte. Mir fällt auch wieder ein, wie ich in den Verteiler gekommen bin: der früherer künstlerische Leiter vom Georg-Kolbe-Museum hat mal eine Ausstellung über die Berliner Kunstszene mit Jan und dem Kunstkontakter im Deutschen Generalkonsulat in New York kuratiert und für die Einladungskarten ein Foto von mir genommen, auf dem man die beiden in Riefenstahlscher Untersicht in einem Fahrstuhl sieht. Das hat mich sehr gefreut. Ich musste mir dann vorstellen, wie das Foto hundert- oder gar tausendfach durch die Hände von den Druckern einer New Yorker Druckerei läuft. Und ich war selber gar nicht dabei. Das muss man sich mal vorstellen. Aber schöne Vorstellung. So war das. Genau. Der damalige Kurator, Marc Wellmann hat jetzt eine ähnliche Funktion an einem anderen renommierten Ort in Berlin. Hätte ich mal Kunstgeschichte statt immer nur Nachtleben studiert, hätte ich es auch so weit bringen können! Aber na ja, ich werde auch noch meinen Weg machen.



(...) "Sie war unter den Künstlerkollegen von Anfang an eine anerkannte Persönlichkeit, war eng verbunden in die Szene der Weimarer Republik, die ja sehr lebendig war, hier in Berlin, die Brücke, die Expressionisten, Max Liebermann war noch am Leben. Rilke ist einer ihrer prominentesten Fürsprecher gewesen, auch Georg Kolbe hat ihr Werk geschätzt. (...) Für Georg Kolbe hat sie sogar Modell gestanden. In seinem ehemaligen Atelierhaus, das heute das Kolbe-Museum ist, bereitet Julia Wallner nun eine große Ausstellung vor, um an Renée Sintenis Werk zu erinnern. Und an ihr spannendes Leben: Sie trifft Albert Einstein, Ringelnatz schreibt Gedichte über sie. Ihr Kunsthändler ist der bekannteste der Weimarer Republik: Alfred Flechtheim. Bekennend schwul und feierfreudig. Sie ist seine wichtigste Künstlerin und darf nicht fehlen, wenn er wieder eine wilde Party schmeißt." (...) RBB-ONLINE



"Man nehme sehr viele schöne Frauen, fünf Mitglieder der Haute Banque, mehrere berühmte Rechtsanwälte, Dichter, Parlamentarier, die Sintenis und sehr viel Pfirsichbowle."
Alfred Flechtheim
kid37 - Mo, 30. Dez, 14:21

Interessant. Die hat den Sylvia-von-Harden-Haarschnitt.

g a g a - Mo, 30. Dez, 19:03

Ich denke, wir dürfen davon ausgehen, die beiden kannten sich. Otto Dix portraitierte Flechtheim im selben Jahr wie von Harden, 1926. Man war in denselben Kreisen. Vielleicht hatten die beiden denselben Coiffeur, also Sintenis und die sechs Jahre jüngere von Harden. Vielleicht war Sintenis sogar das Vorbild, als die Ältere, und seit geraumer Zeit in der Öffentlichkeit Stehende. Ich muss mal die Flechtheim-Biographie bestellen, da wird sicher einiges erhellt.
kid37 - Mo, 30. Dez, 21:41

Und der Ringelnatz immer dazwischen mit seiner komischen Frisur. War sicher nett damals. "Otto, tu mir mal Zigaretten!" - "Nur, wennze mich Modell stehst". (Ok, im Berliner Dialekt klang das natürlich ein bißchen anders.) Journalisten sind eher Mimetiker, die von Harden hat das sicher abgekupfert.
g a g a - Mo, 30. Dez, 21:57

kommt hin!

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